E-Book, Deutsch, 1447 Seiten
Turgenew Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte in Prosa
1. Auflage 2014
ISBN: 978-80-268-2551-7
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
83 Titel in einem Buch: Väter und Söhne + Aufzeichnungen eines Jägers + Visionen + Aus der Jugendzeit + Der Duellant + Die lebendige Reliquie + Faust + Das Lied der triumphierenden Liebe + Gespenster
E-Book, Deutsch, 1447 Seiten
ISBN: 978-80-268-2551-7
Verlag: e-artnow
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dieses eBook: 'Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte in Prosa' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Iwan Sergejewitsch Turgenew (1818-1883) war ein russischer Schriftsteller. Er war einer der Ersten in der russischen Literatur, der die alltäglichen Nöte und Ängste der russischen Gesellschaft thematisierten. Turgenew gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus. Sein Werk hatte großen Einfluss auf die Entwicklung des 'melancholischen Impressionismus' in Westeuropa. In frühen Jahren bis 1847 pflegte er vor allem die Lyrik. Ab 1855 trat er dann vermehrt als Autor von Dramen und Komödien hervor, die in ihren äußerlich wenig dramatischen Entwicklungen Züge der Dramen Tschechows vorwegnehmen. Turgenew war ein Meister der Charakterzeichnung, seine Figuren lässt er aus vielen kleinen und kaum wahrnehmbaren Einzelheiten erstehen. Turgenews Prosa hat einen lyrischen Grundton, der sich besonders häufig Naturbeschreibungen und gefühlsbetonten Abschweifungen zuwendet. Inhalt: Gespenster Väter und Söhne Faust Der Duellant Klara Militsch Phantastische Erzählungen: Drei Begegnungen Visionen Der Hund Das Lied der triumphierenden Liebe Ein Traum Aus der Jugendzeit: Telegin und Pawlowna Iwan Suchich Der Verzweifelte Gedichte in Prosa Aufzeichnungen eines Jägers: Chorj und Kalinytsch Jermolai und die Müllerin Das Himbeerwasser Mein Nachbar Radilow Der Einhöfer Owsjanikow Lgow Die Bjeschin-Wiese Kassjan aus Krassiwaja-Metsch Burmistr Das Kontor Der Birjuk Zwei Gutsbesitzer Lebedjanj Tatjana Borissowna und ihr Neffe Der Tod Die Sänger Pjotr Petrowitsch Karatajew Das Stelldichein Der Hamlet des Schtschigrowschen Kreises Tschertopchanow und Nedopjuskin Das Ende Tschertopchanows Die lebendige Reliquie Es klopft! Epilog: Wald und Steppe
Autoren/Hrsg.
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VII
Inhaltsverzeichnis
Kister fuhr am anderen Morgen zu den Perekatows. Er bemerkte gleich auf den ersten Blick eine große Veränderung in Mascha und sie in ihm; doch beide sagten davon kein Wort. Den ganzen Morgen fühlten sie sich beide, ganz gegen ihre Gewohnheit, befangen. Kister hatte sich zu Hause eine Menge doppelsinniger Sätze und Andeutungen und freundschaftlicher Ratschläge zurechtgelegt, doch alle diese Vorbereitungen erwiesen sich als vollkommen unnütz. Mascha fühlte dunkel, daß Kister sie beobachtete. Es kam ihr vor, als spreche er manche Worte mit besonderer Betonung. Weil sie sich aber erregt fühlte, traute sie nicht recht ihren Wahrnehmungen. – Daß es ihm nur nicht einfällt, bis zum Abend hierzubleiben! dachte sie sich fortwährend und versuchte, auch ihm zu verstehen zu geben, daß er hier überflüssig sei. Kister faßte seinerseits ihre Unruhe, ihre Befangenheit als sichere Beweise für ihre Verliebtheit auf, und je mehr er für sie fürchtete, um so weniger konnte er sich entschließen, die Rede auf Lutschkow zu bringen; auch Mascha vermied es hartnäckig, von ihm zu sprechen. Der arme Fjodor Fjodorowitsch