E-Book, Deutsch, 304 Seiten
Tidhar Geheimagentin Candy und die Schokoladen-Mafia
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7320-1249-7
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 304 Seiten
ISBN: 978-3-7320-1249-7
Verlag: Loewe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Nelle lebt in einer Stadt, in der es seit drei Jahren keine Schokolade mehr gibt. Sie wurde verboten, doch es gibt Banden, die die illegale Ware für die Zucker-Junkies in die Stadt schmuggeln. Eines Tages steht der berüchtigte Gangster Eddie de Menthe in Nelles Detektivbüro. Und er hat einen Auftrag für sie. Was sie zu hören bekommt, gefällt ihr ganz und gar nicht. Ohne es zu wollen, wird sie immer tiefer hineingezogen in die dunklen Machenschaften der Schokoladen-Mafia... Ihr Deckname lautet nun Candy - Geheimagentin Candy. Eine starke Mädchenheldin ermittelt in einem spannenden Kriminalfall, rund um Intrigen, Schmuggelware und ein Geheimnis, das seit Jahrzehnten gut gehütet wird. Doch Candy taucht immer tiefer hinein in die Abgründe ihrer Stadt, in der Schokolade und Süßigkeiten ein Tabu sind. Ein Kinderbuch für Mädchen und Jungen ab 10 Jahren. Der Titel ist auf Antolin.de gelistet.
Lavie Tidhar bekam für sein Buch A Man Lies Dreaming (2014) den Jerwood Fiction Uncovered Prize, außerdem ist er Gewinner des World Fantasy Awards für Osama (2011) sowie des Campbell Awards für Central Station (2016). Seine neuesten Romane sind Unholy Land (2018) und sein allererstes Kinderbuch Geheimagentin Candy und die Schokoladen-Mafia.
Weitere Infos & Material
Kapitel 1 Die Sonne schien hell durch mein Bürofenster im Garten hinter unserem Haus und keine Wolke war am Himmel zu sehen. Ich hatte einen Schreibtisch und zwei Stühle, von denen einer für Besucher gedacht war, ein Bücherregal und einen Aktenschrank – alles, was ein Detektivbüro braucht. In meiner Schreibtischschublade befand sich außerdem eine halbvolle Schachtel Pralinen. Oder eine halbleere. Je nachdem. Sie war ein Geschenk von einem dankbaren Klienten. Und illegal, wie alle Süßigkeiten in der Stadt. Ich ging jedoch nicht davon aus, dass irgendjemand mich kontrollieren würde. Ich hatte gerade meine Hand in die Schublade gesteckt und versuchte vergeblich, die Pralinen allein durch Tasten zu erkennen. Aber es war unmöglich herauszufinden, ob es sich um eine mit Karamell- oder Marzipanfüllung handelte. In dem Moment klopfte es an der Tür. Schnell schob ich die Schublade wieder zu, wobei ich mir vor lauter Eile fast die Hand darin einklemmte. Dann richtete ich mich auf und gab mir alle Mühe, schwer beschäftigt und kompetent auszusehen, wie es sich für eine gute Privatdetektivin gehörte. Es war schon einen Monat her, seit das Schuljahr zu Ende gegangen war und ich meinen letzten Fall gelöst hatte. Bei diesem Auftrag hatte ich mich mit Zuckerschnute Ratchet und ihrer Gang, den Naschkatzen, angelegt und seitdem waren sie nicht gut auf mich zu sprechen. Um die Wahrheit zu sagen: Mir war mal wieder das Taschengeld ausgegangen, das Glück hatte mich verlassen, mein Hut war älter als ich und ich brauchte noch dringender einen Job, als ich mich nach einer Praline mit Karamellfüllung sehnte. »Herein!«, rief ich. Die Tür ging auf und er trat ein. Er hatte Segelohren, feuerrote Haare und haufenweise Sommersprossen um die Nase, und in seinem Mund waren mehr Zähne als hineinpassten. Damit kaute er laut schmatzend auf einem Kaugummi herum, ohne sich darum zu scheren, dass das illegal war. Ich musterte ihn eingehend. Er roch förmlich nach Ärger. »Nelle Faulkner?