Tworek | München | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

Tworek München


1. Auflage 2012
ISBN: 978-3-455-85019-2
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 176 Seiten

ISBN: 978-3-455-85019-2
Verlag: Hoffmann und Campe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wittelsbacher und Wiesn.Warum München eine Weltbürgerin mit Herz ist. Elisabeth Tworek nähert sich dem Lebensgefühl ihrer Stadt auf ganz verschiedenen Wegen. Ihre Einfallstore sind die Geschichte, die besonders vielfältige Stadtkultur oder auch die Münchner Seele. So entsteht ein sinnenreiches, lebendiges, genussvolles und in vielen Bezügen erstaunliches Münchenbuch.

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SPRACHE UND LEBENSGEFÜHL
In der U-Bahn hört man neben gepflegtem Hochdeutsch vor allem Englisch, Türkisch, Französisch, Griechisch, aber auch Spanisch, Russisch und Arabisch. München ist international. Ein gepflegtes Münchnerisch hört man kaum noch, am ehesten noch am Gemüsestand auf dem Viktualienmarkt. Aber nur vielleicht. Nur manchmal, wenn ein bairisch sprechender U-Bahn-Lenker den nächsten Halt im Dialekt ansagt: »Nexta Hoit Stieglmeia Bloz. Rechts aussteign«, nehmen junge, smart aussehende Studenten ihre Stöpsel aus den Ohren und schmunzeln über so viel Ursprünglichkeit. Dialekt in München liegt nicht im Trend. Das Münchnerische dokumentieren eindrucksvoll die Liedtexte der Volkssänger, wie Der schöne Kare oder Münchner Vorstadt-Dialekt mit Sätzen wie Rechts und links vom Isarg’lander wohnt a zeamer Schlag, eahna Sprach is zeam und g’müatli, zünfti sans all Tag! Da geh hera, hau di zuawe, hock di her zum G’wäsch! Sehng’s, so wird in G’sellschaft eing’ladn, gelln’s de Sprach is resch! Verschiedenste Vorstadtdialekte verschmolzen zur Münchner Stadtsprache. Sie fiel besonders den hochdeutsch sprechenden »Nordlichtern« auf, wie die Münchner die Zuzügler aus dem Norden des Deutschen Reiches nannten, die ab 1850 die geistige Elite in München bildeten. Der norddeutsche Schriftsteller Detlev von Liliencron gehörte dazu. Er lebte 1890/91 in München im Umkreis der Zeitschrift Die Gesellschaft um Michael Georg Conrad und hielt seine Beobachtungen in einem Brief vom Juni 1890 fest: An die Aussprache der Münchener, so scheuslich sie ist – und die Excellenz spricht genau so wie der Knecht oder das Hökerweib; ü wird i, eu = ei, z. B. i hab a Freid (grauenhaft), ö = e – gewöhnt man sich; nie aber gewöhnt sich der Norddeutsche an das unendlich schlechte Essen hier. Es ist unglaublich, mit welchen Haxen, Gehirnen, Gekrösen p. p. der harmlose, bedürfnislose Münchener sich zufrieden giebt. Dreißig Jahre später reiste der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr durch Oberbayern. Ihm fiel auf, wie sehr das sprachlich Unverfälschte von außen missgedeutet wird: Wir kennen in Norddeutschland Karikaturen dieser Bevölkerung – mit nacktem Knie, Zitherspiel, Gejuchz, Alpenglühen, falscher Rührung. Wenn ich zu meinem Kinde geh’, in seinem Aug’ die Mutter seh’. Was der Preuß’ einen »Bu-ab und ein Dee-arndel«nennt. In Wahrheit ist hier die untere Schicht künstlerischer als dieselben Schichten bei uns. Diesen Eindruck konnte der Engländer Patrick Leigh Fermor auf seiner Reise durch Mitteleuropa nicht gewinnen. Er kam im Winter 1934 in das nationalsozialistische München. Was er im Hofbräuhaus an den Stammtischen hörte, war für ihn primitiv, hinterwäldlerisch und tierisch. Attribute, die weltweit für den Nationalsozialismus stehen: Das alles sorgte für einen Grundton wie ein Muhen, und Hall und