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E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
Vieweg Hegels Ästhetik der Malerei
unverändertes eBook der 1. Auflage von 2025
ISBN: 978-3-7873-4918-0
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die niederländische Landschafts- und Genremalerei des 17. Jahrhunderts
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Reihe: Blaue Reihe
ISBN: 978-3-7873-4918-0
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
KLAUS VIEWEG lehrt klassische deutsche Philosophie an der Universität Jena. Lehr- und Forschungsaufenthalte führten ihn an zahlreiche nationale und internationale Universitäten, u. a. nach Seattle, Prag, Pisa, Wien, Mexiko-Stadt, Kyoto, Tokio, Rom, Shanghai sowie zuletzt nach Valparaíso, Santiago de Chile und Peking. Im Zentrum seiner Forschungen steht der Versuch, die Aktualität der Philosophie Hegels als eines Denkens der Freiheit aufzuzeigen. Im Jahr 2022 gelang Vieweg ein Jahrhundertfund, als er in der Diözesanbibliothek des Erzbistums München und Freising die Mitschriften F. W. Carovés von bisher unbekannten Hegel-Vorlesungen entdeckte. 2019 erschien bei Beck: Hegel. Der Philosoph der Freiheit.
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1. Paradigmenwechsel in Ästhetik und Kunstgeschichte
Die Rehabilitation der späteren holländischen Schule der Malerei und eine moderne Ästhetik der Malkunst
Im Zentrum der Überlegungen steht ein Paradigmenwechsel in der Ästhetik und der Kunstgeschichte der Malerei, Hegels Überwindung des antiken Klassizismus im Gefolge von Winckelmann und des christlichen Romantizismus vom Typus Friedrich Schlegel in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts. Den Grundimpuls, den theoretischen Hauptanstoß für die Wiederentdeckung, eine rediscovery, re-evaluation oder recovery of reputation der niederländischen Malschule des 17. Jahrhunderts (Dutch Golden Age), gab Hegels Kunstphilosophie, in der speziell die Landschafts- und Genregemälde als Muster moderner Kunst eingeschätzt werden. Stephen Houlgate zufolge war dies »a subtle account of the nature of painting as such«, a »philosophical account of the art of painting«.3 Die holländische Malerei der ›späteren holländischen Schule‹ (Kehler, 152)4 erfuhr durch Hegel die entscheidende philosophisch-ästhetische Rehabilitierung und Legitimation, er betont »die Freiheit des niederländischen Stils« (Heimann 49). Auf diese bahnbrechende ästhetische und kunstgeschichtliche Anerkennung folgten dann genau im Hegel’schen Geiste die theoretisch kraftvollen Studien der Vertreter der Berliner Schule der Kunstgeschichte Gustav Friedrich Waagen, Franz Kugler, Carl Schnaase und Heinrich Gustav Hotho.5
Diese Berliner Kunsthistoriker gelten als die Begründer der akademischen Disziplin der Kunstgeschichte als Wissenschaft und haben ihren Hintergrund in Hegels Philosophie der Kunst und dessen Ästhetik der Malerei. »The decades between 1830 and 1850 were the founding period of art history as an academic discipline in Germany.«6 Werner Busch zufolge war Schnaase ›entscheidend durch die Vorlesungen Hegels in Heidelberg geprägt‹ und repräsentiert die Grundlegung der Disziplin Kunstgeschichte in der Kunstphilosophie, speziell den ›eigentlichen Beginn der Kunstgeschichtsschreibung zur Landschaftsmalerei‹ – die Philosophie der Kunst ›macht gattungstheoretische Konsequenzen bewußt und befördert so die historische Erkenntnis‹.7 Thomas W. Gaethgens sieht in Hegels Aufwertung der holländischen Kunst und der Genremalerei »in ihrer methodischen Orientierung die Grundlage für die Kunstgeschichtsschreibung«. »Hegels detaillierte Ausführungen bezeugen nicht nur seine persönliche Kenntnis, sondern propagieren, für die zukünftige kunsthistorische Disziplin, eine Deutung dieser Kunst auf ihren historischen Grundlagen.«8
Über Vermittler wie Charles Bénard, den Übersetzer von Hegels Vorlesungen über die Ästhetik ins Französische9, der französischen Version von Waagens Geschichte der Malerei, und besonders über den französischen Kunstexperten und -sammler Theophile Thoré-Bürger wurde der Weg zur französischen Revolution in der Malerei in Gestalt des französischen Impressionismus wesentlich mit bereitet.10 Thoré, der an Hegels Philosophie der Kunst anknüpft und als Revolutionär in der Kunstgeschichte gilt11, publizierte 1866 die erste grundlegende Studie über Jan Vermeer, dessen Meisterstücke erst im 20. Jahrhundert ihre angemessene Anerkennung fanden: Van der Meer (Vermeer) de Delft. Heute gelten dessen geniale Gemälde wie die von Rembrandt, Hals, Dou, van Goyen, Ruysdael oder Honthorst, von Monet, Renoir oder Pissarro wie selbstverständlich als Prunkstücke von Galerien weltweit.
Der eindeutige Schwerpunkt des vorliegenden Büchleins liegt auf der ersten Revolution und dem entscheidenden Beitrag Hegels als Inaugurator der Anerkennung der späteren niederländischen Schule als moderne Kunst und ihrer ästhetischen Rehabilitierung. Auf die zweite Revolution, den französischen Impressionismus, erfolgt nur ein knapper Ausblick in Gestalt von wenigen Hinweisen auf Hegels maßgebenden Beitrag zu deren Wegbereitung, vermittelt über die französische Ausgabe der Hegel’schen Vorlesungen zur Philosophie der Kunst sowie der französischen Texte von Thoré-Bürger und Waagen. Im letzten Kapitel werden nur einige Fingerzeige zur essenziellen Mitwirkung Hegels am Brückenschlag zwischen den beiden Revolutionen thematisiert.