«, fragte er. »Die Detektivin?« »Kommt drauf an, wer das wissen will«, antwortete ich. Er sah aus, als sei er aus Plätzchenteig gemacht, irgendwie roh und unförmig. Meiner Einschätzung nach musste er ungefähr in meinem Alter sein, also zwölf, vielleicht auch ein bisschen älter. Er setzte ein entwaffnendes Lächeln auf, bei dem alle seine Zähne zum Vorschein kamen. »Du kriegst noch Karies, wenn du weiter auf dem Kaugummi rumkaust«, brummte ich. »Bist du etwa meine Mutter?« Ich überging seine Bemerkung. So was perlte einfach an mir ab. »Wer bist du?«, fragte ich stattdessen. »Tut mir leid, ich hätte mich vorstellen sollen.« Es tat ihm kein bisschen leid. Er knatschte weiter auf seinem Kaugummi herum, als hinge sein Leben davon ab. »Ich bin Eddie. Eddie de Menthe.« Ich setzte mich ein wenig aufrechter hin. Jetzt wusste ich, mit wem ich es zu tun hatte. »Du bist der Süßigkeitenschmuggler?«, erwiderte ich. Ich hatte seinen Namen schon öfter in den Schulfluren gehört. Gerüchten zufolge unterstand ihm die Hälfte des illegalen Zuckerhandels in der Stadt. Wenn man Lust auf ein Marshmallow oder eine Schokolinse hatte, musste man sich angeblich nur an Eddie de Menthe und seine Gang wenden. Sie hatten einen richtigen Schwarzmarkt aufgezogen, auf dem sie alle Arten von Süßigkeiten verkauften, ohne dass die Erwachsenen davon Wind bekamen. Ich hatte keine Ahnung, woher seine Ware stammte, und ich wollte es auch gar nicht wissen. »Nee«, wiegelte er ab. »So ist das nicht, ganz ehrlich. Ich bin nur ein Kind.« Sein Gesichtsausdruck sprach eine andere Sprache. Er wirkte in etwa so unschuldig wie ein Kind, das man mit einer Tüte voller Karamellpopcorn erwischt hatte, und noch weniger unschuldig ging gar nicht. »Ach ja?«, hakte ich nach. Er zuckte mit den Schultern, als ginge ihn das alles nichts an. »Die Leute wollen eben ihren Süßkram«, sagte er. »Ich helfe ihnen bloß.« Irgendwie mochte ich ihn. Er versuchte nicht, sich rauszureden. Aber er bedeutete Ärger, das wusste ich, und er wusste, dass ich es wusste. »Wie kann ich dir helfen, Mr de Menthe?«, erkundigte ich mich. »Eddie, bitte.« »Wenn du darauf bestehst.« »Ich brauche einen Privatdetektiv. Einen Schnüffler.« Er lächelte, zog ein Päckchen Kaugummi aus der Tasche und hielt es mir hin. »Auch eins?« »Nein.« »Ist doch kein Verbrechen«, sagte er. »Genau genommen ist es das sehr wohl.« Er kaute lächelnd auf seinem herum, als wäre es ihm herzlich egal, was es vermutlich auch war. »Wie kann ich dir helfen?«, wiederholte ich. »Ist kompliziert.« »Wenn es etwas Illegales ist …« »Nein, nein«, beschwichtigte er. »Um so was geht es nicht. Dafür habe ich … meine eigenen Leute.« Den Gerüchten nach arbeitete jedes zweite Kind in der Stadt für ihn. Sie schmuggelten Süßigkeiten in die Stadt und verkauften sie dann weiter. Ich konnte mir nicht vorstellen, was er von mir wollte, und das sagte ich ihm auch. »Mir ist etwas gestohlen worden«, erklärte er, »und ich brauche es zurück.« »Aha«, sagte ich verständnisvoll. »Was wurde denn gestohlen?« Jetzt wirkte er zum ersten Mal nervös. »Das bleibt aber unter uns, ja?«, fragte er. »Wir Privatdetektive«, verkündete ich feierlich, »sind wie Priester oder Ärzte. Was auch immer du sagst, bleibt in diesem Zimmer.« »Na ja, es ist aber nicht wirklich ein Zimmer, oder?«, erwiderte er. »Es ist ein Geräteschuppen.« »Es ist mein Büro.« »Aber es ist ein Schuppen«, beharrte er. »Im Garten deiner Mom. Ich kann ihr durchs Fenster beim Jäten der Rosenbeete zusehen.« »Hör zu, Freundchen.