E-Book, Deutsch, 408 Seiten
Tidhar / Hareven / Amnuel Zion's Fiction
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-949452-97-0
Verlag: Hirnkost
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Phantastische Literatur aus Israel
E-Book, Deutsch, 408 Seiten
ISBN: 978-3-949452-97-0
Verlag: Hirnkost
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In sechzehn Geschichten nehmen uns sechzehn israelische Autor:innen auf eine phantastische Reise mit. Dabei treffen wir etwa auf hochentwickelte Mäuse, die einen Krieg gegen die Menschheit führen, auf drei Geschwister, die den Weltrekord im Puzzeln brechen wollen, auf eine Frau, die den Tod heiratet, und auf eine Telepathin, die die Gedanken Verstorbener liest und sich Stück für Stück darin verliert. Die Texte eint hierbei nicht bloß der Entwurf einer spekulativen Welt, nicht bloß das Phantastische, das in der Tradition biblischer Geschichten steht, sondern auch der Blick auf zentrale menschliche Erfahrungen.
Die abwechslungsreiche Anthologie versammelt Texte junger und alter, bekannter und unbekannter Autor:innen aus Israel und feiert die Lust am Erzählen.
Die Mitwirkenden: Lavie Tidhar, Gail Hareven, Keren Landsman, Guy Hasson, Nava Semel, Nir Yaniv, Eyal Teler, Rotem Baruchin, Mordechai Sasson, Sayvon Liebrecht, Elana Gomel, Pesakh (Pavel) Amnuel, Yael Furman, Gur Shomron, Nitay Peretz und Shimon Adaf
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Was wir hier vor uns haben, ist so etwas wie eine Botschaft aus einer anderen Welt: eine Auswahl der eindringlichen, fantasievollen Werke, die einer kleinen, umkämpften Nation an den Gestaden Asiens entspringen, einer Nation, die im 20. Jahrhundert auf einem Fundament gegründet wurde, das bis in die biblische Antike zurückreicht, einer Nation von Denkern und Fabulierern, die in ständiger Ungewissheit lebt und diese Ungewissheit als Treibstoff für tiefgründige und oft sehr bewegende spekulative Gedanken genutzt hat. Wir haben es also mit einer Anthologie israelischer Science Fiction und Fantasy zu tun. Jüd:innen werden oft als das Volk des Buches bezeichnet, und das Buch, das damit gemeint ist, ist die hebräische Bibel – der nicht-jüdischen Welt als Altes Testament bekannt, aber den Jüd:innen in aller Welt schlicht als Bibel. Für Gläubige aller Religionen ist die Bibel eine heilige Schrift, die Aufzeichnung über Gottes Umgang mit der Menschheit beginnend mit der Schöpfung („Am Anfang“, so heißt es im ersten Satz, „schuf Gott Himmel und Erde.“), über die Mühen eines wandernden Wüstenstammes, der Hebräer, die dem heidnischen Götzendienst und der Vielgötterei zugunsten des Glaubens an eine einzige, strenge und ferne Gottheit abgeschworen hatten, über die Wanderung dieses Stammes aus Mesopotamien nach Ägypten, über die Flucht vor der tyrannischen Herrschaft des ägyptischen Pharaos in das Land Kanaan, das später allgemein als Palästina bekannt wurde, und über die Gründung des hebräischen Königreichs Israel in Palästina, wo das jüdische Volk, als das die Hebräer bekannt wurden, mit wechselndem Erfolg versuchte, nach den moralischen und ethischen Regeln seiner Religion zu leben. Die späteren Bücher der hebräischen Bibel enthalten eine Chronik der Teilung des jüdischen Landes in zwei Königreiche, Israel und Juda, der Kämpfe der beiden Königreiche gegen äußere Feinde – die Moabiter, die Philister, die Syrer, die Assyrer, die Babylonier und andere – und schließlich des Verlusts