E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Sehnsuchtsorte
Vogt Toskanische Täuschung
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96041-455-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Reihe: Sehnsuchtsorte
ISBN: 978-3-96041-455-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Bizzare Morde vor idyllischer Kulisse – ein packender Krimi zwischen Wahn und Wirklichkeit.
Ein Aufschrei geht durch das malerische Arezzo: Museumsdirektor Margoni wird tot aufgefunden – makaber inszeniert zu Füßen der etruskischen Chimärenstatue, mythisches Fabelwesen und Wahrzeichen der Stadt. Die Spur führt Commissario Roberto Fabbri in eine Klinik für Schlaftherapie, in der die deutsche Psychologin Pia Michaelis ihre Patienten mit Klarträumen behandelt. Sind diese bewussten Träume schuld an Margonis Tod? Als ein weiterer Patient des Schlaflabors gewaltsam ums Leben kommt, beginnt eine fieberhafte Jagd – und mit einem Mal ist Fabbri in seinem ganz persönlichen Alptraum gefangen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Prolog
Arezzo, 15. November 1553 Am Vormittag waren erste Schneeflocken wie zarter Flaum zu Boden gesegelt, aus einem Himmel, der so grau war, dass man den Morgen nicht vom Abend unterscheiden konnte. Mittlerweile fiel Regen über die Baustelle an der Porta San Lorentino, wo Arbeiter einen tiefen Graben entlang der alten Stadtmauer von Arezzo aushoben und sich durch die nasse, kalte Erde pflügten. Das brüchige Bauwerk sollte repariert und befestigt werden, um die Nordflanke der Stadt besser vor französischen Söldnertruppen und marodierenden Banden zu schützen, die durch die Toskana streiften. Auf dem freien Feld vor der Befestigung standen Hebekräne, Transportkarren und Seilzüge, Bottiche für den Mörtel und Holzbalken für das Gerüst. Aus den niedrigen Hütten klangen die Eisen der Steinmetze, die den Granit aus dem Steinbruch im nahe gelegenen Val di Chiana behauten. Frauen aus der Stadt rührten über offenen Feuerstellen in Suppentöpfen oder versorgten die Handwerker mit Brot und einem kräftigen Schluck Chianti gegen die Kälte. Der köstliche Duft der deftigen Speisen wehte zu Carlo Ubertini herüber, dem erfahrenen Baumeister und Freund des ruhmreichen Architekten Giorgio Vasari. Während er in seinem Unterstand über dem Plan für die Instandsetzung brütete, unterdrückte er den aufkeimenden Hunger und die Kälte, die ihm unter den Umhang kroch. Gedankenverloren beobachtete er die trägen Regentropfen an der Wachstuchplane. Der Winter kam früh in diesem Jahr, die Tage wurden kürzer, und das schlechte Wetter machte allen zu schaffen. Doch einen Auftrag der Medici lehnte man nicht ab. Seufzend wandte sich Ubertini wieder seinen Unterlagen zu. Er plante, die jahrhundertealte Mauer aus Backsteinen mit einer Natursteinmauer auf das Doppelte zu verstärken. Das war nicht nur wehrhafter, sondern sah auch schöner aus. Er hoffte, bis Weihnachten mit den Baumaßnahmen fertig zu sein, deshalb mussten die Arbeiten schnell und effektiv vorangehen, bevor ein weiterer Temperatursturz den Boden gefrieren ließ oder der Regen die Baustelle in eine Schlammwüste verwandelte. Wenigstens das Fundament mussten sie in den nächsten Tagen setzen. Ubertini überlegte, mehr Männer zu verpflichten und die Arbeitszeit bis in die Nacht zu verlängern, beleuchtet von Fackeln, die er noch heute zu besorgen gedachte. Dann könnten sie vorankommen, falls ihnen der Regen keinen Strich durch die Rechnung machte. Der Auftrag hatte ihn zurück in seine Heimatstadt geführt, doch wie war er erschrocken, als er durch die Straßen