E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 210 mm
Varwick Die NATO in (Un-)Ordnung
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7344-0537-2
Verlag: Wochenschau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie transatlantische Sicherheit neu verhandelt wird
E-Book, Deutsch, 224 Seiten, Format (B × H): 148 mm x 210 mm
ISBN: 978-3-7344-0537-2
Verlag: Wochenschau Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die NATO steht wieder im Zentrum einer von Unsicherheit und Turbulenz geprägten internationalen Un-Ordnung. Wurde der Bündnisverteidigung jahrzehntelang kaum Bedeutung beigemessen, ist die Frage der kollektiven Verteidigung seit Beginn der Ukraine-Krise 2014 wieder auf der Agenda und hat zu weitreichenden Veränderungen geführt. Gleichzeitig bleibt die Allianz im Bereich des militärischen Krisenmanagements aktiv und widmet sich neueren Themen wie Cyberkrieg, hybrider Kriegsführung, Kontrolle der Migration über das Mittelmeer oder Stabilisierung von Partnern im Süden. Gleichzeitig positionieren sich die USA unter Präsident Trump radikal neu und fordern von den Europäern einen wesentlich größeren Beitrag in der NATO ein – sofern die Trump-Administration formalisierten Allianzen überhaupt noch einen hohen Stellenwert einräumt. Mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU wird zudem ein traditioneller Blockierer einer engeren verteidigungspolitischen Zusammenarbeit im EU-Rahmen seine Vetomöglichkeiten verlieren. Soll dies nicht zu einer Abkoppelung der EU von der NATO im Sinne der Etablierung eines Konkurrenzverhältnisses führen, resultiert daraus ein erhöhter Druck zur Stärkung bzw. Vertiefung der strategischen Partnerschaft zwischen Amerika und Europa. Die Bedeutung der NATO in einer turbulenten internationalen Sicherheitspolitik unterliegt damit einem grundlegenden Wandel, und die transatlantische Sicherheitspartnerschaft wird derzeit unter erheblichen Spannungen neu austariert. Dies spiegelt sich auch in einer zentralen Rolle Deutschlands bei der Neuausrichtung der NATO wider. Sicherheitspolitik ist mehr als Militärpolitik und kluge Außenpolitik muss daran arbeiten, Konflikte zu entschärfen und Interessen friedlich auszugleichen. Aber solange es militärische Gewalt, Streitkräfte und Allianzen gibt, solange ist es auch Aufgabe politikwissenschaftlicher Analytiker, sich mit diesen Themen zu befassen. Das Buch will dazu beitragen, dass sicherheitspolitische Fragen – die eben auch militärische und militärpolitische Dimensionen umfassen – auch in einer breiteren interessierten Öffentlichkeit sachlich, umfassend und auf einer soliden Faktenbasis diskutiert werden. Grund genug also, ein aktuelles, für eine breite politisch und politikwissenschaftlich interessierte Leserschaft konzipiertes Werk über die NATO vorzulegen.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1. Sicherheit in der internationalen ‚Un-Ordnung‘
