Vogel | Auftreten | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 115, 300 Seiten

Reihe: Recherchen

Vogel Auftreten

Wege auf die Bühne
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95749-058-2
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Wege auf die Bühne

E-Book, Deutsch, Band 115, 300 Seiten

Reihe: Recherchen

ISBN: 978-3-95749-058-2
Verlag: Theater der Zeit
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Was ist ein Auftritt? Der Sammelband geht der Frage nach, was es bedeutet, auf dem Theater in Erscheinung zu treten. Er handelt von der wichtigsten, häufigsten und zugleich vernachlässigten Regieanweisung des europäischen Theaters: "Enter" oder "Auftritt". An Beispielen aus Drama, Theater, Film und Bildender Kunst skizzieren die Beiträge unterschiedliche Auftrittskonzepte, die der Ankunft einer Person Form verleihen und Aufmerksamkeit verschaffen, und benennen gleichzeitig die sozialen und ästhetischen Impulse, die von einem Auftritt ausgehen. Umgekehrt beleuchten sie die Krisen, die im prekären Moment des Erscheinens angelegt sind.

Auftritte werden als Grenzüberschreitungen beschrieben, die für alle Beteiligten erhebliche Risiken bergen, da sie vertraute Räume dynamisieren, gegebene soziale Situationen auflösen und geschlossene Horizonte öffnen. Auf diese Weise fallen neue Schlaglichter auf die Institution des Theaters, die das Auftreten regelt - sie fallen aber auch auf das Drama als einer Form, die traditionell aus Auftritten besteht. Anhand gelungener wie misslungener Auftritte werden die Verkehrsformen der Bühne in aktueller und historischer Perspektive sichtbar.

Mit Beiträgen von Stefanie Diekmann, Hans Christian v. Herrmann, Annette Kappeler, Doris Kolesch, Joel Lande, David Levin, Bettine Menke, Freddie Rokem, Armin Schäfer, Beate Söntgen, Juliane Vogel, Bernice Kaminskij, Antje Wessels und Christopher Wild.

