E-Book, Deutsch, 368 Seiten
Torberg ... und glauben, es wäre die Liebe
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-903184-11-4
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 368 Seiten
ISBN: 978-3-903184-11-4
Verlag: MILENA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hilde, Viktor, Hans, Ruth, Manfred, Walter, Tanja, Peter – acht junge Leute treffen sich einen Sommer lang, Hans und Peter sind in Hilde verliebt, Viktor und Walter in Tanja, Peter in Ruth und Hilde in Peter … Sie alle schreiben Tagebuch und ihre Beziehungen und Liebschaften sind einem ständigen Wandel unterworfen. Sie versuchen sich den persönlichen und gesellschaftlichen Problemen einer politisch erschütterten Zeit zu stellen – und scheitern gleichermaßen an der Unfähigkeit, über sich hinauszudenken, wie an der unüberwindlichen Eingrenzung, dass keiner jemals wissen kann, was selbst im Allernächsten vorgeht.
Mit seinem zweiten, 1932 erschienenen Roman stand der damals 23-jährige Torberg vor der Aufgabe, an den Sensationserfolg seines Erstlings, des „Schüler Gerber", anzuknüpfen. Sowohl bei den Kritikern als auch dem Publikum ist ihm das gelungen. Torberg zeigt sich erneut als ausgezeichneter Beobachter, mit einer psychologischen Eindringlichkeit von erstaunlichem Tiefgang und dem bohrenden Bemühen um Klarheit, das ihn zum Anwalt seiner Generation machte.
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AM 5. MAI
WALTER GROHMANN
Nun sitze ich schon eine halbe Stunde hier. Und wenn ich das aufschreibe, so geschieht es nur, weil ich diese leere erste Heftseite nicht länger ansehen kann, dieses kalte, weiße Glotzen. Ich bin außerstande, einen Gedanken zu fassen und ihn zu führen wohin er gehört: zu Ende. Er geht mir ganz einfach auf und davon, unbotmäßig, rebellisch, Rädelsführer der anderen, die er mitreißt auf die falsche Fährte. Und ganz bildhaft habe ich die Vorstellung, daß all diese scheugewordenen, entfesselten Gedanken sich nach mir umwenden, immer wieder, und ein wieherndes Hohngelächter hervorprusten. Schöne, kühne Hengste, meine Gedanken – aber ich kann ihrer nicht Herr werden. Da lachen sie mich aus. Ganz allein bin ich mit mir und mit ihnen, und kann ihrer nicht Herr werden. Weil ich jeden einzelnen für so wichtig und repräsentativ und auserkoren halte, daß er ganz mit Recht größenwahnsinnig wird und mir entläuft. Was soll sich denn begeben? Was ist es denn Großartiges, das ich vorhabe und dafür mir noch keine Einleitung gut genug erschien? Nichts, gar nichts Großartiges. Ein Tagebuch will ich führen. Ich, Walter Grohmann, laut Reisepaß Student und dreiundzwanzig Jahre, will ein Tagebuch führen. Also etwas sehr Banales. Und zwar das Tagebuch einer Liebe. Also überhaupt das Banalste. Dieses niederzuschreiben habe ich mich solange gekrümmt und gewunden. (Wenngleich doch blitzblank und sprungfertig der Nachsatz bereit steht, daß es nicht gar so banal ist.) Das Tagebuch einer Liebe. Vorläufig wünsche ich ja erst, es möge eine Liebe werden. Eine große, wunderbare Liebe. Deren Entwicklung ich eben hier aufzuzeichnen versuchen will. Den »Gefühlsgang«, wenn dieses Pendant zu »Gedankengang« gebraucht werden darf. Wohin ich auf diesem Gefühlsgang gelangen soll, weiß ich nicht: ob ins Glück oder ins Unglück oder sonstwohin oder ob er abbricht oder ob ich plötzlich nicht weiterkann. Aber ich möchte, wenn ich einmal am Ende stehe, an