Tillmann | Der König von Mallorca | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, Band 2015, 200 Seiten

Reihe: Phantastische Stories

Tillmann Der König von Mallorca


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-95719-324-7
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, Band 2015, 200 Seiten

Reihe: Phantastische Stories

ISBN: 978-3-95719-324-7
Verlag: Blitz Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



'Tillmann gilt als facettenreich. Eigentlich nennt er seine wilderen Geschichten Heavy-Metal-Phantastik. Andererseits sind auch Einflüsse der klassischen Gespenstergeschichte, des Social Beats und manchmal ein satirischer Unterton spürbar. Neuerdings interessiert er sich sogar verstärkt für Weird Western. All das macht auch seinen neusten Erzählband zu einem bunten Reigen des Grauens. Ein frommer König mit fehlerhafter Logik. Ein sich im Kampf mit höheren Mächten wiederfindender Varieté-Zauberer. Ein Werwolf am Rande des Nervenzusammenbruchs. Die seltsame Reise der Maske Maharsak. Gespenster vs. Zombies. Eine übersinnliche Sitzgelegenheit. Die wahre Sünde von Amsterdam. Die utopischen Schrecken von Mallorca. Und vieles mehr.'

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Autoren/Hrsg.


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Und dann kam das Baby

„Nicht alle von ihnen sind Fleisch.

Einige sind nächtliche Labyrinthe.“

Die Anatomie der toten Götter

ANONYMUS

„Das Leben sollte keine Reise zum Grab sein
mit der Absicht,

sicher und in einem hübschen und wohlerhaltenen Körper dort anzukommen,

vielmehr sollte man in eine Rauchwolke gehüllt

und völlig verbraucht und abgekämpft dort hineinschlittern

und laut ausrufen: Wow! Was für eine Fahrt!“

HUNTER S. THOMPSON

Es gab einmal einen Schriftsteller, der war wie alle anderen Schriftsteller auch. Er stieß ständig seinen lieben Mitmenschen mit seinen bissigen Wahrheiten vor den Kopf und lebte außerdem mit der ebenso ständigen Angst, ihm könnten die brillanten Ideen ausgehen. Wenn er sich in einer solchen Phase der Ideenlosigkeit befand, trank er billigen Bourbon, hörte Musik, die kaum jemand außer ihm gut fand, und hoffte, eine dicklippige Muse würde ihn wenigstens im Traum küssen. Da unser Schreiberling sich als Phantastik-Autor bezeichnete, hätten es auch gerne Albträume sein können. Da zeigte er sich beruflich bedingt hart im Nehmen.

Als Problem offenbarte sich nur: Er hatte generell sehr selten Träume beziehungsweise Träume, an die er sich beim Aufwachen noch erinnern konnte. Seine Nächte blieben in der Regel ruhig und friedlich. Er träumte überhaupt nur dann, wenn er Samstag oder Sonntag, vielleicht auch Neujahr, noch einmal nach der Zeit einschlafen konnte, zu der in der Woche sein Radiowecker schellte und die verhasste Lohnarbeit als Elektriker unerbittlich rief.

Denn er wachte robotisch an solchen freien Tagen natürlich zum gleichen Zeitpunkt auch ohne Phil Collins aus der Plärrkiste auf, deckte seine Frau liebevoll zu, ging zur Toilette, pinkelte hustend und warf sich hinterher wieder aufs durchgelegene Bett. Neben sich auf dem geerbten Nachttisch ein verchromter Kugelschreiber und ein lila Notizbuch mit asiatischen Mustern, falls er wirklich hinter der Wall of Sleep fündig werden sollte, dort wo die Schatten der Grabsteine länger sind als der Schatten der Bäume. Dort wo aus diffusen Ängsten greifbare Symbole wurden.

