E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Tötschinger Rochade
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-7117-5452-3
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-7117-5452-3
Verlag: Picus Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Original oder Fake? Ein unfreiwilliger Fälscher rettet ein Meisterwerk aus den Fängen eines machtgierigen Politikers.
Ein Anschlag auf Jan Vermeers ins Ausland verliehenes berühmtes Gemälde Die Malkunst, das dabei stark beschädigt wird, weckt ein starkes Begehren: Der junge ambitionierte Kanzler, der auf dem besten Weg ist, das Land in eine illiberale Demokratie zu verwandeln, will sich das Gemälde, das einst als das Lieblingsbild Adolf Hitlers galt, für seine Amtsräume sichern und besteht auf einer beschleunigten Restaurierung. Für den sorgfältigen und gewissenhaften Restaurator Clemens Hartmann steht außer Frage, dass dies unmöglich ist. Also muss er sich etwas einfallen lassen. Ist er nicht selbst Maler? Und haben nicht alle großen Maler als Kopisten begonnen?
Reinhard Tötschinger wurde 1952 in Wien geboren und war Grafiker, Schauspieler, Regisseur und Psychotherapeut. Clownausbildung bei Jacques Lecoq, Paris. Heute realisiert und produziert er Dokumentarfilme und schreibt Theaterstu?cke, Erzählungen und Essays. Im Picus Verlag erschienen sein Debütroman »Rochade« und 2024 »Entrée«.
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Den Arm auf die Schreibtischplatte gestützt, sitze ich etwas entfernt von der Malkunst und doch nahe genug, um die Reinigung beobachten zu können. Hubert nimmt zehn Packungen Wattestäbchen aus dem Schrank, jene, die ich immer zum Ausputzen der Ohren verwende (das sollte ich nicht!). Er reißt eine Packung auf, holt ein Stäbchen heraus, taucht es in das Lösungsmittel und tupft den braunen Schleier weg. »Kreisen«, sage ich, »zügig, nicht tupfen wie ängstliche Restauratoren das machen.« Hubert wischt in kleinen Kreisen. »Hier muss die Signatur sein.« »Ja, versteckt am unteren Rand der Landkarte«, sage ich und deute mit dem Zeigefinger in Richtung Clio. »Ich weiß doch, hinter der Schulter des Mädchens, man hat sie erst voriges Jahrhundert entdeckt. Haben Sie meine Arbeit überhaupt gelesen?« »Natürlich.« »Dann wissen Sie sicher noch, von wem die Grafen das Bild hatten.« »1804 von van Swieten in Wien ersteigert. Vom Arzt der Kaiserin.« »Nein, von dessen Sohn, einem Freimaurer und Förderer von Mozart.« Ich nicke und denke, er erinnert sich an alles. Toll. Ich könnte ihm erzählen, dass ich mir Namen und Zahlen immer schlechter merke, deshalb lese ich sie bei meinen Vorlesungen immer aus dem Manuskript ab. »Ja, ja, die waren doch alle Freimaurer damals«, sage ich. Er schüttelt den Kopf, während er Stäbchen für Stäbchen nimmt, eintaucht, wischt und es fallen lässt. »Hubert, ich musste schon Tage und Wochen meines Restauratorenlebens tupfen und wischen. Tausende Stunden. Dabei lernt man die Bilder genau kennen. Man muss die mühseligen Tätigkeiten genau wie alle anderen ausführen, da bleibt man auf dem Boden.« Hubert sieht mich an, wischt weiter, lässt ein Stäbchen fallen, nimmt ein neues. Unter ihm bildet sich ein braun gefärbter Haufen. »Von dem Wischen über die Smartphones und Tablets soll sich das Gehirn verändern, weil die Handgelenke neurologisch mit der Gehirnentwicklung zu tun haben. Das habe ich letzte Woche in der Presse gelesen. Sie wissen das vermutlich, wenn Ihr Vater Neurologe ist.