Tursten | Meine kleinen Morde | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

Tursten Meine kleinen Morde

Kriminalgeschichten
Erscheinungsjahr 2014
ISBN: 978-3-641-14429-6
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalgeschichten

E-Book, Deutsch, 256 Seiten

ISBN: 978-3-641-14429-6
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



13 Kriminalgeschichten der schwedischen Queen of Crime!

Ein junges Paar fährt zu einer Hausbesichtigung. Zu ihrem Schrecken warten vor Ort fast 200 Leute. Es stellt sich heraus, dass die meisten aus spiritistischen Gründen gekommen sind: Auf einem der Maklerfotos ist am Fenster ein weißer Schatten zu sehen … Irene Huss ist zum traditionellen Krebsessen in der Nachbarschaft eingeladen. Plötzlich ertönt ein gellender Schrei und eine halbbekleidete Frau stürzt in den Garten. Irene Huss findet den Ehemann blutüberströmt …

Helene Tursten, geboren 1954 in Göteborg, ist eine der beliebtesten schwedischen Kriminalautorinnen. Ihre Serie um die Göteborger Kriminalinspektorin Irene Huss hat nicht nur viele Fans, sondern wurde auch erfolgreich verfilmt. Neben neuen Fällen für die junge Polizistin Embla Nyström veröffentlicht Helene Tursten auch sehr erfolgreich Bände mit Krimigeschichten.
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ÄLTERE DAME SUCHT WEIHNACHTSFRIEDEN

So früh am Morgen des Heiligabend war es auf dem Friedhof noch ganz still. Sie stieß einen lauten Seufzer aus. Das machte nichts, denn sie war ja ganz allein. Um diese Tageszeit regte sich hier kein Lebewesen, und den anderen machte es nichts aus.

Die Gummiräder des Rollators stellten sich quer, als sie sich einen Weg durch den Schnee bahnen wollte. Mit etwas Mühe parkte sie ihn schließlich am Grab. Sie nahm die Grablichter und die Streichhölzer aus dem Stoffbeutel, den sie im Korb liegen hatte. Zwei Lichter auf dem Familiengrab mussten reichen, eines für die Eltern und eines für die Schwester. Grablichter waren teuer.

Charlotte war ihre große Schwester gewesen. Maud selbst eine Nachzüglerin. Sie war zehn Jahre nach Charlottes Geburt zur Welt gekommen, zum Erstaunen der Eltern und zum großen Verdruss der Schwester. Es hatte Charlotte ausgezeichnet gefallen, Einzelkind zu sein. Eine kleine Schwester hatte nicht zu ihren Wünschen gehört.

Maud erinnerte sich plötzlich an die aufwendigen Einladungen ihrer Eltern, besonders an das große Fest, das traditionell an jedem Silvesterabend stattfand. Sie dachte an das gute Essen, die Kerzen in den hohen Kandelabern, das Knallen der Champagnerkorken um Mitternacht, an den Lärm fröhlicher Stimmen und an den Duft von Zigarren und von teuren Parfüms. Nicht zu vergessen die schönen Kleider der Damen.

Alles hatte ein abruptes Ende genommen, als ihr Vater einen Herzinfarkt bei einer Versammlung der Odd Fellows erlitten hatte. Mitten im Gelächter war er zusammengesackt, nachdem jemand eine lustige Geschichte erzählt hatte. Ihre Mutter hatte dann nach seinem Tod aus verschiedenen Gründen nicht mehr viel zu lachen gehabt. Es hatte sich gezeigt, dass seine Geschäfte, wie es hieß, nicht ganz in Ordnung gewesen waren. Nachdem die Anwälte der Familie alle Schulden bezahlt hatten, war nichts mehr übrig gewesen. Schließlich wurde das große Mehrfamilienhaus veräußert, das ihr Vater mehrere Jahre zuvor gekauft hatte. Die Witwe durfte die Wohnung behalten, in der sie wohnte und die beim Verkauf in eine Eigentumswohnung umgewandelt worden war.

Ihre Mutter war fünfzehn Jahre jünger gewesen als ihr Vater, aber es war, als hätte sie alle Kraft verlassen und als wäre sie mit ihm zusammen begraben worden. Drei Jahre später starb sie ebenfalls. Vielleicht war es ja die Schmach des finanziellen und sozialen Abstiegs gewesen, die sie gebrochen hatte, dachte Maud gelegentlich. Sie selbst war damals achtzehn gewesen und hatte gerade an der Universität angefangen. Sie wollte Englisch- und Französischlehrerin werden.

