E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Reihe: Türkische Bibliothek
Usakligil Verbotene Lieben
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-293-30376-8
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman. Türkische Bibliothek
E-Book, Deutsch, 480 Seiten
Reihe: Türkische Bibliothek
ISBN: 978-3-293-30376-8
Verlag: Unionsverlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die junge und schöne Bihter träumt von eleganten Kleidern, von edlem Schmuck und von einer prächtigen Villa. Als der reiche Witwer Adnan Bey um ihre Hand anhält, scheint Bihters sehnlichster Wunsch in Erfüllung zu gehen. Unerfüllt aber bleibt ihre Sehnsucht nach Liebe und Leidenschaft, heimlich beginnt sie eine verhängnisvolle Beziehung mit dem abenteuerlustigen Neffen ihres Mannes. Doch die verbotene Liebe bleibt nicht lange verborgen. Als Bihters intrigante und frivole Mutter in die Villa am Bosporus zieht, ist die Katastrophe unausweichlich.
Mit diesem Meisterwerk beginnt die moderne türkische Literatur: ein episches Sittengemälde der mondänen Istanbuler Oberschicht am Ende des Osmanischen Reiches.
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1
Sie waren inzwischen so sehr an diese zufälligen Begegnungen mit dem Boot aus Mahagoni gewöhnt, bei denen es jedes Mal fast zum Zusammenstoß kam, dass sie heute bei der Rückkehr aus Kalender gar nicht zu bemerken schienen, wie sie erneut um ein Haar mit ihm kollidiert wären. Peyker saß etwas seitlich, um beide Ufer überschauen zu können. Sie drehte sich nicht einmal nach dem Mahagoniboot um, das den eleganten Passagieren in der weißen Barke mit seinem gefährlichen Manöver nicht den leisesten Entsetzensschrei entlocken konnte. Bihter hatte ihren Rücken der Küste zugedreht und war ganz in den Anblick eines Dampfers versunken, der am anatolischen Gestade seinen Rauch ausspie. Auch Bihters würdevolles und sorgenerfülltes Gesicht – umrahmt von einem weißen Kopftuch – blieb gänzlich unbeteiligt. Einzig die Mutter der beiden wandte dem fremden Boot die Augen zu, die mit einem breiten Lidstrich umrandet waren, der ihnen unter den blondierten Haaren einen verschwommenen Ausdruck verlieh. Da in ihrem tadelnden Blick auch heimliche Dankbarkeit aufschien, verhielt sie sich dem Mahagoniboot gegenüber nicht gänzlich abweisend. Kaum war der Abstand zwischen den Booten etwas größer geworden, gaben die drei Frauen auch schon ihre unbeteiligte und würdevolle Haltung auf. Die Mutter, die trotz ihrer jugendlichen Aufmachung über ihre fünfundvierzig Jahre nicht hinwegtäuschen konnte und alle lächelnden Blicke, die einem an den Ausflugsorten geschenkt wurden, wie gewöhnlich auf sich bezog, sprach als Erste: »Dieser Adnan Bey, das ist vielleicht einer! Es ist inzwischen wohl zur festen Gewohnheit geworden, dass wir ihm bei jedem Ausflug wie zufällig begegnen. Heute war er nicht in Kalender, oder, Bihter?« Bihter erwiderte nichts auf die Worte ihrer Mutter, die trotz des klagenden Tonfalls eine gewisse Zufriedenheit nicht ganz verbergen konnten. Und Peyker ging erst gar nicht auf ihre Mutter ein: »Waren seine Kinder heute nicht dabei? Was für schöne Kinder, nicht wahr, Mutter? Besonders der Junge! So verschmitzt kann er einen ansehen …« Ohne sich umzudrehen, fragte Bihter ihre Mutter beiläufig: »Kannten Sie die Mutter der Kinder? Das Mädchen ist ihr wohl sehr ähnlich.