E-Book, Deutsch, Band 57, 280 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
Vlcek / Marks / Voehl Dorian Hunter 57 - Pestmarie
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95572-057-5
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 57, 280 Seiten
Reihe: Dorian Hunter
ISBN: 978-3-95572-057-5
Verlag: Zaubermond Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
'O du lieber Augustin, alles ist hin. Und selbst das reiche Wien, Hin ist's wie Augustin; Jeder Tag war ein Fest, Und was jetzt? - Pest, die Pest! Nur ein groß' Leichenfest, Das ist der Rest ...' Das Lied des Spielmanns Augustin kennt auch heute noch jedes Kind in Wien. Doch was ist dran an der Legende, dass Augustin des Nachts betrunken in eine der Pestgruben fiel und erst am Morgen von den Siechknechten wieder herausgezogen wurde? Wie konnte er den Schwarzen Tod überleben ...? Der 57. Band der legendären Serie um den 'Dämonenkiller' Dorian Hunter. - 'Okkultismus, Historie und B-Movie-Charme - ?Dorian Hunter? und sein Spin-Off ?Das Haus Zamis? vermischen all das so schamlos ambitioniert wie kein anderer Vertreter deutschsprachiger pulp fiction.' Kai Meyer enthält die Romane: 232: 'Der schwarze Augustin' 233: 'Das magische Geflecht' 234: 'Pestmarie'
Autoren/Hrsg.
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Der schwarze Augustin
1. Kapitel
Etwas durchzuckte seinen Geist wie ein Blitz. Anders konnte er es nicht erklären, dass er plötzlich wieder erwachte. Er fühlte sich wie nach einem sehr, sehr langen Schlaf. Noch etwas schwindelig, doch gleichzeitig ausgeruht. Und was das Wichtigste war: Er konnte wieder denken. Er erinnerte sich sofort wieder, so als sei nicht eine Sekunde vergangen. In Wahrheit waren es Jahrhunderte, so viel wusste er. Niemand hatte es ihm gesagt. Das Wissen um den Zeitraum, in dem er hier gelegen hatte, war einfach da.
Er versuchte, sich zu bewegen, aber es misslang. Für einen kurzen Moment kam Panik in ihm auf. Was war, wenn er keinen Muskel rühren konnte? Wenn sein Bewusstsein für immer verdammt war, in einem reglosen Körper zu hausen?
Er wollte schreien, doch auch das gelang nicht. Seine Angst wuchs. Dann machte sich die Wut in ihm breit. Sollte er nur erweckt worden sein, um hier zu verfaulen?
Er versuchte, die Augen zu öffnen. Doch dies war ebenso unmöglich wie alles andere. Dafür gelang es ihm, seine Umgebung mit anderen Sinnen wahrzunehmen.
Genauso, wie er um die Zeitspanne wusste, die er hier gelegen hatte, schälten sich nach und nach vor seinem inneren Auge die Umrisse der Dinge und Körper ab, die sich in seiner unmittelbaren Nähe befanden.
Die wichtigste Erkenntnis war: Ich bin nicht allein!
Es gab Dutzende, Hunderte wie ihn. Er spürte den Abglanz ihrer vergangenen Leben, ihrer Freuden und Leiden. Hauptsächlich aber ihrer Schmerzen und das unmittelbare Grauen, bevor sie der Tod ereilt hatte.
Aber anders als bei ihm reichten diese Emotionen nicht aus, ihre Körper wiederzuerwecken. Bei ihm kam noch etwas anderes dazu. Eine solch tief gehende Emotion, dass sie selbst jetzt noch alles andere Denken übertünchte.
Hass!
Nach und nach ertasteten seine Sinne die Umgebung. Der Tod war hier unmittelbar. Der süße Duft der Verwesung schien noch immer in der stickigen Luft zu schweben, als sei kein einziger Tag vergangen.
Seit damals.
Hier unten gab es keinen Tag. Nur ewige Nacht. Dennoch konnte er sie sehen, die zahllosen Gebeine seiner Leidensgenossen, die blanken Schädel, halb zerfallenen Knochen und zu Staub gewordenen Träume.
Der Raum, in dem er lag, war einer von unendlich vielen anderen, halb zugeschüttet mit Erde und Geröll. Seine eigenen Knochen lagen verstreut über anderen Gebeinen, und über diesen lagerten weitere Schichten von Skeletten.
