E-Book, Deutsch, Band 4, 400 Seiten
Reihe: City of Elements
Tramountani City of Elements 4. Der Ruf des Feuers
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-86418-114-6
Verlag: Oetinger Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 4, 400 Seiten
Reihe: City of Elements
ISBN: 978-3-86418-114-6
Verlag: Oetinger Taschenbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nena Tramountani, geboren 1995, liebt Kunst, Koffein und gute Geschichten. Am liebsten feilt sie in Cafés an ihren Romanen und hat dabei ihre Lieblingsplaylist im Ohr.
Autoren/Hrsg.
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EINS Magenta
Ich hatte keine Chance. Sie waren zu fünft. Auf ihren Gesichtern lag die gewohnte Mischung aus Vergnügen und Hass. Ich wusste nicht, was ich verbrochen hatte. Ich wusste nur, es musste etwas sehr Schlimmes sein.
»Was treibst du dich alleine hier draußen rum?«, rief Seth, während ich mich hastig aufrappelte und das Buch hinter meinem Rücken versteckte, als könnte ich es so vor ihnen beschützen. Die Worte darin waren zu lang und zu kompliziert für mich, doch es beruhigte mich, über die schwarzen Buchstaben auf dem vergilbten Papier und über den abgewetzten Einband zu streichen. Mir die fremde Welt vorzustellen, die sich zwischen den Buchdeckeln befand.
Ich träumte oft von fremden Welten, egal, ob ich wach war oder schlief. Und manchmal beschlich mich der Verdacht, dass auch ich aus einer stammte. Dass dies der Grund war, wieso ich nicht in diese passte.
Die Sonne war hinter den Baumkronen und einer ungewöhnlich dunklen Wolke verschwunden. In Sekundenschnelle verwandelte sich die malerische Idylle in etwas Bedrohliches. Ich war heute extra eine halbe Stunde durch das Waldstück neben unserem Haus gestapft, um zu diesem Ort zu gelangen. Um ungestört zu sein.
Vergebens.
Sie kamen auf mich zu. Wie Raubtiere, die ihre Beute umkreisten, positionierten sie sich um mich herum.
»Die kleine Psychopatin hat bestimmt versucht, Geister heraufzubeschwören!«
»Oder sie redet mit ihren imaginären Freunden.«
Seth allein war schon schlimm genug, aber zusammen mit seinen Freunden war er nicht zu halten. Sie waren groß, hatten schmutzige Hände und leere Blicke.
Die blauen Flecken auf meiner Haut schienen jedes Mal wieder zu pochen, wenn einer von ihnen in meine Nähe kam.
»I-ich wollte nur lesen«, brachte ich hervor und wünschte mir eine Sekunde später, ich hätte den Mund gehalten, als sie in schallendes Gelächter ausbrachen.
»Seit wann kann deine Schwester lesen, hm, Colville?«
Seth sah aus, als sei er drauf und dran, seinem Freund an die Gurgel zu gehen. »Sie ist nicht meine Schwester, wie oft noch?!«
Es tat nicht mehr weh, wenn er so etwas sagte. Ich hatte Mum gefragt, ob es stimmte. Mit glasigen Augen hatte sie mich angesehen, den Kopf geschüttelt und mir übers Haar gestrichen. hatte wehgetan. Mum berührte mich fast nie, und immer, wenn sie es tat, erinnerte ich mich daran, wie schön es sich anfühlte.
»Weißt du, was dein Name bedeutet, Psycho?«, rief Jonathan. Er war jetzt so nah, dass ich seinen Schweiß roch. Für einen kurzen Moment flackerte mein Blick zu den Mohnblumen zwischen den grünen Grashalmen. Was wünschte ich, ich könnte meine Nase darin vergraben und tief einatmen …
Reflexartig trat ich einen Schritt zurück. Weglaufen brachte nichts, das hatte mir das letzte Mal deutlich gezeigt. Aber wenn ich noch zwei Schritte rückwärtsging, würde ich ins Leere treten. Wir befanden uns direkt an einer Klippe.
»Me-la-mar-cia.«
Er zog die Silben meines Namens auseinander und lachte hämisch. Ich mochte den Namen auch nicht besonders, er war lang und komisch und ganz anders als die der anderen Kinder. Noch etwas, das mich von ihnen und dieser Welt trennte.
»Ein fauler Apfel! Das passt ganz gut, oder?«
Die Worte stachen, sie nisteten sich in mir fest, und ich wusste, heute Nacht, wenn ich ihnen schutzlos ausgeliefert war, würden sie erneut zum Vorschein kommen, um mich heimzusuchen. Doch sie waren nicht so schlimm wie das, was folgen würde. Sie waren nur der Anfang.
»Bitte«, piepste ich und sah zu Seth. Obwohl es zwecklos war, konnte ich es nicht lassen, etwas in seiner Miene zu suchen, woran ich mich festklammern konnte.
Er preschte nach vorn, in zwei großen Schritten war er bei mir und packte mich bei den Schultern. »Die Welt wäre besser dran ohne dich, verstehst du das?«, zischte er. »Wir wollten dich nie! Du gehörst nicht hierher!«
Mit diesen Worten gab er mir einen kräftigen Stoß.
Es gab nichts, was ich tun konnte. Ich stolperte nach hinten, mein Magen überschlug sich, und mein Herz setzte aus. Für ein paar Sekunden krochen die Eindrücke wie in Zeitlupe auf mich zu. Das Grün der Bäume, ein kleiner Fleck strahlendes Himmelblau, ein schreiender Vogel.
Wie schön ein Ort sein konnte, obwohl die grausamsten Dinge an ihm geschahen.
Dann glitt das Buch zu Boden, und ich trat ins Nichts.