« Firdevs Hanim schaute einen kurzen Moment starr vor sich hin, als verstünde sie Bihters Frage nicht. Dann wandte sie den Kopf, und ihre Augen suchten das Boot, das ihren Blicken inzwischen entschwunden war. Nachdenklich sprach sie zu Bihter: »Was für einen seltsamen Blick er hat, mit einem so hartnäckigen Ausdruck. Wann immer ich zufällig in seine Richtung schaue …« Firdevs Hanim zögerte einen Moment, bevor sie ihren Satz beendete. Vermutlich wollte sie »… sieht er zu mir« sagen. Doch ihre mütterliche Würde, die allerdings den winzigen sprachlichen Ausrutscher nicht mehr rückgängig machen konnte, gebot ihr, »… sieht er hierher« zu sagen. Den beiden Töchtern war das Stocken ihrer Mutter durchaus nicht entgangen; Peyker und Bihter blickten sich bedeutungsvoll an und lächelten. Und Peyker scheute sich nicht einmal offen auszusprechen, was dieses Lächeln bedeutete: »Ja, er kann seine Augen gar nicht mehr von Bihter abwenden.« Sie beobachteten ihre Mutter, um zu sehen, wie sie diesen Satz aufnehmen würde. Doch die richtete statt einer Antwort ihren Blick in die Ferne. Firdevs Hanims auffällige Erscheinung hatte an dem eigenartigen Ruhm der Familie Melih Beys den größten Anteil. Denn seit dreißig Jahren – von ihrem fünfzehnten bis zu ihrem fünfundvierzigsten Lebensjahr – machte sie auf Ausflügen und bei Vergnügungen keinen Hehl aus ihrer Lust am Leben. Bei keiner Festlichkeit in Istanbul durfte Firdevs Hanim fehlen, und so würde es auch bleiben. Diese Frau, die sich von Jahr zu Jahr stärker an ihre Jugendlichkeit klammerte, betrog sich selbst. Sie färbte ihre ergrauten Haare blond und verbarg ihre nicht mehr straffe, welke Haut unter dicker Schminke. So nährte sie die irrige Vorstellung, ihre jugendliche Frische erhalten zu können, und verdrängte das Alter ihrer Töchter Peyker und Bihter – die eine war fünfundzwanzig, die andere zweiundzwanzig Jahre alt. Sie hielt sie noch für Kinder, denen das Lächeln und die Nachstellungen der Kavaliere nicht gelten konnten. Deshalb gab es da auch diesen ewigen Kampf, die ständigen Sticheleien zwischen den beiden Töchtern und der Mutter, die sich fast täglich wiederholten und verhinderten, dass sich unter ihnen Verständnis und Offenheit entwickeln konnten. Denn mit einer bedeutungsvollen Anspielung von Peyker, einem mitleidslosen Lächeln von Bihter mokierten sich die beiden Töchter angesichts der jugendlichen Überlegenheit ihrer blühenden Körper über ihre verbrauchte und gealterte Mutter, die ewig jung bleiben wollte. Wenn so ein gemeines Wort, ein unbarmherziges Lachen in den Ohren der Mutter gellte und der versteckte Spott ihr das eigene Alter von fünfundvierzig Jahren ins Bewusstsein brachte, spielte um ihre Lippen ein bitterer Zug, und sie schaute Peyker und Bihter nachdenklich an. Doch schon bald löste sich ihr Blick zitternd von dem wirklichen Bild und zog sich zurück in das trügerische Glück ihres Jugendwahns. Seit nunmehr vier Monaten beschäftigte sie ein beunruhigender Gedanke: Peyker würde sie schon bald zur Großmutter machen. Nachdem ihr dies bewusst geworden war, begann sie diese Aussicht wie ein Alptraum zu bedrücken. Als wollte sie diesen Gedanken vertreiben, sagte sie zu sich selbst: »Das ist doch gar nicht möglich. Großmutter!