E-Book, Deutsch, Band 52, 270 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
Vlcek / Voehl / Morlar Dorian Hunter 52 - Die Knochen-Menagerie
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95572-052-0
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 52, 270 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
ISBN: 978-3-95572-052-0
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Innerhalb der Schwarzen Familie setzt sich der Machtkampf um den vakanten Posten des Oberhaupts fort. Jedoch mehren sich die Gerüchte, dass in naher Zukunft ein mächtiger Dämon auferstehen soll, um den Thron zu besteigen: Aszaghon, den man auch als die 'Dunkle Eminenz' bezeichnet. Dorian Hunter bleibt nicht viel Zeit, um das Erwachen des Gegners zu verhindern ... Der 52. Band der legendären Serie um den 'Dämonenkiller' Dorian Hunter. - 'Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ?Dorian Hunter? und sein Spin-Off ?Das Haus Zamis? vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction.' Kai Meyer enthält die Romane: 217: 'Blutige Reliquien' 218: 'Die Knochen-Menagerie' 219: 'Fenster in die Vergangenheit'
Autoren/Hrsg.
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Blutige Reliquien
von Peter Morlar
1. Kapitel
Die Holztür flog mit einem lauten Krachen gegen die Wand. Pater Enrique fuhr erschrocken aus dem Schlaf hoch und blinzelte durch das Halbdunkel der kleinen Bambushütte. Im Türrahmen zeichneten sich die Umrisse eines hageren, hochgewachsenen Mannes ab.
»Mottao?«, fragte der Geistliche schlaftrunken.
»Herr, müssen kommen. Schnell!«
»Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du gefälligst anklopfen sollst?«, rief Pater Enrique. Er warf einen Blick auf den verbeulten Wecker auf dem Nachttisch und stieß geräuschvoll die Luft aus. Es war kurz nach Mitternacht.
»Aber Herr …«
»Keine Widerrede!« Pater Enrique hob gebieterisch die Hand. »Zur Strafe wirst du zehnmal das Vaterunser beten.« Er schwang die Beine aus dem Bett und entzündete den Docht einer Petroleumlampe. »Meine Güte, du siehst aus, als wärst du dem Leibhaftigen begegnet.«
Schweiß glänzte auf der Stirn des Eingeborenen, die Augen quollen ihm fast aus den Höhlen, und das Weiß der Augäpfel schimmerte im Licht der zuckenden Flamme. »Müssen kommen, Herr. Schnell!«
Irgendetwas in der Stimme des dunkelhäutigen Eingeborenen beunruhigte Pater Enrique. Schnell schlüpfte er in seine Kleidung, die fein säuberlich über die Stuhllehne gehängt war. Hose, Hemd, Jacke. Mehr brauchte er nicht.
Der Eingeborene wirkte nervös und aufgeregt.
»Immer mit der Ruhe, mein Junge. Ich bin ja schon unterwegs.« Der Geistliche hängte sich noch ein Holzkreuz vor die Brust. »Was ist denn überhaupt passiert, Mottao? Bitte berichte mir!«
Der Dunkelhäutige verzog das Gesicht, als litt er unter Schmerzen. »Selber ansehen, Herr. Bitte.«
»Dann führe mich. Los!«
Der Eingeborene senkte demütig das Haupt und eilte voran.
Sie schritten durch das aus einem halben Dutzend Bambushütten und einem großen Zelt bestehende Lager. Die schwül-feuchte Tropenluft war auch in der Nacht kaum abgekühlt, und sehr bald schon lief Pater Enrique der Schweiß in Strömen über den Körper. Der betagte Geistliche hatte Mühe, das Tempo zu halten, das Mottao, der gut ein halbes Jahrhundert jünger war als er, vorgab.
