E-Book, Deutsch, 269 Seiten
ISBN: 978-3-95405-003-1
Verlag: Unrast Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Mit Beiträgen von:
Stefan Vogt: Gibt es einen kritischen Totalitarismusbegriff?
Enzo Traverso: Die Intellektuellen und der Antifaschismus. Für eine kritische Geschichtsschreibung
Jan Weyand: Zur Aktualität des autoritären Charakters
Moshe Zuckermann: Faschismus, autoritärer Charakter und Kulturindustrie
Udo Wolter: Postkolonialismus. Ein neues Paradigma kritischer Gesellschaftstheorie?
Ulrich Bröckling: Totalitätslehren der Zwischenkriegszeit. Die Doktrin des "totalen Krieges" zwischen 1918 und 1945
Jochen Baumann: Produktivität und Vernichtung. Die Transformation der Sozialpolitik im Nationalsozialismus
Elfriede Müller: Republikanischer Nationalismus und Faschismus in Frankreich
Klaus Holz: Die Verknüpfung von Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus in der Dritten Republik. Zum Beispiel Édouard Drumont
Alexander Ruoff: Science Fiction und bürgerliche Utopie. Zukunftsvorstellungen nach Auschwitz
Aus dem Vorwort
Alle hier versammelten Aufsätze gehen der Frage nach, welchen Beitrag eine Theorie des Faschismus zur Kritik der heutigen Gesellschaft leisten kann. Sie stellen sich die Aufgabe, ein theoretisches und praktisch-politisches Problem anzugehen: wenn die Faschismen eine Transformation der bürgerlichen Gesellschaft darstellen, die im Nationalsozialismus so weitgehend war, daß von einem Bruch mit der bisherigen Geschichte gesprochen werden kann, dann muß eine aktuelle Kritik der Gesellschaft sich genau mit dieser Dialektik von Kontinuität und Bruch, die der Nationalsozialismus bewirkt hat, auseinandersetzen. Eine derartige Theorie des Faschismus ist eine Voraussetzung für die Kritik der Gesellschaft. Sie muß, will sie eine wirksame Kritik heutiger Vergesellschaftung leisten, Kontinuität und Differenz der bürgerlichen Gesellschaft zum Faschismus und zu seinen Nachfolgern analysieren können, ohne mit Begriffen zu hantieren, die wie "Faschisierung", "Postfaschismus" oder "autoritärer Staat" bereits von vornherein die Logik des Verhältnisses von Geschichte und Gegenwart festlegen. Die hier veröffentlichten Beiträge stellen sich dieser Aufgabe. Sie wurden im Rahmen der gleichnamigen Veranstaltungsreihe der jour fixe initiative berlin vom November 1998 bis zum Mai 1999 als Vorträge gehalten.
Faschismustheorien scheinen seit einiger Zeit ziemlich aus der Mode gekommen zu sein. Sie gelten allgemein als Marotte der siebziger Jahre, der untergegangenen Arbeiterbewegung und der Epoche des Kalten Krieges zugehörig. Die seinerzeit dominanten Ansätze, die sich an der Faschismustheorie der III. Internationalen orientierten, waren in ihrer Erklärungskraft allerdings ziemlich begrenzt. In aller Regel subsumierten sie die einzelnen faschistischen Regime unter einem allgemeinen Faschismusbegriff und ignorierten damit den besonderen Charakter des Nationalsozialismus, den Hannah Arendt als Herrschaftsform sui generis bezeichnete. Die Faschismen und der Nationalsozialismus wurden von ihnen nur funktional als Werkzeug der kapitalistischen Herrschaft analysiert.
Mit diesen Ansätzen sind jedoch auch die wenigen kritischen Faschismustheorien verschwunden. Gerade aber die heutige Zeit, die diese Theorien überwunden zu haben glaubt, steht für ihre ungebrochene Aktualität. Die Elemente faschistischer Ideologie sind nach wie vor virulent. Dies zeigt nicht nur die Renaissance rechtsextremer Bewegungen in ganz Europa, sondern auch die zunehmende Verbreitung von Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Autoritarismus in weiten Teilen der Bevölkerungen. Insbesondere in Deutschland wird außerdem durch den diskursiven Bezug auf Auschwitz eine neue nationale Formierung betrieben, sei es in der Art Martin Walsers als Forderung nach einem Schlußstrich, sei es in der Art Joschka Fischers und Rudolf Scharpings als Legitimation für eine offensive und inzwischen auch wieder kriegerische deutsche Außenpolitik. (...)