E-Book, Deutsch, Band 3, 304 Seiten
Reihe: Ein Pippa-Bolle-Krimi
Tote Fische beißen nicht
12001. Auflage 2012
ISBN: 978-3-8437-0247-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein neuer Fall für Pippa Bolle
E-Book, Deutsch, Band 3, 304 Seiten
Reihe: Ein Pippa-Bolle-Krimi
ISBN: 978-3-8437-0247-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Frau Auerbach lebt und arbeitet als freie Autorin im Rheingau. Sie schreibt Krimis, Kurzgeschichten und Drehbücher. Sie liebt einsame Inseln aller Längen- und Breitengrade, auf denen und über die sie schreibt. Ihre lebenslange Passion gilt Shakespeare und einem guten Glas Single Malt Whisky. Frau Keller ist seit 2005 freie Schriftstellerin, nachdem sie u.a. als Köchin gearbeitet, Veranstaltungen organisiert, internationale Pressearbeit gemacht und Schauspieler betreut hat - natürlich nacheinander. Nach vielen Jahren im Ruhrgebiet ist sie zu ihren familiären Wurzeln zurückgekehrt und lebt jetzt an der Nordseeküste.
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Kapitel 1
Was?« – »Das ist hoffentlich ein Scherz!« – »Wieso dat denn? Un wat is mit uns?« – »Das kann nicht dein Ernst sein!«, riefen alle durcheinander.
Pippa Bolle zog unwillkürlich den Kopf ein. Zwar hatte sie erwartet, dass ihre Familie, Freunde und Nachbarn nicht begeistert sein würden, aber mit dieser spontanen Empörung hatte sie nicht gerechnet.
Sie saß mit den anderen Bewohnern der Transvaalstraße 55 im Schatten der großen Kastanie ihres Berliner Hinterhofes an einer langen Kaffeetafel, an der es zwischen Befürwortern und Gegnern ihrer Zukunftspläne gerade zu tumultartigen Auseinandersetzungen kam. Pippa verfluchte sich selbst. Musste sie die frohe Botschaft ausgerechnet an einem der legendären Samstagstreffen der Hausgemeinschaft verkünden? Ihre Mutter Effie hatte diese Tradition vor vielen Jahren eingeführt, um im Haus ein echtes Miteinander zu schaffen. Pippa stöhnte innerlich. Sah ganz so aus, als würde ihr genau dieser unverbrüchliche Zusammenhalt diesmal das Leben schwermachen.
»Die Party im Hof ist bereits geplant«, erklärte Berti Bolle mit seiner ganzen hausmeisterlichen Autorität. »Daran gibt es nichts zu rütteln, liebe Tochter. Du wirst schließlich nur einmal im Leben vierzig. Alle sind seit Wochen dabei, den Tag zu organisieren.«
»Wir haben ein Festkomitee gebildet, um alle Vorschläge unter einen Hut zu bekommen«, warf Miriam ein. Die Schauspielschülerin aus der Wohngemeinschaft im 2. Stock wies auf ihre drei Kolleginnen. »Wir haben ein Stück über deine aufregenden Erlebnisse auf Schreberwerder und in Hideaway geschrieben! Es heißt: Sein oder tot sein – die Premiere soll an deinem Geburtstag stattfinden. Verdirb uns nicht den Spaß!«
Miriams Mitbewohnerin Annett sah sich suchend um. »Wir brauchen nur noch einen jugendlichen Liebhaber und eine dekorative Leiche.«
»Nehmt een von de Jungs als jujendliches Mordopfer, denn jeb ik dir den dekorativen Liebhaber. Janz jefleecht un akkurat. Vasprochen.« Ede Glasbrenner setzte sich mit seinen stattlichen siebzig Jahren in Positur. »Un Pippa, det will’ste doch jewisslich sehn, oda?«
Pippa öffnete den Mund, aber ihre Freundin Karin Wittig kam ihr zuvor. »Es sollte eine Überraschung sein, aber unter diesen Umständen … Und dann auch noch so weit weg! Montagne Noire. Die Schwarzen Berge. Wo ist das überhaupt? Wirklich, Pippa, du darfst diesen Tag nicht allein verbringen.«
»Genau.« Freddy Bolle nickte. »Ich sehe meine Schwester schon mutterseelenallein an einem Extratisch in einer schäbigen Brasserie. Zwischen Küchendurchreiche und Toilette. Unbeachtet. Und alle sprechen französisch!« Seine Stimme bekam einen panischen Unterton. »Willst du mich … dich etwa um unser Geburtstagsbüfett bringen? Alle aus dem Haus steuern etwas Leckeres bei. Ich erstelle gerade eine Wunschliste. Bei der Fülle der kulinarischen Angebote nicht einfach. Eigentlich müsste ich alles einmal probeessen, um ein echtes Ausschlussverfahren durchführen zu können.«
»Jetzt denkt doch nicht nur an euch selbst, sondern lasst Pippa endlich zu Ende erzählen«, sagte Hetty Wilcox beschwichtigend und beugte sich zu ihrem Bobtail Sir Toby herunter, der – wie zur Bestätigung ihrer Worte – ein blechernes Bellen ausstieß.
