E-Book, Deutsch, 512 Seiten
Seconda Parte
E-Book, Deutsch, 512 Seiten
ISBN: 978-3-8031-4189-7
Verlag: Verlag Klaus Wagenbach
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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DAS LEBEN DES ARETINERS PARRI SPINELLI
Vita di Parri Spinelli Aretino (1568) Der Maler Parri di Spinello Spinelli aus Arezzo wurde, nachdem er die Grundlagen der Kunst bei seinem Vater gelernt hatte,1 von dem Aretiner Leonardo Bruni2 nach Florenz gebracht, wo ihn Lorenzo Ghiberti3 in der Schule aufnahm, in der viele junge Leute unter seiner Anleitung lernten. Und weil damals gerade die Türen von San Giovanni gesäubert wurden, setzte man ihn zusammen mit vielen anderen an diese Arbeit, wie weiter oben schon gesagt worden ist.4 Während er auf diese Weise beschäftigt war, schloß er, weil ihm seine Art zu zeichnen gefiel, Freundschaft mit Masolino da Panicale, den er in vielen Dingen nachzuahmen begann,5 wie er es teilweise auch mit dem Stil von Lorenzo degli Angeli tat.6 Parri schuf seine Figuren sehr viel schlanker und gelängter als jeder andere Maler vor ihm, denn wo die anderen sie maximal zehn Köpfe hoch machen, schuf er sie elf, manchmal sogar zwölf hoch. Keineswegs ließ sie das mißgestaltet wirken, obwohl sie schmal waren und sich immer in einem Bogen mal zur rechten, mal zur linken Seite neigten, weil es ihm schien, wie er selbst sagte, daß sie auf diese Weise mehr Kühnheit besaßen.7 Der Faltenwurf der Gewänder war überaus feinteilig und stoffreich in den Säumen, die seinen Figuren von den Armen bis auf die Füße herabfielen. Die Farbgebung in Tempera beherrschte er aufs trefflichste und die des Fresko perfekt. Er war außerdem der erste, der bei der Arbeit in Fresko auf die Verwendung von verdaccio [Erdgrün] unter den Hauttönen verzichtete, um sie dann mit rosigen Fleisch- und chiaroscuro-Tönen aquarellartig durchscheinend zu übermalen, wie es Giotto und die anderen alten Maler noch getan hatten.8 Statt dessen verwendete Parri für das Anrühren der Grundierungen und Farbtöne kräftige Grundfarben und setzte sie mit großem Urteilsvermögen an die ihm passend erscheinenden Stellen, will heißen die hellen Tönen an die höchste Stelle, die mittleren Werte zu den Seiten hin und die dunklen an den äußeren Konturen. Mit dieser Arbeitsweise demonstrierte er größere Leichtigkeit in den Werken und verlängerte die Lebensdauer der Malereien in Fresko, da er die Farben, nachdem er sie an den entsprechenden Stellen aufgebracht hatte, unter Verwendung eines recht großen, weichen Pinsels miteinander in Einklang brachte. Obendrein führte er die Werke mit derart sauberer Präzision aus, daß man sich nichts Besseres wünschen kann, und seine Farbgebungen sind ebenfalls ohnegleichen.9 Nachdem Parri folglich viele Jahre fern der Heimat verbracht hatte, wurde er, als der Vater starb, von seinen Angehörigen zurück nach Arezzo gerufen,10 wo er neben vielen anderen Dingen, über die zu berichten zu lange dauern würde, eine Reihe von Werken schuf, die auf keinen Fall verschwiegen werden dürfen.11 Im Alten Dom freskierte er drei verschiedene Madonnen12 und malte auf der Innenseite des Hauptportals jener Kirche zur Linken des Eingangs in Fresko eine Szene mit dem Seligen Tommasuolo, der in jener Zeit ein Eremit des Sackbrüderordens war und Mann mit heiliger Lebensführung.13 Und weil er in seiner Hand einen Spiegel zu tragen pflegte, in dem er, wie er erklärte, die Passion Jesu Christi sah, porträtierte Parri ihn in jener Szene auf Knien mit dem Spiegel in der rechten Hand, die er zum Himmel erhoben hat. Darüber schuf er Jesus Christus auf einem Thron aus Wolken und um ihn herum sämtliche Mysterien der Leidensgeschichte, die er alle mit wunderschöner Kunstfertigkeit sich auf solche Weise in dem Spiegel widerspiegeln ließ, daß nicht nur der Selige Tommasolo sie sehen konnte, sondern jeder, der dieses Gemälde betrachtete. Das war eine wirklich einfallsreiche und schwierige Erfindung und so schön, daß viele nach ihm davon gelernt haben, vielerlei Dinge mit Hilfe von Spiegeln abzubilden. Da ich nun einmal auf dieses Thema zu sprechen gekommen bin, will ich nicht verschweigen, was dieser heilige Mann einst in Arezzo vollbracht hat, und dies trug sich folgendermaßen zu. Unermüdlich darum bestrebt, unter den Aretinern für Eintracht zu sorgen, indem er mal predigte, mal Unglücke vorhersagte, mußte er am Ende jedoch erkennen, daß er nur seine Zeit vergeudete. Da betrat der Selige eines Tages den Palast, in dem die Sechzig sich versammelten und wo er sie Tag für Tag zu Rate sitzen, aber keine anderen Beschlüsse fassen sah als solche, die der Stadt schadeten. Als er sah, daß der Saal sich gefüllt hatte, packte er sich den weiten Saum seines Gewandes mit glühenden Kohlen voll, trat damit kühn vor die Sechzig und all die anderen Magistrate der Stadt, warf