E-Book, Deutsch, 267 Seiten
Völkner Geschenkokalypse
2. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7598-4244-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das unglaubliche Missgeschick einer kleinen Elfe
E-Book, Deutsch, 267 Seiten
ISBN: 978-3-7598-4244-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Andrea Völkner, Jahrgang 1982, ist Theologin und lebt mit ihrer Familie in Brandenburg.
Autoren/Hrsg.
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Das Geburtstagsgeschenk
Yadenin sah in die zornigen, grauen Augen eines Devisenelfen.
„Ist das Ihr Ernst?“, schimpfte er. „Sie verkaufen hier neben Schmuck und Gemälden auch Mirabellenmarmelade aus dem eigenen Garten als ‚Kostbare Antiquität‘?“
Yadenin arbeitete schon einige Jahre im Antiquitätenhandel. Die Wiesenelfe mochte ihre Tätigkeit. Aber manchmal waren die Kunden schwierig. Yadenin versuchte, die wiesenelfische Logik hinter dem Angebot zu erklären.
„Es ist doch relativ, was eine Antiquität ist. Oder kostbar.“
„Bei ihnen stehen überaus teure Gemälde gleich neben selbstgemachtem Aufstrich. Kunst und Konfitüre! Das ist vom Wert her doch gar nicht zu vergleichen!“
„Wahre Bedeutung lässt sich nicht mit Geld messen. Und ist die Schönheit eines Gegenstandes nicht immer wichtiger als sein materieller Wert?“
„Sie glauben das wirklich, nicht wahr?“
Über das graue Gesicht des Devisenelfen lief ein Zucken. Er versuchte zuerst noch, die Fassung zu wahren. Dann bekam er einen Lachkrampf.
„Ich nehme ein Glas Mirabellenmarmelade“, brachte er nur mit Mühe unter lautem Prusten hervor.
Er hielt sich noch immer den Bauch, als Yadenin ihm ein Glas einpackte und abkassierte. Dann verließ er kichernd das Geschäft.
Elymas, der Ladenbesitzer, ein alter Wiesenelf mit weißem Haar, kam in diesem Moment herein. Er lächelte Yadenin freundlich an.
„Ich hätte die wiesenelfische Lebensweisheit nicht besser erklären können. Ebenso wie unser Sortiment! Und jetzt geh und genieße deinen Feierabend!“
Yadenin nickte Elymas dankbar zu, schloss die Kasse und verließ den Laden. Die Wiesenelfe schlenderte unter der milden Herbstsonne an allerlei Ständen und Auslagen vorbei. In der Galitzergasse in Albenhain reihte sich ein Fachwerkhaus an das nächste und in den meisten hatten sich Wiesenelfen ein kleines Antiquitätengeschäft aufgebaut. Bunte Schaufenster und weit geöffnete Türen luden zum Stöbern in Läden ein, die Laternen, Lampions, Bücher, Möbel oder Schmuck anboten. Eifrige Verkäufer und interessierte Kundinnen feilschten um Preise für Perlen, Broschen, Besteck und vieles mehr. Fröhliches Stimmengewirr und die Düfte verschiedenster Leckereien erfüllten die Luft.
Yadenin fragte sich noch immer, was an ihren Worten so lustig gewesen war. Doch im Trubel der Galitzergasse wurde sie schnell von ihren Überlegungen abgelenkt.
„Gute Geschäfte!“, rief Heribert Yadenin zu. Der Wiesenelf mit den dichten, braunen Locken verkaufte vor allem Karten und Globusse.
„Gute Geschäfte!“, erwiderte sie den traditionellen albenhainischen Gruß.