Ich schrie nicht. Ich presste die Augen nicht zu. Ich fiel einfach.
Es dauerte nicht lang. Im einen Moment spürte ich den Luftzug an meinem Körper, im nächsten verschwand die Umgebung vor mir in weißem Licht.
Nun stürzte ich nicht länger nach unten, ich begann mich zu drehen, schneller und schneller, wie wenn ich mich einen Hügel herabrollte, bloß dass ich jetzt schwebte. Da waren Bilder. Sie flogen an mir vorbei. Oder flog an vorbei? Die Hände meiner Mutter. Ein zersprungener Teller. Hestia, meine Lieblingspuppe, bevor Seth sie mit einem Küchenmesser zerfetzt hatte.
Mein Name ertönte. Sanft. Gesprochen von der einzigen Stimme, die Wärme ausstrahlte.
War er hier?
War Phos zu meiner Rettung geeilt?
Eigentlich weinte ich nicht mehr, aber jetzt wollte ich es tun. Mir war so schlecht.
Plötzlich verschwand alles. Die Bilder. Die Gedanken. Die Geräusche. Die Übelkeit blieb. Da waren Buchstaben. Ein Wort. Es brannte lichterloh. Ich brauchte einen Augenblick, um es zu entziffern.
.
Meine Lider flatterten zu, und ich spürte die Tränen. Und dann begriff ich. Ich war im Himmel. Und im Himmel konnte man sich Dinge wünschen.
dachte ich und drückte die Augen noch fester zu.
.
Die Sonne ergoss sich über die Wiese und ließ ihre dunklen Locken funkeln. Schokoladenbraun. Genau wie ihre Augen.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem unwiderstehlichen Lächeln. Sie sah ausschließlich mich an. Neugierig. Herausfordernd.
»Kiana Lyberth.« Obwohl sie gerade die Klippe hinaufgeklettert war, ging ihr Atem regelmäßig. »Es wurde aber auch langsam Zeit, dass wir uns kennenlernen.«
Mit ganzer Macht konzentrierte ich mich darauf, nicht zu Will zu schauen. Solange ich seinen Gesichtsausdruck nicht sah, konnte ich mir einbilden, alles war beim Alten. Er hatte gerade nicht die Nerven verloren, weil sich die schöne Fremde in Gefahr gebracht hatte. Das hier war nur eine gewöhnliche Unterhaltung mit einer weiteren Sympathisantin der Migma. Keine große Sache.
Trotzdem spürte ich ihn neben mir, hörte seine abgehackten Atemzüge, die er im Gegensatz zu ihr ganz und gar nicht unter Kontrolle hatte. Als hätte gerade einen Bungeesprung hinter sich, nicht die junge Frau vor mir …
»Du siehst exakt so aus wie in meinem Kopf«, fuhr sie samtweich fort, und ihr Lächeln wurde breiter, bevor sie mir ihre Hand hinstreckte.
»W-was?«
Bewegungslos starrte ich sie an. Diese Kälte in ihrem Blick, trotz des Lächelns. Dieser Olivteint, um den ich Evelyn schon immer beneidet hatte …
Plötzlich schob sich ein anderes Gesicht vor ihres. Eins, das zur Hälfte von Narben entstellt war.
Nero neben mir vor dem Feuer spuckenden Vulkan bei den Pyro. Nero, wie er mich festhielt und mich zwang, in die Lava zu schauen, wie er mich anschrie, als er meine Vision sah.
Sie ließ ihre Hand wieder sinken und zuckte mit den Schultern. »Ich hatte schon eine Vision von dir. Da warst du allerdings in der Lage, ganze Sätze von dir zu geben.«
Glühende Hitze kroch in meine Wangen.
»Ich auch«, brachte ich halb krächzend hervor, und schließlich etwas gefasster: »Ich habe dich auch schon gesehen.«
Ein Funkeln trat in ihre Augen, und ihr Lächeln verblasste. »Wie schön. Du kannst mich Marcia nennen.«
Ohne meine Antwort abzuwarten, wandte sie sich von mir ab und meinem Inventi zu.
»Hi!« Sie strich sich eine widerspenstige Locke hinters Ohr. »Du hingegen siehst noch besser aus als gedacht. Ich wollte dir keinen Schrecken einjagen, sorry, wir dachten nur, wir testen die Verbindung am besten gleich.«
Wie in Zeitlupe drehte ich mich zu Will und bereute es sofort. Seine Augen waren rot gerändert, sein Gesicht kalkweiß, und er zitterte am ganzen Körper, während er sie völlig entgeistert anstarrte.
Marcia.
Melamarcia.
Was war das für ein bescheuerter Name?
»Was haltet ihr davon, wenn wir uns erst mal setzen und einen Tee trinken?«, klinkte sich Phos mit sanfter Stimme ein und deutete auf das gläserne Haus am Klippenrand.
Mein Kopf ruckte zu ihm. Ich hatte ganz verdrängt, dass er noch neben uns stand. Er legte Marcia eine Hand auf den Rücken, beugte sich zu ihr. »Es gibt viel zu besprechen, und die beiden haben sicherlich eine Menge Fragen.«
Will beachtete ihn nicht. Er trat einen Schritt nach vorn, bis ihn keine Armlänge mehr von ihr trennte.
Alles in mir zog sich zusammen.
Spürte er ihren Herzschlag?
Traf ihn die Übelkeit wie ein Fausthieb, wenn er nicht ganz nah bei ihr war?
»Wie zum Teufel ist das möglich?«, hauchte er. »Wenn du … wenn du Neros und Gaias Tochter bist … also eine Mischung aus Erde und Wasser … Wie kann ich …« Er presste sich eine Hand aufs Herz, und wie...