2. Die NATO als Sicherheitsorganisation
3. Die Entwicklung der NATO im Überblick
4. Struktur, Aufbau und Funktionsweise der NATO
5. Entwicklung der NATO-Strategie
6. Erweiterungen und Partnerschaften der NATO
7. Die Europäisierung der Allianz und die Beziehungen zwischen NATO und EU
8. Die neuen Aufgaben der NATO: Auf dem Weg zur ‚Sowohl-als-auch-Allianz‘?
9. Die Rolle Deutschlands im Bündnis
10. Die NATO in der internationalen ‚Un-Ordnung‘
2. Die Nato als Sicherheitsorganisation
Für die Nato hat diese Veränderung des Sicherheitsbegriffes grundlegende Folgen. Obgleich der Nato-Vertrag einen breiteren Zuständigkeitsbereich umfasst, war die Allianz jahrzehntelang ein klassisches Verteidigungsbündnis. Der Sicherheitsbegriff war eng, umfasste vorwiegend militärische Aspekte, und die Aufgabe der Allianz war demnach klar und einfach definiert: Sicherheit für die Alliierten und Verteidigung der Außengrenzen des Nato-Gebietes. Die gesamte Streitkräfteplanung der Mitgliedstaaten richtet sich an diesen Aufgaben aus. Mit seinen veränderten Funktionen hat sich auch die Form des Bündnisses verändert. Es hat sich von einem kollektiven Verteidigungsbündnis zu einer Institution des Sicherheitsmanagements gewandelt. Im sechsten Jahrzehnt nach ihrer Gründung haben sich Konzeption und Aufgaben der Nato ebenso wie die Herausforderungen der internationalen Sicherheit und damit die Funktionen der Allianz grundlegend verändert. Sie dient den Mitgliedern nicht mehr nur als Verteidigungsbündnis, sondern versteht sich in zunehmendem Maße als militärisch-politische Organisation, die umfassende Sicherheit gewährleisten soll. Dazu zählen neben der Verteidigung des Bündnisgebiets insbesondere die Stabilitätsprojektion und das Krisenmanagement außerhalb des Bündnisgebiets. Politisch äußerte sich dies im Aufbau partnerschaftlicher Beziehungen mit den ehemaligen Gegnern in Mittel- und Osteuropa. Militärisch manifestierte sich die neue Rolle der Nato insbesondere in ihren Peacekeeping-Operationen auf dem westlichen Balkan. 2.1 Was ist die Nato? Allianztheoretische Überlegungen
Den Wandel der Nato zu erklären, ist auch eine Herausforderung für die Theorie der internationalen Beziehungen (Meyers 2015), die die Allianz in den vergangenen Jahren zunehmend als Forschungsfeld entdeckt hat (Schimmelfennig 2015: 227-246, Webber/Hyde-Price 2016). Auf der Ebene der etablierten Theorieangebote kommen realistische, institutionalistische und konstruktivistische Ansätze zu unterschiedlichen Ergebnissen (s. u.). Jenseits dieser Großtheorien befassen sich auch so genannte ‚Theorien mittlerer Reichweite` mit der Nato. Die klassischen, vorwiegend aus der realistischen Schule der Theorie über internationale Beziehungen stammenden Allianztheorien, die während des Kalten Krieges entwickelt wurden, konzentrierten sich primär auf die Frage, wann und warum Staaten Allianzen eingehen und was zu deren Ende führt. Angesichts des Fortbestandes der Nato nach dem Ende des Ost-West-Konflikts ist der Forschungsansatz um die Frage erweitert worden, warum und wie eine Allianz wie die Nato bestehen bleibt, und wie ein Wandel erklärt werden kann. Denn zur Beantwortung dieser Frage trägt der klassische Ansatz nur wenig bei. In neuerer Sichtweise ist die Nato bereits seit Längerem als ‚hybride Institution‘ (Wallander/Keohane 1999: 34) und als zunehmend lockere Plattform für eine breite Palette an sicherheitspolitischen Themen zu bezeichnen und nicht als ein eindimensionales Militärbündnis zur operativen Gestaltung konkreter sicherheitspolitischer Szenarien, mithin als eine „Sowohl-als-auch-Allianz“ (Varwick 2010). Anhänger der neorealistischen Theorie der internationalen Politik prognostizierten nach dem Epochenwechsel 1989/90, dass die Nato ein ‚disappearing thing‘ und es somit nur eine Frage der Zeit sei, wie lange sie noch als bedeutsame Sicherheitsinstitution erhalten bliebe. „One important challenge to international relations theory is the anomaly of Nato’s continuity after the Cold War. Inspired by the Soviet threat, created under American leadership, designed to bolster the security of its members against the Soviet Union by aggregating defense capabilities, Nato ought to be either collapsing or withering away: dying with a bang or whimper“ (Wallander/Keohane 1999: 21). Angesichts dieser Erwartung hat die Allianz eine erstaunliche Anpassungsfähigkeit gezeigt: Sie hat neue Aufgaben gesucht und auch gefunden. Institutionalistische Ansätze (Schimmelfenning 2016) betonen die zentrale Rolle von Institutionen für das Verhalten von Staaten. Dies hängt demnach auch im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu einem beträchtlichen Grad von der institutionellen Ordnung ab, und institutionelle Kooperation hat wichtige