Vennemann Maddrax - Folge 374
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-8387-5738-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Heimkehr eines Toten
E-Book, Deutsch, Band 374, 64 Seiten
Reihe: Maddrax
ISBN: 978-3-8387-5738-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Einst war er hier zu Hause. Als anerkannter, wenn auch kontrovers diskutierter Wissenschaftler und Berater des US-Präsidenten. Dann stieg er zu Commander Matthew Drax in einen Stratosphärenjet, um dem Beschuss eines Killer-Kometen zu beobachten - und sein Leben wurde zur postapokalyptischen Hölle. Über fünfhundertzwanzig Jahre später kommt er nach Washington zurück, im Auftrag fremder Mächte. Und er hat zwei Probleme: Er ist nicht mehr Herr seiner Begehren - und tot...
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Er bewunderte die fantastische Effektivität, die der Roboterkörper, den die Schwarzen Philosophen ihm gegeben hatten, an den Tag legte. Jacob Smythe war nicht nur das Upgrade seines früheren Selbst; das neue Leben, wie es ihm nun zu eigen war, bot ganz andere, ganz unglaubliche Möglichkeiten! Vorbei waren körperliche Einschränkungen wie Hunger oder Schlaf. Zeit seines Lebens hatte Jacob unter einer Schilddrüsenüberfunktion gelitten, die er mit kalorienreicher Nahrung und Medikamenten hatte ausgleichen müssen. Das war nun Geschichte. Solche Nichtigkeiten konnten ihm nichts mehr anhaben. Auch die Brille, die er nur noch aus nostalgischen Gründen trug, war überflüssig. Seine Augen waren so gut wie nie. Er überwand die bewaldete Anhöhe und hielt für einen Moment inne, lauschte in sich hinein. Da war kein Herzschlag, kein erhöhter Puls aufgrund der körperlichen Anstrengung. Kein Rauschen des Blutes in seinen Ohren, kein beschleunigter Atem. Dafür nahm er seine Umgebung weiter in allen Details wahr, erfasste die Windgeschwindigkeit und eine erhöhte Luftfeuchtigkeit. So muss sich ein allwissender Gott fühlen! Dabei wusste Jacob, dass sein neuer Körper alles andere als unverwundbar war. Aber er hatte keine Angst vor dem Sterben. Nicht mehr – jetzt da er wusste, dass der Tod nicht zwangsläufig das Ende war. Dass er nun hier stand, lieferte den Beweis dafür. Seine Existenz dauerte fort, Jahrhunderte nachdem die Welt, wie er sie kannte, untergegangen war. Bilder aus der Vergangenheit zogen vor Jacobs geistigem Auge vorbei. Eine Talkshow, in der er die Menschen vor dem Kometen „Christopher-Floyd“ warnte. Im Gespräch mit Präsident Schwarzenegger. An Bord eines Jets, begeistert von der Naturgewalt des Kometen, wie er feurig in die Atmosphäre drang, um alles zu vernichten wie mit einem kosmischen Faustschlag. Was war das für ein Spektakel gewesen, und er hatte in der ersten Reihe gesessen! Dann die Zukunft. Der Zeitsprung, der ihm zunächst alles genommen und ihm dann doch so viel gegeben hatte. Er erinnerte sich an Menschen, die mit ihm herübergekommen waren. Jennifer Jennings, Irvin Chester, Hank Williams, Dave McKenzie. Commander Matthew Drax. Jacob Smythes synthetische Gesichtsmuskeln zogen sich zusammen und veranlassten den optischen Eindruck eines Stirnrunzelns. Ein atavistischer Reflex, den die Programmierung des Roboterkörpers nicht unterband, um die Illusion eines echten menschlichen Wesens aufrechtzuerhalten. Unbewusste Gesten gehörten zu den wichtigsten Kleinigkeiten, die seine Glaubwürdigkeit im Umgang mit