Volckmer | Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 216 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 200 mm

Volckmer Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?

Roman | »Erstaunlich, originell, verstörend und wunderschön.« Chris Kraus
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7550-5030-8
Verlag: März Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman | »Erstaunlich, originell, verstörend und wunderschön.« Chris Kraus

E-Book, Deutsch, 216 Seiten, Format (B × H): 120 mm x 200 mm

ISBN: 978-3-7550-5030-8
Verlag: März Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Jimmie, ein pummeliger junger Mann, Sohn italienischer Einwanderer, kommt zur Arbeit in einem Londoner Callcenter. Für den Rest des Tages wird er den Kunden eines Reisebüros Rede und Antwort stehen müssen: Warum hat unser Zimmer keinen Ausblick? Warum ist die Minibar leer? Wie sollen wir uns nahtlos bräunen, wenn wir nicht nackt am Pool liegen dürfen?
Doch Jimmie hat andere Probleme: Daniel, den kurvigen Schauspieler, der seit Kurzem sein Vorgesetzter ist und auf den er wahnsinnig steht. Und so mangelt es seinem Engagement für die Kundschaft doch entschieden am nötigen Ernst, was leider auch seinem Manager Simon nicht entgeht. ist. Zum Glück lässt die Motivation seiner Kolleg:innen ebenfalls zu wünschen übrig: Wolf, der seltsame Deutsche mit fehlendem Zeh; Helen, die katalanische Schönheit; und Elin, die davon träumt, einen Waldkindergarten zu eröffnen.
Simon bittet Jimmie zu einem Gespräch, die Situation scheint ernst. Und während Jimmie darauf wartet zu erfahren, ob er nun endlich wegen einer weiteren Übertretung entlassen wird, erzählt Katharina Volckmer von Intimität und Freundschaft und davon, dass sexuelle Spannungen, Traumata und der Schmerz, den wir uns selbst und anderen zufügen, das Büroklima doch weitaus mehr beeinflussen als Weihnachtsgeld und kostenloser Kaffee. Obendrein erfahren wir Ungeahntes über orangefarbene Toilettenkacheln, die perfekte Lippenstiftfarbe, über traurige italienische Mütter und die Arbeit als Schauspieler in Bestattungsunternehmen.
Dort zu arbeiten, wo niemand einen sehen kann, lässt Jimmie Erregung genau dort finden, wo er sie am wenigsten erwartet hätte. Mit britischem Humor und feinem Gespür für die Zumutungen des Alltags geschrieben, ist ›Hallo, mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?‹ eine Erkundung der Enttäuschungen und des Glücks darüber, nicht dazuzugehören.