hatte es sehr schwer. Endlich fing er an, seine eigenen Gefühle zu verstehen. Noch nie hatte ihm Mascha besser gefallen. Offenbar hatte sie die ganze Nacht nicht geschlafen. Ihr blasses Gesicht zeigte einzelne rötliche Flecken, sie hielt sich leicht gebückt; ein ungewolltes, mattes Lächeln wich nicht von ihren Lippen. Ab und zu lief ein Zittern über ihre blassen Schultern, ihre Blicke entzündeten sich langsam und erloschen schnell wieder. Nenila Makarjewna setzte sich zu den beiden und brachte, vielleicht mit Absicht, die Rede auf Awdej Iwanowitsch. Mascha wappnete sich aber in Gegenwart der Mutter, jusqu’aux dents, wie die Franzosen sagen, und verriet sich durch keine Silbe. So verging der ganze Morgen. »Sie essen doch bei uns zu Mittag?« fragte Nenila Makarjewna Kister. Mascha wandte sich weg. »Nein«, antwortete Kister eilig mit einem Blick auf Mascha. »Sie müssen mich entschuldigen … dienstliche Pflichten.« Nenila Makarjewna äußerte, wie üblich, ihr Bedauern; gleich nach ihr äußerte auch Herr Perekatow etwas. »Ich will niemand stören«, wollte Kister Mascha im Vorbeigehen sagen; er beugte sich aber vor und flüsterte ihr statt dessen zu: »Seien Sie glücklich. Leben Sie wohl. Nehmen Sie sich in acht!« und verschwand. Mascha atmete erleichtert auf; sein Weggehen machte ihr aber bald Angst. Was quälte sie? Liebe oder Neugier? Das weiß Gott allein; wir wiederholen nur: Die Neugierde allein genügte, um Eva zugrunde zu richten.
VIII
Inhaltsverzeichnis
»Lange Wiese« hieß ein breites, flaches Feld auf dem rechten Ufer des Flüßchens Snjeschinka, eine Werst vom Gute der Perekatows entfernt. Das linke, mit jungem dichtem Eichenwald bedeckte Ufer erhob sich steil über dem Flüßchen, das fast ganz mit Schilf bewachsen war und nur hie und da kleine freie Buchten hatte, in denen sich Wildenten aufhielten. Eine halbe Werst hinter dem Flüßchen, rechts von der »Langen Wiese«, waren runde, wellige Hügel, auf denen sich hie und da alte Birken, Hasel-und Maßholderbüsche erhoben. Die Sonne ging eben unter. Die Mühle rauschte und klapperte in der Ferne, bald lauter, bald leiser, je nach dem Wind. Auf der Wiese weideten träge die herrschaftlichen Pferde. Ein Hirt folgte singend einer Herde gieriger und scheuer Schafe. Die Schäferhunde jagten vor Langeweile den Krähen nach. Lutschkow ging mit gekreuzten Armen im Wäldchen auf und ab. Sein angebundenes Pferd hatte schon mehr als einmal voller Ungeduld auf das helle Gewieher der Fohlen und Stuten geantwortet. Awdej ärgerte sich wie immer und war zugleich befangen. Von der Liebe Maschas noch nicht völlig überzeugt, zürnte er ihr schon und ärgerte sich über sich selbst – doch die Erregung erdrückte in ihm den Ärger. Endlich blieb er vor einer breiten Haselstaude stehen und fing an, mit seiner Gerte die äußersten Blätter abzuschlagen. Er hörte ein leises Geräusch. Er hob den Kopf. Zehn Schritte vor ihm stand Mascha, vom schnellen Gehen gerötet, in Hut, doch ohne Handschuhe, in einem weißen Kleid, mit einem in aller Eile umgebundenen Tüchlein am Halse. Sie senkte die Augen und schwankte leicht. Awdej ging linkisch, mit gezwungenem Lächeln auf sie zu. »Wie glücklich bin ich …« begann er kaum hörbar. »Ich freue mich sehr, Sie wiederzusehen«, unterbrach ihn Mascha, schwer atmend. »Ich pflege hier jeden Abend spazierenzugehen … und Sie …« Lutschkow verstand aber nicht mal, ihre Scham zu schonen und sie in ihrer unschuldigen Lüge zu unterstützen. »Ich glaube doch, Marja Ssergejewna«, sagte er mit großer Würde, »Sie wollten es selbst …« »Ja, ja« entgegnete Mascha eilig. »Sie wollten mich sehen? Sie wollten …« Ihre Stimme versagte. Lutschkow schwieg. Mascha hob schüchtern die Augen. »Entschuldigen Sie mich«, begann er, ohne sie anzusehen. »Ich bin ein einfacher Mensch und bin es nicht gewohnt, mit Damen zu sprechen … Ich wollte Ihnen sagen … ich glaube aber, Sie sind gar nicht geneigt, mich anzuhören …« »Sprechen Sie.