« »Ich sehe schon Sternchen wegen des ständigen Kreisens«, sagt er. »Wer weiß, ob nicht mein Hirn durch diese langjährige Arbeit längst geschädigt ist«, sage ich traurig. »Wollen Sie, dass ich verblöde, oder darf ich endlich eine Pause machen?« »Keine Sorge, Sie sind noch jung.« Spielt er auf meine Vergesslichkeit an? Hubert zuckt mit den Schultern. »Klar, machen Sie eine.« Hubert wirft die Gummihandschuhe in den Abfalleimer und verschwindet. Ich nehme mein Mobiltelefon zur Hand. Keine Nachricht. Nicht von Claudia, nicht von Laura. Wo werde ich zu Mittag essen? Im Haus oder beim Chinesen? Hubert ist zurück. »Herr Stöckl hat mich am Buffet abgefangen und mir geraten, Sie zum schnelleren Reparieren des Gemäldes – ja, er hat reparieren gesagt – zu motivieren«, sagt er und wartet. Beinahe gleichzeitig brechen wir in Lachen aus, ein lautes, offenes, von Husten begleitetes Lachen, das nur langsam ausläuft. »Re-, repari-hi-hi-hieren …« Ich wische mir die Tränen aus den Augen. Hubert hat sich beruhigt und zieht einen frischen Plastikhandschuh über, nimmt ein neues Stäbchen und wischt wieder kreisförmig. »Ich würde einen Film drehen«, sagt er. »Worüber?« »Über die Auktion.« »Machen Sie bitte weiter, sonst kommen wir in Verzug und ich muss mir das von Magister Stöckl vorwerfen lassen«, sage ich noch immer hustend. »Die Kutsche des Grafen drängt sich vorbei an Equipagen, Fußgängern, zwischen Leiterwagen und Fiakern zum Versteigerungsort.« »Was reden Sie da?« »So könnte der Film beginnen. Strömender Regen. Schnitt. Der Kutscher lenkt die Pferde, der Lakai steht hinten am Wagen. Schnitt. Oder Sonnenschein? Nein, Regen, das macht die Auktion dramatischer. Drinnen sitzt der alte Graf. Musik. Haydn-Quartett. Die Kutsche biegt von der Wallnerstraße in den Kohlmarkt ein, im Trab weiter in Richtung Kärntner Straße. Schnitt. Wiehern.« »Nicht wiehern, Hubert, das ist kitschig.« »Gut. Kein Wiehern. Die Wiener Gesellschaft sitzt im Saal, der Verstorbene war prominent. Schnitt. Gemurmel. Dem Grafen wird ein Schild mit der Nummer drei gereicht. Eine Drei in Großaufnahme. Schnitt. Er kennt sich aus, er weiß, welches der Bilder er ersteigern will. Schnitt. Der Auktionator ruft: ›Ein Empire-Sekretär zum Ersten!‹ Schnitt.« »Hören Sie auf mit dem ständigen ›Schnitt‹«, sage ich, »ich bekomme schon Kopfweh.« »Eine Josephinische Kommode. Schn. Ein Poli, eine Trinkszene, das Gemälde wird gezeigt. Schn. Dem Grafen juckt die Hand, Großaufnahme, für ihn ist es das Zeichen für ein gutes Geschäft. Zoom. Fünf Gulden. Der Graf hebt sein Schild. Fünf Gulden zum Ersten. Noch immer fünf Gulden. Crashzoom.« »Was ist das?« »Schneller Zoom. Das bringt Action und Dramatik.« »Jetzt übernehme ich einmal«, sage ich und beginne kreisförmig zu wischen. Hubert sitzt und fantasiert weiter. »Zum Ersten. Zoom. Zum Zweiten. Wir sind bei fünf Gulden für dieses außergewöhnliche Werk. Action. Zum Dritten. Peng. Der Holzhammer in Großaufnahme, die Schilderkunst von Pieter de Hooch geht an Graf Czernin von Chudenitz. ›Unglaublich, diese Malweise‹, sagt der Graf, ›es wird das Juwel in meiner neuen Sammlung.