E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Thurn und Taxis Tagebuch einer Prinzessin
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0081-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0081-8
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Elisabeth Prinzessin von Thurn und Taxis, geboren 1982, ist die Tochter von Fürstin Gloria. Sie hat ihr Regensburger Schloss gegen eine zugige Mietwohnung in London getauscht. Die Journalistin schreibt unter anderem für die Bild am Sonntag.
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Oster-Wahnsinn
Weihnachten und Ostern sind Feiertage, die wir normalerweise im Kreise der Familie verbringen. Also gemeinsam mit unserer großen, weitläufigen Verwandtschaft. Meine Mutter und meine Geschwister gehören selbstverständlich mit zum Clan, genauso wie Maya, die Schwester meiner Mutter, und ihre vier Kinder. Dann ist immer noch mindestens einer der Brüder meiner Mutter dabei, plus Frau und Kinder, außerdem meine Großmutter, die Halbschwester meiner Mutter, Anabel (die inzwischen ihre eigene Familie hat), sowie einige Kindermädchen und der eine oder andere Freund der Familie.
Meine Mutter hat eine Schwester und zwei Brüder. Anabel ist die Tochter aus der zweiten Ehe meines Großvaters. Da mein Großvater meine Großmutter leider für eine andere Frau verließ, bevor meine Eltern heirateten, hatten meine Geschwister und ich während unserer Kindheit recht wenig Kontakt zu ihm. Meine Mutter erfand sogar eine lustige Geschichte, um uns seine Abwesenheit zu erklären. Sie erzählte uns, unser Großvater würde auf dem Mond leben und nur sehr selten auf die Erde herunterkommen. Viele Jahre lang habe ich diese Geschichte geglaubt und war ziemlich schockiert, als ich ihn im Alter von elf oder zwölf Jahren dann tatsächlich kennenlernte. Eine Scheidung war damals noch ein ziemlicher Skandal, und natürlich hielten die Kinder eher zu meiner Großmutter.
Trotzdem fing meine Mutter irgendwann an, Anabel mit einzuladen. Sie war in Ostdeutschland in wesentlich normaleren und entspannteren Verhältnissen aufgewachsen und so dauerte es ein Weilchen, bis wir uns alle aneinander und an unseren jeweiligen Lebensstil gewöhnt hatten. Meine Geschwister und ich mochten Anabel jedoch vom ersten Tag an. Weil sie uns vom Alter her näher ist als meiner Mutter, kam es uns so vor, als wäre eine lange verschollene Schwester wieder aufgetaucht. Durch diese Freundschaft wuchsen wir als Familie noch enger zusammen. Meine Mutter, Großmutter und mein Bruder saßen letztlich auch bei meinem Großvater am Bett, als er nach langem Kampf gegen den Lungenkrebs friedlich zu Hause einschlief.
Eine solch buntgemischte Großfamilie ist natürlich nicht ganz unkompliziert, wenn sie sich zweimal im Jahr unter demselben Dach versammelt. Zu unseren Familienfesten gehört normalerweise viel Essen und noch mehr Streit, meistens zwischen meiner Mutter und meiner Tante – der sich schließlich in einem ausgewachsenen Krach zwischen uns allen entlädt. Interessanterweise haben sowohl meine Mutter als auch meine Tante ihre Kinder alleine großgezogen – vielleicht machen also die fehlenden Vaterfiguren unsere Familienstruktur so explosiv.
Letztes Jahr endete Ostern in einer Tragödie, noch ehe wir überhaupt angekommen waren. Bei meiner Tante ist nämlich oberstes Gebot: Erscheine ja nicht zu spät zum Osterfrühstück! Und was war passiert? Wir kamen anderthalb Stunden zu spät! Pünktlichkeit ist für meine Tante von ähnlicher Wichtigkeit wie gebürstete Haare für meine Mutter. (Die Tatsache, dass sie international als Punk-Prinzessin bekannt war, wollen wir an dieser Stelle mal unter den Tisch fallen lassen. Ich habe dieses Argument schon hundertmal angebracht, aber es zieht einfach nicht.)
Die Jahre vergehen und meine Familie wird immer exzentrischer, oder vielleicht werde ich mir mit dem Alter dessen auch nur bewusster. In geringen Dosen finde ich es inzwischen eigentlich ganz schön, wenn wir alle aufeinanderhocken. In meiner Jugend hingegen war das schwieriger. Außerhalb der Geborgenheit unseres Zuhauses fühlte ich mich so anders als alle anderen, dass es schwierig war, meiner schrägen Familiensituation etwas Komisches abzugewinnen.
Ich weiß zum Beispiel noch, wie uns meine Mutter eines Tages in einem Clownskostüm von der Schule abholte. Und das bei Teenagern! Ich war eine unsichere Dreizehnjährige, mit den typischen Ängsten, die zu diesem Alter wohl dazugehören. Ich wollte unbedingt cool sein. Als meine Mutter in viel zu weiten Hosen und roten Gummischuhen in der Größe von Baguettes aufkreuzte, habe ich mich kurzerhand hinter den Mülltonnen im Schulhof versteckt. Leider hatte sie mich schon gesehen und rief so laut meinen Namen, dass nicht nur die Kinder auf dem Hof, sondern auch alle, die in ihren Klassenzimmern saßen, auf das Spektakel aufmerksam wurden.