Rückwirkungen auf die Interessendefinition der Staaten. Aus dieser Sicht besitzen die institutionellen Regeln und Verfahren einen Kooperationswert für die Mitgliedstaaten, weil sie das Sicherheitsdilemma zwischen ihnen abschwächen bzw. aufheben. Hier wird also die Bedeutung der kollektiven Sicherheit unter den Mitgliedern hervorgehoben. Auf diese Weise kann – zumindest teilweise – erklärt werden, warum die Nato-Mitglieder auch unter grundsätzlich veränderten internationalen Rahmenbedingungen an der Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses festhalten. Zudem ist in institutionalistischer Sichtweise der Erhalt einer bestehenden Allianz kostengünstiger, als die Schaffung einer neuen. Konstruktivistische Ansätze (Flockhart 2016) weisen insbesondere darauf hin, dass Institutionen durch die veränderbaren Identitäten und strategischen Kulturen ihrer Mitglieder bestimmt werden und der Fortbestand vorwiegend durch eine geteilte Wertebasis im Sinne einer kollektiven Identität der ‚transatlantischen Gemeinschaft des Westens‘ erklärt werden kann. In der realistischen Theorieperspektive (Hyde-Price 2016, Sperling 2016) wird hingegen betont, dass Staaten Bündnisse eingehen, um gemäß der ‚Balance of Power‘-Theorie das Entstehen von Machtungleichgewichten zu verhindern bzw. zu kompensieren. Solche Machtungleichgewichte beziehen sich zum einen auf Staaten außerhalb des Bündnisses – also potentielle Gegner –, zum anderen auch auf das Ausbalancieren von Ungleichgewichten innerhalb von Allianzen (‚balancing‘) oder sogar auf das Einbeziehen von potentiellen Gegnern, das so genannte ‚bandwagoning‘. Diese Ungleichgewichte müssen jedoch keine aktuellen Kräftepotenziale (‚power‘) sein. Die Staaten sollen hingegen fähig sein, wie auch immer geartete Bedrohungen (‚threats‘) auszubalancieren. Diese Bedrohungen resultieren nach Stephen Walt’s ‚Balance of Threat‘-Theorie (Walt 1987: 22) aus einer Kombination der Faktoren Gesamtstärke (demographisch, ökonomisch, technologisch, militärisch), geographische Nähe, militärische Offensivfähigkeit und aggressive Absichten. Dabei verwundert es nicht, dass Walt zu dem Ergebnis kommt, dass zum einen ‚balancing‘ die vorherrschende Formation im internationalen System ist und zum anderen eine Korrelation zwischen der Stärke eines Staates und seiner Strategie besteht. So tendieren starke Staaten zu ‚balancing‘ und schwache Staaten zu ‚bandwagoning‘, wobei Glenn Snyder (1991: 135) auf die Affinität zwischen ‚bandwagoning‘ und ‚appeasement‘ hinweist. Zudem gebe es kein historisches Beispiel, in dem ein Aggressor erfolgreich befriedet (‚appeased‘) worden wäre. Die klassischen Allianz-, Koalitions- oder Bündnistheorien sind zunächst im Kontext der realistischen Theoriebildung zu verorten. Der Begriff Allianz ist dabei nicht eindeutig definiert. Er wird sowohl synonym für Bündnis, Koalition oder Pakt verwendet als auch nach bestimmten Kriterien von diesen Begriffen abgegrenzt. Obgleich auch wirtschaftliche Zusammenschlüsse, die sich gegen äußere Bedrohungen richten, als Allianzen verstanden werden können, soll die klassische Definition von Arnold Wolfers (1968: 268) zugrunde gelegt werden, wonach eine Allianz ein Versprechen der gegenseitigen militärischen Unterstützung zwischen zwei oder mehr souveränen Staaten ist. Wichtige Grundvoraussetzung für eine Allianz nach klassischem Verständnis ist, dass sie sich gegen einen potentiellen externen Gegner richtet, was sie in ihrer klassischen Konzeption grundsätzlich von Systemen kollektiver Sicherheit unterscheidet (Gareis/Varwick 2014: 88-92). Erste systematische Überlegungen zu Entstehungsbedingungen und Stabilitätsfaktoren von Allianzen finden sich bereits in der Antike, etwa in Thukydides ‚Geschichte des Peloponnesischen Krieges‘. Im Verlauf der Geschichte wurden zahlreiche Bündnisse entweder zum Zwecke der Verteidigung oder auch zum Zwecke eines Angriffs geschlossen. Militärallianzen lassen sich mit Kalevi J. Holsti (1992: 89-92) nach vier Kriterien klassifizieren: der Art des Bündnisfalls (‚casus foederis‘); der Art der Bündnisverpflichtungen; dem Grad der militärischen Integration und der geographischen Reichweite. Selbst wenn die Allianzpartner ähnliche außenpolitische Zielvorstellungen haben, ist der ‚casus foederis‘, also die Situation, in der Bündnisverpflichtungen eintreten, häufig unpräzise definiert. Dies gilt auch für die Nato. Man wolle, so heißt es in Artikel 1 des Nato-Vertrags, jeden internationalen Streitfall, an dem die Vertragsteilnehmer beteiligt sind, auf friedlichem Wege so regeln, dass der internationale Frieden, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet würden. In Artikel 5 wird zugesagt, dass ein bewaffneter Angriff in Europa oder Nordamerika als ein Angriff...