gewandert war. Die ehemals stolzen Patriziervillen waren verrottet und verfallen, die Dächer löchrig, die Holztüren morsch und verfault. Die Menschen liefen herum wie Bettler, selbst angesehene Kaufleute begrüßten ihn in schäbigen Roben. Die Stadt ging vor die Hunde, das war offensichtlich. Cosimos Steuern zwangen das edle Arezzo in die Knie, Geld, das der Herzog von Florenz für seine ständigen Eroberungszüge brauchte. Wenn sich das bitterarme Volk erhob, steckte er noch mehr Geld in seine Truppen, um die Aufstände niederzuschlagen, und die Menschen hungerten weiter. Ein Teufelskreis. Da war es geradezu ein Wunder gewesen, dass die Ratsherren der Stadt überhaupt die Mittel für das Bauvorhaben zusammengekratzt hatten, aber sie konnten es sich nicht erlauben, zusätzlich von Landsknechten ausgeraubt zu werden. Dafür sorgten schon Cosimos Steuereintreiber. Gegen zwei Uhr am Mittag trat einer der Vorarbeiter unter das Zeltdach und berichtete von einem Widerstand, auf den die Männer beim Graben gestoßen waren. Ubertini fühlte Unmut in sich aufsteigen. Was konnte das nun wieder bedeuten? Ein unterirdischer Felsblock? Ein solches Hindernis würde die Arbeiten vorläufig zum Erliegen bringen, im schlimmsten Fall müsste er die Verstärkung der Mauer anders konstruieren und den Graben neu ziehen lassen. Nicht auszudenken! Unwillig setzte er sein Barett auf und folgte dem Mann zu der Stelle, an der die anderen Arbeiter bereits untätig an ihren Spaten lehnten. Einer der Männer stach in die Erde, um zu zeigen, wie das Blatt seiner Schaufel nach wenigen Zentimetern von etwas Festem blockiert wurde. Da und dort stocherte er im Boden herum und erzeugte ein schauderhaft kratzendes Geräusch. Ubertini hob die Hand, um den Mann zu stoppen, dann ließ er sich selbst eine Schippe geben und stieg hinunter in den Graben. Der Arbeiter, ein junger Mann, der trotz der Kälte nur kurze, dünne Hosen trug und barfuß im Matsch stand, trat gehorsam zur Seite. Die Leute besitzen hier wirklich nichts, dachte Ubertini, eine Schande ist das. Zunächst schabte er mit dem Werkzeug, dann mit bloßen Händen die Erde von dem merkwürdigen Hindernis und legte ein Stück frei. Zum Vorschein kam eine Rundung aus Metall. Er hielt sie zunächst für die Ausbuchtung einer römischen Vase oder Bronzestatue, etwas, das häufig im Boden lag, wenn jemand mit einem Spaten in die Erde stach. Er gab den Befehl, den Gegenstand mit größter Sorgfalt zu bergen, und kletterte wieder nach oben, wo er vom Rand des Grabens aus jeden Handgriff kommentierte und gespannt darauf wartete, was der Boden enthüllte. Als die Männer tiefer vorstoßen mussten, um das Ding freizulegen, wusste Ubertini, dass sie auf etwas wirklich Großes gestoßen waren. Nach und nach gab die Erde einen metallenen Körper frei, auf der Seite liegend, aber es war unmöglich, den Fund aus dem Boden zu heben, so sehr war er mit der Erde verschmolzen. Erst als die Arbeiter unter Ächzen und Stöhnen mit vereinten Kräften zulangten, kam ein Kunstwerk zum Vorschein, wie Ubertini es noch nie gesehen hatte. Im fahlen Licht des trüben Nachmittags stand die Bronzefigur eines Löwen vor ihm, mit aufgestellter Mähne, riesigen Tatzen und aufgerissenem Maul. Trotz der Erdkruste und der Patina wirkte das Tier so lebensecht, als brauche es nur den Schmutz abzuschütteln, bevor es sich mit Gebrüll auf die Umstehenden stürzte. Instinktiv traten alle einen Schritt zurück. Doch da war noch etwas anderes, Unheimliches. Als im Regen weitere Erdbrocken herabfielen, sah Ubertini erschrocken den Ziegenkopf, der aus dem Rücken des Tieres