E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: wbg Paperback
Lernen. Wissen. Handeln.
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: wbg Paperback
ISBN: 978-3-534-27437-6
Verlag: wbg Paperback in Herder
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Antisemitismus basiert auf jahrhundertealten Ressentiments und falschen Vorstellungen. Dagegen hilft nur entschlossene Aufklärung. Was heißt ›auserwähltes Volk‹? Was bedeutet ›Auge um Auge‹? Wollen Juden nichtjüdische Deutsche wirklich für immer im Büßerhemd sehen? Warum trägt Kritik am Staat Israel so häufig antisemitische Züge?
Gunda Trepp macht verbreitete Stereotype sichtbar und deckt judenfeindliches Denken auf. Ihr Buch ist eine kämpferische Argumentationshilfe für schwierige Gespräche mit Freunden und Verwandten, mit Schülern und Jugendlichen - ein Fundus an Wissen über Juden, Judentum und die jüdische Geschichte:
- Vorurteile enttarnen und Judenhass bekämpfen
- "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen": Wo beginnt Antisemitismus?
- Der Rachegott und andere Klischees über den jüdischen Glauben
- Jüdischer Alltag: Wie leben Juden in Deutschland heute?
- Zerschlagen wir die Bilder im Kopf und ersetzen sie durch Fakten!
Antisemitismus ist kein Problem der Juden, sondern unser aller Problem!
Immer noch verbergen Jüdinnen und Juden aus Angst ihre Kultur und Religion. Rechtsextrem, links, biodeutsch, migrantisch - Judenfeindlichkeit schafft merkwürdige Koalitionen und geht quer durch alle sozialen Schichten. Doch woher kommt der Hass auf Juden und wie können wir ihn bekämpfen? Was können Lehrerinnen und Lehrer tun, damit eine Generation von Anti-Antisemiten heranwächst?
Mit ihrem Handbuch zum Kampf gegen Antisemitismus beantwortet Gunda Trepp diese Fragen und ermutigt dazu, im Alltag konsequent Vorurteile mit Argumenten zu entkräften. Denn Veränderung ist nötig - nur so kann es weiterhin lebendiges jüdisches Leben in Deutschland geben!
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Einleitung - »Wähle das Leben!« 7
1 »Das wird man ja wohl sagen dürfen.« 15
»Ich kenne niemanden, der ein Problem mit Juden hat.« 15
Wo fängt denn Antisemitismus eigentlich an? 33
Nur geduldet. Bevorzugt in schwacher Position. 43
2 »Mal muss Schluss sein mit der Vergangenheit.« 59
Wenig Erinnerung und wenig Empathie . 60
Judenhass ohne Auschwitz bleibt doch Judenhass. 74
»Die sinnen nur auf Rache.« Stereotype? Zeitlos. 84
3 »Gerade die Juden sollten es doch besser wissen.« 107
Der Jude unter den Nationen - Warum gerade Israel? 109
»Was wollt ihr im Nahen Osten?« Delegitimierung von Beginn an 117
Wider besseres Wissen. Warum BDS antisemitisch ist. 130
4 »Beschneidung ist echt barbarisch.« 155
Das auserwählte Volk - und was das eigentlich heißt 157
Uraltes Klischee: Der Rachegott des Alten Testaments 166
Die Sorge um die jüdische Vorhaut 174
Ein Plädoyer fürs Tierwohl? Oder doch nur Judenbashing? 184
5 »Den Davidstern versteck' ich unterm Pulli.« 197
»Ist das nicht übertrieben?« Geteilte Wahrnehmungen 198
Einig gegen Juden. Die Bedrohung kommt von allen Seiten. 207
Der Wunsch: Ein offenes jüdisches Leben führen zu können 221
Anmerkungen 235
Einleitung – »Wähle das Leben!«1
Noch ein Buch zum Antisemitismus? Ja. Und nein. Dies ist nicht nur ein Buch über Judenfeindlichkeit. Vor allem ist es eine Streitschrift zur Anerkennung der Realität. Wenn Sie so wollen, ist es ein Handbuch zum Kampf gegen den jahrtausendealten Hass. Eine Gebrauchsanweisung gegen den Antisemitismus. Also geht es natürlich auch um ihn. Doch geht es weniger darum, um wie viel Prozent er zunimmt und aus welchen Ecken er kommt. Natürlich werden wir das thematisieren, doch uns interessiert vor allem das »Warum«. Denn nur dann können wir das »Wie« und »Aus welchen Ecken« verstehen. Dabei wollen wir nicht nur die Stereotype offenlegen, die sich hinter antisemitischen Haltungen verbergen. Wir stellen diesen Stereotypen Fakten gegenüber. Wir gehen davon aus, dass Sie sich des Problems bewusst sind und vielleicht das Gefühl haben, dass man etwas tun sollte. Sonst würden Sie diese Zeilen wahrscheinlich nicht