E-Book, Deutsch, Band 53, 246 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
Vlcek / Voehl Dorian Hunter 53 - Die dunkle Eminenz
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95572-053-7
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 53, 246 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
ISBN: 978-3-95572-053-7
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dorian Hunter, der Dämonenkiller, kann sich noch immer nicht vollständig an sein neuntes Leben als Ferdinand Dunkel erinnern. Er weiß, dass Dunkel in Wien lebte und dort mit dem Aszaghon-Kult in Kontakt kam, der sich die Erweckung des gleichnamigen Dämons auf die Fahnen geschrieben hatte. Ferdinand Dunkel wurde zum Mitverschwörer, der im letzten Augenblick auf sein Gewissen hörte und die Wiedererweckung vereitelte ... Doch konnte er sich wirklich bis zum Ende seines Lebens den Versuchungen der Schwarzen Familie entziehen? Der 53. Band der legendären Serie um den 'Dämonenkiller' Dorian Hunter. - 'Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ?Dorian Hunter? und sein Spin-Off ?Das Haus Zamis? vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction.' Kai Meyer enthält die Romane: 220: 'Die fremde Haut' 221: 'Gonax' 222: 'Die dunkle Eminenz'
Autoren/Hrsg.
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Die fremde Haut
1. Kapitel
Die Toten stellen keine Fragen.
In ihren Augen sind alle Menschen gleich – egal ob du einen feinen Zwirn trägst oder Lumpen. Ob du Bankier bist oder Clochard.
Sie sind schweigsam und höflich. Eigentlich reden sie nie. Nur manchmal vernehme ich ihr Wispern. Nicht direkt – ihre flüsternden Stimmen vermählen sich mit dem Rascheln der Blätter, dem Heulen des Windes. Du musst schon genau lauschen, um sie zu verstehen.
Im Moment schweigen sie, und das ist gut so.
Zakaria war erstaunt über sich selbst. Seit wann war denn ein Philosoph an ihm verloren gegangen? Wahrscheinlich war es der alte Friedhof selbst, der diese eigentümlichen Gedankengänge in ihm erweckte. Der Cimetière St. Vincent war ein eher kleiner Totenacker – und dennoch geradezu eine Oase inmitten des geschäftigen Montmartre-Viertels. Seine efeubewachsenen Mauern schirmten ihn von der Außenwelt ab. Einst hatten alteingesessene Familien, die keine der Grabstätten auf dem Hauptfriedhof an der Avenue Rachel besaßen, diesen Ort als letzte Ruhestätte für ihre Toten gewählt. Der Maler Utrillo lag hier begraben. Ab und zu verirrte sich seinetwegen ein Tourist hierher. Oder eine Touristin. Die jungen Kunststudentinnen waren Zakaria am liebsten.
Er lächelte in sich hinein und entkorkte die Weinflasche. Er nahm einen tiefen Schluck des süffigen Roten und schloss genießerisch die Augen, als er spürte, dass der Alkohol fast augenblicklich seine Wirkung entfaltete.
Vor allen Dingen verscheuchte er die Gedanken an die Toten.
Er spürte, wie sich sein Körper entkrampfte. Das Holz der Bank, auf der er es sich zur Nachtruhe bequem gemacht hatte, war noch nicht erkaltet. Es trug noch die Wärme der letzten Sonnenstrahlen des Nachmittags in sich, obwohl längst die Dunkelheit ihre Flügel über den kleinen Friedhof ausgebreitet hatte. Zakarias Rücken schmiegte sich gegen die Lehne, und er stellte sich vor, es wäre die Hand einer Frau, die ihn streichelte.
Vielleicht würde er heute Nacht besser träumen als die letzten Nächte. Es war ein guter Platz.
Falls die Toten schwiegen.
Und sie schwiegen nicht immer.
Da hörte er ein Geräusch.
Augenblicklich war seine gute Stimmung verflogen. Er war auf der Hut. Lauschte. Zum Glück lag die Bank ein wenig abseits des Weges, gut verborgen unter einer Eiche, die ihre schützenden Äste darüber ausgebreitet hatte.
