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E-Book, Deutsch, 195 Seiten

Thurston Charmeuse


1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-95676-505-6
Verlag: OTB eBook publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

E-Book, Deutsch, 195 Seiten

ISBN: 978-3-95676-505-6
Verlag: OTB eBook publishing
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Ernest Temple Thurston (September 23, 1879 - March 19, 1933) war ein Anglo-Irischer Dichter, Dramatiker und Autor. Thurston schrieb über vierzig Bücher von denen siebzehn verfilmt wurden.

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Zweites Kapitel
In den Zeiten, da die Römer nach Britannien kamen, muß das Dorf Sterrenden schon mäuschenstill im Schutz der kentischen Hügel gelegen haben, während die goldenen Adler über den Ebenen rings um Rochester ihre Flügel schlugen. Und heute liegt es noch, ebenso still verborgen, bald im verschleierten Glanz der Mittagssonne oder im Schatten der Hügel, und der Falke der Zivilisation fliegt hoch darüber hin, ohne an seine Beute zu denken. Das Postamt ist allerdings durch ein Telephon mit der übrigen Welt verbunden, und gelegentlich setzt ein verirrtes Telegramm die Drähte in Bewegung. Sie sind aber lange nicht so aufgeregt darüber wie der Postmeister Herr Nash oder Frau Nash, sein pflichtgetreues Weib, die das Telegramm verstört und wiederholt auf ein Stück Papier schreiben und es dem Empfänger, wer immer es sein mag, persönlich überbringen. Keine menschliche Seele kann in Sterrenden leben oder sich aufhalten, ohne daß das ganze Dorf auf das genaueste weiß, was der Betreffende in jedem Augenblick vornimmt; was sich hingegen in Eltringham oder in Harrowden ereignet, das reist so langsam, wie die Neuigkeiten vor den Tagen reisten, in denen die Postkutsche erfunden wurde. Und erst lange, nachdem die Ereignisse vorüber sind, erreicht die Kunde in einem dünnen Strahl weitergetragener Reden Sterrenden. Wenn der junge Laidlaw nicht bei dem Gartenfest erschienen wäre, kein Mensch in Sterrenden würde gewußt haben, daß er auf Urlaub zu Hause war, denn die Leute von Eltringham und die von Sterrenden treffen sich nur zweimal im Jahr auf dem Kricketplatz, einmal in dem einen und dann in dem anderen Ort. Und an diesen beiden Tagen bleibt ihnen wenig Zeit, Neuigkeiten auszutauschen. Aber dank dem Telephon und dem Telegraphenapparat im Postamt von Sterrenden gibt es gelegentlich Verbindungen mit der fernen Welt; Verbindungen, die in jedem Sinne elektrische sind. Sowie Herr Nash festgestellt hat, wer der Empfänger des Telegramms sein mag, zieht er ein merkwürdiges zweirädriges Fahrzeug aus dem merkwürdigen Schuppen an der Rückseite des Hauses. Zwischen die nicht sehr fest sitzenden Stangen schirrt er ein noch merkwürdiger aussehendes Waldpony ein; dann erklettert er das Fahrzeug, das sich, da das eine Rad mit dem anderen einen spitzen Winkel bildet, wie ein Betrunkener bewegt, und macht sich auf die Suche nach dem merkwürdigen und bedeutenden Individuum, das so plötzlich und überraschend mit der Welt in Verbindung getreten ist. Telegraphenjungen gibt es in Sterrenden nicht, und Fräulein Elsie Nash, die sonst ihren Eltern bei der Arbeit im Postamt hilft, ist manchmal anders beschäftigt, sie muß den Einwohnern von Sterrenden ein Gratiskonzert geben und ihnen auf dem Piano im ersten Stock die »Glockenblumen von Schottland« vorspielen. Wenn sie