lesen. Sie investieren Zeit, um sich diesem komplexen Thema zu nähern. Und Sie möchten wissen, was Sie persönlich tun können. Trotzdem fehlt Ihnen bei der Fülle der Ereignisse manchmal die Übersicht, und Sie bekommen das Gefühl, das Thema genauer durchdringen zu wollen. Dieses Buch soll Ihnen diese Übersicht geben – so anschaulich wie möglich und mit Hinweisen auf weitere Informationsquellen. So erhalten Sie einen Ausgangspunkt, von dem aus Sie sich weiter orientieren können. Der Umgang mit jüdischen Männern, Frauen und Kindern hat sich zunehmend enthemmt. Im Internet ohnehin, wo sich der Hass in einem erschreckenden Ausmaß ungefiltert entlädt. Doch sobald sich Juden als Juden outen, können Nichtjuden ihre gute Kinderstube auch im realen Leben schon mal vergessen. Ohne Sinn für Distanz oder Respekt stecken sie alle Juden in eine Schublade und fordern auch noch deren Unterstützung dafür ein. Wenn sie zum Beispiel jüdische Bürger als Nahostexperten befragen, die Antwort aber eigentlich nicht hören wollen, oder wenn sie ungefragt und ohne Interesse jüdische Bräuche beurteilen. Kaum etwas bleibt unkommentiert, wenn man als Jüdin oder Jude agiert. Kein Wunder, dass nicht wenige Gesprächspartner in Studien angeben, ihre jüdische Identität zu verbergen. Es ist eine Selbstverständlichkeit für die meisten Juden, das zumindest an bestimmten Orten zu tun. Was aber macht es mit Menschen, wenn sie einen Teil ihres Selbst verleugnen, um unbehelligt durchs Leben zu gehen? Und, weitaus besorgniserregender für die jüdische Gemeinschaft, was macht es mit ihren Kindern, wenn die sich nicht trauen, in ihrer Schule als Juden aufzutreten? Das ist eine Entwicklung, um die sich auch die Mehrheitsgesellschaft kümmern sollte. Jüdische Bürger würden sich gerne mit anderen Dingen beschäftigen als vorwiegend mit Fragen, die um ihre Sicherheit kreisen. Und sich das klarzumachen, ist wichtig: Juden in Europa fühlen sich nicht mehr sicher. Wie hört sich ein solcher Satz an? Zwei Generationen nach der Schoah? In einer Zeit also, in der es immer noch Überlebende des Vernichtungsfeldzugs gegen die europäischen Juden gibt? In Frankreich und Belgien sind Bürger in den letzten Jahren bereits ermordet worden, weil sie Juden waren, darunter auch Überlebende. Und nur weil die Tür einer Synagoge stabil genug oder der Täter »zum Glück zu dämlich« war, wie es in einem Post hieß, müssen wir nach dem Anschlag in Halle im Herbst 2019 nicht auch Deutschland auf diese Liste setzen. Das sind unhaltbare Zustände, auch für Nichtjuden! Denn lässt eine Gesellschaft es zu, dass der Anspruch an ein menschliches und respektvolles Miteinander kontinuierlich sinkt und verloren zu gehen droht, wird die zunehmende Verrohung irgendwann jeden betreffen. Für das Überleben einer funktionierenden Zivilgesellschaft muss sich jeder Bürger und jede Bürgerin dem Hass gegen eine einzelne Gruppe entgegenstellen. Der erste Schritt dazu ist, das Problem zu akzeptieren. Es verschwindet nicht, indem man es kleinredet oder relativiert. Dazu gehört vor allem, dass man die Bedenken der Betroffenen ernstnimmt. Und dazu gehört, dass man antisemitische Beleidigungen und Angriffe auch so benennt. Sie kommen aus rechten, linken und muslimischen Kreisen. Und sie kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Es hilft keinem, eine Variante je nach Interessenlage oder eigener politischer Haltung herunterzuspielen. Dieser Band möchte den Lesern helfen, ein Gespür dafür zu bekommen, wann Menschen in ihrer Gegenwart Dinge sagen, die untragbar sind. Und es soll Ihnen helfen, eigene Verhaltensweisen oder Klischees zu hinterfragen. Manche Stereotype haben sich so in der bürgerlichen DNA festgesetzt, dass sie als gegeben und normal angesehen werden. Auch in Akademikerkreisen habe ich Aussagen gehört, die mich zusammenzucken ließen. Dieses Buch rückt Annahmen zurecht und ermöglicht es, angesprochene Probleme zu verstehen und zu erfassen. Es ist aus der Erkenntnis entstanden, dass Antisemitismus sich nicht allein verhindern lässt, indem man gutwilligen Menschen hilft, ihn zu erkennen und sie darüber informiert, wo und wie