Kurze Zeit später blieb der Eingeborene stehen. Der Schweißfilm auf seinem nackten Oberkörper glänzte. »Dort vorne, Herr. Bitte sehen!«
Mit einem scharfen Geräusch sog Pater Enrique die Luft ein. »Du meinst doch nicht etwa die Kapelle?«
Mottao nickte. »Kapelle. Ja, Herr.«
Das Gesicht des Paters wurde aschfahl. Nur allzu deutlich waren ihm die Ereignisse der letzten Wochen noch in Erinnerung. Doch bevor er die Gedanken weiterführen konnte, stürzte ihm eine junge Frau entgegen. Ihr Arztkittel wehte hinter ihr her. »Gut, dass Sie da sind, Padre.«
»Sie sind ja völlig außer Atem«, sagte Pater Enrique zu der schwarzhaarigen, mandeläugigen Medizinerin, die vor fünfundzwanzig Jahren in Barcelona das Licht der Welt erblickt hatte und im Lager trotz ihres Doktortitels einfach nur »Schwester Dolores« genannt wurde. »Jetzt sagen Sie nicht …«
»Es hat wieder ein Opfer gegeben.«
Pater Enrique war entsetzt. »Wen?«
»Einen Einheimischen. Ich fürchte, er hat nicht mehr lange zu leben.«
Der Geistliche setzte sich sofort wieder in Bewegung. Er eilte am Quarantänezelt vorbei, in dem man die unheilbar Malaria- und Cholerakranken zusammengepfercht hatte. Hin und wieder drang ein unterdrücktes Stöhnen oder krampfartiges Husten an seine Ohren.
Als er sich der kleinen, in mühsamer Arbeit aus Steinen und tönerner Erde errichteten Kapelle näherte, drang ihm der Gestank verbrannten Fleisches in die Nase. Hastig schlug er ein Kreuzzeichen.
Drei Eingeborene hatten sich versammelt und diskutierten aufgebracht miteinander. Immer wieder glaubte Pater Enrique das Wort Teufel oder Satan zu vernehmen, doch er verstand die Sprache der Einheimischen nicht gut genug, als dass er es mit Sicherheit hätte sagen können.
Erst als er direkt vor den Männern stand, die sich draußen vor der Kapelle versammelt hatten, sah er auch den am Boden liegenden Körper, der mehr einem verkrüppelten Baumstamm denn einem Menschen ähnelte. Für Pater Enrique war es kaum vorstellbar, dass dieses mit schwärenden Blasen und schwarz verkohlten Hautfetzen überzogene Etwas noch am Leben war.
Der Geistliche kniete sich nieder und besah sich betroffen das schmerzverzerrte Gesicht des Eingeborenen. Wenn ihn nicht alles täuschte, handelte es sich um Paolo, einen ehemals kräftigen und lebenslustigen Brasilianer.
»Paolo …«, flüsterte Pater Enrique. »Was ist passiert?«
Der Pater erschauerte, als die lippenlosen Kiefer aufklappten und er den dunklen Klumpen sah, der einst eine Zunge gewesen war. »Der Blitz …«
»Welcher Blitz? Es hat kein Gewitter gegeben. Wovon redest du?«
»Der – der Blitz … Habe doch nur …«
»Er spricht im Fieber, Herr«, sagte Mottao vorsichtig.
Pater Enriques Blick richtete sich auf Dolores.
»Ich habe ihm eine Morphiumspritze verabreicht«, sagte sie. »Mehr konnte ich nicht für ihn tun.«
Pater Enrique wandte sich wieder dem Sterbenden zu. »Was wolltest du hier?«
Paolo stöhnte. »Habe – habe Licht gesehen.«
»Licht?«
»In – in der Kapelle … Wollte nachschauen, ob – ob alles in Ordnung …«
Pater Enrique bedachte die Eingeborenen mit zornigen Blicken. »Wer von euch war das? Wer von euch hat die Kapelle betreten?« Seine Stimme klang aufgebracht.
Zögernd trat einer der Dunkelhäutigen einen Schritt vor. »Wir erst gekommen, als Paolo geschrien, Herr. Ehrenwort.« Zur Untermauerung seiner Worte legte er die rechte Hand auf die Brust.
