E-Book, Deutsch, Band 3, 332 Seiten
Reihe: Die Rumphorst-Mey-Reihe
Uhlenbrock Der schale Geschmack der Rache
1. Auflage 2023
ISBN: 978-3-7583-8920-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Luke Rumphorsts dritter Fall. Ein Münsterland-Krimi
E-Book, Deutsch, Band 3, 332 Seiten
Reihe: Die Rumphorst-Mey-Reihe
ISBN: 978-3-7583-8920-7
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Karlheinz Uhlenbrock, geboren 1956, studierte Biologie und Geographie an der WWU in Münster. Im Anschluss unterrichtete er am Abendgymnasium in Köln sowie in Rheine und führte als Fachleiter angehende Lehrerinnen und Lehrer in die Geheimnisse der Unterrichtspraxis ein. Seit 1991 lebt der Autor verschiedener schulischer Fachbücher in seiner Wahlheimat Rheine im schönen Münsterland. Als Ruheständler begann der passionierte Krimi-Leser, Kriminalromane zu schreiben. »Der schale Geschmack der Rache« ist der dritte Roman aus seiner Feder und zugleich die Fortsetzung der erfolgreichen Rheine-Krimireihe um das sympathische Ermittlertrio Luke Rumphorst und Anna & Moritz Mey.
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PEDALEROS 98
Was bitte spricht denn gegen ein Pedelec?«
Josef Mandelstein verdrehte die Augen. Wie oft hatte er diese Diskussion mit den Radlerinnen und Radlern vom – kurz – schon geführt! Heute war es Rudi Krawuschke, der versuchte, ihn von den Vorteilen elektrounterstützten Radelns zu überzeugen. Dabei waren seine Argumente die gleichen wie die der anderen Pedaleure: Mit Elektrounterstützung radelt man schneller – weiter – entspannter. Was natürlich alles stimmte, aber eben nicht Mandelsteins Radfahr-Philosophie entsprach, in der Begriffe wie »schneller« und »weiter« eher hintere Plätze einnahmen. Bei ihm stand das Fahrerlebnis im Vordergrund, der Spaß an der Bewegung, das bewusste Wahrnehmen der Landschaft.
Natürlich gab es daneben auch ganz handfeste Gründe, die Mandelstein bis dato vom Kauf eines Pedelecs abgehalten hatten. Seine klammen Finanzen zum Beispiel, auch wenn er dies den Mitradlern gegenüber nie zugeben würde. Aber für einen Angestellten des Ordnungsamtes der Gemeinde Isernhagen wuchsen die Bäume nun wahrlich nicht in den Himmel. Zumindest in finanzieller Hinsicht. Seine übrigen Argumente hatte er dagegen bereits so häufig vorgebracht, dass er sie im Schlaf hätte herunterbeten können: Pedelecs waren reparaturanfälliger; der Akku musste immer wieder neu geladen werden – besonders umweltschonend war das gerade nicht; zudem war ein Pedelec deutlich schwerer als sein geliebtes Alu-Trekkingrad und last but not least verbrauchte man beim elektrounterstützten Radeln deutlich weniger Kalorien als beim Strampeln auf einem normalen Drahtesel – rund die Hälfte weniger, um genau zu sein. Angesichts seines nicht zu übersehenden Wohlstandsbauches ein durchaus gewichtiges Argument, wie er fand, das allerdings seine Mitradlerinnen und Mitradler ebenso wenig überzeugte wie all die anderen Gründe, die Josef Mandelstein in der mit unschöner Regelmäßigkeit immer wieder einmal aufflammenden Diskussion vorbrachte.
»Mensch, Josef, immer hängste hintenan und wir müssen auf dich warten«, nölte Rudi Krawuschke. »Abends biste so fertig mit ’de Welt, dat ’de dat Bierglas kaum heben kannst. Und alles nur, weil ’de dich nich dazu durchringst, dir endlich auch ’nen Pedelec zuzulegen. Der Manni, der hätte da ’nen prima Angebot für di ch.»
Der Manni, alias Manfred Breuger, genoss seit drei Jahren die Freuden des Rentnerdaseins, freilich mit gebremstem Schaum, wie er nach dem zweiten Bier gerne betonte. Denn mit einer Rente von gerade einmal 1.400 Euro ließen sich keine großen Sprünge machen. Zur Aufbesserung seiner Altersversorgung hatte er daher seit dem vergangenen Herbst einen Handel mit gebrauchten Rädern aufgezogen, der sich angesichts der Knappheit des Angebotes auf dem Fahrradmarkt als durchaus lukrativ erwies. Rudi Krawuschkes dezenter Werbehinweis hätte den Manni gefreut, war ihm aber offenbar entgangen. Zumindest zeigte er keine Reaktion. Mit geübten Handgriffen setzte er seinen Fahrradhelm auf und zog den Riemen unter dem Kinn fest. Ein Blick in die Runde. Alle Mitglieder der Radlergruppe waren mit letzten Startvorbereitungen beschäftigt. Breuger drückte verschiedene Tasten seines Fahrradradios. Der am Lenker des Bikes montierte Lautsprecher knackte. Im Display leuchtete WDR 2 auf. Unvermutet ertönte das Intro von Udo Lindenberg, das passte! Denn das Ziel ihrer heutigen Etappe war das in Gronau, für dessen Gründung der gebürtige Gronauer Lindenberg einst die Idee geliefert hatte. Breuger drehte den Lautstärkeregler bis zum Anschlag auf.
Es dauerte nur Sekunden, bis Gudrun Neiße »Zu laut!« rief. Mit 72 war sie die Seniorin der Gruppe.
»Mach’ leiser, Manni!«, unterstütze sie ihre Freundin Hermine Mulch. »Da kriegen ja die Amseln einen Hörsturz!«
Die Musik erstarb.
