Torday | Bordeaux | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Torday Bordeaux

Ein Roman in vier Jahrgängen
10001. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8270-7253-5
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Roman in vier Jahrgängen

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-8270-7253-5
Verlag: Berlin Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Frankie Wilberforce ist Anfang dreißig, erfolgreicher IT-Unternehmer und Single, er weiß genau, was er will. Eines Tages lernt er bei einem Ausflug den exzentrischen Landlord Francis Black kennen, zu dem er sofort eine tiefe Verbundenheit spürt. Die Begegnung verändert für ihn alles: Er wird in eine exquisite Gesellschaft von jungen Aristokraten und Hedonisten eingeführt, und schon bald verliebt er sich in eine Frau, in das pralle Leben, vor allem aber in die feine Kunst des Weintrinkens. Kurzerhand verkauft er sein Unternehmen und übernimmt Francis' spektakulären Weinkeller. Nur drei Jahre später ist Wilberforce ein Wrack ... Paul Torday hat mit Bordeaux einen mitreißenden Roman über Obsessionen, Sucht, Loyalität und die unglaubliche Kraft des Zufalls geschrieben.

Paul Torday, geboren 1946, studierte Englische Literatur am Pembroke College in Oxford, bevor er dreißig Jahre als freier Unternehmer im Ingenieurswesen arbeitete. Mit seinem ersten Roman »Lachsfischen im Jemen« erfüllte er sich seine langjährige Ambition zu schreiben. Der Roman wurde zu einem internationalen Bestseller, gewann den Bollinger Everyman Wodehouse Prize und wurde 2011 erfolgreich verfilmt. Paul Torday war selbst passionierter Fliegenfischer und lebte bis zu seinem Tod 2013 mit seiner Familie auf einem kleinen Schloss in Nordengland in der Nähe des Flusses North Tyne.
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1


Ich war zu hastig aus dem Taxi ausgestiegen. Auf den Fersen schaukelte ich nach hinten, um mich wieder zu fangen, und stellte fest, dass es am besten war, mich ans Taxi zu lehnen und nach oben zu gucken, wenn ich mein Gleichgewicht wiedererlangen wollte. Der Himmel war schwarz und undurchdringlich, einige Sterne funkelten, aber ich konnte nicht mehr so viele erkennen wie früher. Einmal den Blick gehoben, fiel es mir schwer, ihn wieder zu senken.

»Ist alles in Ordnung, mein Herr?«, fragte der Fahrer. Ein jüngerer Mann hätte mich wahrscheinlich beschimpft, weil ich gegen sein Taxi gestoßen war; dieser Mann entstammte einem Zeitalter, in dem Taxifahrer noch Droschkenkutscher hießen und Kunden mit »mein Herr« oder gar »gnädiger Herr« angeredet wurden.

Alles in Ordnung? Gute Frage. Nicht so leicht zu beantworten. Es erforderte einige Überlegungen, bevor ich darauf etwas erwidern konnte. Ich sah auf zum Sternenhimmel und dachte über die Frage nach.

»Das macht fünfzehn Pfund, mein Herr«, sagte der Fahrer.

Mir wurde bewusst, dass ich ihm eine Antwort schuldig geblieben war. Ich zog einige Scheine aus einem Bündel, das ich in einer Geldklammer aufbewahrte, und bezahlte ihm irgendeine Summe. Ich weiß nicht mehr, wie viel es war, aber der Mann schien damit zufrieden.

»Alles Gute für Sie, gnädiger Herr«, sagte er und fuhr davon.

Ich schaukelte wieder auf den Fersen, ein angenehmes Gefühl. Noch einmal bekam ich ein Stück vom Nachthimmel zu sehen und, als mein Gewicht sich wieder auf die Zehen verlagerte, ein Stück der Fassade des Restaurants vor mir. Ein kleines diskretes Schild zeigte »Les Tripes de Normandie« an, ein sehr gut gehendes Restaurant, wie ich gehört hatte. Ich war noch nie dort gewesen. Ich ging nicht gerne zweimal in das gleiche Lokal, es sei denn, es war wirklich ausgezeichnet. Neuerdings gab es immer Ärger, wenn ich ein Restaurant aufsuchte, in dem ich schon mal gegessen hatte. Das Schild gefiel mir. Die Schrifttype war vermutlich Arial, und die Beleuchtung war raffiniert, die Zeichen aus Neonröhren, in einem gebrochenen Weiß, fast cremefarben, vor einem polierten schwarzen Marmorband.