sie Rat und Hilfe finden können. Das ist wichtig, aber alleine reicht es nicht aus. Was also muss geschehen, damit der Judenhass nicht in jeder Generation weitergegeben wird? Wie erzieht man eine Generation von Anti-Antisemiten? Mir ist während des Schreibens noch klarer geworden: Deutschland braucht eine systematische Erziehung gegen Antisemitismus. Wir werden das Problem ohne die Einbeziehung der Lehrer und Lehrbeauftragten nicht lösen. Es ist kaum zu verstehen, dass das Land, auf dem der Schatten der Schoah liegt, seine zukünftigen Lehrer nicht per Curriculum verpflichtet, Grundzüge des Judentums und jüdischer Ethik und die Entstehung des Staates Israel zu studieren. Wie wir sehen werden, stehen Lehrer antisemitischen Äußerungen und Taten ihrer Schüler oft hilflos gegenüber, weil sie es selbst nicht besser wissen. Es wird Zeit, dass besonders Schulen und Universitäten an die Wurzeln des Problems gehen. Deutschland sollte das Land der Anti-Antisemiten werden. Das wäre die Lehre aus der Schoah. Ohne Bildung gibt es dafür keine Chance. Warum habe ausgerechnet ich dieses Buch geschrieben? Als »Jew by choice« – jemand, die das Judentum für sich gewählt hat? Weil es in ihm in weiten Teilen um jüdisches Leben gehen soll – um jüdische Identität und das Judentum, das seit Jahrtausenden mit Hass konfrontiert ist – und weil mir dieses jüdische Leben wichtig geworden ist. Als junge Frau habe ich angefangen, mich mit dem Judentum zu beschäftigen, mit seiner spirituellen Schönheit und Klarheit des Denkens, seinen Diskursen, der tiefen Ethik, mit dem Gedanken der Gerechtigkeit und Akzeptanz aller Menschen als von Gott geschaffen. Werte, die mich zu einem sozial denkenden Menschen gemacht hatten, bekamen hier eine tiefere Bedeutung, weil sie gegründet waren auf einer wechselseitigen Beziehung zwischen Gott und Mensch, in der beide Seiten Erwartungen aneinander haben. Kurz, ich habe mich verliebt – in die Tora, in das Denken von Talmudisten und Philosophen, in die Gemeinschaft und das Miteinander und Füreinander. Trotzdem blieb Auschwitz. Ich hätte mich nicht für den Übertritt entschieden, wenn ich nicht meinen zweiten Mann, einen Rabbiner und Überlebenden, getroffen hätte, der mich dazu ermutigt hat. Es wäre mir übergriffig vorgekommen, anmaßend. Ich bin Jahrgang 1958, und da kann man nicht mal einfach von der Täterauf die Opferseite wechseln. Und, ohne es an dieser Stelle vertiefen zu wollen, dies ist nun mal das Bild, das viele jüdische wie auch nichtjüdische Deutsche hatten und oftmals haben. Doch erst auf der anderen Seite habe ich wirklich erfasst, wie akut der Judenhass immer noch ist. Und damit meine ich: Nicht nur theoretisch zu wissen, dass es Antisemitismus auch ohne die Schoah gegeben und er sie maßgeblich ermöglicht hat, und dass es ihn nach der Schoah immer noch gibt. Sondern es zu fühlen. Auf der deutschen, nichtjüdischen Seite habe ich feindliche Haltungen gegenüber Juden unmittelbar beobachtet. Doch ich war nicht persönlich betroffen. Ich musste nicht sehen, dass der geliebte Mensch sich veränderte, dass seine Augen ins Nichts versanken, wenn Bürger seiner grenzenlosen Menschenliebe mit Zynismus begegneten. Mir zog sich nicht der Magen zusammen, wenn ich ahnte, was kommt. Zum Beispiel, dass Menschen über ihre bemitleidenswerten Eltern in den Bombennächten klagen und damit die Erfahrungen eines Überlebenden wegwischen würden, die mein Mann gerade mit ihnen geteilt hatte. Oder dass sie beiläufig seufzen würden »Wenn man sieht, was die Israelis jetzt mit den Palästinensern machen«, und den Nahostkonflikt damit in den Zusammenhang mit der Schoah brachten. Kurz – ich war dem Antisemitismus nicht direkt ausgesetzt. Ihn zu erfahren, ist etwas sehr anderes als ihn zu betrachten oder über ihn zu theoretisieren. Das ist eine Binsenweisheit, doch wie wichtig es ist, dass Menschen sie verstehen, zeigen tägliche Beispiele von Missinterpretation, Lächerlichmachen, Ignorieren und Nichtverstehen jüdischer Erfahrungen. Geleitet haben mich beim Schreiben meine Begegnungen und Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre mit Menschen, die...