Trampusch | Der erschöpfte Sozialstaat | Buch | 978-3-593-38907-3 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 66, 268 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 344 g

Reihe: Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln

Trampusch

Der erschöpfte Sozialstaat

Transformation eines Politikfeldes
1. Auflage 2009
ISBN: 978-3-593-38907-3
Verlag: Campus

Transformation eines Politikfeldes

Buch, Deutsch, Band 66, 268 Seiten, Format (B × H): 141 mm x 215 mm, Gewicht: 344 g

Reihe: Schriften des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Köln

ISBN: 978-3-593-38907-3
Verlag: Campus


Seit Mitte der 1990er Jahre unterliegt die Sozialpolitik einem radikalen Strukturwandel. Was sind die Gründe für die Transformation dieses einst so stabilen Politikfeldes? Christine Trampusch zeichnet die Entwicklung des deutschen Sozialstaates anhand der Arbeitsmarkt und Rentenpolitik nach. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass die Ursachen im Politikfeld selbst liegen: Der Sozialstaat ist erschöpft. Über Jahrzehnte hinweg wurden die Ressourcen aufgebraucht und zwischen Parteien und Verbänden kam es mehr und mehr zu Spannungen und Konflikten. Die Folgen sind nun aktive Eingriffe der Regierung in das Politikfeld und damit dessen Erosion.

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Inhalt

Vorwort

Einleitung
Erschöpfter Sozialstaat

Die Reformstauthese
Relative Autonomie - Entautonomisierung - Erschöpfung
Folgen für die Politikanalyse
Endogene versus exogene Ursachen des Wandels
Methode und eigener Ansatz
Zusammenfassung und Struktur des Buches

Kapitel 1
Autonomisierung und Erschöpfung

1. Sozialpolitischer Staatsinterventionismus
Bundesanstalt für Arbeit
Verschiebebahnhof als Stabilisierungspolitik
Frühverrentungspolitik

2. Fiskalische relative Autonomie
Die Belastungsverschiebungspolitik
Das Röhrensystem zwischen der Rentenkasse und der Bundesanstalt für Arbeit

3. Politische relative Autonomie
Westdeutschland: Bundesanstalt für Arbeit und Frühverrentungspolitik
Die Sozialpolitiker
Wiedervereinigung und Sozialpolitik

4. Erschöpfung: Problem- und Konfl iktsequenzen
Risse im Sozialkonsens vor der Wiedervereinigung
Risse in der Wiedervereinigungskoalition
Stopp der Frühverrentung

Kapitel 2
Entautonomisierung

5. Die Rückkehr der Politics: Die Dynamik von Parteienkonflikten
Der Verfall der christlich-liberalen Regierung und ihres Bündnisses für Arbeit
Das Bündnis für Arbeit unter der Regierung Schröder

6. Wiederherstellungsversuche der Suprematie der Politik
Hartz-Kommission und Agenda 2010
Verzweifelte Politik der fi skalischen Kontrolle
Rentenreform 2001

7. Strukturwandel der Selbstverwaltung, Pluralisierung und Liberalisierung
Strukturwandel der Selbstverwaltung
Pluralisierung
Liberalisierung: Märkte und tarifl iche Sozialpolitik

8. Autonomisierung des Parteiensystems: Elitenwechsel in der Sozialpolitik
Elitenwechsel
Parteien- und Verbändesystem in Bewegung

Kapitel 3
Folgen der Transformation für die Politikanalyse

9. Entwicklung der Policy-Analyse
Sozialstaat im Brennpunkt einer Theoriedebatte
Strukturprobleme des kapitalistischen Staates oder aktive Politik?
Funktionale Differenzierung und akteurzentrierter Institutionalismus
Der erneute Reformulierungsbedarf für die Policy-Analyse

10. Policy-Analyse und die Stilllegung "aktiver Politik" (Politics)
Die Stilllegung
Kritik an der Stilllegung

11. Der endogen-evolutionäre, aber radikale Wandel des Politikfeldes
Stabilität infolge positiver Feedback-Prozesse
Exogener Schock?
Kumulation von inkrementeller Anpassung?
Radikaler Wandel infolge negativer Feedback-Prozesse

Abbildungen und Tabellen
Abkürzungen
Literatur


Kapitel 2
Entautonomisierung

Seit Mitte der Neunzigerjahre manifestiert sich die Erschöpfung im Politikfeld in einer Entautonomisierung der Sozialpolitik. In den folgenden vier Abschnitten wird dies anhand der Rückkehr der Politics und der Dynamik von Parteienkonflikten, der Versuche der Wiederherstellung der Suprematie der Politik, des Strukturwandels der Selbstverwaltung, der Pluralisierung und Liberalisierung der Sozialpolitik sowie der Autonomisierung des Parteiensystems näher erläutert.