« Angesichts der Tatsache, dass die Frauen aus der Sippe Melih Beys kaum je Mutter wurden, kam es ihr wie eine Schmach, eine Zumutung vor, dass sie sogar Großmutter werden sollte. Sie überlegte sich schon, wie das zu vermeiden wäre. Ebenso, wie ihr Maßnahmen eingefallen waren, um ihre grauen Haare und ihr welkes Gesicht zu kaschieren, würde sie auch dagegen ein Mittel finden. Es sollte etwas sein, das ihr die Möglichkeit lassen würde, sich weiter dem Wahn ihrer vermeintlichen Jugendlichkeit hinzugeben: Das Kind sollte seine Mutter »Schwester« und sie selbst »Mutter« nennen. Warum nur hatte das Schicksal gerade für sie in der Familie Melih Beys die Demütigung durch eine solch bemerkenswerte Ausnahme vorgesehen? Das beunruhigte sie so sehr, als würde damit ihr Leben beschmutzt, und sie empfand für Peyker – diese Kreatur, die sie bald zur Großmutter machen würde – offene Feindschaft. Nach Peykers letztem Satz schwiegen alle im Boot. Adnan Bey schien schließlich vergessen zu sein. Ja, die Familie Melih Beys! Diese seltsame Sippe konnte ihre Stellung in der Istanbuler Gesellschaft nicht auf verlässliche Dokumente stützen, die ihren Rang verbindlich feststellten. Sie konnte keine edle Abstammung nachweisen, die es ihr erlaubt hätte, sich zur vornehmen Welt zu rechnen. Noch vor einem halben Jahrhundert lag die Herkunft der Familie vollkommen im Dunkeln. Vielleicht hätten Ahnenforscher unter den Familienmitgliedern den einen oder anderen entdecken können, der – trotz eines gewissen Durcheinanders – mit ihnen wie auch immer verwandt war und einen bekannten Namen in den Annalen der vornehmen Welt hinterlassen hatte. Die Geschichte dieser Sippschaft begann aber erst mit Melih Bey selbst, von dem die Familie ihren Namen ableitete. Die seltsame Bezeichnung »Melih Beys Sippe« enthält eine deutliche Anspielung auf den geistigen Horizont und Charakter der Familie. Wer war nun aber Melih Bey? Offenbar bestand keine gesellschaftliche Notwendigkeit, sich um eine klare Antwort auf diese Frage zu bemühen. Melih Bey hatte bei seinem Ableben rein gar nichts hinterlassen, was wert gewesen wäre, überliefert zu werden. Nur ein Yali auf der anatolischen Seite des Bosporus und ein Kreis extravaganter Damen, die sich aus diesem Yali über fast alle Viertel Istanbuls verteilt hatten, erinnerten an ihn. Denn diese Damen kennt man heute noch unter dem Namen »Melih Beys Sippe«. Melih Beys Ufervilla hatte ein halbes Jahrhundert lang vielfältige Veränderungen erfahren. Kaum einer weiß, wem sie heute gehört. Doch jeder, der daran vorbeifährt, spürt – wenn er mit dem privaten Leben am Bosporus vertraut ist – prickelnde Neugier. Mögen die Vorstellungen von diesem Haus noch so unterschiedlich sein, so denkt doch jeder bei sich: »Das ist Melih Beys Yali!« Die heitere Harmonie, die einstmals aus den Fenstern dieser Ufervilla nach draußen gedrungen war, scheint noch immer fortzuwirken in der Melodie der Wellen, die an den Steinen der Uferbefestigung lecken. Man hat den Eindruck, dass Überbleibsel jenes frohen Glanzes, den die Wasser des Bosporus einstmals hier verströmten, noch immer leuchtend aufblitzen. Sogar Menschen, die diese Zeit nicht selbst erlebt haben, können immerhin noch etwas davon erahnen. Wenn sie hier vorbeikommen, spüren sie die abenteuerlichen Freuden einer unbekannten Welt und sagen zueinander: »Das ist also Melih Beys Yali.« Die Villa spielte in der Geschichte der Stadt die Rolle eines Gewächshauses, in dem ganz prachtvolle Blumen gezüchtet wurden, die als ausgezeichnete Zuchtergebnisse im vornehmen Leben Istanbuls ausgestreut wurden. Diese verteilten sich seit einem halben Jahrhundert über die große Stadt, doch trotz ihrer weiten Verbreitung gab es etwas, das sie zusammenhielt: Die unterschiedlichen Blüten waren wie zu einem Strauß zusammengebunden. Was sie einte, war der Name der Familie. Dieser Zusammenhalt hatte fortgewirkt, während die...