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Juliane Vogel und Christopher Wild AUFTRETEN: WEGE AUF DIE BÜHNE
Wie ist folgender Satz zu deuten? „Es wurde so hell wie nie zuvor, wenn er auftrat, und dochtlichtfahl, sobald er abging.“1 Welche semantische Dichte und praktische Komplexität birgt die scheinbar simple Regieanweisung „Enter Cesar“? Welche Herausforderungen verbergen sich in einer weiteren Regieanweisung, welche verlangt, dass eine Person „mit jähem Ruck“2 auftritt? Oder wie hat man es zu verstehen, wenn Figuren in Elfriede Jelineks Stück Burgtheater mittels einer „Art Märchenkahn“ oder eines „paradiesischen Gefährtes“ erscheinen, oder wenn sie umgekehrt „verstohlen und gehetzt“ auftreten?3 Schließlich: Welche performative Kraft wohnt einem Satz wie „Incomes I“4 inne, der nichts anderes zu sagen scheint, als dass der Sprecher im Auftreten begriffen ist? Die hier versammelten Texte handeln von der vielleicht einfachsten und grundlegendsten Operation in Drama und Theater. Als theatralische Handlung erscheint das Auftreten zunächst einmal als selbstverständlich und unscheinbar. Es gehört so offenkundig dazu, dass man es als ein eigenes organisierendes Prinzip gar nicht mehr wahrnimmt. Mit dem Auftreten ist es so wie mit Edgar Allan Poes Purloined Letter, der bekanntlich in „plain sight“ versteckt war. Gerade deshalb aber ist es so schwer zu fassen – und von den Theater-, Literatur- und Kulturwissenschaften weitgehend vernachlässigt worden.5 Dabei steht die scheinbare Simplizität einer so selbstverständlichen Operation im umgekehrten Verhältnis zu ihrer semantischen und strukturellen Überdeterminiertheit, der methodologisch nur schwer beizukommen ist. Zu vielfältig sind die Ausprägungen und performativen Leistungen des Auftretens, als dass es sich einem einzigen perspektivischen oder disziplinären Zugang erschließen würde. Das Bedeutungsspektrum dessen, was es heißt, ‚einen Auftritt zu haben‘, ist innerhalb und außerhalb des Dramas unübersehbar. Von der Castingshow bis zum akademischen Hearing, von der ‚Szene‘ der Diva bis zum diskreten, aber nicht minder ambitionierten Erscheinen einer grauen Eminenz, vom Politikerauftritt bis zum Helikopterauftritt eines James-Bond-Ganoven lässt sich von Auftritten sprechen, insofern Akteure in mehr oder weniger markanten und aufmerksamkeitserregenden Formen sichtbar werden und in den Wahrnehmungsfokus eines Publikums eintreten. Der vorliegende Band macht es sich zur Aufgabe, Drama und Theater aus der Perspektive des In-Erscheinung-Tretens zu erschließen und das Auftreten von Personen an der Bühnengrenze als ein zentrales performatives Prinzip bewusst zu machen. Aus heuristischen Gründen widmet sich eine Mehrheit der hier versammelten Beiträge Auftritten, die durch ihre Auffälligkeit und erhöhte Merkbarkeit hervorstechen. Von weniger auffälligen Vorgängen heben sie sich dadurch ab, dass sie durch die Ankunft einer Person auf der Szene eine gegebene Situation wahrnehmbar verändern.6 Wenn das ‚Licht‘ einer neuen Person den ‚dochtlichtfahlen Raum‘ erleuchtet, wird ein zeitliches Kontinuum unterbrochen. Im Kleinen wie im Großen sind Auftritte ‚Vorkommnisse‘ im Wortsinn, indem sie durch einen Schritt auf die Bühne ein Ereignis schaffen, eine Situation erneuern und dabei sowohl bei den auf der Bühne Anwesenden wie bei den Zuschauern eine „Umstellung der Orientierung“ erwirken: „Sie verändern den Sinn einer Situation, indem sie geschehen.“7 Der Auftritt des Großinquisitors in Friedrich Schillers Don Carlos kann das ebenso illustrieren wie der Besuch der alten Dame in Dürrenmatts gleichnamigem Stück. Zugleich entfalten Auftritte beachtenswerte strukturbildende Kräfte. Durch die Reihung von Ankünften werden Szenen gegliedert und dramatische bzw. theatrale Abläufe rhythmisiert. Zugespitzt könnte man sie ein animiertes Gliederungsprinzip nennen, das mittels der körperlichen Bewegungen der Akteure rhythmische Impulse setzt. Deshalb untersuchen die Beiträge des Bandes auch, wie Auftritte soziale Interaktion auf der Bühne takten. Sie behandeln die Verkehrsformen, die zwischen An- und Abwesenheit auf der Bühne vermitteln, und beschreiben ihre Funktionen in dramatischen und theatralen Artefakten, die ihre Figuren nicht nur erscheinen lassen, sondern ihr Erscheinen immer auch sequenzieren. In Schlaglichtern erhellen sie, wie Auftritte das dramatische Tempo erhöhen, wie sie Abstände akzentuieren oder aber eine Verlangsamung der Abläufe erzielen. Aus unterschiedlichen Perspektiven und an Texten unterschiedlicher historischer Herkunft umkreisen sie den Doppelcharakter eines Vorgangs, dessen Bedeutung sich in immer neuen Formen im Spannungsfeld zwischen Ereignis und Struktur, Unterbrechung und Verknüpfung, „Puls und Bruch“8 aufbaut. Unübersehbar ist dabei im Theater der Ort, an dem Personen nach vorne gehen und in die Sichtbarkeit einer Bühne eintreten. Seine Institutionen schaffen die notwendigen Voraussetzungen für den Auftritt, ebenso wie sie über die Herstellungsbedingungen reflektieren, die das Eintreten eines Auftrittsereignisses und die Strukturierung einer Auftrittssequenz möglich machen. Das „Inszenieren als Erscheinen-Lassen“9 lässt sich hier unter kontrollierten Bedingungen studieren. Indem das Theater Orte freiräumt und Lichtungen schafft, indem es Bahnen anlegt und Schwellen errichtet, bereitet es dem Auftritt den Boden. Aber auch das Drama erschließt sich unter dem hier gewählten Gesichtspunkt als eine Gattung, die sich in Auftritte gliedert, in Auftritten fortschreitet und in seinen szenischen Anordnungen immer auch den kritischen Moment reflektiert, in dem Menschen in die Sichtbarkeit eintreten. Institution und Gattung laden gleichermaßen dazu ein, die performativen und theatralen Vollzüge in den Blick zu nehmen, die der Figuration einer Person in den Augen der Öffentlichkeit dienen. Nicht zuletzt wird der Auftritt dabei durch ein komplexes mediales Ensemble gestützt, das in seiner theatralen Interferenz gesehen und gewürdigt werden muss. Visuelle, akustische, sprachliche, choreographische und technische Mittel tragen dazu bei, eine Person auf der Bühne zur Geltung zu bringen. In der Regel ergeben sich Evidenzeffekte erst im Zusammenspiel mehrerer medialer Arrangements. Kann man einerseits davon ausgehen, dass sich eine Figur erst dann zur Gänze zeigt, wenn sie zu sprechen beginnt und sich dem Publikum im starken Medium der Sprache einprägt, unterstützen andererseits flankierende Medien deren In-Erscheinung-Treten. Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit hängen beispielsweise weitgehend vom Medium Licht ab, das in ganz unterschiedlichen Stärken und Qualitäten zur Verfügung stehen kann. Auch Bühnenmusiken tragen das ihrige dazu bei, einem Auftritt Nachdruck zu verleihen. So ist die Oper als eine musikdramatische Gattung einzustufen, die dem Erscheinen der Person besondere Aufmerksamkeit zuwendet und die akustischen Implikationen des ‚Schritts nach vorne‘ entfaltet. Der Auftritt von Wolfgang Amadeus Mozarts Königin der Nacht in der Zauberflöte wird akustisch durch Trommelwirbel und großes Crescendo eingeleitet – auf der visuellen Ebene aber teilen sich Berge auseinander, um die Königin einzulassen, und verwandeln sich „in ein prächtiges Gemach“10. Neben den wechselseitigen Modellierungen theatraler und dramatischer Strukturen werden im vorliegenden Band daher auch die Beziehungen von Auftritt und bildender Kunst in den Blick genommen. Dabei zeigt sich, dass jeder Auftretende immer auch in eine abgegrenzte Bildordnung eintritt. Wenn eine Figur den durch die Bühne gesetzten Rahmen überschreitet, um in ihm zu erscheinen, wird die Spannung zwischen dem Geschlossenheitsanspruch eines Bildes und der Dynamik des Auftritts wirksam. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Drama als serielle Abfolge von Tableaus verstanden wird, wie das zum Beispiel bei Diderot zu beobachten ist. Es handelt sich dabei um eine Dramaturgie, die in dem Bemühen, Räume nach außen hin abzuschließen, Auftritte als Störungen von Intimität kennzeichnet. Produktive intermediale Spannungen ergeben sich ebenfalls, wenn Filmauftritte über Theaterauftritte reflektieren und umgekehrt, wenn der Schnitt den Auftritt ersetzt oder wenn die Kamera die verborgene ‚Vorgeschichte‘ des Auftritts in der Backstage in den Blick nimmt. Insgesamt ist die Frage, in welchem Medium oder in welchen Medien sich ein Auftritt jeweils realisiert, von zentraler Bedeutung. Sie betrifft nicht nur das Spannungsverhältnis von Text und Aufführung, das sich in ganz unterschiedlicher Weise konstituiert – je nachdem, ob sich ein Auftritt auf dem Theater oder in der Schrift, in einem flüchtigen oder einem archivierenden Medium aktualisiert, müssen die Kriterien differenziert werden –, sondern es lassen sich Auftrittstypen und Auftrittswirkungen auch danach unterscheiden, welche Medien bei der Inszenierung dominant gesetzt werden. Stimmauftritte entfalten andere Dynamiken als stumme Auftritte, ebenso wie es einen...