so beschäftigt ist, darf man sie nicht stören. Dann muß Herr Nash das Telegramm selbst abgeben. Von diesen mechanischen Unterbrechungen abgesehen, schwebt der Falke der Zivilisation hoch über der Ebene dahin, und Sterrenden liegt ungestört in den bunt gemusterten kentischen Gefilden. Nordwärts winden sich die Straßen wie weiße Stränge über die wogende Ebene; gegen Süden wagen sie sich manchmal die steilen Hügelabhänge hinauf, kriechen zwischen den Grasmatten, auf denen Schafe weiden und Kaninchen knabbern, hinauf und verschwinden über den Kamm, um durch das mit Heidekraut und Stechginster bewachsene Hügelland hinzuziehen, bis sie schließlich zum Meer hinabführen. Als ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren und neuvermählt, aber ohne mehr Lebenskenntnis, als sein Wesen ihm überhaupt zu erwerben gestattete, war Roger Campion nach Sterrenden gekommen, teils weil er gehört hatte, daß es ein ruhiger Ort sei, in dem er die Flitterwochen verbringen konnte, hauptsächlich aber, weil er eine Schafherde als Modell für ein Bild brauchte. Während seines ganzen Ehelebens verfolgte er diese Politik, zwei Fliegen mit einem Schlag zu treffen, aber für die, die ihn kannten, wurde es immer weniger schwierig, zu erkennen, welche Fliege er eigentlich meinte. In jenen Tagen, da sie ihren Haushalt begründeten, waren sie sehr arm. Er hatte sich nicht mehr als drei Tage für seine Flitterwochen gestatten können, die er außerhalb Londons verbringen wollte. London war für ihn die Welt. Die Welt der Kunst zum mindesten. Hier nur konnte ein Mann, der den Pinsel führte, die volle und wirkliche Anerkennung für sein Werk finden. Nur in London konnte man gute Modelle bekommen, und man fand in der Stadt, wenn man nur Augen hatte, zu sehen, die wunderbarsten Landschaften der Welt. Mehr als drei Tage konnte er sich nicht frei nehmen. Flitterwochen waren schließlich nicht an die Landkarte gebunden, sie bedeuteten einen Seelenzustand. Der Seelenzustand war zweifellos vorhanden, aber vor allem brauchte er die Schafherde für sein Bild. In Silgate angekommen – so heißt die Bahnstation, in der man aussteigen muß, wenn man nach Sterrenden will, das etwa fünf Meilen von der Bahn entfernt liegt –, stiegen Roger Campion Zweifel darüber auf, ob er auch nur drei Tage dortbleiben würde. Der Blick auf die öde Landschaft, denn ein Hügelkamm bei Silgate deckt alle anderen Hügel und verbirgt sie dem Blick, beleidigte sein Künstlerauge. »Die Zivilisation und diese fürchterliche Eile, die die Menschen heute haben, ruiniert das Land. Dies war vermutlich ein ganz reizender kleiner Ort, bevor sie die Eisenbahn bauten. Ich glaube, wir täten besser, so schnell wie möglich nach London zurückzufahren.« Frau Campion hatte ihm einen Blick bitterster Enttäuschung zugeworfen. Sie erwartete keine zweiten Flitterwochen – und sie hatte sich lange, ehe sie Roger begegnet war, eine romantische Vorstellung davon gemacht, wie Flitterwochen sein sollten. Sie war damals zwanzig Jahre alt und so wonnig anzusehen, daß im selben Augenblick, als Roger sie auf einem kleinen Gartenfest in West Kensington gesehen hatte, er auch sogleich wußte, daß er dieses Weib sein ganzes Leben lang immer wieder gerne malen würde. Zwei Tage später hatte er mit der ganzen leidenschaftlichen Heftigkeit eines Künstlers, der sogleich haben muß, was seine Kunst von ihm verlangt, ihr seinen Antrag gemacht, und verwirrt und von