‹ Schnitt. Verzeihung. Der Diener spannt den Schirm auf, das Bild wird in den Wagen gehoben. Schwenk. Der Graf klopft mit dem Stock auf seine Schuhe. Der Diener befreit sie vom Schmutz. Schwenk auf die Straße. Gemisch aus Wasser, Pferdemist, Urin, Schlamm. Schwenk. Der Graf hält sich ein mit Eau de Cologne getränktes Tuch vor die Nase, der Kutscher schlägt mit der Peitsche auf die Pferde ein, die Hufe versuchen, das Pflaster zu greifen. ›Unsterblich wird es werden, in meiner Galerie‹, sagt er. Ende. So könnte es gewesen sein.« »Woher haben Sie nur diese Fantasie?« »Ich wollte an der Filmakademie in Berlin studieren, bevor ich aufs Restaurieren gekommen bin. Sie haben mich nicht genommen.« »Das tut mir aber leid«, sage ich. Ich könnte ihm sagen, dass es mir gar nicht leidtut, ich bin froh, dass er bei mir ist. »Hätte der Graf die Nummer drei nicht gehoben, wäre die Malkunst nicht bei uns gelandet.« »Und wenn die Bergarbeiter den Ausseer Stollen nicht beschützt hätten, ebenso nicht.« Ich denke an Opa, er hat immer behauptet, er habe die Kunstwerke aus dem Bergwerk, so auch die Malkunst, befreit. »Die Amerikaner behaupten, sie seien es gewesen.« Mein Großvater. Muss ich mich für ihn schämen? Keine Sippenhaftung, Clemens, auch wenn er für die Falschen gearbeitet hat. Sie hatten einander alle gekannt, sie arbeiteten für die meist jüdischen Sammler, die zuletzt wie Idioten dastanden, sofern sie überlebt hatten. Opa und seine Freunde benutzten die Kunst für den eigenen Aufstieg, während im Untergrund des jüdischen Wien der Neid wuchs und die Zerstörung heranschlich. Die einen sagen, Opa sei einer der Hauptarisierer von Kunstwerken gewesen, andere, er habe als entartet eingestufte Bilder gerettet. Was ist wahr, was falsch? Ich war klein, als er starb. Zu mir war er lieb, glaube ich, hat immer Schokolade gebracht, und Kunstpostkarten. Beim Absperren der Werkstatt entdecke ich das ausgetauschte Schild an der Tür: »Professor Mag. Clemens Hartmann, Leiter Restaurierung«. Das alte war doch schön. Wahrscheinlich wollte man ein neues wegen des Titels, den mir die Regierung verliehen hat. Professor. Für besondere Dienste um die Republik. Den Titel bekommen viele. Ärzte, Schauspieler, Schlagersänger, oft für Nichtigkeiten. Mir hat man ihn zum Fünfziger gegeben, nach der Restaurierung von Rembrandts Apostel Paulus. Und es passt zum Älterwerden. Jetzt klebt er an meiner Werkstatttür. 1804 Convoc. Bar. v. Swieten’s Gläubiger Von dem k. k. n. öst. Landrecht wird hiermit bekannt gemacht: Es sey Herr Gottfried Freyherr v. Swieten, k. k. geheimer Rath, des heil. Stephans Ordens Commandeur und Hof-Bibliothek Präses, am 29. März d. J. ohne Hinterlassung eines Testaments gestorben, und auf Anlangen der Herren Heinrich Giesewerth Freyherr v. Swieten, und Gerard Freyherr v. T’Serrlas, die Ausfertigung eines Convocations-Edikts bewilligt worden. Es werden daher alle diejenigen, welche an die Gottfried Freyherr v. Swietensche Verlassenschaft aus dem Erbrecht, jure crediti, oder aus was immer für einem rechtlichen Grund einige Ansprüche zu haben vermeinen, zur Anmeldung derselben den 9. Juli d. J. Vormittags um 10 Uhr vor diesem k. k. n. öst. Landrecht zu erscheinen haben; als im widrigen Falle mit Abhandlung der Verlassenschaft und...