Tatsächlich war Albenhain eine der reichsten Elfenstädte in ganz Falas, einem noch immer nicht vollständig erforschten Kontinent, auf dem eine unbekannte Anzahl Elfen, Menschen und weiterer, teils ein wenig wunderlicher Wesen wohnte. Als Hafenstadt profitierte Albenhain durch seine Lage an der Westsee und der Mündung der Drane vom allgemeinen Handel. Den stets etwas verträumten Wiesenelfen war der wirtschaftliche Aufstieg Albenhains allerdings nicht zu verdanken. Vielmehr war er dem geschäftlichen Geschick der Devisenelfen zuzuschreiben. Devisenelfen schauten auf Wiesenelfen herab. Sie hielten sie für hoffnungslos naiv und geschäftsuntüchtig. Außerdem waren sie ein bis zwei Köpfe größer und hatten auffallend graue Haut. Bis auf die spitzen Ohren hatten Wiesen- und Devisenelfen wenig gemeinsam. Welcher dieser oder der vielen weiteren Elfenkulturen eine Elfe zugehörig war, entschied sich im Verlauf der Kindheit. Manchmal folgten Elfenkinder dem Weg eines ihrer Elternteile. Häufig entdeckten sie sich aber auch in einer anderen Elfenkultur wieder oder sie fanden ihren ganz eigenen Weg – so wie Neri, Nax und Nane, Elymas‘ Enkel, die gerade eilig auf dem Weg zum Spielplatz an Yadenin vorbeihuschten. Neri war vier. Und vor wenigen Wochen waren ihr hübsche, braun gefiederte Flügel gewachsen. Zusammen mit dem Geweih auf Neris Stirn waren ihre Flügel ein untrüglicher Hinweis darauf, dass das Mädchen sich zu einer majestätischen Waldelfe entwickelte. Neri war sehr stolz darauf, dass sie mittlerweile mehr als doppelt so groß war wie ihr älterer Bruder Nax. Nax hatte mit acht Jahren aufgehört zu wachsen. Stattdessen begann er wieder kleiner zu werden. Außerdem war er eines Morgens mit einem schimmernden Paar Libellenflügel erwacht. Offensichtlich wuchs, beziehungsweise schrumpfte, hier ein gesunder Blattelf heran. Neri und Nax stritten ständig mit ihrer Schwester Nane. Nane hatte über Nacht graue Haare bekommen und ein auffallendes Interesse an Bilanzen entwickelt. Sie schien den devisenelfischen Weg einzuschlagen. Devisenelfische Kinder waren nicht unbedingt leicht zugänglich. Dafür legten sie beachtlichen Fleiß an den Tag. Möglicherweise erklärt sich der ungeheure Ehrgeiz, der viele Devisenelfen antreibt, durch ihre geringe Lebenserwartung. Der durchschnittliche Devisenelf lebt nur etwa 150 Jahre. Dagegen soll es Wiesenelfen geben, die ihren 500. Geburtstag gefeiert haben.
Yadenin war gerade einmal 25 Jahre alt. Mit ihren dunklen Haaren, ihrer kleinen, ein bisschen zu spitzen Nase, ihren zierlichen Lippen und violetten Augen stellte sie eine durchaus hübsche Wiesenelfe dar. Aber Äußerlichkeiten interessierten sie wenig und so waren auch ihr grünes, knielanges Kleid und ihre braunen Stiefel eher praktisch als elegant.
„Gute Geschäfte, liebe Tulip“, begrüßte sie eine Nachbarin und blieb vor deren Auslage mit Schmucksteinen und Kristallen stehen.
„Guten Geschäfte!“, gab die rothaarige Tulip freundlich zurück. „Suchst du etwas Bestimmtes?“
„Ja. Ein Geschenk für Elymas‘ 450. Geburtstag kommende Woche.“
Yadenin freute sich auf die Feier. Sie arbeitete schon zwölf Jahre im Antiquitätengeschäft von Elymas und seiner Frau Nimue. Die freundlichen Wiesenelfen waren für Yadenin, die in einem Waisenheim für Elfenkinder aufgewachsen war, so etwas wie Ersatzeltern geworden.
„Sammelt Elymas nicht Edelsteine?“
„Ja. Er ist ein richtiger Künstler darin, sie zu schleifen und zu fassen.“
Tulip wies mit ihrer reich beringten Hand auf ihre Auslagen.