Juliane Vogel ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Universität Konstanz. Sie forscht u. a. zu Grundlagen europäischer Dramaturgie, Szenographien des Dramas im historischen Kontext und kulturwissenschaftlicher Perspektive, Dramatik und Gender Studies, zum Drama und zur Oper des 19. und 20. Jahrhunderts, zum Theater der Avantgarde, postdramatischen Theater und zu Montageverfahren - Text, Schnitt und Schneiden in der Moderne. Buchpublikationen u. a.: Die Furie und das Gesetz. Zur Dramaturgie der "großen Szene" in der Tragödie des 19. Jahrhunderts (Freiburg i. Br. 2002); verschiedene sätze treten auf. Die Wiener Gruppe in Aktion, hrsg. zus. mit Thomas Eder (Wien 2008); Lob der Oberfläche. Zum Werk von Elfriede Jelinek, hrsg. zus. mit Thomas Eder (München 2010).

Christopher Wild ist Professor für Germanic Studies, Theater & Performance Studies und Religion & Literature an der University of Chicago; 2006 bis 2008 Professur an der University of California at Los Angeles; 2004 bis 2006 Gastprofessur an der Universität Konstanz; 1997 bis 2004 Professor an der University of North Carolina at Chapel Hill. 2009 bis 2010 Andrew Clark Professor am Center for 17th- and 18th-Century Studies der UCLA sowie regelmäßige Gastdozenturen an den Universitäten Zürich und Konstanz. Publikationen zur Geschichte von Theater und Drama von der Frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert, darunter Theater der Keuschheit - Keuschheit des Theaters. Zur Geschichte der (Anti-)Theatralität von Gryphius bis Kleist, Freiburg i. Br. 2003; als Herausgeber u. a. Theaterfeindlichkeit und Antitheatralität (hrsg. mit Stefanie Diekmann und Gabriele Brandstetter), München 2011; Kleists unsichtbares Theater (Sonderheft der DVjs hrsg. mit David Wellbery), Stuttgart 2013.



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