Schrecken über ihre eigene Kühnheit erfüllt, hatte Laetitia diesen Antrag abgelehnt. Denn Laetitia – schon der Name hatte sein künstlerisches Gefühl geweckt – hatte damals an den jungen Pfarrer der Kirche von St. Mary Abbots gedacht. Alle sagten, daß er ein vielversprechender junger Mann sei, der eine große Kirchenlaufbahn vor sich hatte. Sie dachte an ihn, weil es selbst ihrem schüchternen Geiste völlig klar war, daß er heftig an sie dachte. Und sie fühlte, daß sie einer großen kirchlichen Laufbahn keine Schande machen würde. Roger Campion, der Künstler, hätte gegen einen so gefährlichen Rivalen, der schon vor ihm da war, wenig Aussichten gehabt, wenn Laetitias Gedanken nicht noch in anderer Richtung beschäftigt gewesen wären. Sie dachte nämlich auch an einen etwas älteren Herrn, einen Mann von achtunddreißig Jahren, der eine gutgehende Fabrik im Norden Englands besaß. Er stand in Geschäftsverbindung mit ihrem Vater, hatte sie bei einem Mittagessen in dessen Hause gesehen und war in zwei Monaten fünfmal aus Nordengland gekommen, um Geschäftsangelegenheiten zu besprechen, die er ebensogut bei einem Besuch hätte erledigen können. Er war einer von den starken und schweigsamen Männern. In ihrem Wesen lag eine so süße Sanftmut und ein so zärtliches Verständnis, daß sie jeder Art von Männern gefiel. Es war nicht nur ihre zierliche Schönheit; sondern die Männer fühlten, daß sie gleichzeitig anschmiegsam und eine Beschützerin war; daß sie mütterlich empfinden und sorgen und doch zu ihren Füßen sitzen und auf ihre Weisheit lauschen konnte. Sie fühlten, daß hier eine Frau war, die alles verstehen und alles verzeihen konnte; eine Frau von dieser Art, die überdies noch hübsch ist, würde jeder Mann heiraten, wenn er sie nur finden könnte. Es tat ihr bitter weh, Roger Campion nein zu sagen. Ein Tränenschimmer war in ihren Augen, als sie ihn ansah und den Kopf schüttelte. Aber sie hätte sich ihr Mitleid sparen können. »Warum wollen Sie mich nicht heiraten?« hatte er gefragt. »Glauben Sie vielleicht, ich kann nicht malen?« Diese großartige egoistische Befangenheit in seine Kunst brachte sie zum Lächeln; sie ahnte nicht, daß dieses Lächeln ihm die Gewißheit gab, daß sie doch die Seine werden würde. Noch nie im Leben war er einem Weibe begegnet, das ein so vollkommenes Modell war, und das er zur Frau begehrt hätte. Die Berufsmodelle hatten nur das Geschäft im Auge; sie saßen keine Minute länger, als die Stunde, für die er sie bezahlte. Und sie hatten die selbstsüchtige Gewohnheit, ohnmächtig zu werden, wenn die Arbeit sie nicht mehr interessierte. Laetitia! Wie war schon der Name süß! Sie war nicht so. Sein Künstlerbewußtsein sagte es ihm, daß sie ihm sitzen würde, bis seine Hand ermüdete, nicht aber sie; und daß sie viel zu liebevoll und rücksichtsvoll war, um seine Inspiration und seine Arbeit je zu stören. Als sie ihn damals ausgeschlagen hatte, war er in sein Atelier gegangen und hatte aus dem Gedächtnis, ohne daß sie ihm saß, die beste Ölstudie von ihr gemalt, die er seit Jahren gemacht hatte. Er brachte ihr das Bild, die Farben noch feucht und frisch auf der Leinwand, am nächsten Tag. Ein freudiges Erbeben war in ihr, als sie es ansah, und sie murmelte: »Bin ich das? Sehe ich wirklich so aus?« Und die ganze Zeit stand er neben ihr, und seine scharfen Augen eilten von der Leinwand nach ihrem Gesicht...



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