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Heute war Elin nicht da, um ihn vor seinen eigenen Fantasien zu retten und ihn an seine Pflicht zu erinnern, fremden Leuten am Telefon endlos einen runterzuholen. Diese Wogen der Unzufriedenheit zu glätten, ohne darin unterzugehen. Doch er spürte, dass weder der Himmel, den sie alle gemein hatten, noch die beiden Frauen mit ihrer aufregenden fremden Sprache seine stumme Meuterei ausplaudern würden. Jimmie versuchte, sich zusammenzureißen, weil er wusste, dass niemand mit der Traurigkeit ins Bett wollte. Denn die Traurigkeit ist es, die nach ungewaschenen Klamotten und fettigen Haaren riecht. Nach dreckigen Kissen. Jimmie begriff, dass sein Körper den Widerstand aufgegeben hatte, innerlich weich geworden war, und dass die Aushöhlungen unter seinen Augen nicht mit Sorge, sondern zunehmend auch mit Krankheit erfüllt waren. Mit Infektion und Schmerz. Wenn seine Knie und Füße weh taten, war das der Beginn der Verfalls, ein erstes Zeichen, dass dieser Mangel an Wohlbefinden zum Dauerzustand zu werden drohte. Jimmie blickte ein letztes Mal in den Himmel. Zu den Wolken, die jede Dunkelheit überstanden, ohne Schaden zu nehmen. Es war Zeit, die Küche und ihre seltsame Nachmittagsstille zurückzulassen und die späten Abendstunden abzuwarten, bevor er sich wieder in seine Gedanken flüchten konnte. Zeit, den kommenden Stunden ins Auge zu sehen im Wissen, dass keine Reue das Schwinden eines vergeudeten Tages aufhalten würde. Als er sich wieder auf seinen kaputten Bürostuhl setzte, kam es ihm vor, als wäre er durch die Zeit gereist. Beinahe erwartete er, dass Wolf mittlerweile ein Bart gewachsen war und er aussah wie Heidis Großvater – oder vielleicht wie der eigenartige Ziegenhirte, den man mit Tierhaaren in der Unterhose erwischt hatte. Vielleicht musste Wolf deshalb aus Deutschland weg. Vielleicht hatte er sich an der besten Ziege seines Großvaters vergangen. Wolf und das einzige Lebewesen, das er je geliebt hatte – eine hinreißende Bergziege namens Bellezza. Am Tag, als sie ihren Liebhaber fortschickte, war sie gezwungen, sich für einen schlicht gestrickten Bock namens Hans herzugeben, der das wahre Ausmaß ihrer Schönheit gar nicht erfassen konnte. Im seltsamen Licht der Deckenlampen sah es fast so aus, als würden winzige Hörner aus Wolfs kahler Stirn wachsen – sein Leid drängte hinaus in die Welt wie eine ausbrechende Kreatur. »Magst du Tiere, Wolf?« »Warum willst du das wissen?« »Einfach so. Vielleicht wegen deines Namens?« »Eigentlich heiße ich gar nicht Wolf, sondern Wolfgang. Im Grunde mache ich mir nichts aus Haustieren, aber als ich klein war, hatte ich einen Wellensittich. Meine Mutter hat ihn mir gekauft.« »Die tun mir immer so leid. Sie verbringen ihr ganzes Leben eingesperrt in einem Käfig, genau wie wir.« »Aber das sind richtig dumme Tiere. Ihr Gehirn ist nicht mal so groß wie eine Walnuss.« »Gab es da, wo du aufgewachsen bist, Bergziegen?« »Bergziegen? Ich bin in der Stadt aufgewachsen, Jimmie, warum hätte es da Ziegen geben sollen? Geh lieber mal ans Telefon, statt mir solche Fragen zu stellen. Du weißt ja, dass die Regeln geändert wurden und wir für Stunden mit so geringer Aktivität nicht mehr bezahlt werden. Da war Simon ziemlich deutlich.« Er schüttelte den Kopf – anscheinend über Jimmies womöglich nur walnussgroßes Gehirn. Es erstaunte Jimmie, dass die Deutschen es schafften, sich nicht nur den sogenannten Südeuropäern, den Gastarbeitern und ihrem Hang zur Faulheit überlegen zu fühlen, sondern sogar Vögeln und ihrem unterentwickelten Verstand. Er wollte mehr über seinen gefiederten Leidensgenossen erfahren, ob man auch auf ihn, auf seine Heimat und Gewohnheiten zugeschnittene Beleidigungen erfunden hatte. Ob auch er Katzelmacher und Zitronenschüttler genannt worden war, weil die Leute herabsetzen mussten, was sie nicht verstanden. Wenn doch bloß das Telefon etwas weniger hektisch klingeln würde. »Vielen Dank für Ihre Geduld. Mein Name ist Jimmie, was kann ich für Sie tun?« »Ich bin in einem Boutiquehotel im Marais und ich bin ziemlich sicher, dass man sich hier über mich lustig macht.« »Man? Die Hotelangestellten?« »Ja. Sie versuchen nicht mal, es zu verstecken.« »Sind Sie sicher, dass das nicht bloß die französische Art ist? Die Leute kommen da so zur Welt, sie können nicht anders. Am besten sehen Sie das wie einen Klumpfuß oder eine seltene Hautkrankheit – ich stelle mir gern vor, dass sie im Verborgenen ganz unglücklich darüber sind. Bestimmt wären sie wirklich gern freundlich und mitfühlend. Sie haben schon Glück, wenn Sie nicht mit ansehen müssen, wie sie sich in der Arbeitszeit an ihrem Schreibtisch selbst befriedigen.