»Er spricht die Wahrheit«, sagte Schwester Dolores. »Ich befand mich im Quarantänezelt, um noch einmal nach dem Rechten zu schauen, als ich ein lautes Krachen und gleich darauf die fürchterlichen Schreie hörte. Ich habe sofort alles stehen und liegen lassen und …«
Pater Enrique winkte ab. »Die Burschen lügen doch, wenn sie den Mund aufmachen.« Er erhob sich und deutete auf den Sterbenden. »Wie lange hat er noch?«
»Nicht mehr sehr lange, vielleicht eine Viertelstunde«, antwortete Dolores leise.
»Lasst uns für seine arme Seele beten.« Der Geistliche nahm das Kreuz in die Hand und schloss andächtig die Augen, während seine Lippen leise ein Gebet herunterleierten.
Ansonsten lastete betroffenes Schweigen über der kleinen Gruppe. Doch immer wieder knackte oder raschelte es im Unterholz des Dschungels ringsum, ertönten schrille Schreie von Primaten oder anderen Lebewesen, die sich gerade paarten oder von hungrigen Raubtieren gerissen wurden. Die sechs Mitglieder der Dschungelmission hörten diese Laute schon gar nicht mehr, so alltäglich waren sie ihnen geworden.
»Gib mir die Fackel!«, wandte sich der Geistliche schließlich an Mottao.
Der Eingeborene gehorchte zögernd.
Pater Enrique atmete noch einmal tief durch, bedachte Dolores mit einem undefinierbaren Blick und verschwand dann in der kleinen Kapelle.
Schlagartig verstummten die Geräusche des Dschungels. Für Pater Enrique war es, als hätte er eine andere Welt betreten. Der Geruch nach Moder, Fäulnis und feuchter Erde schlug ihm entgegen. Zudem war es im Inneren der Kapelle unangenehm kühl, ein Umstand, den sich der betagte Geistliche nicht wirklich erklären konnte.
Sein Augenmerk richtete sich auf den kunstvoll verzierten Schrein, der den Mittelpunkt des Raums darstellte.
Fast ehrfürchtig trat er vor das mit weißer Farbe gestrichene Holzschränkchen, in dessen näherer Umgebung die Temperatur noch ein paar Grad niedriger zu sein schien. Wenn es nicht jeder Vernunft widersprochen hätte, Pater Enrique hätte Stein und Bein geschworen, dass die Kälte direkt von dem Schrein ausging.
Der Pater öffnete das Schränkchen. Auf einem roten Samtkissen, eingerahmt von golden ziselierten Figuren und Bildern, deren Oberflächen sich immer wieder zu verändern schienen, lag darin das Wertvollste, das Pater Enrique jemals besessen hatte.
Eine Hand.
Die Hand eines unbekannten Heiligen.
Sie war einbalsamiert in bräunlich-gelbe Stofffetzen. Pater Enrique schätzte ihr Alter und das des Schreins auf etwa zwei Jahrtausende. Und er glaubte daran, dass sie ihm Glück brachte. Zumindest hatte er daran geglaubt – bis er erkannt hatte, dass die Häufung der mysteriösen Todesfälle kein Zufall sein konnte.
Ein leises Rascheln riss ihn aus seinen Gedanken.
»Dolores«, sagte er überrascht, als er sich umgedreht hatte und in das bleiche Gesicht der Spanierin blickte. Ihre Augen lagen glanzlos in den Höhlen.
»Er ist tot«, sagte sie.
»Der Herr sei seiner armen Seele gnädig.«
»Mehr fällt Ihnen nicht dazu ein?«
»Was soll das werden, Dolores? Ein Verhör?« Auf Pater Enriques Stirn schwoll eine Zornesader. »Und habe ich Ihnen nicht verboten, die Kapelle zu betreten?«
Die Ärztin hielt dem eisigen Blick des Geistlichen stand. »Wir müssen reden.«
»Worüber?«
»Über die Vorfälle in den letzten Wochen.«
»Jetzt fangen Sie auch noch damit an! Reicht es nicht, dass unsere Helfer schon hysterisch werden? Glauben Sie jetzt auch an diesen – diesen Unfug?«
»Schwester Carmen …«, begann Dolores, doch der Geistliche ließ sie nicht weitersprechen.
»Was, in aller Welt, soll der Schrein mit...