E-Book, Deutsch, Band 117, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
Uhl Lore-Roman 117
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7517-2283-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Geständnis der Baronin
E-Book, Deutsch, Band 117, 64 Seiten
Reihe: Lore-Roman
ISBN: 978-3-7517-2283-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Thorsten Baron von Kettler kehrt nach zehn Jahren mit seiner Schwester Saskia auf das verfallene Familiengut zurück. Mit gespartem Geld und einer Erbschaft hat der frischgebackene Doktor der Juristerei das Anwesen zurückgekauft und will es nun wieder herrichten. Nach dem Selbstmord des Vaters wurden die Geschwister - damals noch Kinder - vertrieben und wuchsen getrennt voneinander auf. Bis heute sind die Geschehnisse jener Nacht nicht aufgeklärt. Auch die Mutter, die nur kurz nach dem alten Baron in geistiger Umnachtung in einem Sanatorium verstarb, hat geschwiegen.
Als Thorsten beim Umgraben eine Schatulle findet mit einem Heft darin, trifft es ihn wie ein Schlag. Er erkennt die Schrift seiner Mutter Stella Baronin von Kettler. Meine geheimsten Gedanken steht darauf. Er klappt das Heftchen auf und beginnt zu lesen. Schon nach den ersten Sätzen wird ihm kalt. Ein Frösteln läuft über seinen Rücken. Nein, denkt er, nein, das glaube ich nicht. Mein Verstand weigert sich einfach, es zu glauben. Mit zitternden Händen blättert er Seite für Seite um, bis das Heft zu Boden fällt ...
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Das Geständnis der Baronin Nur einer kannte ihre Vergangenheit Von Yvonne Uhl Thorsten Baron von Kettler kehrt nach zehn Jahren mit seiner Schwester Saskia auf das verfallene Familiengut zurück. Mit gespartem Geld und einer Erbschaft hat der frischgebackene Doktor der Juristerei das Anwesen zurückgekauft und will es nun wieder herrichten. Nach dem Selbstmord des Vaters wurden die Geschwister – damals noch Kinder – vertrieben und wuchsen getrennt voneinander auf. Bis heute sind die Geschehnisse jener Nacht nicht aufgeklärt. Auch die Mutter, die nur kurz nach dem alten Baron in geistiger Umnachtung in einem Sanatorium verstarb, hat geschwiegen. Als Thorsten beim Umgraben eine Schatulle findet mit einem Heft darin, trifft es ihn wie ein Schlag. Er erkennt die Schrift seiner Mutter Stella Baronin von Kettler. Meine geheimsten Gedanken steht darauf. Er klappt das Heftchen auf und beginnt zu lesen. Schon nach den ersten Sätzen wird ihm kalt. Ein Frösteln läuft über seinen Rücken. Nein, denkt er, nein, das glaube ich nicht. Mein Verstand weigert sich einfach, es zu glauben. Mit zitternden Händen blättert er Seite für Seite um, bis das Heft zu Boden fällt ... »Um Himmels willen, bleibt in euren Zimmern!«, hatte Stella Baronin von Kettler den fünfzehnjährigen Thorsten und die zehnjährige Saskia beschworen. »Graf Thelen ist zu Besuch gekommen.« Dann war sie hinuntergelaufen ins Erdgeschoss des alten Gutshauses. Die Geschwister sahen sich in die Augen. »Ich denke, Papa spricht nicht mit Graf Thelen?«, flüsterte Saskia. »Die sind sich doch böse.« Thorsten lauschte. »Sei mal still.« Saskia spürte, wie Angst sie ergriff, ohne dass sie hätte sagen können, warum. Die Geschwister hörten laute Stimmen. Unwillkürlich drängte sich Saskia an den um fünf Jahre älteren Bruder. »Ich fürchte mich, Thorsten.« »Pst«, warnte er. »Nie!