Charlotte hatte sich einige Jahre zuvor ein »nervöses Leiden«, wie ihre Mutter es genannt hatte, zugezogen. Es hieß, Charlotte besäße eine empfindliche Künstlerseele. Sie war etwas über dreißig gewesen und bei Kriegsausbruch immer noch unverheiratet. Ihre zunehmenden Phobien und ihre Hypochondrie hatten ihr Leben erfüllt. Charlotte hatte Konzertpianistin werden wollen, aber nie vor Publikum gespielt. Auch Klavierschüler zu Hause zu unterrichten war ihr zu viel gewesen.

Das geringe Kapital, das der Verkauf des Hauses eingebracht hatte, war während des Krieges rasch dahingeschmolzen. Es war ein Glück gewesen, dass sie die Wohnung von ihrer Mutter geerbt und dort mietfrei hatten wohnen können. Sie hatten jedoch Strom, Wasser und Heizung bezahlen müssen. Maud erinnerte sich, wie ausgekühlt die Wohnung während der kalten Kriegswinter gewesen war. Das Eis innen an den Fenstern war so dick gewesen, dass man nicht hatte hinausschauen können.

Im letzten Kriegsjahr hatte Maud eine Stelle als Lehrerin an der Mädchenrealschule bekommen, und diese Arbeit hatte ihr von Anfang an gut gefallen. Ihre finanziellen Sorgen hatten damit jedoch nicht aufgehört, da sie auch für Charlotte hatte sorgen müssen. Einige Male hatte Maud vorgeschlagen, eines der Zimmer zu vermieten, um die Finanzen zu verbessern. Da hatte Charlotte immer Panikattacken bekommen und geschluchzt: »Ich kann keine fremden Leute in meinem Zuhause ertragen!«

Der flackernde Schein der Grablichter fiel auf die verblichenen Buchstaben auf dem mannshohen Grabstein. Charlotte war vor siebenunddreißig Jahren gestorben. Erst danach hatte Mauds Leben begonnen. Besser spät als überhaupt nicht, dachte sie nun, aber es versetzte ihr trotzdem einen kleinen Stich. In ihrer Herzregion saß immer noch ein kleiner Stachel. Ihre Erinnerungen verflogen, als sich die Kälte ihrer Zehen bemächtigte. Die Stiefel waren warm, aber das Futter war bereits abgenutzt und dünn. Vielleicht sollte sie sich ein Paar neue kaufen? Aber wer wusste schon, ob sie nächste Weihnachten noch am Leben war? Die alten Stiefel mussten einfach noch diesen Winter lang halten.

Mühsam schob sie den Rollator den nicht geräumten Weg entlang. Es hatte in der Nacht geschneit. Wenn sie lauschte, meinte sie in der Ferne ein Brummen zu hören. Vielleicht der Schneepflug. Ein schrilles Quietschen bestätigte ihren Verdacht – der Pflug war in Aktion getreten. Zufrieden stellte sie fest, dass an ihrem Gehör nach wie vor nichts auszusetzen war. In ihrem Alter waren die meisten Leute bereits taub. Sie aber nicht. Das war vielleicht schade. Denn dann wäre ihr das Problem erspart geblieben.

Resolut schob sie die Gedanken an das Problem beiseite und begann dem Friedhofstor entgegenzustreben. Maud war müde und außer Atem, als sie die Bushaltestelle erreichte, die direkt vor dem Tor lag. Sie musste sich einen Augenblick auf den gepolsterten Sitz des Rollators setzen. Er war wirklich sehr praktisch. Es war nicht so, dass sie wirklich einen Rollator gebraucht hätte, aber Ingenieur Olsson hatte ihn hinterlassen. Keines seiner Kinder hatte sich um den Rollator gekümmert. Wahrscheinlich hatten sie gar nicht gewusst, dass er hinter der Haustür gestanden und ihrem Vater gehört hatte. Nachdem der Hausrat abgeholt und die Wohnung verkauft worden war, war er immer noch da gewesen. Maud hatte ihn in ihre Wohnung hinaufgetragen. Letzten Herbst hatte sie sich das Knie verstaucht, als sie über einen Teppich gestolpert war. Da hatte sie widerwillig begonnen, den Rollator zu benutzen, um ihre Besorgungen zu erledigen. Es war damals gerade Glatteis gewesen, und sie hatte nicht riskieren wollen, noch einmal hinzufallen. Rasch hatte sie eingesehen, was für Vorteile er hatte. Man konnte sich gut auf ihm abstützen, darauf sitzen und ausruhen, man bekam auch plötzlich einen Sitzplatz im Bus angeboten, die Leute hielten einem die Tür auf, wenn man in einen Laden wollte, und Verkäuferinnen mittleren Alters behandelten einen freundlich und … geradezu liebevoll. Der Rollator war super.

