Trummer / Efthymiou / Kritzinger | Highway to Hell | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 166 Seiten

Trummer / Efthymiou / Kritzinger Highway to Hell

Das Satanische im Heavy Metal

E-Book, Deutsch, 166 Seiten

ISBN: 978-3-17-042076-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Schwarze Messen, Satanismus, Teufelskult - das Satanische hat im Rock 'n' Roll seit jeher einen festen Platz. Jedenfalls warnen konservative Kräfte bereits seit den 1950er Jahren vor dem teuflischen Einfluss der Rockmusik auf Jugend, Kultur und Gesellschaft. Seit den 1970er Jahren kultivierte der Heavy Metal ganz bewusst sein Image als 'Teufelsmusik' und zieht bis heute vielfältige kreative Impulse aus dem Satanischen. Der Teufel selbst begegnet in Musik, Texten und Artworks als schillerndes, vielschichtig besetztes Symbol. Ob als schauerliche Horrorfigur, als provokanter Trickster oder als Idol in parareligiösen okkulten Systemen - er prägt die Ästhetik und Ideologie des Metal wie kaum eine andere Gestalt. Stets bleibt er dabei zugeich Spiegelbild sich verändernder soziokultureller Werte und Normen.

Manuel Trummer ist Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg und Gitarrist bei Atlantean Kodex.
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1„The Devil’s Music“: Als Intro


What is this that stands before me?
Figure in black which points at me […]
Big black shape with eyes of fire
Telling people their desire

Black Sabbath, „Black Sabbath“, 1970

Jede gute Geschichte hat einen Bösewicht, jede Superheldin ihre Nemesis, jeder Batman seinen Joker. Jede Gesellschaft pflegt ihre Feindbilder, ihre Sündenböcke und Ausgestoßenen. Denn sie übernehmen wichtige Funktionen in unseren Alltagskulturen: In Erzählungen verkörpern sie unsere kollektiven Ängste und bedrohen uns in ihrer Andersartigkeit. Bösewichte machen uns so auch stets bewusst, wer wir sind: Indem sie einem unsichtbaren Netz kultureller Werte und Normen entgegenstehen, Gesetze brechen und etablierte Ordnungen zertrümmern, führen sie uns unsere geteilten Werte vor Augen, aber auch, wer nicht zu „uns“ gehört.

Die besten Bösewichte sind dabei jene, die mehr bieten als reine Niedertracht. Sie verkörpern Narrative, die unsere eigenen Wertesysteme grundsätzlich infrage stellen. Womöglich versuchen sie sogar, uns mit der großen Erzählung, mit der sie die Welt interpretieren, auf ihre Seite zu ziehen, so wie Darth Vader den jungen Luke Skywalker. Sie verführen mit ihrer Interpretation der Welt und faszinieren uns mit sündigen Alternativen zur herrschenden Ordnung. Mit einem überzeugenden und anschlussfähigen Sinnangebot schaffen die besten Schurken es, zu schillernden (Anti-)elden ihres eigenen Reichs zu werden, mit Fans und Anhängern, die ihre Werte und Normen teilen – und ihre Ablehnung von etablierten kulturellen Konventionen. Oft sind sie sogar die spannenderen Figuren.

Kein Bösewicht in der Geschichte der Menschheit hat dabei eine ähnlich steile Karriere vollzogen wie der Teufel. Von einer alttestamentarischen Nebenfigur gelang ihm in den vergangenen rund 3.000 Jahren der Aufstieg zum Global Player. Auch wenn Papst Paul VI. ihn noch 1972 als „Feind Nummer Eins“ und „real existierende Kraft“ verstand, hat er längst seine traditionelle, durch die Glaubensvorstellungen des Nahen Ostens und die christliche Theologie geprägte Herkunft hinter sich gelassen. Die Bilderbuchkarriere des Teufels steht dabei auch für einen Emanzipationsprozess. Denn der kirchlichen Deutungshoheit hat er sich längst entzogen und hat spätestens seit der europäischen Aufklärung in den populären Kulturen und Literaturen großen Erfolg. Als Figur des Schauerromans, als Werbeikone oder als Leinwandstar erreicht der Teufel seit dem 19. Jahrhundert ein weltweites Publikum, für dessen Bedürfnis nach Vergnügen, Schauer, Action und Protest er anschlussfähig geworden ist. Satan, der in unserer vermeintlich säkularen Welt leicht als Anachronismus erscheinen mag, ist überraschend vital.