«, hörten sie die fremde Männerstimme schreien. »Und wenn Sie sich auf den Kopf stellen würden, Kettler ... niemals! Mein Entschluss ist unumstößlich! Geben Sie sich also keine Mühe, mich umzustimmen!« Rudolf Baron von Kettler sprach etwas. Seine Stimme klang leise, überzeugender, doch die Worte vermochten sie nicht zu verstehen. »Graf Thelen ist böse mit Vater, ja?«, stammelte Saskia. Thorsten antwortete nicht. Saskia sah, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten. Saskia fror. Plötzlich fiel eine Tür ins Schloss, und es war ganz still. »Können wir wohl wieder runtergehen?«, fragte Saskia. »Nein, warte«, raunte Thorsten. Auf einmal fuhren die Geschwister zusammen. »Rudolf, Rudolf!« Das war die Stimme ihrer Mutter. Ein Stuhl polterte zu Boden. Ein Schuss fiel. Stella Baronin von Kettler schrie gellend auf. Ihr Schrei ging über in ein lautes Wimmern. »Komm«, sagte Thorsten, griff nach Saskias Hand und zog sie nach draußen. Als sie aber den Treppenabsatz im Erdgeschoss erreicht hatten, stand ihre Mutter in der holzgetäfelten Diele. Sie war leichenblass. Groß brannten die dunklen Augen in ihrem Antlitz. Langsam zögernd hob sie die Hand. »Bleibt stehen«, forderte sie tonlos. »Geht nicht weiter. Euer Vater hat ... hat sich erschossen.« Dann sank die Baronin zusammen. *** Zehn Jahre waren ins Land gegangen, doch immer wieder stand diese Szene vor Saskias geistigem Auge. Würde es je eine Zeit geben, da sie diesen Abend im alten Gutshaus vergessen konnte? Heute, am Todestag ihres Vaters, zündete Saskia wie jedes Jahr die Kerze in ihrem Zimmerchen an. Wie traurig selbst dieses Licht aussah. Es flackerte und wurde dann ruhiger. Wie anders hätte mein Leben ausgesehen, dachte sie, wenn Papa und Mama weitergelebt hätten! Sie erinnerte sich, wie ihre Mutter nach jenem entsetzlichen Selbstmord ihres Gatten in geistiger Umnachtung in ein Sanatorium eingeliefert worden war, wo sie dann nach wenigen Monaten gestorben war. An jenem Abend hörte unsere Familie auf zu existieren, dachte Saskia. Das Gutshaus war nicht mehr unser Zuhause. Ich kam zu Tante Elfriede nach Holstein. Ich durfte in Lübeck zur Schule gehen, und nach meiner Reifeprüfung wurde ich Studentin an der medizinischen Akademie in Lübeck, die eine Fakultät der Universität Kiel ist. Ich bin zwar erst im vierten Semester, aber ich werde es schaffen und weiterlernen, bis ich meinen Doktor habe und Tierärztin geworden bin. Eigentlich, dachte Saskia, brennt diese Kerze nicht nur für Papa, sondern auch für unsere glückliche, kleine Familie, die damals, als er starb, so grausam zerstört wurde! Saskia musste an Thorsten, ihren Bruder, denken. Er war nach dem Tod des Vaters und der Einlieferung der Mutter ins Sanatorium zu einem entfernten Verwandten nach Süddeutschland gekommen. Er studierte in Heidelberg Jura. Da er bereits mit achtzehn Jahren sein Abitur gemacht und einen tadellosen Notendurchschnitt erzielt hatte, hatte er sofort mit dem Studium beginnen können. Er hatte schon vor über zwei Jahren das erste Staatsexamen abgelegt und vor wenigen Wochen das zweite. Seine Doktorarbeit war geschrieben. Wenn alles gutging, war er mit fünfundzwanzig Jahren Doktor der Rechte. Saskia bewunderte Thorsten. Sie selbst war längst nicht so zielstrebig wie er. Immer wieder ertappte sie sich dabei, dass sie gern faulenzte, in der Sonne lag und träumte oder am