« »Kommt das häufiger vor?« »Wir mussten einen französischen Kollegen deshalb entlassen.« »Und dann gehen sie mit ihrem ach so berühmten Liebesleben hausieren, mit dem Rotwein und den Zigaretten.« »Wahrscheinlich brauchen wir alle irgendwelche Geschichten, um den Tag zu überstehen.« »Ich könnte schwören, dass diese niedliche Kellnerin sich heute morgen über mich lustig gemacht hat, weil ich mir am Frühstücksbuffet einen Nachschlag geholt habe.« Er konnte sie vor sich sehen, wie er sich selbst an jenem Tag in dem alten Sommerkleid seiner Mutter gesehen hatte. Die Blicke der anderen Leute hatten sich an ihm geweidet wie Wespen. Er spürte noch das Kribbeln der Schweißperlen auf seiner Kopfhaut, als er in den Schühchen seiner Mutter den Gehweg entlang schwankte, sich seines eigenen Körpers, des Bauchs, den er nie würde einziehen können, ständig bewusst. Er hörte die Süßigkeitenverpackungen in ihrer Tasche knistern, dieselben Verpackungen, die er auch ständig in seiner eigenen Tasche fand, hartnäckige Zeugen der flüchtigen Momente des Trosts, die er eigentlich lieber vergessen wollte. Auch wenn er die Kalorien gar nicht wirklich im Blick behielt, zählten die Verpackungen sie für ihn und gaben ihm das Gefühl, sein Bauch wäre voll von solchen Steinen, mit denen man den großen bösen Wolf umgebracht hatte. Sein Körper war eine Last und sein süßes Verlangen eine Sünde. »Das tut mir leid, Madam. Ich kann Ihnen versichern, dass niemand Franzosen mag. Und ich gebe Ihnen mein Wort, dass sie nicht alle schlank sind.« »Ich wünschte einfach, man würde in der Schule unterrichten, dass auch Übergewichtige Gefühle haben. Wir sind ja nicht bloß Objekte der Belustigung. Hinter unserer Gestalt steckt eine Geschichte.« »Aber wir können auch ein Quell der Freude sein. Hätten Sie schon mal ein Video gesehen, in dem ein dicker Mensch vor einer aggressiven Ratte wegrennt, dann wüssten Sie, dass das unsere rettende Eigenschaft ist. Wir haben unsere Trauer und unser Trauma in etwas anderes verwandelt, und alle können es sehen und darüber lachen. Ich finde die Vorstellung tröstlich, dass die Welt ohne uns total langweilig wäre. Und Sie wollen den Franzosen bestimmt nicht die Genugtuung gönnen, dass ich beim Hotel anrufe, damit die Kellnerin eins auf den Deckel bekommt, oder?« »Das wäre wohl die eigentliche Erniedrigung.« »Sie müssen sich vorstellen, dass wir Hexen und Zauberer sind. Alchemisten. Wir haben einen Weg gefunden, unseren Kummer zu Gold zu machen.« Jimmie erinnerte sich noch daran, wie ihn Nobes einmal im Leichenwagen auf dem Weg zu einem bulgarischen Begräbnis gefragt hatte, ob er in der Schule gemobbt worden sei. Jimmie war abgelenkt gewesen, denn obwohl er sich seine Geschichten selbst ausdenken durfte, wollte ihm nicht mehr einfallen, in welcher Beziehung er zu der bulgarischen Dame Mitte Fünfzig stand, die vom Bus Nummer 98 überfahren worden war. Die Frage erwischte ihn unvorbereitet. »Du bist ziemlich sensibel. Und ein ganz schöner Brummer, wie ein Labrador, der einfach nicht aufhören kann zu fressen. Du hattest es bestimmt nicht leicht in der Schule, mit deinen ausländischen Haaren und dem komischen Nachnamen und so.« Jimmie sagte sich gern, dass er und Mr Nobes ihre jeweilige Gesellschaft genossen, weil sie dann weniger allein waren. Dass sie, trotz ihrer Unterschiede und Jimmies Skepsis hinsichtlich Mr Nobes’ ästhetischen Entscheidungen, einen Raum zwischen sich geschaffen hatten, der von Bedeutung war. Die Haut an seinen Fingerknöcheln war schuppig, seine Nägel immer ein bisschen zu lang, und wahrscheinlich hingen kleine Reste toter Leute darunter – die Wärme ihrer Körper nicht mehr als eine Erinnerung, die an fremden Fingern haftete. Vielleicht hatte Jimmie den klassischen Fehler begangen, den Arbeitsplatz für einen Ort zu halten, an den er hingehörte. Vielleicht hatte er sich...


Volckmer, Katharina
Katharina Volckmer, geboren 1987 in Deutschland, zog zum Studium nach London, wo sie noch heute lebt und für eine große Literaturagentur arbeitet. Zuletzt erschien ihr Roman ›Der Termin‹ (Kanon Verlag), der in über 15 Sprachen übersetzt und in zahlreichen Ländern fürs Theater adaptiert wurde.

Adam, Milena
Milena Adam, geboren 1991 in Hamburg. Sie lebt und arbeitet als Lektorin, Übersetzerin und Dolmetscherin aus dem Französischen und Englischen in Berlin.



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