Thoreau | Walden oder vom Leben in den Wäldern | E-Book | www2.sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Thoreau Walden oder vom Leben in den Wäldern


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-311-70253-5
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-311-70253-5
Verlag: Kampa Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



1845 zimmerte sich Henry David Thoreau, Sohn eines Bleistiftfabrikanten, eine einfache Hütte am Waldensee, nah seinem Heimatstädtchen Concord in Massachusetts, um sich für zwei Jahre dorthin zurückzuziehen. »Ich ging in die Wälder, weil ich mit Überlegung leben wollte, mich dem eigentlichen, wirklichen Leben nähern wollte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müssste, dass ich nicht gelebt hatte. Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen.« Walden ist das Protokoll dieses Experiments eines der ersten modernen Aussteiger und zugleich eine der eigentümlichsten und schönsten Handreichungen zum Glück.

Henry David Thoreau, 1817 als Sohn eines Bleistiftfabrikanten in Concord, Massachusetts geboren, war zeit seines Lebens ein rebellischer Geist. Als junger Lehrer überwarf er sich nach wenigen Wochen mit der Schulleitung, weil er sich weigerte, die Prügelstrafe anzuwenden. 1846 verbrachte er wegen nicht beglichener Steuerschulden eine Nacht im Gefängnis: Eine Regierung, die die Sklaverei unterstützte, sollte sein Geld nicht bekommen. Und so heißt eines seiner bedeutendsten Werke denn auch Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Angeregt durch einen Vortrag seines Freunds Ralph Waldo Emerson zog sich Thoreau für zwei Jahre in eine selbstgebaute Hütte an den Ufern des Waldensees zurück, wo er Walden schrieb, sein Plädoyer für ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur, das zum Klassiker des »nature writing« avancierte. 1862 starb Thoreau in seiner Geburtsstadt Concord.
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Wo ich lebte und wofür


In einer gewissen Lebensphase ziehen wir jedes Fleckchen Erde als Bauplatz in Betracht. So habe ich das ganze Land im Umkreis von zwölf Meilen um meinen Wohnort herum abgesucht. In meiner Phantasie habe ich nacheinander jede einzelne Farm gekauft, denn sie alle waren zu verkaufen, und ich kannte ihren Preis. Ich ging mit jedem Farmer durch Haus und Hof, kostete seine wilden Äpfel, sprach mit ihm über Landwirtschaft, kaufte die Farm zum geforderten Preis, zu Preis, stellte mir vor, die Hypothek aufzunehmen. Ich erhöhte sogar den Preis, tat alles, außer einen Vertrag zu unterschreiben – verhandelte nur darüber, denn ich liebe solche Verhandlungen –, und kultivierte, wie ich glaube, nicht nur das Land, sondern gewissermaßen auch den Besitzer. Und wenn ich mich lange genug so vergnügt hatte, verabschiedete ich mich und überließ ihn seinem Schicksal.

Wegen meiner Kenntnisse betrachteten mich meine Freunde schon als eine Art Grundstücksmakler. Wo auch immer ich saß, hätte ich leben können, und so breitete sich die Landschaft strahlenförmig um mich aus. Was ist ein Haus anderes als ein  – ein Sitz? Wenn es ein Landsitz ist, umso besser. Ich entdeckte manches Grundstück, auf dem wohl so bald kein Haus gebaut werden würde, weil es für die meisten zu weit vom Dorf entfernt lag; in meinen Augen lag das Dorf zu weit vom Grundstück entfernt. Gut, hier möchte ich leben, sagte ich mir, und so durchlebte ich dort eine Stunde lang einen Sommer und einen Winter, sah die Jahre vorüberziehen, schlug mich durch den Winter und erlebte, wie der Frühling einzog. Wo auch immer die zukünftigen Bewohner dieser Gegend ihre Häuser bauen – sie können sicher sein, dass ich ihnen zuvorgekommen bin. Ein Nachmittag genügte, um das Grundstück in Obstgarten, Wald und Weide einzuteilen, um zu entscheiden, welche der schönen Eichen oder Fichten vor dem Haus stehen bleiben sollten und von wo aus irgendein verwitterter Baum den schönsten Anblick bot. Dann ließ ich alles ungenutzt liegen, denn ein Mensch ist umso reicher, je mehr er liegen lassen kann.