Trotz seiner vielen neuen Masken und Rollen steht er dabei im Kern noch immer für ein großes gesellschaftliches Narrativ: die Rebellion gegen Autoritäten. Er ist der Widersacher, der ausgestoßen wurde, als er sich gegen die etablierten Hierarchien des Himmels auflehnte. Und mit der Revolte gegen die traditionelle Ordnung können sich mehr und mehr Menschen identifizieren – gerade vor dem Hintergrund der Schübe soziokultureller Individualisierung, wie sie die modernen Gesellschaften seit der bürgerlichen Aufklärung des späten 18. Jahrhunderts und noch einmal drastisch beschleunigt im neoliberalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts durchlaufen. Besonders in den populärkulturellen Märkten bietet das im kulturellen Tiefenbewusstsein des globalen, christlichen Nordens felsenfest verankerte Bild vom Teufel als „Feind Nummer Eins“ Anschlusspunkte für Protest, Unangepasstheit und kreative Eigensinnigkeit. Der Teufel ist darin keineswegs mehr nur das Idol obskurer Randmilieus, okkulter Phantasten oder rebellischer Jugendszenen, sondern Alltag breiter Bevölkerungsteile.

Die erstaunliche Weltkarriere des Teufels vom christlich codierten Widersacher zum säkularen Symbol gesellschaftlichen Aufbegehrens verbindet sich im 20. und 21. Jahrhundert maßgeblich mit der populären Musik. Als „Leitmedium der Populärkultur“, wie sie der deutsche Kulturwissenschaftler Kaspar Maase bezeichnet, bildete sie den Transmissionsriemen für seine beispiellose Popularisierung.

Keine andere Musikform verbindet sich in diesem Prozess aber so sehr mit dem Teufel wie Heavy Metal. Galten bereits seine musikalischen Vorläufer Blues, Rock ’n’ Roll und Rock den Hütern konservativer Werteordnungen als „Teufelsmusik“, hat sich Heavy Metal von Beginn an in seiner Ästhetik, Literatur und Ideologie ganz grundsätzlich und aus freien Stücken dem Teufel verschrieben. Heavy Metal und den Teufel eint dabei vor allem der Drang, etablierte Grenzen zu überschreiten: Grenzen der Lautstärke, des „guten“ Geschmacks, des ästhetisch und moralisch „Erlaubten“, des bürgerlich-„hochkulturellen“ Kunstempfindens. Als in ihrem innersten Kern „transgressive“, also Grenzen überschreitende Kultur bezeichnet auch der britische Metalforscher Keith Kahn-Harris den Heavy Metal und verweist auf dessen grundsätzliches Selbstverständnis als gegenkulturelles Sprachrohr gegenüber einem als erdrückenden banal empfundenen popkulturellen Mainstream. Die Lust an der Kontroverse, der ritualisierte Tabubruch sei der DNA des Heavy Metal eingeschrieben.

So inspiriert der Teufel seit Entstehung des Heavy Metal in den späten 1960er Jahren Bands, deren Musik und teils auch deren individuelle spirituelle Suche. Die Künstler dankten es ihm mit einer beispiellosen kreativen Explosion, die ihn auch über die Säkularisierungs- und Entkirchlichungsprozesse des 20. Jahrhunderts zu einer festen Größe in unseren Alltagen macht. Und auch in dieser Beziehung sind Teufel und Heavy Metal transgressiv: Sie überschreiten mediale und längst auch geografische Grenzen und finden sich heute etwa auch in islamischen Staaten wieder. Gerade hier kommt dem Heavy Metal als „Teufelsmusik“ auch im 21. Jahrhundert noch eine bedeutende Rolle als kritisches Korrektiv mit erheblicher politischer Kraft zu.

