Vinzent | Nicht alle Tage | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 404 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 239 mm

Vinzent Nicht alle Tage

Band 1: Nein
Neuauflage 2025
ISBN: 978-3-933722-98-0
Verlag: der blaue reiter Verlag für Philosophie
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Band 1: Nein

E-Book, Deutsch, 404 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 239 mm

ISBN: 978-3-933722-98-0
Verlag: der blaue reiter Verlag für Philosophie
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dass das Sterben zum Leben gehört, ist eine Binsenweisheit. Trifft der Tod jedoch einen geliebten Menschen viel zu früh, steht man unvermittelt vor unfassbarer Leere. Markus Vinzent verarbeitet diese allzu menschliche Erfahrung in Form des vorliegenden Romans. Die Dehnung der Zeit durch detaillierte Schilderungen ist dabei ebenso eindrückliches Stilmittel wie die Darstellungen von Nähe und Verlusterfahrungen. Vinzent liefert eine imposante Seelenanalyse der beschleunig­ten und globalisierten Gegenwart der Mittelschicht – und zugleich eine Meditation über ein gutes Leben und ein gutes Sterben.

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Nicht alle Tage nennet die schönsten der, Der sich zurücksehnt unter die Freuden, wo Ihn Freunde liebten, wo die Menschen Über dem Jüngling mit Gunst verweilten. Friedrich Hölderlin Anika und Feeny
Anika schaute in ihren Kalender, Freitag, 12. Februar 1988 – den Nachmittag in München hatte sie sich freigehalten, Meetings standen keine an, keine Treffen mit Studierenden. Das Einzige, was sie sich für diesen Tag eingetragen hatte, war der Besuch bei der Modekünstlerin Feeny Achner in der Sendlinger Vorstadt. Sie hatte Feeny kontaktiert, weil sie Fotos von ihr als Model gesehen hatte. Feeny meinte am Telefon, sie habe einige neuere Werke in ihrem Studio hängen und Anika eingeladen, sie zu betrachten. Anika plante eine Ausstellung, bei der nicht nur die Fotografen, sondern auch die Models im Mittelpunkt stehen sollten. Die Fotos hingen im Flur und in den beiden Räumen des Salons, meist Schwarz-Weiß-Akte von Feeny. Von Bild zu Bild erklärte Feeny die Posen, was diese für sie bedeuteten, und war gespannt, von Anika zu erfahren, wie eine Kunsthistorikerin die Werke betrachtete und erläuterte. Anika hatte Mühe, sich zu entscheiden, wohin sie schauen sollte, auf das Model in den Fotos oder auf die Erscheinung, die neben ihr in einem weiten, hauchdünnen und durchsichtigen Oberteil stand, das ihr knapp über die Hüfte reichte. „Sieh, hier eine Studie mit einem Voilekleidchen, das ich entworfen und genäht habe und heute für dich trage, es wurde für Katalogaufnahmen abgelichtet!“ Das von ihr benutzte Du klang nicht nach Anbiederung, schien ernst gemeint, und Anika ließ sich darauf ein. Feeny zeigte auf Kleid und Körper, drehte sich um und ging durch den Flur wie ein Model auf dem Catwalk. Anika verfolgte ihren Gang. Feeny setzte mit langen Schritten, gleichmäßig und fließend Fuß vor Fuß, bewegte sich entlang einer unsichtbaren Linie, überquerte diese leicht. Ihre Arme schwangen locker, natürlich, eher unmerklich. Nach einer Pose kehrte sie um, schritt auf Anika zu und schaute ihr geradewegs entgegen, auffordernd und entwaffnend zugleich. Anika wusste nicht, wie ihr geschah. Selbstbewusst kam Feeny auf sie zu, drückte sie an sich und fragte: „Darf ich Dir auch meinen Massageraum zeigen und dich verwöhnen? Ich lebe nicht nur von meinen Stoffen, Kleidern und den Bildern.“ „Welche Art Massagen bietest du an?