natürlichen Lebewesen ausmachte. Matthew Drax … ein Mann in einer dunkelgrünen Fliegerkombination, mit kurzen blonden Haaren. Er sah ihn deutlich vor sich, wie eine Fotografie, mit einem irgendwie künstlichen Grinsen. Jacob schüttelte den Kopf. Nein, da war nichts, was ihn mit diesem Mann verband, außer, dass sie im selben Jet geflogen waren. Was war mit Drax passiert? Er konnte sich nicht erinnern. Und es schien auch nicht wichtig zu sein. Matthew Drax war nicht mehr als eine Randnotiz der Vergangenheit. Was jetzt zählte, waren die Gegenwart und sein Auftrag. Während Jacob sich weiter Richtung Norden vorarbeitete und es vermied, dabei ausgetretene Pfade zu benutzen, sichtete er weiter seinen Erinnerungsspeicher. Im Unterordner Emotionen fand er interessante Präzedenzfälle. Da waren Augenblicke der Todesangst, als er in einem düsteren Kanalschacht von einem riesigen gallertartigen Wesen verfolgt wurde, mit Zähnen so scharf wie Rasiermesser und ätzendem Sekret, das die Tunnelwände zum Dampfen brachte. Nur mit Mühe war er ihm entkommen. Zuneigung: Eine Frau mit blasser Haut, langem roten Haar und einnehmendem Wesen. Lynne Crow hatte ihn eine Zeitlang begleitet. Sie hatte er gemocht, weil sie ihn respektiert und seine wahre Größe erkannt hatte. Sie waren sich ähnlich gewesen. Dann war sie gestorben. So etwas kam vor. Der Querverweis zur Emotion Trauer führte ihn in ein leeres Verzeichnis. Tagelang wanderte Jacob Smythe durch die Wildnis, ohne zu rasten. Seine neue Existenz verdankte er den Schwarzen Philosophen, die ihn aus der Nicht-Existenz des Zwischenreichs zurückgeholt hatten. Es gab neue Aufgaben für ihn – Aufgaben, derer er würdig war. Washington, die Stadt, mit der seine frühere Existenz so viel verband, sollte sein neues Wirkungsgebiet werden. Seine Erschaffer benötigten einen Statthalter für die Region und hatten den fähigsten Mann dafür ausgewählt, den es dafür nur geben konnte: ihn. Da gab es nur ein kleines Problem: Arthur Crow, Lynnes Vater und Ex-Präsident des Weltrats, beherrschte die Stadt zusammen mit dem Androiden Miki Takeo, und das schon seit über sechzehn Jahren. Unterstützt wurden die beiden von einer schlagkräftigen Truppe asiatischstämmiger Kämpfer, deren Ausdauer und Schmerzunempfindlichkeit als legendär galt. Die Spione der Schwarzen Philosophen hatten herausgefunden, dass dies durch einen Chip in ihren Gehirnen ermöglicht wurde, der Erfindung einer Wissenschaftlerin in Crows Diensten. Seine Herrschaft stützte sich auf ein perfides System aus Kontrolle und Gehirnwäsche. Simpel und effektiv. Jacob kam nicht umhin, dieses Vorgehen zu bewundern. Er hätte sicherlich ähnlich agiert. Vielleicht lag es an der Kombination menschlich-biologischer Bewusstseinsgrundlagen mit informationstechnologischen Errungenschaften – einer Gemeinsamkeit, die Takeo, Crow und ihn verband. Am Morgen des zehnten Tages stieß Jacob Smythe auf den Potomac River und folgte seinem Verlauf. Schon von weitem machte er wenige Stunden später die Stadtmauern von Waashton, wie Washington heute genannt wurde, aus. Die Simulation eines Zufriedenheitsgefühls erfüllte Jacob Smythe. Er lag gut im Zeitplan. Der Stichtag der Machtübernahme war der Memorial Day, der letzte Montag im Mai. Bis dahin hatte er noch ein paar Tage Zeit, vor Ort eine Strategie zu erarbeiten und gegebenenfalls Verbündete für den Kampf zu finden. Jeder hatte Feinde; man