der jüdischen Unabhängigkeit als Strafe Gottes für einen Rückfall in den Götzendienst und andere Frevel. Die hebräische Bibel besteht natürlich nicht nur aus einer historischen Chronik und einer Reihe von Gesetzbüchern. Sie enthält auch eine Gedichtsanthologie – die Psalme Davids –, eine Sammlung von Sprichwörtern und das Buch Hiob, das im Grunde ein kurzer Roman ist. Das Buch Hiob ist nicht die einzige Geschichte, die die Bibel erzählt. Sie ist in der Tat voll von Geschichten, die die Menschheit seit dreitausend Jahren in Atem halten. Es beginnt mit der Schöpfungsgeschichte, erzählt dann vom Leben unserer ersten Vorfahren im Garten Eden („Und Gott, der Herr, nahm eine Rippe von dem Menschen und machte daraus ein Weib und brachte sie zu dem Menschen.“), sodann von der Versuchung Evas und der Vertreibung aus dem Garten, von der Ermordung Abels durch Kain, vom Hereinbrechen einer großen Flut, der nur Noah und seine Familie entkommen, von den Anweisungen Gottes an den Patriarchen Abraham, seinen einzigen Sohn Isaak zu opfern, und von allem, was daraus folgte (Isaak war nicht wirklich sein einziger Sohn, und auch daraus ergibt sich eine lange Geschichte), und so weiter und so fort. Die Bibel ist reich an Erzählungen, die dem Vergleich mit jeder anderen jemals geschaffenen Literatur standhalten. (Die Abenteuer Josephs in Ägypten; der Werdegang des Hirtenjungen David, der König von Israel wurde; der Auszug aus Ägypten; die kleine Affäre von Samson und Delila; der Besuch der Königin von Saba bei Salomo – oh ja, und immer so weiter. Man muss nicht gläubig sein, um der erzählerischen Kraft der hebräischen Bibel zu erliegen.) Ein starkes phantastisches Element zieht sich durch viele der biblischen Erzählungen, wie wir sie heute kennen. (Sie alle sind Fantasy, wenn man als Nichtgläubige:r die ganze Sammlung unter der Prämisse betrachtet, dass Gott ein imaginäres Wesen ist.) Die Sintflut von Noah, die ihre Vorläufer in sumerischen und babylonischen Legenden hat, ist eine herrliche apokalyptische Phantasterei. Moses teilt auf wundersame Weise das Rote Meer, sodass die Kinder Israels trockenen Fußes aus Ägypten ausziehen können. Gott erscheint als Feuersäule, um sie bei Nacht auf ihrer Reise durch die Wüste zu leiten. Samson ist eine frühe Verkörperung des Übermenschen, ein Superman, und wie bei der Comic-Version des zwanzigsten Jahrhunderts gibt es auch bei ihm eine besondere Sachwachstelle. In den Visionen des Propheten Ezechiel erscheinen humanoide Wesen mit vier Gesichtern und vier Flügeln, die ihn auf eine Art Reise durch den Weltraum tragen und ihn zum Herrn bringen, der auf Seinem Thron sitzt. (Das nachkanonische Buch Henoch, das wahrscheinlich aus dem dritten oder vierten Jahrhundert vor Christus stammt und nur in einer äthiopischen Übersetzung überliefert ist, bietet eine Fülle von astronomischen Kenntnissen und beschreibt die Weltraumreise eines weiteren Propheten.) Und es gibt noch so viel mehr, eine riesige Vielfalt an wundersamen, fantasievollen Ereignissen, die auch nach fast dreitausend Jahren lebendig in unseren Köpfen sind. Schließlich gingen die Königreiche Israel und Juda unter. Ihre Völker wurden von den Babyloniern ins Exil geschickt und von den nächsten Eroberern, den Persern, nach Palästina zurückgeführt. Nach der Niederlage der Perser gegen Alexander, den König von Makedonien, wurden sie zunächst von seinem neuen Reich geschluckt und sodann von demjenigen, das