E-Book, Deutsch, 416 Seiten
Vandermeer / Meierewert Januslüge
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-8271-8418-4
Verlag: CW Niemeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Genesis Komplott
E-Book, Deutsch, 416 Seiten
ISBN: 978-3-8271-8418-4
Verlag: CW Niemeyer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Sylvia Vandermeer und Frank Meierewert sind ein erfolgreiches deutsches Schriftstellerehepaar, welches in Wien und auf der Ostseeinsel Rügen lebt und arbeitet. Sylvia Vandermeer, geboren 1968, ist habilitierte Betriebswirtschafterin. Sie studierte darüber hinaus Biologie, Psychologie und Bildende Kunst. Sie ist heute freiberuflich als Schriftstellerin und Malerin tätig. Frank Meierewert, geboren 1967, ist Absolvent der Filmschule Wien, Ethnologe und Doktor der Philosophie. Seit 2008 ist er als Autor tätig. In ihren Büchern um den Ethnologen Daniel Kremser kombinieren sie geschickt Elemente des Thrillers mit anthropologischen, religiösen und kunstgeschichtlichen Fakten.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 3
Vor der Oper hatte sich eine große Menschentraube gebildet.
Neben Reportern und Schaulustigen waren auch ungefähr ein Dutzend Demonstranten anwesend, die selbstgefertigte Protestschilder zu unterschiedlichsten Themen in die Höhe hielten. Mit Pfiffen und Gejohle versuchten sie die Aufmerksamkeit der Besucher und der Medien auf sich zu ziehen, was beides nicht gelang.
Neben ihm eilte ein junger Mann mit wehendem Haar, brauner Lederjacke, Che-Guevara-T-Shirt und einer roten Fahne über der Schulter über den Platz, um sich hinter der Absperrung bei den anderen einzureihen, wo er freudig begrüßt wurde.
Kremser, der sich nun dem vor dem Haupteingang der Wiener Staatsoper aufgebauten, überdachten und abgeschirmten Entrée mit rotem Teppich näherte, bemerkte eine weiße Stretch-Limousine, die sich langsam dem Portal näherte, um davor anzuhalten.
Beifall brandete auf, und ein Blitzlichtgewitter brach los.
Kremser erkannte den Baulöwen Richard Lugner, der mit einem weißen Schal um den Hals in Begleitung von zwei auffallend gekleideten jungen Frauen aus dem Fond des Wagens stieg. Er erinnerte sich, dass jedes Jahr im Vorfeld des Opernballs in den Medien heftig darüber spekuliert wurde, wen das Enfant terrible der Wiener Gesellschaft dieses Mal zum Ball einladen würde. Meist waren es mehr oder weniger berühmte, jedoch immer sehr schöne Frauen. Paris Hilton, Kim Kardashian und Pamela Anderson, nicht zu vergessen Andie MacDowell oder Claudia Cardinale.
Die beiden Damen, mit denen Richard Lugner in diesem Jahr zum Opernball erschien und die freudig erregt in die Menge winkten, kannte Kremser nicht. Viel mehr interessierte ihn, dass wegen des überwältigenden Ansturms auf den Opernball ein Teil der Garderoben in einem weißen Zelt seitlich des Eingangs untergebracht war.
Ohne Eile zog er seinen Mantel aus, nahm die Geldbörse, die Jetons und das Büchlein an sich und gab ihn ab. Die Marke, die er im Gegenzug erhielt, steckte er in die Frackweste.
Dann reihte er sich ein in die Schlange der erwartungsvoll wartenden Gäste. Eine knisternde Spannung schwebte über den Köpfen, es wurde geplaudert und gelacht, nach bekannten Gesichtern Ausschau gehalten oder mit vornehmer Zurückhaltung ausgeharrt.
Es ging nur schrittweise vorwärts, und als Kremser endlich den Eingang erreichte, wurde er höflich, aber bestimmt um seine Einladungskarte gebeten, die er anstandslos vorzeigte.