Was mir bei diesen großen Familientreffen immer auffällt, ist Folgendes: Einzeln gesehen, sind wir alle ziemlich vernünftige Menschen, aber auf einem Haufen scheinen sich unsere ungewöhnlichen Eigenschaften zu potenzieren. Wie in einem Theater sind einige von uns Akteure, während andere bloß zusehen. Manche von uns tauchen in beiden Rollen auf, meine Mutter jedoch steht immer im Zentrum der Bühne. Was die Sache noch theatralischer macht, ist, dass sie selbst zum Kind wird, wenn sie sich in Gesellschaft von Kindern befindet. Außerdem durchlebt sie Lieblingsphasen mit den Kindern, momentan zum Beispiel die »Carlotta-Phase«. Carlotta ist die jüngste Tochter meiner Tante. Mum verbrachte also den Großteil des Wochenendes damit, hinter Carlotta herzurennen, sie zu packen und in die Luft zu werfen. Irgendwann trug sie dabei eine Papiertüte in Form einer Ente auf dem Kopf, galoppierte damit hinter meiner Cousine her und schrie »Aaarrrhhh«.
Mein Bruder, meine Schwester und Anabel saßen in der Zwischenzeit im Garten, plauderten und rauchten genüsslich. Als meine Mutter das sah, hielt sie ihnen sofort einen leidenschaftlichen Vortrag über die Schädlichkeit des Rauchens. Dabei hat sie früher natürlich selbst geraucht. Sie erklärte, dass sie nicht die Tatsache des Rauchens an sich anstößig fände, sondern, dass sie so »unbewusst« rauchten. Was genau meine Mutter damit gemeint hat? Keine Ahnung, wir wissen es selbst nicht. Aber es ist lustig, dabei zuzusehen, wie sie innerhalb von Sekunden in so unterschiedliche Rollen schlüpfen kann – vom frechen Kind zum strengen Diktator. Nur ein Familienfest kann so etwas auslösen.
An unserem Esstisch entwickeln sich mitunter faszinierende Unterhaltungen. Dabei kann es um alles Mögliche gehen, denn wir sind sehr offen die der Themenwahl. Von Politik über Religion und Wirtschaft bis hin zu Kunst und Emotionen wird alles abgedeckt. Leider enden solche Gespräche oft im Streit. Manchmal werden auch absolut banale Themen zu Tode diskutiert. Meine Mutter und ihre Schwester können zum Beispiel mit vollem Ernst endlos den Dessert-Fauxpas des polnischen Kochs durchhecheln. Stundenlang beleuchten sie von allen Seiten, weshalb die Mangosauce eher nach Fisch und nicht nach Mango geschmeckt hat. Dann wendet sich meine Mutter urplötzlich von ihrer Schwester ab, um Carlotta zu necken oder mit viel Gebrüll meinem Bruder auf den Schoß zu springen oder einen meiner kleinen Cousins an sich zu drücken. Das führt dann wiederum dazu, dass meine Tante sich ärgert und meine Mutter anbrüllt, weil sie sich am Esstisch nicht ordentlich benimmt. Das Geschrei verängstigt meine kleine Cousine Pilar, die zu weinen anfängt und, zack, sind wir wieder mittendrin in unserem wunderbaren Wahnsinn.
Falls wir uns entscheiden, in England zu bleiben, besuchen wir in der Osternacht den Gottesdienst in der Brompton Oratory, der Kirche in South Kensington. Am nächsten Tag finden dann die bereits beschriebenen Familienfestivitäten im Haus meiner Tante auf dem Land statt. Dabei ist es fast schon obligatorisch, dass alle so viel essen, wie sie nur können.
Da wir eine solch internationale Truppe sind, gibt es Gerichte aus der ganzen Welt. Meine Großmutter mütterlicherseits kommt aus Ungarn, aber ihre Mutter war Russin. Darum bereitet sie jedes Jahr zu Ostern einen cremigen weißen Berg aus Joghurt, Sahne und Zucker zu, der sich Pasach oder so ähnlich nennt. Angeblich ist das eine landestypische, russische Speise. Mein Bruder wohnt in der Schweiz und schleppt deshalb eimerweise Schokolade, Schweizer Osterkuchen und Luxemburgerli an, die Schweizer Variante der Macarons. Außerdem gibt es französische Macarons und jede Menge hartgekochte, bunte Eier und natürlich viel zu viele Schokoladenostereier.
Mit den Eiern spielen wir »Titschen«, dabei knallt man sein Ei gegen das Ei eines anderen. Derjenige, dessen Ei ganz bleibt, gewinnt. Meine Cousine Pilar liebt dieses Spiel. Glücklicherweise isst meine Mutter gerne bis zu sieben Eier, so dass Pilar damit beschäftigt ist, mit ihr zu titschen. Natürlich muss jedes getitschte Ei auch gegessen werden, alles andere wäre furchtbare Verschwendung. Da meine Mutter viele Jahre in Rom gelebt hat, bringt sie ein riesiges Colomba mit, das typische italienische Osterbrot, und einen gewaltigen Parmesankäse.
Die Ostereiersuche nach dem Brunch war früher für uns alle der wichtigste Teil des Festes. Wir waren ebenso gierig nach Geschenken wie nach Essen, doch unsere Begeisterung ist über die Jahre hinweg ein wenig abgekühlt. Vermutlich hat es auch damit zu tun, dass wir schlicht weder die Zeit noch das Geld haben, mitten im Jahr für alle Geschenke zu besorgen. Außerdem spaltet sich meine Familie, wenn es um Geschenke geht, in zwei Lager. Da gibt es zum einen die Geschenkefans, alias die »Materialistenbrigade«, angeführt von meiner Mutter, dicht gefolgt von mir selbst. Und dann ist da die »Wir-brauchen-nichts-als-Liebe-Brigade«: In Sachen Geschenke steht diese Truppe eher auf »weniger ist mehr«, angeführt wird sie von meiner Tante Maya.
Zwischen diesen beiden Lagern...