Angeblich war der Küchenchef hervorragend. Er hatte ein Menü kreiert, das auf ländlichen französischen Gerichten basierte und sie zur Kunstform erhob. Er trat in zahlreichen Kochshows im Fernsehen auf, das Publikum verehrte und bewunderte ihn. Ich zitiere hier nur aus der Website, die Küche eines Restaurants interessiert mich eigentlich gar nicht. Es ist die Weinliste, der meine Aufmerksamkeit gilt. Als ich die Website von »Les Tripes« aufrief, hatte ich gleich als Erstes die Weinliste angeklickt und entdeckt, dass sie einen 82er Château Pétrus anbot. Wie das Wetter in Westfrankreich zu der Zeit war, weiß ich nicht, aber ich hatte etwas darüber gelesen. Das Frühjahr war kühl, darauf folgte ein warmer Sommer, der sich bis in den September hinzog: endlose Sonnentage, wenig Regen. Die Bedingungen für die Weinberge bei Bordeaux waren in diesem Jahr ideal. Der 82er ist daher ein Jahrgang, der scheinbar ewig währte. Er ist ein Klassiker. Kein Wunder, dass es immer schwieriger wird, ihn aufzutreiben.

Einen 82er Pétrus auf der Weinkarte, das ist, als hätte man einen Diamanten auf der Straße gefunden. Die Rebfläche des Weinguts beträgt nur 11,3 Hektar, jährlich werden etwa 25 000 Flaschen produziert. Die Trauben werden gelesen, vierundzwanzig Tage lang vergärt und anschließend in Betontanks mazeriert. Danach lässt man den jungen Wein zwanzig Monate in Eichenfässern heranreifen, bevor er in Flaschen abgefüllt wird. Jetzt braucht man nur noch fünfzehn bis zwanzig Jahre zu warten, bis man ihn trinken kann. Selten stößt man heute auf einen 82er Pétrus oder auf einen der früheren Jahrgänge, doch wenn man irgendwo eine Flasche aufgetrieben hat, sollte man die Gelegenheit nutzen. Der Wein ist nicht billig, auf der Website des Restaurants wurde die Flasche für 3000 Pfund angeboten; aber für einen passionierten Weintrinker, hat er erst mal gefunden, was er gesucht hat, ist das unerheblich. Das habe ich schon immer gesagt.

Zu Hause hätte ich diesen besonderen Jahrgang Pétrus nicht trinken können. Ich besitze zwar sehr viel Wein, den ich von Francis Black übernommen habe. Manche Leute würden sogar sagen, es sei unvorstellbar viel Wein. Aber ein Château Pétrus 1982 war nicht darunter.

Ich hatte aufgehört, auf den Fersen zu schaukeln, und beschloss, in das Restaurant zu gehen. Kaum war ich durch die Tür getreten, wurde mir der Mantel abgenommen: »Mr Wilberforce?«

Ich nickte, und der Kellner fragte mich, ob er mich an meinen Tisch führen dürfe. Das Restaurant war ziemlich leer. Es hatte gerade erst geöffnet, es war kurz nach neunzehn Uhr. Ich gehe gerne am frühen Abend in Restaurants, damit ich dort sehr lange bleiben kann, wenn mir danach ist – wenn zum Beispiel auf der Karte mehrere verschiedene Weine aufgelistet sind, die ich probieren möchte. Falls ich nur einen einzigen Wein interessant finde, kann ich mein Essen einnehmen und ein, zwei Flaschen Bordeaux trinken, und ich bin wieder draußen, bevor es voll wird und die Gefahr besteht, dass ich abgelenkt werde.

Ich betrat einen warmen, dezent erleuchteten Raum. Die Tische waren aus dunkler Eiche, mit weißen, quadratischen Leinendecken. Zwei Kellner waren noch dabei, die Tischkerzen anzuzünden. Ein anderer korrigierte mit mikroskopischer Genauigkeit die Ausrichtung der Messer und Gabeln, hob die großen, kelchartigen Weingläser hoch und inspizierte sie auf Staubpartikel. Ein Mädchen legte letzte Hand an ein üppiges Blumengesteck in der Mitte des Raums. Neben der Schwingtür zur Küche stand, im Gespräch mit dem Koch, in einer makellosen marineblauen Uniform, eine wichtig aussehende Person, die ich für den Oberkellner hielt. Ein weiterer Kellner, in weißem Hemd und schwarzer Weste, ordnete hinter der Theke die Flaschen auf den Regalen und fuhr mit einem Staubwedel an ihnen entlang, so dass sie in dem von den Spiegeln dahinter reflektierten Licht wieder blitzten und schimmerten. Der Tresen selbst war ein tiefer Pool aus Mahagoni, auf dem Aschenbecher aus Kristallglas glitzerten. Auch er wurde ein letztes Mal poliert, wie ich beobachtete, und die Aschenbecher, obwohl bereits sauber, wurden hochgehoben und noch einmal ausgewischt.