Mitte der Neunzigerjahre stellen sowohl in den Parteien als auch aufseiten der Wirtschaft radikale Reformkräfte den Sozialkonsens infrage. In den Parteien kritisiert der Wirtschaftsflügel zunehmend den Kooperationskurs von Kohl und Blüm immer stärker, in den Wirtschaftsverbänden fordert der industrielle Mittelstand eine Senkung der Lohnnebenkosten. Versuche einer im Gruppenkonsens beschlossenen Sozialreform scheitern an der Dynamik der Parteienkonflikte sowie aufgrund von Dissonanzen zwischen Staat, Wirtschaft und Gewerkschaften über den sozialpolitischen Veränderungsbedarf. Als Folge der Diskreditierung einer dreiseitig abgesprochenen sozialstaatlichen Strukturreform setzt sich bereits unter der Regierung Kohl ein an den Gewerkschaften vorbei beschlossener Kurswechsel durch. Dieser wird von der Regierung Schröder nach dem erneuten Scheitern eines Bündnisversuchs mit der Agenda 2010 und den Hartz- Reformen fortgeführt. Parallel zu diesen Veränderungen im sozialpolitischen Entscheidungsprozess verändern sich nachhaltig Strukturen im Politikfeld. Die Regierung beginnt, eine Reorganisation der Selbstverwaltung vorzunehmen, die deren Entfunktionalisierung verstärkt. Im Verbändesystem kommt es zu einer Pluralisierung insofern, als Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einem Fragmentierungsprozess unterliegen und zunehmend mit neuen Akteuren im Politikfeld konkurrieren müssen. Neben der Autonomisierung des Parteiensystems sind zwei Prozesse innerhalb der Sozialpolitik zu beobachten: ein Liberalisierungsprozess, der sich in der Einführung von Marktstrukturen ausdrückt, und ein Elitenwechsel von Berufssozialpolitikern zu Berufspolitikern, im Zuge dessen sich die dichten Beziehungsstrukturen zwischen Parteien und Verbänden in diesem Politikfeld auflösen.

5. Die Rückkehr der Politics: Die Dynamik von Parteienkonflikten

In Abschnitt 4 über die Erschöpfung des Sozialstaats aufgrund von Problem- und Konfliktsequenzen wurde bereits darauf Bezug genommen, dass in den Neunzigerjahren der Sozialkonsens brüchig wurde, weil in den Parteien der Wirtschaftsflügel und in den Verbänden der industrielle Mittelstand an Einfluss gewannen. Anhand der zunehmenden Polarisierung der christlich-liberalen Koalition nach dem Ende der Wiedervereinigungsrunden und des Verfalls des Bündnisses für Arbeit unter Kohl sowie der Gründung und des Verlaufs des Bündnisses für Arbeit unter der Regierung Schröder wird im Folgenden nun beschrieben, wie sich die Konfl ikte zunehmend verstärkten (vgl. dazu auch Hassel/ Trampusch 2006). Mit der Erschöpfung des Sozialstaats wurde nicht nur das Band zwischen Christdemokraten und Gewerkschaften zerschnitten; unter der Regierung Schröder kam es auch zu einem Bruch mit den Sozialdemokraten.

Der Verfall der christlich-liberalen Regierung und ihres Bündnisses für Arbeit

Nachdem mit der Wiedervereinigung die tradierten Strukturen der Sozialpolitik auf die neuen Länder übertragen worden waren, häuften sich Mitte der Neunzigerjahre die sozialpolitischen Probleme Deutschlands. Die Sozialpolitik federte die sozialen Auswirkungen der raschen Wirtschafts- und Währungsunion ab. Infolgedessen stiegen das Sozialbudget zwischen 1990 und 1996 von 27,8 auf 32,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP)1 und die Sozialversicherungsbeiträge von 35,5 auf 41,1 Prozent (Tabelle 3). Die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung und die BA (inklusive Arbeitslosenhilfe), die im Jahr 1990 bei etwa 24,6 Milliarden Euro gelegen hatten, wuchsen bis 1996 auf 58,9 Milliarden Euro an (Streeck/Trampusch 2005: 178). Obwohl die Konsolidierung des Haushalts bereits 1993 mit dem Solidaritätspakt begonnen hatte und 1995 durch die Wiedereinführung des Solidaritätszuschlags weitergeführt wurde, stieg das Haushaltsdefizit auf neue Rekordhöhen und betrug 1996 40 Milliarden Euro (Zohlnhöfer 2005: 6). Die Lage war umso bedrohlicher, als spätestens 1997 der Bundeshaushalt den Maastricht-Kriterien genügen musste (Zohlnhöfer 2005: 6).

