E-Book, Deutsch, 230 Seiten
Vivian Liebe Lotte
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-945408-24-7
Verlag: Verlag Neue Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein historischer Roman
E-Book, Deutsch, 230 Seiten
ISBN: 978-3-945408-24-7
Verlag: Verlag Neue Literatur
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Der Autor Kim Vivian entdeckte an der High School in Kalifornien seine Leidenschaft für die Deutsche Sprache und Literatur. Anschließend studierte er Germanistik in Kalifornien und in Göttingen. Schließlich promovierte er mit einer Arbeit über Johann Gottfried Herder und Jean-Jacques Rousseau. Seit über 30 Jahren unterrichtet er als Professor an verschiedenen amerikanischen Colleges und Universitäten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Liebe Lotte
am 20. Jenner 1771
Liebe Lotte,
Wie traurig binn ich weg zu seyn, getrennt von dir, der ich so gut binn, der Freundinn meiner Jugend. Nur ein paar Wochen sind verstrichen aber es scheint eine Ewigkeit zu seyn. Mein Lottgen, die Freundinn meiner Kindheit, von der ich mich zeitlebens unzertrennlich zu seyn däuchte. Wie offt hab ich geweint, wie offt! Es thut mir leid, dass ich nicht früher schrieb aber erstens war die lange Reise nach Hanover eine Strapatze mit üblen Weegen bey einem matschigen Gemisch aus Schnee und Regen zu Anfang, mit vielen tiefen Wagenspuren, in welche die Kutsche manchmal biß an die Achse hinuntersank, und vielen langen Unterbrechungen. Wenn es denn nur regnete, war der fette Boden besonders übel zu bereisen. Um nicht Räder und Axen zu zerbrechen, musste der Kutscher offt sehr langsam fahren und bey der leidigen Kälte war das auch ein Jammer. Dieß war bestimmt nicht die romantische winterliche Landschafft, die Klopstok in seinem Eislauf besungen! War das ein Omen? Du weist aber, wie abergläubig ich binn! Zweytens war ich nach der Ankunft cörperlich auch lange ziemlich unpaß und darzu seelisch betrübt, und ein paar Tage her binn ich wieder besonders übel dran. Es ist ja auch irgendwie traurig, wenn mann seine ganze Effekten in ein paar Koffern und Truhen hat, drittens ist es warrlich gesagt hier am Hofe mit dem steifen Leben nicht nach meinem Geschmakke, wenn ich redlich sprechen darf. Du kennst aber all zu gut meinen voreiligen, stürmischen Kopf aber das alles habe ich sofort zu spüren bekommen. Schon am ersten Tage hat mann Friedrigen die dikke Hofordnung in die Hand gegeben und damit ist unser Leben, unser ganz Kommen und Gehen regulirt. Die Hofgesellschafft hier besteht aus 10 Klassen und zur niedrigsten, zur 10ten, gehören die Hofgerichtsassessoren wie Friedrich. Daher stehen wir also, wenn mann das mit einer Hühnerleiter vergleichen will, auf der untersten Sprosse, unweit von der Scheiße. – Sey bitte nicht schokirt! – Diesen Vergleich habe ich allerdings von der gnädigen Frau eines Assessors, welcher mit Friedrigen arbeitet. Am drauffolgenden Tage hatten wir uns vor Sr. Durchlaucht in Höchstderselbem Zimmer zu präsentiren um ihm unsre Aufwartung zu machen. Ich habe dabey gelernt, daß das Hofparket fast so schlüpfrig ist wie viel Adeliche selber, denn ich binn fast ausgerutscht und habe mir den Fus ein wenig verstaucht. Erst denn hörte ich, daß mann Neuangekommenen Unterricht ertheile, wie mann auf dem Parket zu gehen habe. Das passte ja, eine Lection in einer Schule für Narren! Sofort raunte mir eine Hofdame zu, dass fremde Personen, wenn sie weiterkommen wollten, sich von Anfang an wie Leute von sehr guter Extraction präsentiren müßten, denn sonst kämen sie kein Schrittgen weiter. Alles gienge um die Connexions beym Hofe. Ja, es ist klar, alle sind auf Ergözzlichkeiten erpicht, alles geht um Finesse.