die Römer gegründet hatten. Unter den Römern wanderten die Jüd:innen in alle Teile der Mittelmeerwelt aus, es blieben aber stets einige in Palästina, das nunmehr das Heilige Land genannt wurde und das sich die Jüd:innen mit nicht-jüdischen Stämmen teilten, die schließlich zu einer muslimischen arabischen Bevölkerung zusammenwuchsen. Während dieser Jahre des Exils, der Diaspora und der gemeinsamen Besiedlung Palästinas tauchte die Hoffnung auf eine Rückkehr zu den alten Tagen des Königreichs Israel immer wieder im jüdischen Denken und Schreiben auf und fand ihren deutlichsten Ausdruck in Theodor Herzls utopischem Roman Altneuland, der 1902 veröffentlicht wurde. Herzl hatte erstmals 1896 in seinem Buch Der Judenstaat eine selbstverwaltete jüdische Republik außerhalb Europas vorgeschlagen. Er hielt Palästina aus historischen Gründen für den bevorzugten Standort, hätte aber zu diesem Zeitpunkt auch Argentinien für ebenso akzeptabel gehalten. Altneuland verortet den jüdischen Staat jedoch ausdrücklich in Palästina. Jerusalem sollte die Hauptstadt sein, Haifa das Zentrum der industriellen Aktivitäten. (Tel Aviv gab es zu dieser Zeit noch nicht. Der erste hebräische Übersetzer von Herzls Roman gab dem Buch den Namen Hügel des Frühlings, der auch verwendet wurde für die 1909 gegründete neue jüdische Siedlung an der Küste Palästinas.) Herzls Republik war eine egalitäre, die an Sozialismus grenzte, mit landwirtschaftlichen Genossenschaften und öffentlichem Eigentum an Land und natürlichen Ressourcen, aber auch privatem Eigentum an der Industrie, und ihre Bürger:innen unterhielten sich hauptsächlich auf Deutsch oder Jiddisch, auch wenn der Versuch unternommen wurde, die alte hebräische Sprache wiederzubeleben. So zieht sich ein roter Faden spekulativen Denkens, oft vermischt mit einem gewissen Maß an Mystik, durch die gesamte Geschichte des jüdischen Volkes, von den Visionen und Wundern der Bibel bis hin zu Herzls prophetischem Werk utopischer Fantasy. Es sollte nicht überraschen, dass in der jüdischen Literatur über die vielen Jahrhunderte hinweg, die das Buch Genesis von Altneuland trennen, Elemente der spekulativen Fantasy und sogar der Science Fiction auftauchen. In einer Episode des Talmuds reist Moses durch die Zeit und macht einen Abstecher in die Zukunft. Im neunten Jahrhundert stellte sich der jüdische Kaufmann Eldad HaDani einen unabhängigen jüdischen Staat in Ostafrika vor, vielleicht in Äthiopien. Die mittelalterliche jüdische Legende vom Golem war ein Vorbote der Frankenstein-Geschichte und lieferte eines der ersten Beispiele für einen Roboter in der Literatur. Mittelalterliche Überlieferungen bringen uns auch Dibbuks, wandernde Geister, die von lebenden Körpern Besitz ergreifen, ein Motiv, das in der modernen Science Fiction häufig verwendet wird. Aus guten und schicklichen Gründen zögere ich, einen so weit gefassten, verallgemeinernden Begriff wie „der jüdische Geist“ zu verwenden, aber es scheint eine gewisse Affinität zwischen Jüd:innen und spekulativem Denken zu geben, eine Affinität, die nicht nur einige große Werke der Philosophie, sondern auch viele Werke der Fantasy und Science Fiction hervorgebracht hat. Obwohl die Science Fiction in ihrer spezialisierten modernen Form ihren Ursprung in den Werken von Jules Verne und H. G. Wells aus dem neunzehnten Jahrhundert hat, ist sie weitgehend ein Produkt amerikanischer Kreativität – und eine bedeutende Anzahl von...