« »Sie befehlen … Nun, ich will Ihnen ganz offen sagen, daß ich schon längst, seitdem ich die Ehre hatte, Sie kennenzulernen …« Awdej hielt inne. Mascha wartete auf die Fortsetzung. »Ich weiß übrigens nicht, wozu ich Ihnen das alles sage. Sein Schicksal kann man doch nicht ändern.« »Wer kann das wissen!« »Ich weiß es!« entgegnete Awdej finster. »Ich bin die Schicksalsschläge gewohnt!« Mascha glaubte, daß Lutschkow wenigstens jetzt keinen Grund habe, über sein Schicksal zu klagen. »Es gibt aber gute Menschen auf der Welt«, bemerkte sie lächelnd. »Sogar viel zu gute …« »Ich verstehe Sie, Marja Ssergejewna, und weiß, glauben Sie es mir, Ihre Gewogenheit wohl zu schätzen. Ich … ich … Sie werden mir doch nicht zürnen?« »Nein. Was wollen Sie sagen?« »Ich will sagen – daß Sie mir gefallen … Marja Ssergejewna, daß Sie mir außerordentlich gefallen.« »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, unterbrach ihn Mascha verlegen. Ihr Herz krampfte sich vor Erwartung und Angst zusammen. »Ach, schauen Sie nur, Herr Lutschkow«, fuhr sie fort, »diese Aussicht!« Sie zeigte ihm die mit den langen Abendschatten bedeckte, mit dem Rot der untergehenden Sonne übergossene Wiese. Lutschkow fing an, über diesen plötzlichen Wechsel des Gesprächsthemas erfreut, die Aussicht zu bewundern. Er stellte sich neben Mascha. »Lieben Sie die Natur?« fragte sie plötzlich, den Kopf schnell zu ihm wendend und ihn mit dem freundlichen, neugierigen und sanften Blick ansehend, der, ebenso wie die helle Stimme, nur jungen Mädchen eigen ist. »Ja, die Natur … gewiß«, murmelte Awdej. »Natürlich, es ist angenehm, abends spazierenzugehen; obwohl ich, offen gestanden, Soldat bin und von solchen Empfindsamkeiten nichts verstehe.« Lutschkow pflegte oft zu sagen, daß er »Soldat« sei. Es trat eine kurze Pause ein. Mascha blickte noch immer auf die Wiese. Soll ich nicht weggehen? dachte sich Awdej. Unsinn! Mut! … »Marja Ssergejewna«, begann er mit ziemlich fester Stimme. Mascha wandte sich zu ihm um. »Entschuldigen Sie mich«, begann er wie scherzend. »Gestatten Sie mir die Frage, wie Sie über mich denken, ob Sie irgendeine … Zuneigung für meine Person empfinden.« Mein Gott, wie ungeschickt er doch ist, dachte sich Mascha. »Wissen Sie, Herr Lutschkow«, antwortete sie ihm lächelnd, »daß es nicht immer leicht ist, eine bestimmte Antwort auf eine bestimmte Frage zu geben?« »Und doch …« »Warum wollen Sie es wissen?« »Ich bitte Sie! Ich möchte es wissen.« »Aber … ist es wahr, daß Sie leidenschaftlicher Duellant sind? Sagen Sie, ist es wahr«, fragte Mascha mit ängstlicher Neugier, »daß Sie schon mehr als einen Menschen getötet haben?« »Es ist wohl vorgekommen«, antwortete Awdej gleichgültig und strich sich den Schnurrbart. Mascha sah ihn unverwandt an. »Mit dieser Hand?« flüsterte sie. Lutschkows Blut geriet indessen in Wallung. Vor ihm stand schon seit mehr als einer Viertelstunde ein hübsches, junges Mädchen. »Marja Ssergejewna«, begann er wieder mit eigentümlicher, scharfer Stimme, »Sie kennen jetzt meine Gefühle, Sie wissen, warum ich Sie habe sehen wollen. Sie waren so gütig … Sagen Sie mir...