Mann sucht schon auch Friedrigen in Stadt Verhältnisse einzuspinnen. Seine Majestät haben geruht uns eine kurze Zeit in Seiner Anwesenheit verweilen zu lassen! Dergleichen Spektakels kann ich mich nicht erinnern! Mann nennt es sogar antichambriren, diese Kunst sich am Hofe beliebt zu machen. Lauter Höflingen binn ich soweit begegnet, bey denen nur die Klügelei herrscht. Das Cärimoniele ist wahrhafftig am wichtigsten hier, nicht das Können und die Wissenschafft, und ein sehr steifer Ton ist in allem Umgang und Diskurs zu spüren. Ein Standesdünkel, eine Rangsucht herrscht unter den Edelleuten und den reichen Particulliers und ein jeder versucht dem andern so schnell als möglich zuvor zu kommen und so viel Airs anzunehmen wie möglich. Die Hofdamen und -fräuleins mit einem Train von Lackaien, mit ihren tausend Zierrathen, dikk geschmiertem Rouge, aufgethürmten Englischen statt Französchen Frisuren und fremden Costumen mit glänzenden Gold- und Silbertressen, et cetera. Ich weis schon viel Damen – nein, das laß ich lieber ungesagt seyn, doch so prüde binn ich im Grunde nicht! Viel Damen – doch nein, ungesagt ist ja besser! Und die Männer, lauter Flatterhaffte sind sie, die alle wie Pfauen herumstoltziren – diesen Ausdruk hab ich ja von dir! – herum promeniren als sollten alle sich an ihnen ergözzen. Und diese Ruhmsucht! Mann ist immer dabey den Hof zu spielen. Mann kann mit Recht sagen, daß die Adeliche hier sich von allen andern abschließen, daß sie in ihrer eigenen Welt leben, zu der nur sie Zugang haben und daß alle anderen ihnen unterthan sind. Es scheint, mann verbringt die mehreste Zeit damit um etwas zu erfinden um die Langeweile zu vertreiben und ennüirt ist mann hier anscheinend offt. Mann jagt hier am Hofe dem neusten Modegeiste nach und wenn mann die neuste Mode nicht trägt, wird mann von den Moderichtern ausgezischt. Das Hauptspiel und der Hauptzeitvertreib bestehen darinn, die jüngsten Intrigen aufzuspüren und schmunzelnd einander zuzuraunen, wer mit wem das ausereheliche Bette theilt. Sey nicht schokirt, liebe Lotte, denn das ist doch der Lauf der höflichen Welt hier und vielleicht überall. Du weist ja, wir haben offt drüber gesprochen, wie hohl und schal das Leben am Reichskammergericht zu Wetzlar ist, welches wir beide nicht mögen aber hier ist es viel schlimmer, sogar scheuslich. Entschuldige bitte die ausführliche, weitläuffige – ? – Beschreibung des Hofes. Ich hoffe, ich machte dir dabey keine lange Weile.
Mir scheint’s, die Freyheit meiner Jugend ist hin. Mann hat das Gefühl, dass niemand hier ehrlich ist. Und ich, ich Dumme wollte weg, wollte die Welt sehen! Vielleicht wird’s aber besser gehen. Erwarte aber nicht, meine Liebe, dass ich in’s Detail gehe, denn du kennst mich ja, ich binn kein Cronickenschreiber. Erwarte auch nicht, daß ich in allem so püncktlich binn, denn so ist meine Sinnesbeschaffenheit nicht. Darzu will ich dir nicht lange Weile machen. Jedes Mal wie ich mit Papa in Carlsbad zur Wassercur war hast du mich geschohlten ich sey keine gute Brieffreundinn. Hab bitte etwas Gedult mit mir, denn ich gebe mir alle Mühe mein Lottgen aber selbst wenn ich nicht so offt schreibe sey desohngeachtet sicher daß du immer in meinen Gedancken und meinem Herzen bist, und auch die deinige, denn ihr seyd ja meine Famielie. Schreib mir so offt als du kannst meine Liebste, denn ich höre so gern von dir. Grüs mir die Mama, wünsch ihr eine weitere Genesung, und grüs mir auch den Papa und die Kindergen alle. Friedrich lässet euch herzlich grüssen. Erhalte mich in dem Andencken unsrer gemeinsamen Jugend und unsrer Freundschafft und dencke mein wie ich dein dencke.