„Sicher findest du ein schönes Stück, das du ihm schenken kannst.“
„Bestimmt! Darum bin ich hier.“
Yadenin strich ihr Haar hinter ihre Ohrspitzen und betrachtete die Steine, die bunt gemischt in kleinen Messingschalen und Holzkisten vor ihr lagen. Tulip verkaufte die größte Auswahl an Juwelen und Kristallen in der Galitzergasse. Die schönsten Stücke baute sie jeden Tag sorgsam vor ihrem mit Efeu bewachsenen Laden auf. In einer hübsch gemusterten Schale lagen Steine mit eingemeißelter Schrift.
„Das sind antike Orakelsteine“, erklärte Tulip. „Sie stammen von den Druidinnen aus Nordheim. Ihre mit weisen Sprüchen versehenen Orakelsteine haben vor Jahrhunderten die Geschicke des Königreichs Nordheim entschieden.“
Yadenin griff nach einem blauen Stein und las: ‚Gib nicht auf! Oder doch. Egal.‘
Verwundert griff sie nach einem zweiten Stein. Auf ihm stand: ‚Ehrlich jetzt! Entscheide gefälligst selbst!‘
Erstaunt sah Yadenin zu Tulip, die etwas verlegen zu einer Erklärung ansetzte.
„Die Nachfrage nach druidischen Orakeln ist mit der Zeit auch über die Grenzen Nordheims hinaus derart angestiegen, dass die Qualität der Sprüche ein wenig nachgelassen hat. Das hier sind wohl Orakelsteine aus der Phase kurz vor dem endgültigen Untergang der Druidinnenkultur Nordheims.“
„Dann schaue ich mal in den anderen Kästchen weiter“, meinte Yadenin.
Sie strich ihr grünes Kleid glatt und warf einen Blick in eine fein geschnitzte Holzschatulle. Zwischen ein paar bunten Schmucksteinen fiel ihr ein zartes Leuchten auf. Ein weißer Stein, etwa so groß wie ihre Handfläche, lag auf dem Boden der Kiste. Er strahlte aus sich selbst heraus. Während eine Seite halbrund und glatt war, wies die andere eine unregelmäßige Kante auf. Es handelte sich um ein Fragment, das aus einem größeren Ganzen herausgebrochen sein musste. Yadenin nahm das Bruchstück in ihre Hand.
„Was ist das für ein Stein?“
„Ein Unikat von einer fahrenden Händlerin. Aber er ist zerbrochen und nicht besonders schön.“
„Jeder Stein ist schön, wenn jemand ihn schön findet. Es kommt auf den Blick an, nicht den Anblick.“ Yadenin lächelte. „Und was zerbrochen ist, hat bestimmt eine interessante Geschichte! Man soll immer zuerst das Beste von jeder und allem annehmen.“
Wie der Devisenelf ganz richtig erkannt hatte – Yadenin sagte so etwas nicht nur. Sie glaubte es. Und an schönen Tagen wie heute gab sie gern ein paar idealistische Weisheiten zu viel von sich.
Der einzige Sinn, den Devisenelfen in solchen Sätzen erkennen konnten, war, dass sie sich auf Postkarten drucken und verkaufen ließen. Aber für Yadenin waren sie die Pfeiler ihres Weltbildes. Wiesenelfen sahen die Welt gerne so, wie sie sein sollte. Leider übersahen sie dabei oft, wie die Welt wirklich war.
Fröhlich drehte Yadenin den Stein in ihrer Hand hin und her. Sein sanftes Weiß leuchtete zwischen ihren schmalen Fingern hervor. Doch auf einmal spürte sie etwas.
„Der Stein pulsiert. Es fühlt sich an, als würde ich ein kleines Herz in den Fingern halten. Vielleicht ist das hier das Ei einer Steinfee?“
„Diese sagenumwobenen Kreaturen, die von der Größe eines Kieselsteins zu der eines Felsens heranwachsen?“
„Genau die. Wäre es nicht großartig, wenn in diesem kleinen Bruchstück eine Steinfee reifen würde?“
„Für ein Ei ist dieses Fragment aber nicht sehr rund.“
„Wer sagt,...