“ „Medizinische, aber auch sinnlich-erotische, body-to-body, und, wenn du willst mit happy ending. Hast du schon die Erfahrung einer Tantramassage gemacht?“ Bevor Anika antworten konnte, führte Feeny sie in eine Umkleide und verschwand in einem Nebenraum, um sich vorzubereiten. Anika atmete durch, ihr blitzte kurz die Frage auf, ob es o.k. sei, sich auf Feenys Einladung einzulassen. Warum nicht, dachte sie dann, sie würde nicht nur Feeny als Modekünstlerin engagieren, sondern in ihrer ganzen Person – und eine Massage, Zeit für sich zu haben, ja warum nicht, dachte sie. Noch etwas unsicher, entkleidete sie sich, duschte und legte sich auf die bereitstehende breite Massagematratze. Feeny trat zu ihr, strich mit ihren zarten Händen über ihren Rücken, um sich mit einem festen Griff in die ausgeprägten Schultermuskeln ihrer Klientin zu graben. Mit kräftigen Kreisbewegungen massierte sie diese hin zum Hals und vom Hals zurück zu ihrer Schulter. Anika stöhnte leicht, Feeny stretchte Haut und Muskeln, knetete sie mit beiden Fäusten entlang des Rückgrates, schob das lange, blonde Haar von Anika zur Seite, grub sich tiefer in ihren Körper ein. Anika spürte jede einzelne ihrer Wirbel. Feenys Finger tasteten, arbeiteten sich durch die dazwischenliegenden Hügel in die Tiefen, sie schienen durch die Haut hindurch bis in ihr Innerstes zu dringen und versetzten Anika in Trance, ihr wurde heiß und kalt, als sie meinte, Feenys Brustspitzen spüren zu können, die ihren Rücken rhythmisch streiften. Während Feeny Anika mit ihren Händen und Fingern walkte, erzählte sie von ihren Erlebnissen aus der vergangenen Woche, von den Schwierigkeiten, ihren Massagesalon als Alleinunternehmerin zu erhalten. Anika versuchte sich zu konzentrieren, ihr zu lauschen. Feeny berichtete, dass sie Tage zuvor beim Brötchenholen an der Straßenkreuzung gegenüber der Bäckerei eine dunkle Gestalt stehen sah, von der sie sich beobachtet fühlte. Kaum sei sie mit der Brötchentüte in der Hand auf ihrem Heimweg gewesen, habe sie bemerkt, dass ihr eine stämmige Person zu folgen begann. „Unaufhaltsam beschleunigte sich mein Schritt, aus einem entspannten Gehen wurde ein Wettlauf, doch der Mann blieb mir auf den Fersen. Hätte ich doch nur Hassia, den Schäferhund meiner Nachbarin, mitgenommen, den ich sonst die Woche ausführe“, sagte sie. Völlig außer Atem habe sie ihre Haustür erreicht, von der mysteriösen Gestalt in ihrem Schatten keine Spur. „Erleichtert verschloss ich die Tür hinter mir. Doch kaum hatte ich die Brötchen auf den Tisch gelegt, läutete die Türglocke. Plötzlich erschrak ich, hatte nicht den Eindruck, einen neuen Kunden vor der Tür zu haben. Schließlich trat ich zur Haustür und fragte: ‚Was wollen Sie?‘ Der Unbekannte, dessen Umrisse ich durch das trübe Milchglas nur schleierhaft ausmachte, antwortete mit drohender Stimme: ‚Es geht um deinen Schutz – dein Geschäft ist krass gefährlich. Und wenn du willst, dass dir nichts passiert, mach die verdammte Tür auf – dann sag ich dir, was du tun sollst.‘ ‚Ich brauche keinen Schutz – scheren sie sich davon!‘ war meine Antwort.“ Verächtlich lachte Feeny auf, als sie Anika diese Konfrontation erzählte, vielleicht, um ihre Panik zu überspielen. „Als ob ich mich von irgendjemand Dahergelaufenem einschüchtern ließe!