welchem immer, doch wissen, wie ich hingekommen bin. Und möchte es wissen mit jener unmittelbaren Sicherheit, die nur ich selbst mir zu geben vermag, und nur dann, wenn ich mit vollkommener Ehrlichkeit vorgehe, mit der schrankenlosen Ehrlichkeit des Selbstgesprächs. Ohne auf eine Wirkung nach außen zu spekulieren, ohne mit einer praktischen Verwendung dieser Blätter zu liebäugeln. Ich muß mich auf das, was ich hieherschreibe, verlassen können, unbedingt und ohne jemals die geringsten Bedenken zu haben, daß etwas nicht ganz so wäre, wie es hier steht. Das ist in jedem Fall ein Training der Selbstdisziplin. Aber hier wird es noch besonders veranlaßt durch die Wichtigkeit, die ich dieser Liebe beimesse. Warum ich so tue, gehört nicht hieher. Hier habe ich nur festzustellen, daß ich sehr Bedeutendes und Entscheidendes von ihr erwarte. Noch eine Einschaltung ist notwendig – wie ich mir vornehme die letzte, bevor ich zur Sache komme. Ich sagte, daß ich Student bin. Und zwar studiere ich Jus, auf Wunsch meines Vaters, der mich zu diesem Zweck aus dem Industrieort, wo unsere Familie seit Generationen ansässig ist, hieher in die Hauptstadt geschickt hat. Meine Mutter starb, als ich acht Jahre alt war, und ich habe als einziges Kind alle Ursache, meinem Vater den Gefallen zu tun und zu studieren. Zwar werde ich (was ich allerdings noch bei mir behalte) die Advokatur niemals ausüben, auch auf den sehr häufigen und größtenteils israelitischen Rufnamen »Doktor« lege ich kein Gewicht – aber ich studiere trotzdem, weil es mir weiter keine Mühe macht und meinem Vater Freude. Sicher wäre diese Freude reiner, wenn mein Studium schleuniger vor sich ginge. Nun sind mir aber auch noch die Prüfungen äußerst zuwider, wie alles, was im entferntesten nach Obrigkeit und offizieller Befugnis schmeckt; es bereitet mir beinahe körperliches Mißbehagen, vor einen fremden Menschen hintreten zu müssen und mich ausfragen zu lassen über meine ureigenen, privaten Kenntnisse, die ich obendrein (was er freilich nicht wissen kann) niemals öffentlich auszuwerten beabsichtige; zum natürlichen Widerwillen tritt also noch die Empfindung, daß hier etwas völlig Absurdes vorgeht – und auf diese Art stehe ich heute, nach vierjährigem Studium, erst im fünften Semester. Das ist meinem Vater verständlicherweise nicht recht. Und das hat eigentlich den Anstoß gegeben, daß ich vor einiger Zeit meine schriftstellerischen Arbeiten zu veröffentlichen begann, entscheidend ermutigt durch die Zusprache meines Freundes Manfred Ebinger, dem ich seit der frühesten Schulzeit eng verbunden bin und der auch gemeinsam mit mir zum Universitätsstudium hiehergekommen ist (er studiert Philosophie). Jetzt habe ich erstens eine gute Ausrede vor meinem Vater, zweitens macht es ihn doch ein wenig stolz und er sieht mir manches nach, drittens ist es eine höchst brauchbare Einnahmsquelle, und viertens – ja, das ist nun gar nicht so einfach. Oder doch. (Wir wollen ja ehrlich sein.) Viertens glaube ich an mich. Nicht etwa, weil die kleinen Novellen und Gedichte (die ich unter einem Pseudonym veröffentliche) so rasch gedruckt wurden und wohl auch Anklang fanden, das alles, was ich da schreibe, ist Dreck, und ich hoffe, mich bald dafür schämen zu können. Nicht auch, weil Manfred Ebinger und noch ein paar andre etwas von mir zu halten scheinen. Sondern ich glaube an mich mit einer Gewißheit, die tiefer