Hinter der breiten Glastür schlug ihm warme, schwere Luft wie in einem Treibhaus entgegen. Ein Grund dafür waren sicher die aufwendig gestalteten Blumenarrangements, die allerorts die Aufgänge der Marmortreppen und die bogenförmigen Arkaden mit bunter Blütenpracht verzierten. Die Blumen verströmten einen angenehmen Wohlgeruch, der sich mit den erlesenen Aromen zahlloser Damen- und Herrenparfüms mischte. Für die Wärme sorgten dezent aufgestellte Heizstrahler und eine unübersehbare Menschenmenge, die sich mit lautem Stimmengewirr durchs Foyer schob, darauf wartend, über die Haupttreppe nach oben zu gelangen.
Doch das war leichter gesagt als getan, denn es kam immer wieder zu Verzögerungen, weil das bekannte Moderatorenduo Alfons Haider und Mirjam Weichselbraun auf dem ersten Treppenabsatz die neu eingetroffenen Prominenten und Opernballgäste interviewte.
Gerade sprachen sie mit einer auffallend großen, sehr schlanken Frau, die ihre lange blonde Haarmähne schüttelte, welche ihr in Wellen über den Rücken fiel, während sie auf die ihr gestellten Fragen antwortete. Sie trug ein glitzerndes grünes Kleid, das tief dekolletiert war. Auf den Monitoren, die überall um ihn herum flimmerten, konnte Kremser in ihr stark geschminktes Gesicht mit dem breiten Lächeln blicken.
Als Stern von Belaris wurde sie dem Publikum vorgestellt. Neben ihr stand ein kräftiger Mann im Frack, quer über der Brust trug er eine rotweißrote Schärpe, die dunklen Haare streng mit Pomade nach hinten frisiert. Da Kremser in dem Lärm kein Wort von dem verstand, was der Mann sagte, wartete er, bis auch hier der Name eingeblendet wurde. Rayn Hamadi, CEO einer bekannten Hilfsorganisation.
Schließlich wurden die beiden verabschiedet, und die Menge rückte wieder vor.
Kremser gelang es, sich auf der Treppe seitlich am Geländer emporzuschieben, da er nicht darauf erpicht war, zufällig von einer Fernsehkamera erfasst oder von einem der Moderatoren befragt zu werden.
Am Ende der Treppe schnaufte er durch, nahm das rote Buch zur Hand und klappte es auf, in der Hoffnung einen Lageplan oder Ähnliches darin zu finden.
Konzentriert blätterte er die Seiten um.
Neben einer detaillierten Programmankündigung sowie der Vorstellung einzelner Interpreten, die heute Abend die musikalische Eröffnung gestalteten, enthielt das Büchlein Bilder von der Oper und grafische Pläne der sieben Ebenen, auf denen unterschiedlichste Attraktionen die Opernballgäste erwarteten. Kremser schaute auf die Uhr.
Er hatte dem Programmheft entnommen, dass die eigentliche Eröffnung des Balles durch den Bundespräsidenten erst um 22 Uhr erfolgte, also hatte er noch genug Zeit, um pünktlich zur entsprechenden Loge zu gelangen.
Er beschloss, ein wenig durch die Räumlichkeiten zu streifen.
Im Obergeschoss galt sein Interesse dem Schwind-Foyer oberhalb der Feststiege, einem hohen Saal mit Deckengemälden, der ihm als prunkvoller Aufenthaltsraum während der Pausen zwischen den Opernakten bekannt war.
Jetzt hatte hier das Casino Austria sein Domizil aufgeschlagen, und einige Besucher versuchten ihr Glück an den Roulette- und Kartentischen mit den Jetons, die der Einladung beilagen. Andere wiederum interessierten sich mehr für die gut sortierte Champagnerbar.
Kremser schlenderte weiter.
Im weißen Marmorsaal erspähte er eine lange Festtheke, die mit belegten Brötchen, Frankfurtern, Pralinen und exquisiten Kuchenstücken der Wiener K.u.K. Hofzuckerbäckerei Café Gerstner lockte.
Sofort meldete sich sein leerer Magen.