Doch diese Gelegenheiten blieben zu selten. Oft wurde er Samstag in der Früh von seiner Frau mehr oder minder aus dem Bett geworfen, damit er den Rasenmäher reparieren, die Außenbeleuchtung instand setzen, neue Vorhänge anbringen oder die verdammte Hainbuchenhecke noch vor dem Winter schneiden konnte. Oder er trank in der Nacht von Samstag auf Sonntag so viel, um seine Qualen als Handwerker und seine stupiden Kollegen zu vergessen, dass sein Schlaf komatös und schwarz wurde. Sein feines Notizbuch blieb nahezu leer in solchen alltäglichen Zeiten. Ein ständiger Fluss mit trüben Wellen aus Trivialität und Stumpfsinn, der alle Kreativität vertrocknen ließ, das schien sein Leben, sein Fluch zu sein. So viele Hoffnungen; so wenig Träume.

*

Und dann kam das Baby!

Ein süßes Baby, mit einem herzerweichenden Lächeln, blauen Augen, Papas runder Nase, viel Hunger, einer kräftigen Stimme und sehr, sehr unruhigem Schlaf. Das sollte ausschlaggebend sein. Denn von diesem Tag an, als des Babys erster Schrei im heimischen Schlafzimmer erklang, befand der Schriftsteller sich in den Nächten quasi ständig in der Phase des erneuten Einschlafens. Mindestens fünf bis sechs Mal pro Nacht. Selbst in den Nächten, wenn seine Frau Babyschicht hatte, schreckte er immer wieder durch das Geschrei auf. Ein ständiges Auf und Ab zwischen Traum und Realität. Ein ständiges Hin- und Herwälzen im Bett. Der eigene Kopf wurde schließlich zu einer Art von Pendel zwischen den tosenden Gestaden der Wahrnehmung.

Die Übergänge zerflossen zu einem Brei aus Haltlosigkeit. Und aus Haltlosigkeit wurde alsbald Zügellosigkeit. Es schien, als würden wilde, kreischende Furien den erstaunten Mann durch sich immer weiter verzweigende Altstadtgässchen treiben. Alles zerschmolz in diesen Stunden zu einem chaotischen Labyrinth aus Phantastereien, Babyschreien, Nachtmahren, Milchflaschen, unheilvollen Verkündigungen, Schnullern, gespenstischen Schatten, Stramplern, Hexensabbat, Wiegenliedern, Trommelschläge bei Randalen in der Walpurgisnacht, das Geräusch von Babyrasseln, Wechselbälgern und immer wieder grüngelbem Kacka.

Doch das Meer aus knöchelhohem Kacka machte das Fallen auf mittelalterliche Pflastersteine nicht weicher, es vermehrte nur die Stürze. Es blieb ein harter Lauf. Die Furien des Kopflabyrinths immer im Nacken. Hackten schon mit ihren stählernen Schnäbeln in seinen Hinterkopf und rissen Haare aus. Aus den verklebten Augenwinkeln heraus glaubte er, staubige Geschäfte in den Fachwerkhäusern zu erkennen. Dort verkauften sie alpenländische Perchtenmasken, die irgendwie des Schriftstellers müde Züge trugen. Und in den bleigefassten Schaufensterscheiben erblickte er die Spiegelungen der Furien und ihrer kilometerlangen, bunten Federschwänze. Manchmal sah er diese Anhängsel auch in Nebenstraßen und an Kreuzungen vor sich dahinhuschen. Dann wusste er, der Kreis hatte seinen Lauf längst schon gefangen und er die Schwänze seiner Verfolger.

Es ging nicht um den blutigen Nacken, auch nicht um die schmerzenden Beine oder die pfeifenden Lungen. Das konnte man irgendwie ertragen. Wenn nur diese verdammte Müdigkeit nicht gewesen wäre. Man glaubt ja, man wisse, was Müdigkeit ist. Doch das ist nicht mit Schlafmangel nach wilden Partynächten zu vergleichen. Kinderpflege war das wahre wilde Leben. Auch Überstunden brachten eine andere Art von Erschöpfung. Selbst Nachtschichten und nächtliche Übungen beim Militär schienen etwas anderes zu sein. Denn dort brachte man sich nicht so ein wie im Schlafzimmer für das eigene Kind. Die Müdigkeit ging mehrdimensional über das Körperliche hinaus.