ist als ich es erklären kann, ich weiß nur, daß kein Mensch (außer mir) mich an ihr irrezumachen vermöchte, ich weiß, ohne Pläne zu schmieden und Phantastereien zu hegen weiß ich: daß ich Wesentliches hervorbringen werde. So groß ist meine Gewißheit, so heiß bin ich von ihr bis in die fernsten Phasen meines Tuns durchdrungen, daß ich gar nicht anders kann als dieses Tagebuch in einem gewissen Sinn auch als Angelegenheit meiner Kunst betrachten. Auch sie wird sich an ihm in irgend einer Weise zu üben haben: indem ich diesmal nichts erfinden darf einer besonderen Wirkung wegen, nichts verschweigen darf um einen Spannungseffekt zu erzielen, nichts fälschen darf an dem was mir zu Gebot steht, am Tatsächlichen und an seiner Entwicklung, die zu erleben ich im Begriff bin. Es ist ungefähr ein halbes Jahr, daß ich Tanja N. kennenlernte. Ich verfüge über ein sehr gutes Gedächtnis – aber ich kann heute nicht mehr sagen, welches mein erster Eindruck von ihr war. Nur an den äußeren Vorgang erinnere ich mich: ich war mit Manfred Ebinger irgendwo eingeladen, wir hatten zuerst absagen wollen, gingen dann aber doch hin, langweilten uns anfangs sehr und waren deshalb froh, ein paar Bekannte zu finden, mit denen wir im übrigen nicht viel zu tun hatten: Hans Falbin, Leo Weil, Viktor Hellmer – wenn ich nicht irre, ist er es auch gewesen, der uns dann mit Tanja N. bekannt machte –, wir blieben den Rest des Abends zusammen, beschlossen ihn gemeinsam in einem kleinen Nachtcafe, es war im ganzen sehr nett, und so kamen wir überein, uns in Hinkunft öfter zu treffen, in jenem Kaffeehaus, wo Hellmer und die anderen ständig verkehrten. Gewöhnlich spielte sich das so ab, daß ich gemeinsam mit Manfred hinkam und, da er in meiner Nähe wohnt, auch mit ihm wieder fortging. Nach einiger Zeit merkte ich bei Manfred immer deutlicher eine Abneigung gegen diese Kaffeehausbesuche aufkommen. Als ich schließlich einmal mit ihm darauf zu sprechen kam, bestätigte er mir diese Wahrnehmung ohneweiters und erklärte, fortan auf diese Art Geselligkeit überhaupt verzichten zu wollen. Er machte dann ein paar sehr abschätzige Bemerkungen über die Leute jenes Kreises, nannte sie flach und trivial, münzte meinen Einwand, daß sich doch im Gegenteil sehr oft wirklich anregende Gespräche ergäben, in ein Argument für seine Behauptung um: nun wäre also auch ich glücklich schon so weit, dieses alberne Geplapper für eine geistige Anregung zu nehmen, und schob endlich alle Schuld auf das, was er immer schon als »Kaffeehäuslerei« mißbilligt hätte. Damit war ich nun ganz und gar nicht einverstanden. Grundsätzlich nicht. Ich gab ihm zu bedenken, daß man eben hierzulande und übrigens auch sehr viel andernorts im Kaffeehaus die einzige Gelegenheit fände, mit Leuten beisammenzusitzen und zu sprechen, und daß es ebenso bequem wie unzulässig sei, aus einem so durchaus äußerlichen Umstand auf Art und Wert dieses Beisammensitzens und Sprechens zu folgern. Wenn einer von uns in der Lage wäre, beispielsweise eine Villa oder auch nur eine geeignete Privatwohnung zur Verfügung zu stellen, so würden wir eben dort zusammenkommen – und schon wäre es keine »Kaffeehäuslerei« mehr. Das Kaffeehaus ist durch die anekdotische Überschätzung einiger harmloser Literaten in einen Verruf gekommen, der ähnlich ungerechtfertigt ist wie etwa jener, in den (von eben diesen Literaten) Worte wie »Einstellung«,...