Echo verstärkten diesen Eindruck noch; Millionen von Vokalen, gedehnt und gebogen wie ein Bumerang, wirbelten durch den Tabaksdunst, und alles brandete wie eine Woge über uns hinweg. Dieses Echo, dies unterseeische Gefühl, das Blubbern der Laute und Silben, der Krüge, deren klebriges Naß auf Tischplatten und Fußboden schwappte, muß wohl verantwortlich für den Namen dieses riesigen Saals gewesen sein. Er hieß »Schwemme«, was soviel wie Pferdetränke bedeutet. Entstanden ist das Münchnerische über Jahrhunderte aus den vielen baierischen Dialekten, die mit den Arbeitsmigranten, Hofbeamten, Lieferanten und Zuzüglern aus den fernen und nahen Regionen Bayerns nach München kamen. Die Münchner Neubürger passten ihre Sprache an ihr neues Zuhause an. Es ermöglichte ihnen, sich klar von ihrer ländlichen Herkunft abzugrenzen und gleichzeitig in der Stadt eine eigene Identität herauszubilden. Das war für Zuzügler nicht immer einfach, wie wir von Lena Christ wissen. Die in Glonn bei Ebersberg 1881 geborene Schriftstellerin wurde als Achtjährige auf höchst unsensible Weise in das Stadtleben integriert. Ihre Autobiographie Erinnerungen einer Überflüssigen zeugt von dieser traumatischen Erfahrung: Ich musste nun alles ländliche Wesen ablegen. Zuerst bekam ich ebenfalls kurze, städtische Kleider, und dann wurden mir meine schönen, langen Haare abgeschnitten, weil ich Läus’ hätte, wie die Mutter sagte … Meine Mutter war damals eine sehr schöne Frau und sprach immer sehr gewählt; denn sie war jahrelang Köchin in adligen Häusern gewesen. Darum schalt sie nun täglich über meine bäuerische Sprache, wodurch sie mich so einschüchterte, daß ich oft den ganzen Tag kein Wort zu sagen wagte. Auch in der Schule spotteten mich die Kinder aus und nannten mich nur den Dotschen oder die Gscherte. Im krassen Gegensatz zu diesen einfachen Leuten vom Land standen die Professoren, Künstler und Wissenschaftler aus Preußen und Norddeutschland, die seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in Scharen an die Isar drängten. Sie machten das »Isar-Preußisch« in München salonfähig. Nicht umsonst witzelte damals der Volkssänger Anderl Welsch: Berliner, die kennt man, da braucht ma net z’frag’n, warum – denn es kann koaner »Loabidoag« sag’n. Eines der Nordlichter war Thomas Mann, Senatorensohn aus Lübeck. 1895 kam er nach München, um Schriftsteller zu werden. Wenige Jahre später hielt er in seinem ersten Roman Die Buddenbrooks in der Figur des Münchner Privatiers Alois Permaneder fest, was er für münchnerisch hielt. Es war die Sprache, die er in den Cafés, Biertempeln und auf der Straße hörte: Tonerl, mir war’s gnua. Mehr brauchen mer nimmer. I hab’ mir allweil g’schunden, und jetzt will i mei Ruh, Himmi Sakrament. Mer vermieten’s Parterre und die zwoate Etasch, und dahier hamer a guate Wohnung und können a Schweinshaxen essen und brauchen uns net allweil gar so nobi z’sammrichten und aufdrahn … und am Abend hab’ i ’s Hofbräuhaus. I bin ka Protzen net und mag net allweil a Göld z’sammscharrn; i mag mei G’müatlichkeit! Von morgen ab mach’ i Schluß und werd’ Privatier! Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs brachten 143 000 Heimatvertriebene ihre eigenen Dialekte und Sprachen mit nach München. Das Münchnerische verflüchtigte sich immer mehr. Seit mehreren Jahrzehnten kommen zu den Menschen aus den umliegenden europäischen Ländern Menschen aus aller Welt hinzu, die München als Wohnort gewählt haben. All diese Menschen aus 180 Nationen wollen sich hier zu Hause fühlen können. Der kleinste gemeinsame Nenner der Verständigung zwischen ihnen ist im Idealfall Hochdeutsch. Gegen diesen schleichenden Verlust eines Stücks Münchner und bayerischer Identität regt sich seit längerem Widerstand. Junge Musiker, Künstler und Schriftsteller aus Bayern, die auf dem Land aufgewachsen sind, sprechen neuerdings wieder selbstbewusst und redegewandt bairisch und können damit durchaus das ausdrücken, wofür andere das Hochdeutsche brauchen. Stefan Dettl, Bläservirtuose der Kultband La Brass Banda, schreibt dazu: Aber wieso sollte ich in einer Sprache reden, die meinem Mund nicht nur fremd ist, sondern die sich einfach gar nicht mit meiner Persönlichkeit verträgt? Es ist ein bisserl viel verlangt, dass ich mich mit meinem wichtigsten Ausdrucksmittel an eine Masse anpassen soll – da geht’s ja nicht um eine Geschmacksfrage, sondern um meine Identität. Auch für den Liedermacher Haindling alias Hans-Jürgen Buchner, gebürtiger Niederbayer und Sohn einer Berlinerin, ist Sprache eng mit den regionalen Wurzeln verbunden. Sprache ist für ihn mehr als Identität. Das einzige, was ich als wirkliche Heimat bezeichne, ist der Dialekt. Die Sprache, das ist Heimat. Und wenn heute junge Leute das nicht mehr können, weil sie meinen, sie müssen jetzt so reden, wie man in München redet – »nee du, kann ich nich, du, weiß ich nich« –, dann geht denen in meine Augen ein Stück Heimat ab. Hans-Jürgen Buchner erzählt von Erfahrungen, die Menschen mit seinen auf Bairisch gesungenen Liedern machen: Nach Konzerten kommen oft Leute und sagen: ›Mensch, wenn ich eure Musik hör, dann freu ich mich, dass ich Bayer bin.‹ Da fühlen sie sich also im Herz getroffen und da sieht man die Sehnsucht nach dem Gefühl und nach dieser Sprache. Das Gefühl ist da, aber die Mode erlaubt es nicht mehr, bairisch zu sprechen. Man muss ›stilgerecht‹ auftreten, und da gehört das Bairische einfach nicht dazu. Wer München verstehen will, muss an einem schönen Sommertag am Chinesischen Turm oder im Augustinerkeller eine Maß Bier getrunken haben. Dann erst spürt er mit verklärtem Blick das Gefühl dieser Stadt, und es mag ihm ergehen wie Heinrich Heine, der 1828 von einem Bogenhauser Biergarten sinnierend auf die schneebedeckten Alpen schaute. Nicht einmal mehr die liebenswürdigen Aristokratinnen und die wunderschönen Weiberverhältnisse konnten ihn darüber hinwegtrösten, dass er keine Professur bekam. Nur das Bier stimmte ihn versöhnlich. Diese Mischung aus Rausch, Föhnhimmel, Alpen, klassizistischen Bauten und Inszenierung macht die Menschen offensichtlich gelassener und zufriedener als anderswo. Das jedenfalls ist Arno Makowsky, Chefredakteur der Münchner Abendzeitung, an seiner Heimatstadt aufgefallen: Das Lebensgefühl in München steht für sich, diese Stadt ruht komplett in sich selbst, sie lässt sich nicht irritieren … München hat das Flair der alten Residenzstadt – das ist das Gemütliche, Provinzielle. Gleichzeitig hat man hier das italienische Lebensgefühl, denn diese Klischees, sie stimmen ja alle: die besten Eisdielen, die meisten...


Tworek, Elisabeth
Elisabeth Tworek beeindruckten als Kind die Münchner Museen und das Oktoberfest. Als Jugendliche genoss sie in den Schwabinger Clubs die Münchner Freiheit. Während des Studiums näherte sie sich der Anarchie in Bayern wissenschaftlich und praktisch. Die Literaturwissenschaftlerin ist längst in München zu Hause, freie Mitarbeiterin des Bayerischen Rundfunks und leitet seit langem das städtische Literaturarchiv Monacensia mit seiner beeindruckenden München-Bibliothek.



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