Richtig müde ist man erst, wenn man Baby- und Furienschreie nicht mehr unterscheiden kann und der Lauf durch die ständig abbrechenden Träume nicht mehr endet. Ein Leben im Rausch. Auch ohne Whiskey hatte der Autor alsbald morgens Kopfschmerzen und Sodbrennen. Wenn er eine Stegleitung auf der Arbeit verlegte, dann traf er seine Finger statt der Nägel. Wenn er in einer Pause nur kurz die Augen schloss, dann musste er geweckt werden. Und im Auto schlief er nur nicht ein, weil er in Höchstlautstärke Highway to hell hörte.

*

Schließlich kam nach Monaten der Morgen, da wachte der Wortsucher auf und fühlte sich erstaunlicherweise nicht wie durch Stephen Kings Maschinerie aus dessen Geschichte The Mangler gedreht. Solch billiges Wortspiel war zu entschuldigen, denn der Kerl kannte es nicht anders, wohnte er doch in Köln. Tätärätärä! Auch ein Schicksal.

Jedenfalls, ausgeschlafen aber gänzlich verwirrt ging er zur Toilette, setzte sich auf die Brille und wurde sich schließlich beim Pinkeln ganz langsam bewusst, was sich eigentlich in den letzten Stunden scheinbar zugetragen hatte. Oder träumte er noch jenseits der grausamen Furien? Konnte es wirklich sein? Nach all diesen Nächten der Flucht? Konnte es wirklich sein? Der unglaubliche Gedanke perlte leise und zart hoch, wie die Kohlensäure in einem kühlen Weizenbierglas in einem sommerlichen Biergarten. Herrlich! Ja, es war wahr! Es gab keinen Zweifel.

Ein unglaublicher Fakt:

Teufel im Himmel, Gott in der Hölle, das Baby hatte zum ersten Mal im Leben durchgeschlafen!

*

Alles würde sich nun wieder ändern. Ein neues Zeitalter brach an. Der Kosmos ordnete sich neu. Die Planeten änderten ihre Drehrichtung. Die Sternennebel spielten schmeichelnd Saxofon in ihren langsamen äonenlangen Bewegungen, wo eben noch eine blecherne Flöte das Lied von den Furienschwänzen geblasen hatte. Es würde Schlaf geben. Aber nicht nur das. Da gab es noch einen Gedanken.

Der Gedanke wurde ebenfalls Bewegung; der Mann sprang wie durch einen Rattenbiss aufgeschreckt von der Schüssel auf, nicht beachtend, dass einige Tropfen Pipi im grünen Frotteenachtgewand landeten. Auch das Licht vergaß er auszuschalten. Er stürmte geradezu ins Schlafzimmer. Seine Frau schlief noch, das Baby auch.

Ja, das Baby auch!

Es sah aus wie eine kleine Waldfee, die gerade einen Menschen einen Wunsch erfüllt hatte und nun nach getaner Arbeit zurück zwischen die wilden Rosenblätter sank. Mehr Frieden und Ruhe ging gar nicht!

Der Autor ergriff das lila Notizbuch vom Nachtisch, öffnete es, fiel auf die Knie und weinte vor Glückseligkeit. Er begriff, dass das blutige Schnabelhacken der nächtlichen Furien der unter Schmerzen erkaufte Kuss der Musen der Horror-Autoren ist. Denn das Buch schien über und über voll mit phantastischen Einfällen, die er wohl im Halbschlaf zu Papier gebracht hatte. Ein Rausch an guten Ideen und großartigen Szenarien, wie er in aller künstlerischen Bescheidenheit feststellte. Die Freudentränen liefen über seine Wangen wie vormals das Blut über seinen Nacken. Hier lag ein Fundus an Eingebung niedergeschrieben: ein frommer König mit fehlerhafter Logik, ein sich im Kampf mit höheren Mächten wiederfindender Varieté-Zauberer, ein Werwolf am Rande des Nervenzusammenbruchs, die seltsame Reise der Maske Maharsak, Rockerbanden vs. Gespenster vs. Zombies, eine übersinnliche Sitzgelegenheit, die utopischen Schrecken von Mallorca und vieles mehr.

Die Tränen der Freude waren noch nicht getrocknet, da hörte er, wie seine Frau erwachte. Noch mit halb geschlossenen Augen meinte sie: „Guten Morgen! Es ist aber sehr gut, dass du...



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