In dieser fiskalpolitisch angespannten Lage bahnte sich innerhalb der Regierung ein Grundsatzkonflikt an, bei dem sich die Sozialpolitiker der Union auf der einen Seite und die Wirtschaftspolitiker der Koalition auf der anderen Seite unversöhnlich gegenüberstanden. Hatten sich in der Frage der Pflegeversicherung 1992 noch die Sozialpolitiker durchsetzen können, so siegten im Hinblick auf die Lohnfortzahlung 1996 die Wirtschaftsliberalen. Das Bündnis für Arbeit, das der Regierung im November 1995 vom IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel angeboten wurde, blieb in dieser Auseinandersetzung "auf der Strecke". Die Konflikte innerhalb der Regierung, die sich durch Machtansprüche der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion und des Koalitionspartners FDP zuspitzten, überlagerten die Versuche einer ausgehandelten Sozialreform und machten ein koordiniertes Vorgehen der Regierung innerhalb des ersten Bündnisses letztlich unmöglich. Aus welchen Gründen und in welcher Form es zu diesen Zerfallserscheinungen kam, wird im Folgenden erläutert.

Im Herbst 1994 fanden Bundestagswahlen statt, die die Regierung Kohl im Amt bestätigten. Was nun folgte, waren zwei Jahre intensiver sozialpolitischer Auseinandersetzung in einer Weise, die man bis dahin noch nicht erlebt hatte. Nachdem infolge der Rezession 1993 im Bundeswirtschaftsministerium, im Wirtschaftsflügel der Parteien und in den Wirtschaftsverbänden zunehmend die Einsicht gewachsen war, dass reformpolitisch Handlungsbedarf bestand, entbrannte die Standortdebatte von Neuem. Hatte Helmut Kohl in den Wiedervereinigungsrunden noch auf der Reformbremse gestanden, so geriet er nun zunehmend unter Druck, diese zu lösen, und der Reformprozess kam in Fahrt.

In seiner Regierungserklärung im November 1994 kündigte Kohl eine Neuauflage der im September zuvor beendeten Kanzlerrunden an, die sich nun auf Gesamtdeutschland beziehen sollten. Er habe den "Spitzenvertretern" von Wirtschaft und Gewerkschaften "gemeinsame Gespräche" über "wichtige Zukunftsfragen " vorgeschlagen, und diese hätten positiv reagiert, weshalb er sie "sehr bald" zu diesen Gesprächen einladen werde. Als Ziel der Runden nannte er "die Schaffung zusätzlicher zukunftsfähiger Arbeitsplätze" (Plenarprotokoll, 5. Sitzung des Bundestages, 13. Wahlperiode, 23.11.1994, 42). Während die Gewerkschaften sich von den neuen Runden einen Beschäftigungspakt erhofften (DGB, Deutsche Presse-Agentur 23.2.1995) - jedoch sehr schnell merkten, dass diese dazu dienten, sie beim Sozialabbau dabei zu haben - forderte der ZDH bereits auf der ersten dieser Kanzlerrunden eine Senkung der Lohnnebenkosten ein (Deutscher Depeschendienst 25.1.1995). Zwischen dem 25. Januar 1995 und dem 23. April 1996 folgten nun neun neue Kanzlerrunden, die schließlich wegen des Konfl ikts um die Lohnfortzahlung in einem Debakel endeten. Gerade dadurch brachten sie jedoch die Vielzahl der aufgestauten Konflikte und die Erschöpfung des Sozialstaats mehr als deutlich zum Ausdruck.

Zwischen Herbst 1994 und Frühjahr 1996 schwankte die Regierung zwischen zwei Optionen: Die erste bestand in einer durch die Kanzlerrunden abgestützten sozialen Harmonisierung von Sozialreformen. Dafür setzten sich Kohl und der Arbeitnehmerflügel ein, die den Reformprozess nicht einfach qua Gesetzgebung, sondern durch einen Gruppenkonsens im vorparlamentarischen Verfahren durchführen wollten. Die zweite Option sah einen unilateralen Durchmarsch von Reformschritten ohne Beteiligung der Gewerkschaften vor, wurde vom Wirtschaftsflügel um Wolfgang Schäuble favorisiert und setzte sich schließlich auch durch. Dies zerstörte jedoch das Vertrauensverhältnis, das Kohl während der Wiedervereinigung zu den Gewerkschaften aufgebaut hatte, und verhalf Rot-Grün 1998 zum Wahlerfolg.

Beide Optionen - "Konsens" oder "Intervention" - wurden bereits 1995 vorbereitet. Die Konsensoption wurde zunächst durch die neuen Kanzlerrunden angestoßen und durch Klaus Zwickel mit seinem Angebot für ein Bündnis für Arbeit im November 1995 aufgegriffen. So fand auf der ersten Runde im Januar 1995 ein "Gespräch zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland und für mehr Beschäftigung" statt, auf dem Maßnahmen zur Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit behandelt wurden. Auf diese Runde folgten bis September 1995 vier weitere, die sich vor allem mit Ausbildungsfragen befassten. Die Arbeitgeber jedoch nutzten diese Treffen auch, um die Frage der Lohnnebenkosten anzusprechen.


Trampusch, Christine
Christine Trampusch ist Assistenzprofessorin für Vergleichende Politik an der Universität Bern.

Christine Trampusch ist Assistenzprofessorin für Vergleichende Politik an der Universität Bern.



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