»Möchten Sie erst an der Bar etwas trinken, oder soll ich Sie gleich zu Ihrem Tisch führen?«

Mir wurde bewusst, dass ich mitten in dem leeren Restaurant stehen geblieben war, seinen starken Zauber auf mich wirken ließ, als würde sich der Vorhang vor einem Bühnenbild heben und den Blick freigeben auf ein aufgeräumtes Wohnzimmer, in dem sich gleich ein noch verborgenes Drama entfalten wird. Ich liebe die frühen Abendstunden in fast leeren Restaurants. Ich liebe die gedämpfte Stille, das Flüstern der Kellner, die auf Bestellungen warten, das ferne Klappern und die Rufe aus der Küche, wenn die Türen für einen Moment auffliegen, dann wieder zuklappen und den Lärmfluss abschneiden. Ich liebe den Glanz der Gläser und Bestecke im Kerzenschein, die Reinheit all dessen, und die Ordnung.

»Ich möchte gerne gleich an meinen Tisch«, sagte ich.

Der Kellner brachte mich zu einem Ecktisch und zog den Stuhl etwas zurück, so dass ich mich hinsetzen konnte. Dann gab er mir die Speisekarte und fragte, ob ich etwas zu trinken wünsche. Ich bat um ein Glas Wasser und um die Weinkarte.

»Der Sommelier kommt sofort zu Ihnen«, sagte der Kellner. Gespannt sah ich mich im Raum um. Mein Glück lag in der Hand des Sommeliers. Verstand er wirklich etwas von Weinlagerung? Wusste er, wie man eine Flasche öffnete? Wie man den Wein dekantierte? Wie man ihn eingoss? Ich habe selbst erlebt, wie ein sehr guter Margaux durch einen ungeschickten Weinkellner verdorben wurde. Er brachte es fertig, ihn in mein Glas zu schütten, samt Korkstückchen, als würde er Bier einschenken.

Mein Blick fiel zufällig auf einen großen Mann in einer schwarzen Schürze, der eine Weinprobierschale an einer Kette um den Hals trug. Gemächlich schlenderte er in meine Richtung, in der Hand die in Leder gebundene Weinkarte. Er war ein ernsthafter Mann mit einem buschigen Schnauzbart, und seine Haut wies die edle Tönung eines Menschen auf, der sich die meiste Zeit seines Lebens mit Wein beschäftigte. Ich war mir sicher, dass er gut für mich sorgen würde. Er gab mir die Karte, verbeugte sich und zog sich zurück.

Ich überlegte kurz, wählte etwas zu essen aus, lehnte mich dann zurück und blätterte in der Weinkarte. Mein Herz pochte laut. Mir war gerade der Gedanke gekommen, dass der 82er Château Pétrus vielleicht nur deswegen noch auf der Website des Restaurants aufgeführt war, weil sich keiner die Mühe gemacht hatte, die Liste auf den neuesten Stand zu bringen. Wenn ich es mir recht überlegte, war es sogar sehr wahrscheinlich, dass alle 82er längst verkauft und ausgetrunken waren. Was sollte ich in dem Fall tun? Hastig blätterte ich die pergamentartigen Seiten der Karte um, bis ich auf die Titelzeile »Roter Bordeaux« stieß. Erleichtert atmete ich auf, der Château Pétrus stand noch da. Die ganze Zeit hatte ich den Atem angehalten. Bevor...


Torday, Paul
Paul Torday, geboren 1946, studierte Englische Literatur am Pembroke College in Oxford, bevor er dreißig Jahre als freier Unternehmer im Ingenieurswesen arbeitete. Mit seinem ersten Roman »Lachsfischen im Jemen« erfüllte er sich seine langjährige Ambition zu schreiben. Der Roman wurde zu einem internationalen Bestseller, gewann den Bollinger Everyman Wodehouse Prize und wurde 2011 erfolgreich verfilmt. Paul Torday war selbst passionierter Fliegenfischer und lebte bis zu seinem Tod 2013 mit seiner Familie auf einem kleinen Schloss in Nordengland in der Nähe des Flusses North Tyne.



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