Es dauerte lange, eine schiere Ewigkeit, bis er jeden einzelnen seiner Knochen geortet hatte und dank der neuen Kraft, über die er verfügte, über diesen bestimmen konnte. So gewann er nach und nach neben seinem Bewusstsein auch das Gefühl für eine gewisse Körperlichkeit zurück.
Zunächst war es sein Schädel, den er spürte, dann die Schulterblätter, die Rippen, der restliche Rumpf. Die Beine, Füße, Arme und Hände lagen weiter von ihm entfernt, als er geglaubt hatte. Im Laufe der Jahrhunderte waren sie durch Erosion und Erdbewegungen immer weiter von ihm weggerutscht.
Es vergingen einige Tage, wertvolle Tage, bis er seine Kräfte so weit einsetzen konnte, dass er sich seine Extremitäten wieder zu eigen machen konnte. Er besaß Bewusstsein. Er besaß ein Skelett. Nun begann der schwierigere Teil. Er musste sich seines Körpers erinnern. Wie hatte er damals ausgesehen?
Und noch schwieriger: Wie sollte er das Aussehen zurückerlangen?
In Gedanken triumphierte er, als er spürte, dass es viel einfacher war, als er befürchtet hatte: Sobald ihm ein Detail seiner einstigen Erscheinung bewusst wurde, wurde es gleichzeitig Wirklichkeit.
Stets hatte er auf reichlich Essen und Trinken wert gelegt. Er war kein Vielfraß gewesen, aber auch kein Feinschmecker, und erst recht kein Kostverächter. Insofern hatte er immer dafür gesorgt, dass er auf angenehmste Weise satt geworden war. Sicherlich hatte er zu Lebzeiten ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen gehabt.
Kaum hatte er sich diesen Zustand vergegenwärtigt, spürte er, wie seine blanken Knochen von Fleisch umhüllt wurden. Fleisch, das sich allmählich zu einer menschlichen Gestalt formte und auch seinem Gesicht ein unverwechselbares Aussehen gab. Es war rosig und hatte im Laufe der Lebensjahre den typischen Schelmenausdruck angenommen, dem sein Besitzer so manchen Vorteil verdankte. Wer gab nicht gern dem Narren ein Geldstück oder einen Laib Brot? Und welche Frau konnte ernsthaft böse sein, wenn er ihr mit frechen Sprüchen den Hof machte? Und welcher gehörnte Ehemann, der sich doch lieber vom Narren zum Affen machen ließ als vom Nachbarn.
Es lebte sich wohl als Schelm. Es hatte sich wohl gelebt.
Instinktiv wusste er auch dies: dass die Welt eine andere geworden war. Für Schelme wie ihn gab es keinen Platz mehr darin. Aber es sollte ihn nicht hindern, diesen Platz zu beanspruchen. Nicht für lange. Vielleicht nur für einen, bestenfalls zwei, drei grandiose Auftritte.
Oh, wie er beseelt wurde von diesem Hass!
Nackt, wie er war, konnte er sich nicht unter die Menschen trauen. Das war selbst ihm klar. Er erinnerte sich des schwarzen Gewands – und es war plötzlich da, als wäre es nicht schon vor Jahrhunderten verfault. Fehlte nur noch der Gürtel. Kaum gedacht spürte er, wie der breite Gurt seine Leibesmitte bändigte. Und der Spitzhut, der ihn seit jeher begleitet hatte! Voilà, da war er schon! Fast kam er sich wie ein Zauberkünstler vor.
Nun fehlte nur noch, dass er sich erhob und aus diesem Loch nach oben schaufelte. Aber dies war das Einzige, was ihm noch immer nicht gelang: Er konnte nicht aufstehen. Er war wie gelähmt. Irgendetwas schien noch zu fehlen.
Irgendetwas …
Und dann hörte er die Stimmen.
»… sollten diese Gänge besser ein für alle Mal verschließen. Sie führen kilometerweit unterirdisch von der Michaelkirche in alle Richtungen. Bis hierher haben sich bislang höchstens ein paar verrückte Heimatforscher getraut. Wir sollten zurückgehen …«
Er spürte, dass es zwei Menschen waren. Ein Mann und eine Frau. Sein Geist fuhr in ihre Gedanken, und er wusste augenblicklich fast alles über sie.