»Vielen Dank, Grandma.« Pippa atmete durch. »Ich will nicht einfach abhauen. Ich will nur ein paar Wochen in den Süden, um ein wenig Erholung zu tanken. Und um mich besser konzentrieren zu können.« Sie hob einen großen braunen Umschlag hoch und schwenkte ihn. »Ich habe endlich so etwas wie einen literarischen Übersetzungsauftrag bekommen. Hemingway.«
»Ich dachte, der ist schon übersetzt«, bemerkte Pippas Mutter Effie, während sie eine Runde Stachelbeerkuchen vom Blech auf Teller verteilte.
»Und dafür musst du wegfahren?«, rief Freddy dazwischen. »Das kannst du doch ebenso gut hier machen.«
»Ja … nein.« Pippa suchte nach Worten. »Keine Romanübersetzung. Zwei Professoren aus Deutschland und USA und ein Biograph aus Italien wollen ihren Briefwechsel von mir sichten lassen, in dem sie wichtige Zitate Hemingways diskutieren. Daraus soll eine Festschrift für die Universität Venedig werden.«
Ede Glasbrenner kratzte sich am Kopf. »Wer will denn sowat lesen?«
»Ich gebe zu: Richtig prickelnd ist das Thema nicht, aber die drei zahlen erstaunlich gut.«
»Das ist doch endlich einmal ein gutes Argument«, sagte Karins Mann Matthias.
»Dank dieses Auftrags und durch meine Ersparnisse vom letzten ist es mir endlich möglich, mir nicht nur hier im Haus eine Wohnung zu nehmen, sondern sie auch renovieren zu lassen.«
»Und zwar von mir. Mein Geschenk zu deinem Geburtstag«, warf Bertie Bolle ein und rieb sich die Hände. »Gute Handwerkerarbeit – das geht nicht ohne Lärm. Ich bin trotzdem enttäuscht, dass du deinen Vierzigsten nicht mit uns verbringen möchtest.«
»Jenau.« Ede Glasbrenner verschränkte trotzig die Arme vor der Brust. »Ick hab jedacht, wa feiern ne richtje Orje, mit allen Schnickschnack: Lampinjongs, Musike und’n Bottich Weisse. Wär’ ooch nett, ma wieda’n bisschen det Tanzbein zu schwingen … jenau unta Frau Luna … »
»Mit Damenwahl?« Mira Kasulke hob interessiert den Blick von der Brüsseler Spitze, die sie mit zierlichen Stichen auf den hauchzarten Schleier applizierte, den ihre Schwester Käthe vorsichtig zwischen den Händen spannte, um ihr die Arbeit zu erleichtern. Die beiden unverheirateten Schneiderinnen kicherten. Sie waren zwar schon lange im Pensionsalter, erstellten aber noch immer mit großem Enthusiasmus für ihre Kundschaft eine eigene extravagante Kollektion.
Glasbrenner verbeugte sich schwungvoll. »Keene der Damen muss vajeblich hoffen. Noch iss meene Tanzkarte leer …«
Er sprang von seinem Stuhl auf, ergriff Effie Bolles Hand und walzte mit ihr schwungvoll über den gepflasterten Hof.