Der Mond stand voll am Himmel. Eine weiße Scheibe, deren gleißendes Licht fast blendete.
Im nächsten Moment sah er den Mann. Er lief über den grauen Kies und schaute sich immer wieder um.
Ein feiner Herr!, dachte Zakaria und pfiff unhörbar durch die Zähne. Vielleicht hat er sich verlaufen, und ich kann mir ein paar Kröten verdienen, wenn ich ihn wieder in sein Hotel bringe.
Denn dass der Mann kein Einheimischer war, sah man auf den ersten Blick. Sein blondes, streng gescheiteltes Haar und die blauen Augen, überhaupt sein ganzer, leicht gedrungener Körperbau ließen eher auf einen Deutschen schließen. Er trug einen piekfeinen Anzug, als hätte er es darauf angelegt, sämtliche Taschendiebe auf dem Montmartre auf sich aufmerksam zu machen.
Nein, der hat sich nicht nur verlaufen, stellte Zakaria fest. Der Mann war auf der Flucht. Vielleicht hatte ihn ja jemand ausrauben wollen, und er war davongestürmt.
In jedem Fall versprach sich Zakaria etwas davon, wenn er dem Fremden half. Er hievte sich hoch, kam jedoch ins Torkeln. Der Wein machte sich jetzt bemerkbar. Und es war nicht die erste Flasche gewesen am heutigen Tag …
»Hallo, hierher!«, wollte Zakaria rufen, aber nur ein Krächzen kam aus seinem fast zahnlosen Mund.
Und das war sein Glück, wie er im nächsten Moment erkannte.
Tatsächlich schaute der Mann für ein paar Sekunden irritiert in Zakarias Richtung – nur um im nächsten Augenblick erneut hinter sich zu blicken. Was er dort sah, ließ ihn aufschreien: »Nein, nein …«
Der Flüchtende rief diese Worte tatsächlich auf Deutsch. Zakaria hatte sich nicht geirrt.
Aus dem Schatten schälte sich eine groteske Kreatur, wie sie der Clochard noch niemals erblickt hatte. Sie überragte den Deutschen um eine ganze Kopflänge. Der gesamte menschenähnliche Körper wirkte wie gehäutet. Die Muskeln und Sehnen waren bloßgelegt wie bei einem anatomischen Modell. Zakaria hatte so etwas schon einmal gesehen, in einer Ausstellung, die konservierte menschliche Leichen in verschiedenen Posen gezeigt hatte. Genauso wie eine dieser Leichen sah dieses Monster aus!
Auf jeden Fall war es echt. Keine Maskerade. Kein Make-up!
Der gesamte offene Körper war von einem blutigen Film bedeckt.
Der Flüchtende verschwand hinter einem Ginsterbusch. Sofort setzte das Monstrum ihm nach.
Diese Kreatur, die es eigentlich gar nicht geben durfte, hatte bislang nicht einen Laut von sich gegeben. Sie erinnerte Zakaria an einen blutrünstigen Hai, der genau wusste, dass sein flüchtendes Opfer nicht den Hauch einer Chance hatte.
Aus dem Gebüsch drangen die grässlichsten Laute, die Zakaria in seinem bisherigen Leben vernommen hatte. Ein Fauchen und Reißen, ein Schnaufen und Heulen. Dazu das Geräusch, das brechende Zweige verursachten. Oder Knochen.
Zakaria wusste nicht, wie es sich anhörte, wenn Knochen zersplittert und zermalmt wurden – aber so musste es sich anhören. Untermalt waren diese fürchterlichen Geräusche von den Schreien eines Menschen, die von einer derartigen Pein und Furcht zeugten, dass sie eher an das Quieken eines Schweins erinnerten.
Zakaria drückte sich noch tiefer in den Schatten der Bank. Er zitterte am ganzen Leibe. In seiner Verzweiflung hielt er sich die Ohren zu, um die unmenschlichen Geräusche auszuschließen. Doch es war sinnlos. Selbst als er sich zusammenkauerte und den Kopf wie ein kleines Kind zwischen die Knie gepresst hielt, war es nicht vorüber. Nach wie vor waren die Laute vorhanden und frästen sich in seine Gehörgänge.