»Geht doch«, knurrte Mandelstein und verstaute Wäsche- und Kulturbeutel in den Satteltaschen. Wenn er etwas nicht mochte, dann war es, mit Musikgedudel durch die Gegend zu radeln.
»Los, Leute, auf geht’s! Wir haben noch ’ne ganz schöne Strecke vor der Brust. Also nicht trödeln und ab die Post!«
»Wohin geht’s denn heute als Erstes?«
»Zum Offlumer See bei Neuenkirchen. In der gibt’s Pause Number One.«
»Soll ’ne ganz nette Lokalität sein.«
»Hoffentlich haben die ein gutes Bier.«
»Los, Leute, der Tag wird nicht jünger.«
»Wir auch nicht!«
Lachend schwangen sich drei Frauen und vier Männer auf ihre Pedelecs. Ein einzelner Mann stieg bedächtig auf sein Trekkingrad. Wenig später hatte sich in der Gruppe die altbekannte Reihenfolge der Fahrer eingestellt. Manni Breuger radelte vorneweg. Sein Fahrradradio hatte er wieder in Betrieb genommen, leiser zwar, aber doch bis zum Ende der Kolonne hörbar. Breuger folgten sechs munter miteinander schwatzende Damen und Herren und am Ende der Gruppe trat, schon ein wenig abgehängt, Josef Mandelstein in die Pedale. Lautlos fluchte der über das wieder einmal extrem hohe Anfangstempo.
»Russische Truppen stürmten das schwer umkämpfte Verwaltungszentrum Sjewjerodonezk im Osten der Ukraine …« Im WDR liefen die Nachrichten. Keiner der Biker beachtete sie. Dabei war es irgendwie surreal, hier durch das friedliche grüne Münsterland zu radeln, während im Osten Europas ein von Putin und seiner Clique entfesselter Angriffskrieg tobte, in dem auch in diesem Augenblick Menschen starben, gefoltert wurden oder ihre Heimat verloren.
Eine gute Stunde später erreichten die Radler die Saline Gottesgabe in Bentlage.
»Ein kleiner Umweg, aber einer, der sich lohnt«, hatte Breuger, der für das Austüfteln der Fahrtroute verantwortlich war, vollmundig versprochen und damit nicht übertrieben. Man stellte die Räder in den Schatten des Gradierwerkes, sicherte sich einen Sitzplatz auf den zünftigen Holzbänken und schnaufte durch.
Allein Manni Breuger blieb stehen. Schaute man in sein Gesicht, konnte man bereits ahnen, was nun kommen würde. Er räusperte sich. Mit weit ausholenden Gesten begann er seine Erläuterungen. Seine umfangreichen Erläuterungen, um genau zu sein. So wie zuvor bereits an den anderen Standorten ihrer Fahrradtour, akribisch vorbereitet im heimischen Wohnzimmer. Breuger war Perfektionist. Bis zu seiner Verrentung hatte er als Verkäufer in einem renommierten Bekleidungsgeschäft in Hannover gearbeitet. Zugleich galt »der Manni«, wie man ihn in Isernhagen liebevoll nannte, als Stimmungskanone und seine Auftritte auf den Festveranstaltungen des Isernhagener Karnevalsvereins waren legendär. Seine Büttenreden sprühten vor nicht immer jugendfreiem Witz. Jeder Kalauer saß und brachte den Saal zum Kochen. Was man, nach Mandelsteins Meinung, von seinen Vorträgen auf ihrer aktuellen Radpartie eher nicht behaupten konnte. Er hörte nur mit halbem Ohr zu.
»Schon im Mittelalter wurde hier in Bentlage Salz gewonnen. Nach Gründung des Klosters Bentlage durch Brüder des Ordens vom Heiligen Kreuz setzten diese die Salzgewinnung für den Eigenbedarf fort. Im 18. Jahrhundert dann gründete Fürstbischof Clemens August eine Salinen-Sozietät und ab 1743 erfolgte eine grundlegende Modernisierung …«
Mandelstein waren dies zu viele Daten und Namen. Die konnte man zu Hause im Reiseführer nachlesen, sofern einem danach gelüstete. Das Salinenensemble in Bentlage war doch viel zu schön, um es auf eine trockene Abfolge von Jahreszahlen zu reduzieren. Man musste es begehen, mit allen Sinnen genießen. Mit einem entschuldigenden Blick in Breugers Richtung, den der Vortragende allerdings nicht bemerkte, erhob sich Mandelstein und schlenderte in Richtung eines nahe gelegenen Fachwerkhauses. Niemand achtete auf ihn. In seinem Rücken hörte er noch einige Zeit den tiefen Bass des selbst ernannten Tourguides: »… eine damals hochmoderne Salinenanlage … das ursprünglich fast 300 Meter lange Gradierwerk … die erste derartige Anlage in Westfalen …« Je weiter er sich entfernte, desto leiser wurde der Bass. Der Kopfsteinpflasterweg führte links am lang gestreckten Fachwerkbau vorbei, den Mandelstein nach einem Blick durch die mit Glas verschlossene ehemalige Türöffnung als historisches Siedehaus und Salzlager identifizierte. Hier wurde offenbar in früherer Zeit durch Aufkochen der in den Gradierwerken angereicherten Sole Salz gewonnen, jener Stoff, den man seinem damaligen Wert nach als »weißes Gold« bezeichnete. Mandelstein fuhr sich nachdenklich mit der Zunge über die Zähne. Zwei der Backenzähne waren goldüberkront. Kommende Woche stand der routinemäßige Kontrollbesuch beim Zahnarzt an. Hinter seinem Rücken ging schnellen Schrittes ein Paar vorbei.
»… und glücklich werden«, hörte Mandelstein den Mann...