»Der Berliner Bär und die zierliche Engländerin – Let’s Dance!«, rief Bertie Bolle gut gelaunt, froh, nicht selber tanzen zu müssen.
Die Runde am Tisch lachte und klatschte den Takt, und Pippa war erleichtert, dass Edes kleine Einlage die Stimmung wieder entspannt hatte.
»Auch wenn ich mich jetzt unbeliebt mache: Ich kann Pippa verstehen«, sagte Matthias Wittig, als Effie und Ede sich wieder setzten. »Hier ist es manchmal ganz schön laut …«
Er sah hinauf zu seiner Tochter Lisa, die gemeinsam mit den Sprösslingen der türkischen Familie Abakay die Kastanie gerade als Kletterfelsen für Sicherungsübungen und Abseilen missbrauchte, bis sie endlich unter viel Geschrei über einen besonders starken Ast den ersten Stock des Hinterhauses erreicht hatte. Ihr älterer Bruder Sven stand in einem offenen Fenster und leistete Schützenhilfe.
Pippa folgte Matthias’ Blick. »Gott sei Dank sind sie nicht auf Freeclimbing verfallen.«
»Fallen … genau«, knurrte Karin. »Ich kann gar nicht hinsehen.«
»Du hast gesagt: Alles, nur nicht tauchen!«, rief Sven und half seiner kleinen Schwester unter dem Beifall der anderen Kinder galant über die Fensterbank ins Haus.
»Ich fasse zusammen«, nahm Matthias den Faden wieder auf. »Unsere liebe Pippa kehrt der Transvaal wieder einmal den Rücken, und das zu ihrem vierzigsten Geburtstag.« Er zwinkerte ihr zu. »Deshalb schlage ich vor, wir holen das Feiern nach, wenn sie wiederkommt – und zwar nicht zu knapp. Ich weiß auch schon, wer dann die Zeche zahlt: Pia Peschmann, denn sie hat uns Pippa abgeworben. Pia, du hast das Wort. Und ich hoffe, du hast gute Argumente.«
Pia Peschmann lächelte. »Einige von euch kennen mich bereits von Schreberwerder, meine Familie hatte dort einen Kleingarten. Jochen, mein Mann, arbeitet seit langem bei Airbus in Toulouse. Vor genau einem Jahr haben wir deshalb Wohnung und Parzelle in Berlin verkauft und sind nach Frankreich gezogen. Meine Kinder und ich lieben Südfrankreich, aber im Sommer ist es in Toulouse stickig und heiß.«
»Jeht eben nischt über’n echten Berlina Hinterhof: kühl, jeräumich, ruich …«, rief Ede Glasbrenner.
In diesem Moment krachte der Tapetentisch mit den Backblechen unter lautem Getöse zusammen. Eines der Abakay-Kinder hatte versucht, in Feuerwehrmanier am Seil aus der Kastanie herunterzurutschen und dabei im Vorbeisausen eines der Kuchenstückchen zu greifen, und war damit gescheitert. Alle sprangen auf, um zu sehen, ob dem Jungen etwas passiert war – nur Freddy blieb wie gelähmt sitzen. »Zwei große Stück Kuchen«, flüsterte er, »für immer verloren.«
Nachdem der Abakay-Sprössling allen versichert hatte, dass außer Blechkuchen keine Schäden zu beklagen seien, sagte Pippa triumphierend: »Seht ihr, was ich meine? Man kann in diesem Tollhaus nicht einmal in Ruhe Kaffee trinken, geschweige denn kontinuierlich arbeiten. So gern ich euch alle mag: Ich will nach Frankreich, auch wenn das dummerweise genau zu meinem Geburtstag ist. Bitte, Pia, erklär ihnen, warum du mich brauchst.«
»Wegen der sommerlichen Hitze in der Stadt haben wir uns ein kleines Haus am See gekauft«, sagte Pia Peschmann, »etwa dreißig Minuten von Toulouse.«
»Aber nur, wenn Jochen am Steuer sitzt«, warf Karin ein,...