sie ihnen vor die Füße und sprach: »Meine Herren, das Feuer ist unter Euch, gebt acht, Euer Untergang naht«, und mit diesen Worten ging er. Aber da es Gott gefiel, hatte die Einfachheit und gutgemeinte Warnung jenes heiligen Mannes solche Macht, daß diese Geste auf einmal vollbrachte, was alles Predigen und Drohen nicht hatte ausrichten können, sie sich also nur wenig später einig wurden und sie jene Stadt dann viele Jahre lang in gedeihlichem Frieden und Ruhe für jedermann regierten. Um aber auf Parri zurückzukommen, der nach besagtem Werk in der Kirche und dem Spital von San Cristoforo neben der Annunziata-Bruderschaft für M[ad]onna Mattea de’ Testi, Ehefrau von Carcascion Florinaldi, der jenem Kirchlein stattliche Einkünfte vermacht hatte,14 in einer Kapelle einen gekreuzigten Christus freskierte und rings um ihn und über ihm vielerlei Engel, die durch eine verdunkelte Luft fliegen und bitterlich weinen. Zu Füßen des Kreuzes sind auf der einen Seite Magdalena und die Marien, welche die ohnmächtige Madonna in Armen halten, und auf der anderen die Heiligen Jakobus und Christophorus.15 Auf die Wände malte er die Heilige Katharina, den Heiligen Nikolaus, die Verkündigungsmadonna und Jesus Christus an der Säule; und im Bogenfeld über dem Portal besagter Kirche eine Pietà, den Heiligen Johannes und die Madonna. Die [Bilder] im Inneren aber sind (abgesehen von der Kapelle) zerstört worden. Außerdem hat man den Bogen beim Einbau eines modernen Portals aus macigno-Stein abgerissen, auch weil man mit den Einkünften jener Bruderschaft ein Kloster für einhundert Nonnen zu errichten gedachte.16 Für jenes Kloster hat Giorgio Vasari17 ein vielbeachtetes Modell vorgelegt, das dann aber verändert oder besser gesagt verstümmelt worden ist, und zwar von demjenigen, dem unwürdigerweise die Leitung dieses bedeutenden Baus angetragen wurde. So trifft man häufig auf sogenannte gelehrte, meist jedoch ahnungslose Männer, die mit ihrer vorgeblichen Kennerschaft immer wieder großtuerisch den Architekten geben und Bauaufsicht führen wollen und damit in der Regel die Entwürfe derjenigen zugrunde richten, die, sich in Studien und praktischer Arbeit aufreibend, in kompetenter Weise Baupläne entwerfen. Und dies geschieht zum Schaden der Nachwelt, weil sie des Nützlichen und Angemessenen, der Schönheit, des Ornaments und der Großartigkeit beraubt wird, welche für Bauwerke, und allen voran für öffentliche, gefordert sind.18 Parri arbeitete auch in der Kirche von San Bernardo, einem Kloster der Olivetanermöche, wo er zwei Kapellen ausgestaltete, die das Hauptportal auf der Innenseite einrahmen. In der zur Rechten, die der Dreifaltigkeit geweiht ist, schuf er einen Gottvater, der mit den Armen einen Christus am Kreuz stützt, und darüber die Taube des Heiligen Geistes in einem Engelsreigen; außerdem malte er auf eine Wand derselben Kapelle in vollendeter Weise einige Heilige in Fresko. In der anderen, der Madonna geweihten [Kapelle] ist die Geburt Christi dargestellt und einige Frauenfiguren, die ihn in einer kleinen hölzernen Wanne waschen und dies mit einer weiblichen Anmut tun, die mehr als trefflich zum Ausdruck gebracht ist. In der Ferne befinden sich auch ein paar Schäfer in der ländlichen Kleidung jener Epoche, die ihre Schäfchen hüten und sehr lebhaft und höchst aufmerksam den Worten des Engels lauschen, der sie anweist, nach Nazareth zu gehen. Auf der anderen Wand ist die Anbetung der Könige gezeigt, mit den Trossen, Kamelen, Giraffen und dem gesamten Gefolge jener drei Könige, die ihre Schätze ehrfurchtsvoll darbieten und Christus im Schoß der Mutter anbeten. Darüber hinaus schuf er in der Wölbung und einigen der Giebelfelder außen ein paar wunderschöne Szenen in Fresko.19 Wie es heißt, hat zu der Zeit, als Parri dieses Werk ausführte, Bruder Bernhardin aus Siena,20 ein Franziskaner und Mann heiliger Lebensführung, in Arezzo gepredigt und viele seiner Mitbrüder dadurch zu einem wahren geistlichen Leben bewegt wie auch zahlreiche andere Menschen bekehrt, weshalb er für sie die Kirche von Sargiano bauen wollte und dafür von Parri das Modell anfertigen ließ.21 Als er später hörte, daß eine Meile vor der Stadt im Wald bei einem Brunnen viele schlimme Dinge geschahen, machte er sich, die gesamte Einwohnerschar Arezzos im Gefolge, eines Morgens dorthin auf, in der Hand ein großes Holzkreuz, so wie er es gewöhnlich zu tragen pflegte. Dann ließ er nach einer feierlichen Predigt den Brunnen abtragen, den Wald roden und kurze Zeit später mit dem Bau eines Kapellchens beginnen, das dort zu Ehren der Madonna unter dem Weihtitel Santa Maria delle Grazie errichtet wurde.22 Im Inneren wünschte er sich nun, daß Parri, wie er es dann tat, mit eigener Hand die Glorreiche Jungfrau malen würde, wie sie mit ausgebreiteten Armen die gesamte Bevölkerung von Arezzo unter...