Wasser hockte und über die weite Ostsee blickte. Tante Elfriede, ihre liebe Gönnerin, die ihr die Ausbildung ermöglicht hatte, war vor drei Jahren gestorben. Seitdem wohnte Saskia in einem möblierten Zimmerchen in Lübeck und verdiente sich in den Semesterferien ihren Lebensunterhalt. Sie war sehr genügsam, und oft saß sie tagelang an der alten Nähmaschine, die sie für vierzig Mark gekauft hatte, und schneiderte. Saskia war nicht unglücklich, im Gegenteil. Ihr Freundeskreis war groß, und oft gab es lustige Feten und Budenzauber bis in die frühen Morgenstunden. Wenn auch viele Kommilitonen männlichen Geschlechts ihr zeigten, wie gut ihnen die dunkelhaarige, elegante Saskia von Kettler mit den dunklen Augen gefiel, so hatte es bei Saskia noch nie gefunkt! Nein, sie war noch nie verliebt gewesen! Sie wusste nicht, warum ihre Freundinnen sich so merkwürdig gebärden konnten, wenn sie in einen jungen Mann »verknallt« waren. Konnte die Liebe ein Herz wirklich so umkrempeln? Konnte die Liebe sogar das Wesen eines Menschen beeinflussen? Saskia grübelte oft darüber nach, und viele ihrer Freunde schalten sie schwermütig und viel zu melancholisch. Eine unbewusste Scheu aber zwang sie, Männern gegenüber äußerst zurückhaltend zu sein. In der Liebe jedenfalls. Bei Partys konnte sie ausgelassen und fröhlich mitfeiern und jeden Ulk mitmachen. Die Flamme der Kerze flackerte. Saskia starrte hinein, und wieder kam sie ins Philosophieren. Dabei tat es ihr gar nicht gut, soviel nachzudenken. Dann wurde ihr jedes Mal bewusst, wie einsam sie im Grunde war, trotz vieler Freunde und guter Kameraden. Als es an ihrer Zimmertür klopfte, horchte sie auf. Es war schon nach neun Uhr, und am nächsten Morgen hatte sie die letzte Vorlesung vor den Semesterferien. Sie ging meist früh schlafen, wenn sie so früh zur Uni musste. Zögernd ging Saskia zur Tür. »Ja?« »Mach auf, Saskia«, rief es ungeduldig von draußen. Saskia erstarrte. Diese Stimme! Das war doch ... Sie sperrte die Tür auf und stand Thorsten, ihrem Bruder, gegenüber. »Thorsten«, jubelte sie. »O Thorsten!« Freudenstrahlend fiel sie ihm um den Hals. »Du hier in Lübeck? Das ist ja phänomenal!« »Darf ich mich vorstellen?«, fragte Thorsten. Seine dunklen Augen leuchteten. »Dr. jur. Thorsten Baron von Kettler. Na, mein Schwesterchen, wie klingt das?« »Thorsten! Deine Dissertation ist angenommen? Und die mündliche Prüfung?« »Beides erhielt die Note ,summa cum laude'!« »Was? Die allerhöchste Auszeichnung?« Saskia trat zurück. »Thorsten, du bist mir unheimlich!« Sie zog ihn in ihr Zimmerchen. Thorsten sah sich um. »Hier haust du also! Meine Güte, ich habe dich hier noch nie besucht.« »Gefällt es dir nicht? Es ist mein Reich. Ich fühle mich sehr wohl hier.« Thorsten sah sie nachdenklich an. »Denkst du noch oft an zu Hause, an unser altes Gutshaus?« Saskia nickte. »Brennt die Kerze zum Gedenken an Papas Tod?«, fragte Thorsten. »Ja, Thorsten!« »Morgen ist dein letzter Studientag vor den Ferien. Wann ist deine Vorlesung beendet?« »Um dreizehn Uhr. Wieso?« »Weil wir nach Hause fahren, Saskia, nach Hause ...« Er nahm seine Schwester in die Arme und schwenkte sie im Kreise. Seine Stimme klang ganz fremd vor Begeisterung. Saskia schlang die Arme um ihn. »Und was sollen wir dort? Da wohnen doch schon längst fremde Leute. Das, was früher unser Zuhause war, Thorsten, war nur von Graf Thelen...