musste sie nur ausfindig machen und für die eigene Sache gewinnen. Seine Sensoren registrierten leise Männerstimmen, als er zügigen Schrittes das Flussufer entlang ging. Er duckte sich in das dichte Schilf und sondierte die Umgebung. Minuten später glitt ein Patrouillenboot mit Personen in dunkler, weiter Kleidung an ihm vorüber. Sie unterhielten sich auf Japanisch, leise und bedächtig. Als sie seine Position passiert hatten, kletterte Jacob die Böschung hinauf und zog sich in ein angrenzendes Waldstück zurück. Dabei bemerkte er zahlreiche Fluggleiter, die über der Stadt kreisten und auch die Umgebung im Auge behielten. Die Zugänge der Stadt wurden von weiteren Trupps bewacht, auch sie trugen die typische Kleidung der „Schatten“, wie man Crows gechipte Kämpfer nannte. Aber dazu würde ihm eine Lösung einfallen. Das Zeitfenster war groß genug, um nicht überstürzt handeln zu müssen. Die Schwarzen Philosophen hatten den Memorial Day deswegen ausgewählt, weil es eine der wenigen Gelegenheiten war, bei denen sich die gesamte Führungsriege der Machthaber von Waashton, die sich sonst im stark gesicherten Pentagon aufhielt, öffentlich zeigte. Crow war ein alter Militarist, der es sich nicht nehmen ließ, an diesem Tag am Grabmal der Unbekannten auf dem Arlington Memorial Cementary eine Rede zu halten und die goldene Zukunft Waashtons und ganz Meerakas unter seiner Herrschaft heraufzubeschwören. Er hatte den Memorial Day zu einem gemeinsamen Feiertag der Meerakaner und Jellos gemacht und erneuerte das Bündnis beider Streitkräfte jedes Jahr. Crow, Takeo und die Oberbefehlshaber der „Schatten“ an einem Ort versammelt. In einem alten Kindermärchen hieß es „Sieben auf einen Streich“. So ähnlich würde es hier auch laufen: Alle auf einen Streich … Maddrax schwieg. Schon seit Stunden. Er saß im Fahrersitz von PROTO und steuerte den Amphibienpanzer auf seinem Weg durch die ostmeerakanische Küstenregion. Ab und zu seufzte er tief, streckte sich und kontrollierte den Kurs. Sonst tat er nichts. Aruula wusste, dass er ihre verstohlenen Blicke bemerkte, die sie ihm vom Beifahrersitz aus zuwarf. Und sie kannte dieses Verhalten. Maddrax war sauer, und zwar gehörig. Das tat er immer, wenn er böse auf sie war, sie aber nicht verletzen wollte: Er schwieg. Auf diese Weise wollte er jeden Konflikt vermeiden, gerade jetzt, wo sie sich nach langer Eiszeit versöhnt hatten und wieder ein Team bildeten. Aruula dachte an den kleinen Metallwürfel, den sie im hinteren Bereich PROTOS versteckt hatte. Er war der Grund für Maddrax’ miese Laune – obwohl er nicht einmal von seiner Existenz wusste. Der Würfel war alles, was vom Transkommunikator übrig geblieben war – jenem Artefakt aus Nuu’oleens, das es ermöglicht hatte, mit den Toten zu sprechen. Und nicht nur das: Die Schwarzen Philosophen hatten es sogar dazu benutzt, den Geist der Jenseitigen herüber in diese Welt zu holen und in einen künstlichen Körper zu stecken. So hatten sie ihre Statthalter mit dem Wissen historischer Figuren ausgestattet. Maddrax hatte den Transkommunikator nutzen wollen, um damit auch seinen toten Freunden eine Chance auf ein zweites Leben zu ermöglichen. Eine Scheißidee, fand Aruula, zu der ihn nur der vermaledeite Ring verleitet haben konnte, den sie einem Mutanten aus dem Kopf geholt hatten und dem Maddrax verfallen gewesen war. Doch nun war der Ring vernichtet. Ann,...