Der Mann war Kaplan. Er war ängstlich und noch sehr jung. Er fühlte sich nicht wohl hier. Aber er hatte die Pläne studiert und kannte sich aus.
Sie dagegen war gierig. Gierig auf das Neue, auf den Thrill! Er kannte diesen Begriff nicht, aber er spukte als solcher in ihrem Kopf herum. Sie war Geschichtsstudentin. Noch sehr jung. Und in gewisser Weise unerfahren, wie er nicht ohne Amüsement feststellte. Sie war noch Jungfrau.
Vielleicht machte dies ihre besondere sexuelle Anziehungskraft aus. Den Kaplan jedenfalls hatte sie verhext. Er starrte die ganze Zeit abwechselnd mit ängstlichem Blick über die Haufen von Gebeinen und mit gierigen Augen auf ihre Bluse, die sich üppig wölbte.
»Unsinn!«, sagte die Frau mit scharfer Stimme. Obwohl sie so jung war, schien sie genau zu wissen, was sie wollte. »Sie haben mir versprochen, mir Bereiche zu zeigen, die mir völlig fremd sind.«
Der Kaplan wandte sich ihr zu.
Schweiß stand ihm auf der Stirn. Unverwandt stierte er auf ihre Brüste.
»Ich zeige dir in der Tat etwas, was du noch nicht kennst«, sagte er mit heiserer Stimme. Er fasste sie um die Hüfte und drängte sie gegen eine Mauer. Sie schrie auf, stieß ihn zurück.
»Was ist denn in Sie gefahren, Victor!«, herrschte sie ihn an. »Möchten Sie, dass ich dem Pfarrer davon erzähle?«
Er wurde bleich, stammelte. »Nein, aber ich dachte … dachte, Sie …«
Sie grinste spöttisch. »Wettert nicht gerade Ihre Kirche gegen jeglichen Sex vor der Ehe, Victor? Aber schön, Sie haben Ihre Karten offen auf den Tisch gelegt. Und ich zeige Ihnen meine: Führen Sie mich zu der Katakombe, die bislang noch nicht kartografiert wurde, damit ich meine Diplomarbeit schreiben kann, und ich werde mich erkenntlich zeigen.«
Der Kaplan grinste und schnaufte. »Kommen Sie, Catherina«, sagte er eifrig. »Es sind nur noch wenige Schritte. Vorsicht! Stolpern Sie nicht über die Knochen. Damals hat man die Pesttoten einfach in die Gruben gekarrt und Erde darüber geschüttet.« Er kicherte. »Vielleicht müssen wir sogar ein bisschen graben …«
Die beiden hatten sich entsprechend ausgerüstet. Sie trugen Helme, die mit Stirnlichtern versehen waren. Am Gürtel der Studentin hing ein Klappspaten.
»Mensch, riecht es hier muffig«, rümpfte Catherina die Nase. »Als ob hier gerade eben erst eine Leiche verscharrt worden wäre.«
Auch der Kaplan sog geräuschvoll die Luft ein. »In der Tat. Komisch, ich war schon mehrmals hier unten. So gestunken hat es an dieser Stelle noch nie!«
Allein die Nähe der beiden schenkte ihm neue Kräfte. Endlich konnte er die Augen öffnen. Was er sah, war nicht sehr erhellend. Um ihn herum herrschte nach wie vor fast völlige Dunkelheit. Er lag in einer riesigen unterirdischen Gruft, um ihn herum das Geröll anderer Gerippe. Aus der Nachbargruft drang schwacher Lichtschein. Außerdem waren die Stimmen der beiden Eindringlinge zu vernehmen. Wahrscheinlich untersuchten sie die morschen Gebeine.
Langsam erhob er sich. Es klappte erstaunlich gut.
Sein Hunger wuchs. Ungeduldig wischte er ein paar Knochen zur Seite, die ihn behinderten.
»Haben Sie das gehört?«, fragte die Frau aus der anderen Gruft.
»Vielleicht Ratten«, antwortete der Kaplan. »Hier unten wimmelt es von ihnen.«
»Sehen Sie nach!«
»Ich?« Die Stimme des...