Schließlich – nach einer für Zakaria schier endlosen Ewigkeit – setzte Stille ein.
Totenstille.
Zögernd wagte sich der Clochard hervor. Er konnte es zunächst nicht glauben, dass der Albtraum vorbei sein sollte. Vielleicht war es ja eine Falle, und dieses Scheusal wartete nur darauf, sich auf sein nächstes Opfer zu stürzen.
Dennoch war da etwas in ihm, das größer war als seine Angst. Das ihn zwang, einen Schritt vor den anderen zu setzen, um sich mit eigenen Augen zu überzeugen, dass er nicht fantasiert hatte.
Dass er nicht übergeschnappt war.
Langsam und so lautlos er es vermochte, näherte er sich dem Ginsterbusch. Nichts! Nichts war zu erkennen. Zakaria betrat das Unterholz.
Und dann geschah es.
Er stolperte plötzlich und fiel der Länge nach hin. Er kreischte auf, als er unter seinen tastenden Händen eine weiche, wabbelige Masse zu fassen bekam.
In diesem Moment gaben die Wolken den vollen Mond frei, und sein Licht enthüllte Zakaria den formlosen Klumpen aus blutigem Fleisch und Knochen, auf dem er lag. Die Überreste eines Menschen.
Jenes fein gekleideten Herrn, der vor dem Unheimlichen geflüchtet war!
Zakaria hielt es nicht mehr auf dem Boden. Er rappelte sich auf, der Panik nah. Sein einziger Gedanke war, so schnell wie möglich fortzukommen.
Er konnte dieses Wissen nicht für sich allein behalten. Er würde daran ersticken.
Während er lief, wusste er auch schon, was sein Ziel war. Die Polizei! Sie würden ihm glauben müssen, wenn sie erst mit eigenen Augen sahen, was sich hier Grauenvolles abgespielt hatte.
Er hatte schon fast das schmiedeeiserne Eingangstor des Friedhofs erreicht. Ein Flügel stand sperrangelweit offen.
Da sah er die Gestalt davor.
Zakaria stoppte mitten im Lauf. Die Umrisse kamen ihm vertraut vor. Im nächsten Augenblick kroch der Mond zwischen den Wolken hervor und tauchte die Gestalt in ein fahles Licht.
Ein Mann in feinem Zwirn, mit blonden Haaren und einem markanten Gesicht. Gerade entnahm er der Brusttasche ein silbernes Etui und zückte eine Zigarette. Nachdem er sie in Brand gesteckt hatte, ging er, ein fröhliches Lied pfeifend, seines Weges.
Zakaria verstand die Welt nicht mehr.
Es war der feine Herr, der vor dem Monster geflüchtet war.
Dorian Hunter lächelte, als er erwachte.
Er hatte soeben einen wunderschönen Traum gehabt. Er war eine Art Teufel gewesen, jedenfalls jemand mit großer Macht. Und großer Begierde. Man hatte eine ganze Schar gefallener Engel zu ihm gebracht. Es waren wunderschöne Frauen – und sie alle sahen aus wie Coco.
Die Auswahl war ihm schwergefallen, zumal sie angefangen hatten, sich zu streiten, wer ihn als Erste beglücken durfte. Also hatte er die Würfel zu Hilfe genommen …
Es war einer jener Träume, die er lieber für sich behalten wollte. Und doch waren sie im Grunde ein Ausdruck seiner Liebe. Die sich zwar im Traum, aber nicht in der Wirklichkeit auf das Körperliche beschränkte.
Es hatte Zeiten gegeben, da hätte er auf diese Liebe keinen Pfifferling mehr gesetzt. Doch diese gehörten der Vergangenheit an. Ihre Beziehung zueinander war gefestigter denn je. Es war ein gutes Gefühl, geliebt zu werden.
Das einzig gute Gefühl zurzeit, wie er zugleich eingestehen musste. Alles andere in seinem Leben bereitete ihm Kopfzerbrechen. Eigentlich wollte er daran nicht denken. Nicht nach diesem herrlichen Traum.
Dennoch konnte er vergessen,...