In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst und anderen Dokumenten erwähnt Hegel einige Maler des Goldenen Zeitalters namentlich: Rembrandt (GW 28,3, 960), Anthonis van Dyck und Philips Wouwermann (TWA 13, 223) Adriaen van Ostade (GW 28,2, 831), Gerard (Gerrit) Dou (GW 28,2, 828), Gerrit van Honthorst (GW 28,2, 763), Jan Steen und David Teniers (TWA 14, 227), Jan van Goyen und Aert van der Neer (TWA 13, 378), Gerard Terborch (TWA 14, 228), Paulus Potter und Nikolaes Berchem (Br II, 361). ›Schöne, sehr schöne Sachen‹ sieht er im Mauritshuis in Den Haag (Br II, 361). Ein weiterer Hinweis findet sich in einem von Hegel angefertigten Auszug aus The Morning Chronicle: »Cat of Mieris, ein Fischverkäuffer bietet e[iner] Köchin vor ihrer Küche Fische an, e[ine Katze dabei«; »ein Ostade für 465 guineas«.12 Implizit wird auch über Motive und Szenen auf weitere Künstler und Gemälde angespielt, hier nur ganz wenige Beispiele: Seestürme bei Ludolf Backhuysen und Johann Peeters, das ruhige Meer von Aelbert Cuyp, Jacob van Ruisdaels Wasserfall, Frucht- und Tierstücke von Johann Huysum, Jan Davidz und Cornelis de Heem, Willem van de Velde d. J., Jan Weenix, Abraham Mignon, Rahel Ruysch, Johann Fyt oder Melchior de Hondekoeter, das Zahnausziehen bei van Honthorst, Dou und Steen, Ernteszenen bei van Goyen und Breughel dem Älteren (Heuernte, Kornernte), die Genrestücke von Adriaen Brouwer, der Humor bei Steen, die bäuerliche Armut bei Ostade (Bildteil, Abb. 1–25).13 Mit seiner substantiellen Wertschätzung der niederländischen Schule erwarb Hegel das Verdienst, gewichtige Argumente gegen die Herabsetzung dieser Richtung durch Klassizisten wie Winckelmann und Romantiker wie Friedrich Schlegel und damit Bausteine für eine moderne ästhetische Theorie der Malerei vorzulegen, im Sinne einer Wissenschaft, die auf den ›Begriff der Dinge‹ zielt (GW 28,1, 164), die Ästhetik und Kunstgeschichte zu verbinden vermag.
Das Fundament für diese Philosophie der Kunst und damit auch der Ästhetik der Malerei ist der Begriff der Schönheit, die Idee des Schönen. Im Kontext der explizit an Aristoteles anschließenden Schärfung des Verständnisses von Nachahmung (Mimesis) zielt Hegel zunächst darauf, Schönheit als Gegenstand einer Philosophie der Kunst zu beweisen. »Jede Wissenschaft hat ihren Gegenstand. Daß solcher Gegenstand ist, ist zuerst zu beweisen, dann wie soll er beschaffen sein, d.h. was er ist«. Bei ›nichtphilosophischen Wissenschaften‹ werde der allgemeine Gegenstand nicht bewiesen, sondern nur ›aufgewiesen‹, etwa in Mathematik oder Physik, dort werde nicht gezweifelt, ›ob ein Dreieck da ist‹ oder ob ein physikalischer Körper vorhanden ist (Heimann 10). In philosophischen Wissenschaften wie der Ästhetik geht das Ganze ›aus dem Begriff hervor‹, hierzu müssen die Einseitigkeiten der ›abstrakten platonischen Idee‹, der abstrakten Auffassungen der Idee des Schönen sowie die Positionen bloßer Partikularität etwa in Form der ›Richtungslosigkeit des Empiristischen‹ überwunden werden. Der »eigentliche Begriff, so Hegel im Rekurs auf Aristoteles, muss die Mitte sein, als konkreter Begriff das Wissen der partikularen Bestimmtheiten mit dem Metaphysisch-Philosophischen verbinden (Heimann 10). Es handelt sich um Hegels Konzept eines realistischen Konstruktionismus oder konstruktionistischen Realismus des Malens, um die Synthese der realistischen und konstruktionistischen Dimension von Kunst, worin »Finden und Machen, unsere Entdeckung der Welt und unsere Bearbeitung der Welt eines sind«.14 Das Vorfinden der Welt als vorausgesetzter, als selbständiger Natur und das Setzen der Natur, das Erzeugen dieser als einer vom Subjekt gesetzten, als seiner Welt, müssen als Einheit gedacht werden, sind »eins und dasselbe« – ein Grundgedanke von Hegels Idealismus.15 Diesem kommt auch auf dem Feld der Ästhetik Geltung zu, speziell in der Behandlung der Werke der Kunst als Formen der zweiten Natur, des Geistes.16 In seinen Anmerkungen zu dem von ihm übersetzten Versuch über die Malerei von Denis Diderot (1799), Hegel war mit diesem Text vertraut, verwendet Goethe den Topos von der zweiten Natur: Der Künstler gibt der Natur ›eine zweite Natur, eine gefühlte, gedachte, eine menschlich vollendete zurück‹. Auch konnotiert der Dichter diese mit...