Dutzende unterschiedlicher, oft gegenläufiger Erzählungen knüpfen im Heavy Metal an das faszinierende teuflische Narrativ der Rebellion gegen als beengend empfundene Ordnungen an. Um diese Erzählungen geht es in diesem Buch.1

Erzählungen sind zunächst eine alltägliche, jedem Menschen eigene Kulturtechnik. Sie dienen einerseits dazu, das eigene Leben und die Komplexität und Widersprüchlichkeit der modernen Welt kommunikativ zu ordnen, um so die unüberschaubare Fülle der kontrastierenden, bedrohlichen, manchmal auch lustigen und unerklärlichen Erfahrungen in eine überschaubarere Struktur zu bringen. Das hilft uns, die auf uns eindringenden Probleme zu bewältigen, unsere Entscheidungen zu begründen und so dem eigenen Dasein Sinn zu verleihen.

Andererseits sind Erzählungen auch schlicht unterhaltsam. Wir können uns in ihnen genussvoll verlieren, sie eröffnen uns fremde Welten, bieten ein Spiel mit Alternativen, eine fremde Perspektive auf die Welt, die uns belehren und informieren kann oder uns zumindest über neue Blickwinkel auf etablierte Gewissheiten grübeln lässt. Auch bereitet es Vergnügen, andere mit unseren Geschichten zu fesseln oder zu überraschen. Vielleicht wollen wir durch eine emotionale Erzählung auch Mitleid und Sympathie für uns selbst oder ein wichtiges Anliegen generieren? Denn Erzählungen verbinden auch. Sie schaffen Gemeinschaft und stiften Identität, indem sie es erlauben, uns auf die eine oder andere Weise zu erzählen – als rebellische Individualistin, als frommer Christ oder als kühle Intellektuelle. So können wir uns bestimmten gesellschaftlichen Gruppen und Wertesystemen kommunikativ zuzuordnen. Die deutsche Erzählforscherin Silke Meyer geht grundsätzlich davon aus, dass sich „Menschen gesellschaftliche Diskurse über das individuelle Erzählen aneignen“. Dabei glauben sie, dass „in der ‚richtigen‘ Selbsterzählung die Hoffnung auf soziale Inklusion liegt.“2

Besondere Überzeugungskraft erhalten unsere Erzählungen, wenn sie an eine größere, gemeinsame Geschichte andocken. Vor allem in den letzten zwanzig Jahren hat sich für diese verbindenden Metaerzählungen der Begriff des Narrativs etabliert. Die größte Metaerzählung des Heavy Metal ist die der Rebellion. Das Narrativ der Revolte, des Widerstands gegen „die da oben“ und jegliche Form von Autorität, verkörpert sich in keiner Figur so sinnfällig wie im Teufel, dem personifizierten Widerstand. Die Erzählungen sind dabei so vielgestaltig wie Teufel, Satan, Luzifer selbst. Bereits seine vielen Namen deuten es an: Nicht nur heute handelt es sich um eine internationale Gestalt, schon seine Entstehung fällt unter den Einfluss verschiedener Ethnien, Nationen und Glaubenssysteme.

Die Gestalt des Teufels geht zurück auf die Figur „der Satan“ im Alten Testament. Im hebräischen – was so viel bedeutet wie „der Opponent“ – wird der Teufel um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends erstmals als Widersacher und Feind greifbar (also etwa 2.500 Jahre vor der New Wave Of British Heavy Metal-Band Satan). Über die Septuaginta, die bedeutende erste Übersetzung des Alten Testamentes ins Griechische, verfestigte sich im 2. Jahrhundert v. Chr. diese Lesart. Neben dem Begriff nutzten die Übersetzer auch erstmals die Bezeichnung , die sich vom Verb ableitet – „verfeinden, schmähen, verleumden“. Daraus entwickelte sich das der lateinischen Bibelübersetzung, der Vulgata, und aus diesem wiederum das althochdeutsche die Wurzel des deutschen Wortes „Teufel“.

Eine weitere Facette des...


Manuel Trummer ist Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg und Gitarrist bei Atlantean Kodex.


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