Torregrossa | Das geheime Rezept der Familie Olivares | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Torregrossa Das geheime Rezept der Familie Olivares

Roman
15001. Auflage 2015
ISBN: 978-3-8270-7778-3
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8270-7778-3
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Wie ein feuerspeiender Drache, der seinen Atem schon am frühen Morgen durch Palermos Gassen bläst, so erscheint Genziana die Kaffeeröstmaschine ihrer Eltern, die wie ein Familienmitglied ist und auch einen eigenen Namen trägt: Orlando. Genzianas größter Wunsch ist es, eines Tages in der Kaffeerösterei zu arbeiten, doch dieses Privileg steht nur ihren Brüdern zu. Der Traum rückt in noch weitere Ferne, als die Bombenangriffe der Amerikaner Palermo 1943 in Schutt und Asche legen. Genziana verliert dabei ihre Eltern und für Orlando scheint es ebenfalls keine Zukunft mehr zu geben. Zu allem Überfluss verschwindet auch noch ihre Jugendliebe Medoro nach Rom, um für die Republik zu kämpfen. Doch dann erinnert sich Genziana an den alten Verkaufsschlager ihres Vaters: die geheime Röstmischung 'Genziana' ...

Giuseppina Torregrossa wurde 1956 in Palermo geboren, studierte Medizin in Rom und arbeitete dort viele Jahre als Gynäkologin. Mit dem Bestseller 'Il conto delle minne' (dt. 'Kirschen auf Ricottaschnee') feierte sie ihren Durchbruch als Autorin.'Die Kaffeerösterin', ihr vierter Roman, ist ihr bislang größter Erfolg. Giuseppina Torregrossa ist Mutter dreier Kinder und lebt heute in Rom und auf Sizilien.
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Ich protestierte, hielt dagegen, stampfte mit den Füßen auf, schrie. »Wieso kann ich nicht auch im Laden arbeiten?«

»Wenn du nicht von selbst draufkommst, brauche ich es dir nicht zu sagen«, antwortete mein Vater ungerührt. Dann öffnete er die Tür und schickte mich hinaus.

Ich hörte, wie er und die Angestellten hinter meinem Rücken lachten: »Sie ist ein Mädchen und merkt es nicht.«

Ich wusste, dass ich genauso viel wert war wie meine Brüder, aber in solchen Momenten geriet meine Überzeugtheit ins Wanken. Ich rannte die Treppe hinauf und riss die Wohnungstür auf.

Meine Mutter sah von ihrer Tasse auf. »Und? Was ist los?«

»Ich will Rösterin werden!«, rief ich mit rotem Gesicht.

Sie kam langsam auf mich zu, ihr leiser Atem mischte sich mit dem Rascheln des Morgenmantels. Sie streichelte mir über die Wangen und versuchte mich zu beruhigen. »Wenn, dann rösten wir dich, meine kleine Kaffeebohne, aber bis dahin ist es noch Zeit.«

Ihr Tonfall verriet, dass sie meine Not nicht ernst nahm. Im Laden regierten die Männer, meine Mutter sah das genauso, und das machte mich rasend. Ich liebte den Duft von Kaffee, ich hätte ihn literweise getrunken, hätte ich nur gedurft. »Du bist noch zu klein!« Jedes Mal, wenn ich die Tasse hinhielt, bekam ich die gleiche Antwort. Alles, was mit diesen schimmernden Bohnen zu tun hatte, war etwas für Männer oder für Erwachsene.

Die Kaffeekanne auf dem Herd war eine tägliche Versuchung, und wenn niemand hinschaute, war sie plötzlich leer. Vor meinen Brüdern war einfach nichts sicher … Ich musste mich mit einer heimlich zusammengerührten Eigenkreation begnügen: Ich kratzte die Reste aus der Kaffeemühle und mischte sie mit Zucker. Die Mixtur war so pulvertrocken, dass sie mir fast im Hals stecken blieb, doch ich liebte sie, sie war süß, und ich konnte mir einbilden, ich täte etwas Verbotenes. Ich gewöhnte mir an, die Kaffeebohnen vom Boden aufzusammeln, die beim Aufladen aus den Säcken rutschten. Dann schloss ich mich auf dem Klo ein und mahlte sie. Um das Geräusch zu übertönen, ließ ich das Wasser laufen, sonst hätte meine Großmutter etwas bemerkt: Nonna entging nichts. Das magische Pülverchen bewahrte ich in kleinen Ölpapiertütchen auf, die ich in meiner Schultasche versteckte. Weil das dunkle Puder mehr Koffein enthielt als eine ganze Kanne Kaffee, war ich ständig nervös. Bei jeder kleinsten Nichtigkeit ging ich in die Luft und konnte nachts kaum schlafen. In der Schule war ich auf Krawall gebürstet und ertrug die Witzeleien meiner Klassenkameradinnen nicht, die mich wegen meiner dunklen Haut Zauditù nannten.

Unablässig wiesen die Lehrerinnen mich zurecht: »Olivares, Genziana, entschuldige dich!«

Schnaubend verdrehte ich die Augen zum Himmel: Er war klar und strahlend blau. Was hätte man an einem so schönen Märztag nicht alles machen können, dachte ich seufzend. Im trüben Klassenzimmer zog sich mir das Herz zusammen. Lernen erschien mir die reinste Zeitverschwendung. Um Waschen, Staubwischen und geln zu lernen, brauchte man keine Schule, das konnte man sich abschauen. Eigentlich war meine Mutter Analphabetin, sie konnte einen Buchstaben nicht vom anderen unterscheiden, aber das machte sie nicht unglücklich.