wuchs. Das Zeichen des Teufels. Bei diesem Anblick fielen die Männer auf die Knie und bekreuzigten sich heftig, riefen nach dem Beistand der Muttergottes und nach allen Heiligen zum Schutz vor dieser Ausgeburt der Hölle. Das Zwitterwesen starrte sie aus leeren Augenhöhlen an, als sei es einer düsteren Legende entsprungen. Auch Ubertini selbst hatte Mühe, sich zu fassen und die Männer mit ein paar Worten zu beruhigen. Schnell ließ er den Fund in den Unterstand bringen und befahl, sorgfältig an der Stelle zu graben, um nach weiteren Überresten zu suchen, vor allem nach dem Schwanz, der diesem merkwürdigen Löwen offensichtlich fehlte. Dann bat er sich Ruhe aus, umrundete die Figur, wischte dabei den restlichen Dreck ab und betrachtete sie von allen Seiten. Er klopfte gegen das Metall und stellte fest, dass die Statue hohl war. Ubertini war sich ziemlich sicher, dass sie aus einer etruskischen Werkstatt stammte, in der sie aus Bronze gegossen worden war. Nicht der erste Fund etruskischer Handwerkskunst, aber bei Weitem der atemberaubendste. Die Größe, die Ausarbeitung und die Lebendigkeit des Geschöpfs waren einzigartig, er war geradezu betäubt von der dunklen Aura des Kunstwerks. Die Bestie befand sich in einem Kampf auf Leben und Tod. Wie ein in die Enge getriebenes Raubtier streckte sie ihre Vorderläufe von sich und reckte dem Angreifer wütend das Haupt entgegen. Doch es war ein Moment des letzten Aufbäumens, die Kreatur schien einen letzten Schrei auszustoßen, bevor ein tödlicher Stoß sie endgültig vernichtete. Der Ziegenkopf hing ebenfalls sterbend zur Seite geneigt, die Augen geschlossen, die langen Hörner gesenkt. In diesem Moment ahnte Ubertini, was für ein Wesen er vor sich hatte. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis die Arbeiter den Schwanz in Form einer Schlange finden würden. Dann wäre die Figur komplett. Mit ehrfürchtigem Staunen betrachtete er die Chimäre, das schrecklichste Ungeheuer der antiken Welt. Er hatte die Kreuzung aus Löwe, Ziege und Schlange als Kind auf einer griechischen Schale gesehen. Die Abbildung hatte ihn zugleich fasziniert und geängstigt. Daraufhin hatte ihm sein Vater die Geschichte von der unbezwingbaren Chimäre erzählt, der feuerspeienden Bestie, die die Menschen verschlang, bis der Held Bellerophon sie vernichtete. Die alte Sage hatte sich ihm tief eingeprägt. Was für ein grandioser Fund! Ein in Bronze gegossenes Höllenmonster! Ubertini griff zu Papier und Feder und verfasste eine Nachricht an Herzog Cosimo de’ Medici, in der er ihm von der vortrefflichen Entdeckung berichtete. Die Bronzestatue würde das Glanzlicht der Sammlung sein, die der Herzog von Florenz seit Jahren aufbaute, nachdem die Medici bei einem Volksaufstand alles verloren hatten. Cosimo liebte Symbole, die auf die Überlegenheit seines Charakters anspielten, jedes Kunstwerk erhöhte seine eigene Bedeutung. Auch die Chimäre würde weit mehr sein als nur ein Schmuckstück für den Palast. Er würde darin die Bestätigung sehen, Nachfahre der etruskischen Herrscher zu sein, eine Überzeugung, die er schon lange im Herzen trug. Doch ob diese so grausam gewesen waren wie er selbst, wagte Ubertini zu bezweifeln. Es hieß, Cosimo betrachte jedermann mit Verachtung und Misstrauen, ausgenommen seine Gattin, die schöne Eleonora von Toledo, mit der er scherzte und speiste, während auf der Piazza della Signoria die Gehenkten am Galgen baumelten. Gott allein wusste, wann dieser Terror ein Ende hatte! Umso wichtiger war nun dieser Fund. Ubertini konnte sich fortan darauf berufen, dass er es gewesen...