“ Anika hatte nicht den Details folgen können, sie war eingenommen von den zunehmend heftiger werdenden Massagebewegungen, die sich mit Feenys Erregung steigerten. Sie ahnte aber, welchen Herausforderungen Feeny ausgesetzt war, als alleinstehende Zweiundzwanzigjährige in der Vorstadt von München einen Massage-Salon zu betreiben. „Er war nicht der einzige Typ und auch nicht der letzte, der mich bedrohte. Es sind diese Outlaw Motorradgangs, dreckige Blutsauger – ich hatte bald herausgefunden, dass er zu den Bad Angels gehört. Sie waren sicher von meiner Konkurrenz auf mich aufmerksam gemacht worden und wollten mich entweder auspressen oder vom Markt fegen. Doch sie haben nicht mit mir gerechnet.“ Feeny, obwohl von feiner Statur und grazilem Auftreten, war von zähem Charakter. Sie hatte sich zu Beginn ihres Modedesign-Studiums bei der Münchner Stadtverwaltung für einen Studierendenjob beworben und die ihr angebotene Arbeit als Nachtportierin in einem der städtischen Asylbewerberheime angenommen. Interessiert hatte sie nicht nur die Arbeitszeit: Vier Nächte pro Woche, um elf am Abend hatte sie sich dort einzufinden, um sieben am Morgen war Schichtende. Gefallen hatte ihr auch die Aussicht, mit Menschen anderer Kulturen in Kontakt zu kommen – begeistert von Kleidung, Naturstoffen und Wohnungsinterieurs, die aus Nordafrika stammten. Von ihrer Nachtarbeit fuhr sie in der Regel direkt in die Fachhochschule, verbrachte die erste Stunde in der Bibliothek und besuchte dann ihre Vorlesungen. Am Nachmittag legte sie sich für ein paar Stunden schlafen. Schnell hatte sie sich an die Routine gewöhnt, wollte jedoch irgendwann aus dem Zweibettzimmer im Studierendenwohnheim ausziehen. Obwohl sie sich mit ihrer Mitbewohnerin bestens verstand, träumte sie schon lange von der Freiheit ihrer ersten eigenen Wohnung. Doch es fehlte ihr an dem nötigen Kleingeld. Auf der Suche nach einem weiteren Job wurde sie schließlich am schwarzen Brett ihrer Universität fündig – ein unscheinbarer Abreißzettel weckte ihre Aufmerksamkeit: „Masseuse gesucht – mit der Möglichkeit, angelernt zu werden, flexible Zeiten“. Das schien ihr passend, weil sie an zwei weiteren Tagen, an denen sie keine Nachtschicht hatte, vom Nachmittag bis in die Nacht dort arbeiten konnte, so dass sie ihre Vorlesungen am Morgen nicht verpasste. „Weißt du, Anika, am Anfang waren mir die Arbeitszeiten des Salons schon etwas seltsam vorgekommen, auch wenn sie genau zu meinem Lebens- und Arbeitsrhythmus passten. Doch nachdem ich feststellte, dass das Team lediglich aus Frauen bestand, die Mehrzahl der Kunden Männer waren und die Massage mehr als nur Wellness bedeutete, dämmerte es mir. In den ersten Tagen gaben sie mir nur Kundinnen, auch wenn ich schnell verstanden hatte, dass diese nicht nur für eine medizinische oder kosmetische Anwendung kamen, sondern sinnliche und intime Massagen wollten. Vielleicht hätte ich mir diese Arbeit gar nicht zugetraut, wären nicht meine Kolleginnen gewesen und hätten sie mir den Start nicht derart erleichtert. Die Bezahlung für die zwei Tage Arbeit war erheblich höher als der Lohn, den ich von der Stadt für meinen ersten Job bekam – und, wenn ich verglich, herausfordernder und gefährlicher war dieser auch nicht. Außerdem rechnete ich mir aus, dass ich auf diese Weise bald die Nachtschichten reduzieren und damit konzentrierter studieren könne.“ Anika hörte ihr kommentarlos zu und ergab sich ihren mal zarten, mal heftigeren Handgriffen. „Dreh dich bitte um“, bat Feeny. Sie begann, die Stirn, das Gesicht, den Hals und den Brustkörper ihrer Kundin zu lockern. Je tiefer sie kam, desto angespannter fühlte sich Anika. Nachdem Feeny ihr die Füße, die Unter- und Oberschenkel hin und her geknetet hatte, legte Feeny das...



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