Deine
Claire
am 28. Jenner 1771
Meine vielgeliebte Claire,
Ein Briefwechsel! Briefe schreiben! Briefe wechseln! Briefe tauschen wie Milady Juliette und Milady Henriette! Weist du denn nicht, wie ich im Leben so selten einen Brief geschrieben? Meistens nur wie Schreibübung bey unserm alten Schreibmeister. Nur ein paar Mal an dich hab ich geschrieben, wenn du zur Cur warest aber damals warest du jedes Mal nicht lange weg und ich wuste ja, dass du ehster Tage zurük kömmst und dass unser Leben sich so fort sezt wie immer. Entsinnst du dich noch wie traurig und enttäuscht ich war, dass du reisen durftest und dass ich nicht mit durfte, nur weil mein Vater meynte, das Reisen schikke sich nicht für junge unverheurathete Frauenzimmer. Erinnerst du dich noch, wie wir unsren Phantasien die Zügel schießen ließen und den mutigen Télémaque auf seiner Weltreise begleiteten! Wie wir die exotischen Länder besuchen wollten! Biss heute noch kenn ich das Land nur im Umkreis von einigen Meilen. Wenn wir nur wie Yorik miteinander herumreisen könnten! Kannst du dir das vorstellen? So einen Traum hab ich offt.
Aber ein echter Briefwechsel! Eine echte Correspondenz! Ich kann Briefe schreiben wie eine Mistriss Fanni oder Lady Sara oder Milady Juliette! Erinnerst du dich noch, wie wir zusammen all diese Romane vorgelesen und wie du meinen französchen Accent critisirt? Dießmal brauchen wir ja keinen Comte oder Mylord! Was für alberne Träume hatten wir Mädgens damals! Oder mögtest du denn diese Rolle übernehmen und ich dürfte die vornehme Dame seyn, denn meistens spieltest du damals die elegante Dame. Das waren ja feine Zeiten und wie sehr wünsche ich mir sie zurüke! Ich glaube aber tief im Herzen, dass uns dieser Briefwechsel irgendwie näher bringt, wenn das überhaupt möglich wäre, dass er uns aber doch fester aneinander knüpft und uns auf immer unzertrennlich macht, denn das sind wir, nicht, mein lieb Clärgen? Wir Frauenzimmer müssen doch immer im Leben eine Vertraute haben und meine Vertraute bist seit je du. Kannst du dir überhaupt vorstellen keine Vertraute zu haben? Das wäre, als ob mann jahrelang auf einer Insel gestrandet wäre. Iezt bist du meine Briefvertaute, der ich mein ganz Herz ausschütten kann. Vielleicht könnte ich mir sogar vorstellen, dass ich Schriftstellerinn binn. Denn könnte ich meine eigne Welt erschaffen und sie mit meinen eignen Geschöpfen bevölkern und darunter wäre natürlich eine vornehme Dame, vielleicht eine junge Wittwe, welche alle meine Eigenschafften besäße und sie würde ein Leben führen, so wie es mir vorschwebt, in einem uralten abgelegnen Schlößgen oder goldnen Palästgen mit vielen Galants um sich. Wie schön! Welchen würde sie sich aber aussuchen? Den älteren, behäbigen mit vielem Geld oder den jungen, armen Poeten, welcher Verse über sie schreibt?
Indeß bist du dießmal würcklich weg, Meilen weg und nur der liebe Gott weis, wann, ob! – Gott behüte – du zurüke kömmst. Was für ein schröklicher Gedancke dieß »ob« ist! Wie wär’s, mein lieb Clärgen, wenn wir uns nimmer wieder sähen! Wenn eine von uns stürbe! O warum dieser schrekliche Gedancke? Von...