« Langsam wurde ich ungehalten. »Du bist zu mir gekommen. Nicht ich zu dir. Wo ist dein Büro, auf irgendeinem verlassenen Spielplatz?« »Um ehrlich zu sein …« Ich hätte es wissen müssen. »Der in der Malloy Road? Den sie vor sechs Monaten wegen Renovierungsarbeiten geschlossen haben?«, fragte ich. »Du warst noch nie dort?« Er grinste. »Pass nur auf, dass du noch alle Murmeln im Sack hast, wenn du dich mal dort blicken lässt.« »Wovon redest du?« Er grinste unbeirrt weiter. »Wirst schon sehen.« Ich seufzte, lehnte mich zurück und streckte unter dem Tisch die Beine aus. Ich dachte an Süßigkeiten. Daran, dass man sie in jeder anderen Stadt einfach im Laden kaufen konnte, nur nicht bei uns – nicht mehr. Ich dachte daran, wie lecker sie schmeckten, und daran, dass nur, weil etwas plötzlich illegal war, es noch lange nicht aus der Stadt und dem Gedächtnis verschwand. »Du weichst meiner Frage aus«, sagte ich. »Die da wäre?« »Was hast du verloren?« »Ich habe es nicht verloren. Ich hab dir doch gesagt, es wurde mir gestohlen.« »Was wurde gestohlen?«, schrie ich. Er zuckte zusammen. Langsam ging er mir wirklich auf die Nerven. »Ein Teddy, okay?«, antwortete er. Ich richtete mich auf und musterte ihn über den Schreibtisch hinweg. Der Ausdruck in seinen Augen war sanft und ein bisschen traurig. »Ein Teddy?«, wiederholte ich ungläubig. Machte er Witze? Er war mindestens zwölfeinhalb. »Ein Teddybär. Ein alter Teddybär. In Ordnung? Das ist alles.« Ich schwieg eine Weile. Anfangs wirkte er beschämt, doch dann hob er den Kopf und funkelte mich trotzig an. Schließlich fragte ich: »Hat er auch einen Namen?« »Einfach nur Teddy.« »Sehr originell.« »Es ist nicht meiner. Er … er gehört einem Freund.« »Soso, einem Freund.« »Ja, einem Freund«, antwortete er mit Nachdruck. »Und ich brauche ihn zurück. Es ist wichtig.« »Hör mal«, sagte ich, »tut mir echt leid wegen deinem Verlust und so, aber kannst du dir nicht einfach, keine Ahnung, einen neuen kaufen?« »Hattest du jemals einen Teddy?«, fragte er. Ich wand mich verlegen, was ihm natürlich nicht entging. »Du hast ihn immer noch, hab ich recht?« »Es ist eine sie und ihr Name ist Delphina«, erwiderte ich. »Del Bär.« Ich wusste nicht, warum ich ihm das erzählte. Mein Dad hatte sie mir gekauft, als ich klein war. Vor seinem Tod. »Ich brauche ihn zurück«, wiederholte Eddie de Menthe. Ich sah ihn durchdringend an. Er war einer der gefürchtetsten Süßigkeitenschmuggler der Stadt und jetzt kam er wegen eines verschwundenen Teddybären zu mir? War das tatsächlich sein Ernst? Ich blickte ihn nachdenklich an. Er sah aus, als sei es ihm todernst. Nein, dachte ich. Es war noch mehr – er sah besorgt aus. »Na schön.« Ich hatte mich entschieden. Ich griff nach meinem Notizbuch und einem Stift. »Kannst du ihn mir beschreiben?« Eddie begann: »Er ist alt. Er hat braunes Fell, das ein paarmal zu oft gewaschen worden ist, weswegen es inzwischen eher schmutzig grau wirkt. Ihm fehlt das linke Auge und er hat ein zugenähtes Loch in der Brust, das ein bisschen wie eine Schusswunde aussieht. Außerdem fehlt ihm ein Stück von seinem rechten Ohr. Er hat eine süße schwarze Knopfnase. Und er hat noch sein Originaletikett, auch wenn das so verblichen ist, dass man es nicht mehr lesen kann. Aber wenn man es könnte, würde ›Farnsworth‹ draufstehen.« Beim Klang des Namens hielt ich inne. Eddie beobachtete mich sehr aufmerksam. Er bemerkte mein Zögern. Jeder kannte diesen Namen. Er prangte über dem Tor der stillgelegten Fabrik und er hatte auf fast allen Schokoriegeln gestanden,...