Ich mochte Bücher, das Rascheln der Seiten ließ mich erschaudern, und die Leben anderer, die sich Zeile für Zeile vor mir entrollten, beflügelten meine Fantasie. Doch dieser ständige Wettstreit, wer die Beste war, ging mir gehörig gegen den Strich. Die Lehrerinnen wussten das und hatten mich auf dem Kieker.

Die Grässlichste war unsere Faschismus-Lehrerin.

»Olivares, wer ist der Duce?« Ihre gellende Stimme schmerzte in den Ohren. »Das weißt du wohl nicht, was?«, bohrte sie höhnisch.

Mit leiser Genugtuung sah sie mich leiden. Glücklicherweise saß Rosabella neben mir. Sie war die Tochter eines Röstereiangestellten, und vielleicht meinte sie deshalb, mir helfen zu müssen. Sie hielt das Buch auf den Knien, schlug es blitzschnell auf der richtigen Seite auf und zeigte auf die Antwort. Ich tat so, als dächte ich nach, schielte nach unten, seufzte erleichtert und sagte: »Der Duce ist der Gründer des Imperiums.«

Es passierte nicht oft, doch manchmal wurde ich krank. Das Fieber war ein wahres Glück, ich konnte zu Hause bleiben und hatte meine Mutter ganz für mich.

»Lass sie schwitzen, dann geht das Fieber runter«, mahnte meine Großmutter.

Es war schön, im Bett zu liegen und zuzusehen, wie die Sonnenstrahlen in spinnwebfeinen Fäden durch die Fensterläden sickerten und das Zimmer in ein Kaleidoskop verwandelten. Die hellen Vorhänge konnten das Licht nicht aussperren, das im Frühling mit aller Gewalt hereindrängte und sich in den Farben des Regenbogens im Spiegel brach. Goldfarbener Dunst drehte sich in der Mitte des Zimmers, verdichtete sich in der reglosen Luft wie feuchter Sand und legte sich sacht auf die schweren Möbel. Mit weiten Augen lag ich da, sah den glitzernden Wirbeln zu und malte meine Träume auf die weiße Wand. Einer meiner heimlichen Wünsche war ein hübscher Junge mit dunkler Haut wie meine, schwarzen Augen und tiefer Stimme. Ich stellte mir vor, wie er mich anlächelte und ich ihm stolz einen Jutesack mit der Aufschrift »Liebe« zeigte: der Kaffee, den ich kreieren würde, wenn ich groß wäre.

Wenn meine Geschwister nicht da waren, vermählte sich die Stille des Hauses mit dem leisen Rascheln des Besens auf dem Boden, dem rhythmischen Schlagen des Teppichklopfers auf den Matratzen, dem Klappern des Geschirrs im Spülstein. Meine Großmutter kümmerte sich um die Hausarbeit, und in ihren alltäglich gleichen Gesten lag eine trügerische Beständigkeit.

In jenen Jahren war die Zeit das Glockengeläut der zahllosen Kirchen ringsum. Sie verging langsam und legte sich wie ein matter Film über Menschen und Gegenstände, auf Konsolen, Spiegel, Rahmen und Frisiertische. Sie machte Lippen runzelig, Wangen hohl, Haar und Bärte weiß. Doch niemand begehrte auf: Das waren die Spuren des Lebens.

Wenn das Fieber sehr hoch war, glitt ich in einen leichten, wachsamen Schlummer. Das Stimmengewirr von der Straße wurde zu einem melodiösen, von den Rufen der Scherenschleifer und Straßenhändler belebten Raunen. Das Klatschen des Wassers in den Waschtrögen auf der Terrasse ergoss sich über das gedämpfte Murmeln der Kunden meiner Mutter, deren Stimmen ich kannte. Da waren Pina, die ihren im Großen Krieg verlorenen Mann wiederfinden wollte, Assunta, die auf Nachrichten von ihrem Freund harrte, der nach Amerika aufgebrochen war. Die Männer redeten nur über Geld, Heirat und Frauen. Meine Mutter antwortete, ohne je die Geduld zu verlieren, und in den Pausen kam sie, um nach mir zu sehen. Sie legte mir die Hand auf die heiße Stirn, und die angenehme Kühle riss mich einen Moment lang aus meiner Benommenheit.

Ich öffnete die Augen. »Wieso weißt du bloß alles?«, fragte ich.

»Ich bin eine Zauberin«, entgegnete sie geheimnisvoll.

Doch ich wusste, dass es im Kaffeesatz nichts zu lesen gab, sie wusste nun einmal, was im Viertel los war, den Rest konnte man sich denken. Sie verstand es, verzweifelte Menschen zu trösten, und vielleicht bestand ihre magische Kraft in ebendieser Hilfe, die sie niemandem verwehrte.

Während meiner Genesung durfte ich auf der...


Torregrossa, Giuseppina
Giuseppina Torregrossa wurde 1956 in Palermo geboren, studierte Medizin in Rom und arbeitete dort viele Jahre als Gynäkologin. Mit dem Bestseller "Il conto delle minne" (dt. "Kirschen auf Ricottaschnee") feierte sie ihren Durchbruch als Autorin."Die Kaffeerösterin", ihr vierter Roman, ist ihr bislang größter Erfolg. Giuseppina Torregrossa ist Mutter dreier Kinder und lebt heute in Rom und auf Sizilien.

Koskull, Verena von
Verena von Koskull, geboren 1970, studierte Italienisch und Englisch in Berlin und Bologna. Sie übersetzte unter anderem Carlo Levi, Gianrico Carofiglio und Salman Rushdie ins Deutsche.



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