Wenn sie dann im Bus einen Sitzplatz bekommen hatte, dachte sie an all die Reisen, die sie nach Charlottes Tod unternommen hatte. Solange ihre Schwester noch am Leben gewesen war, war das ausgeschlossen gewesen. Charlotte geisterte wie eine Untote in der großen, dunklen Wohnung herum und weigerte sich, das Haus zu verlassen. In den sechziger Jahren hatte sich ihr psychischer Zustand rasch verschlechtert. Es hatte sich nicht gelohnt, auch nur den Gedanken zur Sprache zu bringen, dass sie eventuell ein paar Tage wegfahren könnte. Ihre Schwester wäre dann nur noch verrückter geworden, als sie es ohnehin schon war. Die kleine Charlotte kam schließlich nicht allein zurecht! Wer würde ihr das Essen zubereiten und dafür sorgen, dass sie ihre Medikamente nahm? Wer würde für sie da sein, wenn die Angstattacken Krallen in ihre Seele schlugen? Das Schlimmste war, dass all dies stimmte. Charlottes Krankheit hatte sich immer weiter verschlechtert und immer stärkere Medikamente nötig gemacht. Den größten Teil des Tages verbrachte sie träge wie in einem Nebel. Eigentlich hätte man sie in eine Psychiatrische Anstalt einweisen müssen. Wenn ihr Hausarzt eine entsprechende Behandlung vorschlug, erwachte Charlotte allerdings immer aus ihrem Nebel und wies dieses Ansinnen scharf von sich: »Meine Schwester würde das nie erlauben! Wir haben immer zusammengelebt! Sie kümmert sich um mich!«

Die Wohnung gehörte Charlotte. Das Testament der Eltern war in diesem Punkt sehr deutlich gewesen. Damit hatten sie verhindern wollen, dass ihre nervenkranke Tochter nach ihrem Tod auf der Straße landete. Maud würde schließlich immer einen Mann zum Heiraten finden.

Dazu war es aber nie gekommen, weshalb Maud von ihrer Schwester abhängig gewesen war, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Charlotte war im Gegenzug dafür in ihrem täglichen Leben vollkommen von ihr abhängig gewesen. Es hatte sich um eine hoffnungslose Zwickmühle gehandelt.

Bis zu dem Abend, an dem Maud in der Küche gestanden und plötzlich einen kalten Luftzug aus der Diele gespürt hatte. Als sie in die Diele rannte, sah sie, dass die Wohnungstür offen stand. Charlotte war es in ihrem verwirrten Zustand gelungen, die Tür zu öffnen und ins dunkle Treppenhaus zu gehen. Maud ahnte die Gestalt mehr, als dass sie sie sah, als diese sich an der Fahrstuhltür vorbeibewegte. Vor dem Fahrstuhl lag ein breiter Treppenabsatz, von dem eine breite Marmortreppe zur Haustür führte. Das ganze Haus war dunkel. Maud sah, wie sich Charlottes schmale Gestalt unruhig in dem schwachen Licht bewegte, das aus der Fahrstuhltür drang. »Hallo?«, hallte ihre schwache Stimme wider. Langsam bewegte sie sich auf den Rand des Treppenabsatzes zu. Die Treppe zur Haustür lag im tiefsten Dunkel. Aus Mauds Perspektive hatte es den Anschein, als würde sich ihre Schwester langsam einem schwarzen Abgrund nähern. Die lange, breite Marmortreppe …

Die Lähmung verließ sie, und sie rannte auf die offene Wohnungstür zu. Charlotte balancierte auf der obersten Treppenstufe. Maud hatte...


Tursten, Helene
Helene Tursten, geboren 1954 in Göteborg, ist eine der beliebtesten schwedischen Kriminalautorinnen. Ihre Serie um die Göteborger Kriminalinspektorin Irene Huss hat nicht nur viele Fans, sondern wurde auch erfolgreich verfilmt. Neben neuen Fällen für die junge Polizistin Embla Nyström veröffentlicht Helene Tursten auch sehr erfolgreich Bände mit Krimigeschichten.



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