Er wusste, dass überall rund um die Oper in den Hotels und Restaurants Opernballmenüs angeboten wurden. Nicht ohne Grund, denn diese Köstlichkeiten hier dienten allenfalls dazu, um zur vorgerückten Stunde den kleinen Hunger zu stillen.
Er bestellte sich ein Paar Frankfurter Würstel und schluckte bei dem stattlichen Preis. Als er die zwei Scheine über den Tresen reichte, beruhigte er sein Gemüt damit, dass das Geld der Oper direkt als Spende zugutekam.
Er bedankte sich und stellte sich etwas abseits an den Rand. Herzhaft biss er hinein.
Anerkennend stellte er fest, dass die Würste, mit frischem Kren serviert, ausgesprochen delikat schmeckten.
Kremser blickte sich kauend um.
Überall im Marmorsaal waren bereits kleine Bistro-Tische aufgebaut und mit Gläsern eingedeckt. In der Mitte jeder Platte stand ein Kühler mit Eis. Ober im Frack, wohlgemerkt mit schwarzer Fliege, sausten zwischen den Tischen herum und verteilten die bereits bestellten Getränke. An der Rückwand baute sich eine Kapelle auf.
Er wischte sich den Mund mit einer Serviette ab und machte sich auf den Weg.
Aus allen Gängen strömten jetzt festlich gekleidete Menschen in den Saal und hinauf zu den Stehplätzen der Galerie.
Eine Gruppe junger Leute, die an Kremser vorbeidrängte, verabredete sich durch Zurufe später auf Cocktails in der Diskothek im vierten Tiefgeschoss.
Auf den Bildschirmen wurde soeben mit einem Einspieler das diesjährige Krönchen der Debütantinnen vorgestellt, das von der Firma Swarovski gesponsert wurde.
Dann wich er einem Eiswagen aus, der ihm entgegenkam und von zwei Frauen geschoben wurde.
Es kam Kremser so vor, als ob die Oper an diesem Abend aus einem Labyrinth von Gängen bestand, die sich in Kreisen und Teilkreisen auf den einzelnen Ebenen immer wieder schlossen.
Kurz darauf erreichte er den Logenbereich, in dem, seiner Eintrittskarte nach, ein Sitzplatz für ihn reserviert war.
Nun würde er endlich seinen geheimnisvollen Gastgeber kennenlernen.
Er hielt inne und atmete tief ein.
„Darf ich bitte Ihre Logenkarte sehen“, sprach ihn höflich einer der Saaldiener an.
Kremser gab ihm, wonach er verlangte.
Er warf einen kurzen Blick darauf und nickte. „Folgen Sie mir bitte.“
Er führte ihn den schmalen Gang entlang zu einer einzelnen offenen Tür, die außen mit rotem Samt bespannt war, innen jedoch poliertes Holz zeigte.
„Hier ist es“, verkündete der Saaldiener mit einer leichten Verbeugung und gab den Weg frei.
Kremser trat ein ... und stand allein in der Loge.
Er fand nur einen kleinen weiß gedeckten Tisch mit Gläsern vor, der in der Mitte des engen Raumes aufgebaut war, mit einer Bank auf der einen und Polsterstühlen auf der anderen Seite. Der Anblick erinnerte ihn spontan an ein Abteil in einem Speisewagen.
Gut, dann warte ich eben, dachte er und trat an die Brüstung. Der Anblick überwältigte ihn, und er war von der erstaunlichen Größe und der festlichen Ausstattung des Saales überrascht.
Alle Stühle im Parkett waren entfernt worden. Sogar den Orchestergraben hatte man überdacht, um auf einem Gerüst auf der kompletten Länge wie Breite einen Tanzboden von 850 Quadratmetern einzuziehen. Darüber hinaus war im hinteren Bereich, der ursprünglich der Bühne vorbehalten war, ein Stahlgerüst errichtet worden, das zusätzliche Gästelogen beherbergte.
Kremser unternahm gerade den hilflosen Versuch, einige der Politiker und Wirtschaftsbosse zu identifizieren, als er hörte, wie sich...