Meine Phantasie ging so weit, dass ich für mehrere Höfe sogar das Vorkaufsrecht besaß. Das Vorkaufsrecht war auch alles, was ich wollte – ich habe mir niemals die Finger an realem Besitz verbrannt. Am nächsten dran war ich, als ich Hollowell kaufen wollte. Ich hatte schon begonnen, das Saatgut auszusuchen, und auch schon Baumaterial für eine Schubkarre beschafft, in der ich es transportieren wollte. Bevor mir jedoch der Besitzer den Kaufvertrag überreichen konnte, änderte seine Ehefrau – jeder Mann scheint solch eine Frau zu haben – ihre Meinung und wollte die Farm behalten. Er bot mir zehn Dollar Entschädigung an. Nun, um die Wahrheit zu sagen, besaß ich damals auf Gottes weiter Welt nur zehn Cent, und festzustellen, ob ich nun zehn Cent besaß oder eine Farm oder zehn Dollar oder alles zusammen, überstieg meine mathematischen Fähigkeiten. Jedenfalls ließ ich ihm seine zehn Dollar und auch seine Farm, denn ich war nun weit genug gegangen. Man könnte auch großzügig sagen, dass ich ihm die Farm für denselben Preis verkaufte, den ich bezahlt hatte, und ihm, da er kein reicher Mann war, zusätzlich zehn Dollar schenkte. Immerhin besaß ich noch meine zehn Cent, das Saatgut und das Material für die Schubkarre. Und so erkannte ich, dass ich ein reicher Mann sein konnte, ohne meine Armut aufgeben zu müssen. Die Landschaft blieb mir ja, und was sie hervorbrachte, habe ich seither Jahr für Jahr ohne Schubkarre davongetragen. Ja, über die Landschaft kann man sagen:

»So weit mein Auge reicht, bin ich der König,

Dies Recht kann niemand mir bestreiten.«

Ich habe oft einen Dichter beobachtet, der eine Farm verließ, wenn er sich lange genug an ihren wahren Schätzen erfreut hatte. Der mürrische Farmer dagegen glaubte, er hätte sich nur ein paar wilde Äpfel genommen. Ja, der Besitzer selbst weiß oft viele Jahre lang nicht, dass ein Dichter sein Landgut in Reime gesetzt, es durch das herrlichste, unsichtbare Gitter eingehegt, die Kühe gemolken, den Rahm von der Milch geschöpft und dem Farmer nichts als abgerahmte Milch zurückgelassen hat.

Dass mir gerade die Hollowell-Farm so gut gefiel, hatte folgende Gründe: ihre Abgeschiedenheit, denn sie lag zwei Meilen vom nächsten Dorf, eine halbe Meile vom nächsten Nachbarn entfernt; ein breites Feld, das das Bauernhaus von der Landstraße trennte; der angrenzende Fluss, dessen Nebel – das jedenfalls behauptete der Eigentümer – es im Frühling vor Frost schützte, was mir allerdings nichts bedeutete; die graue Farbe, der verfallene Zustand des Hauses und der Stallungen, und die baufälligen Zäune, die den zeitlichen Abstand zwischen mir und den letzten Bewohnern zu vergrößern schienen; die hohlen, von Flechten bewachsenen und von Kaninchen angenagten Apfelbäume, die mir anzeigten, wer meine zukünftigen Nachbarn sein würden; vor allem die Erinnerung an meine ersten Fahrten auf dem Fluss, von wo aus man das Haus nicht sehen konnte, weil es ganz in einem dichten Hain roter Ahornbäume versteckt lag, sondern nur den Hofhund bellen hörte. Ich wollte es schnell kaufen, damit der Besitzer keine Felsblöcke mehr entfernen, die hohlen Apfelbäume fällen und einige junge Birken ausgraben konnte, die auf der Weide sprossen, kurz, um alle weiteren Verschönerungen seinerseits zu verhindern. Um diese Vorzüge zu genießen, war ich bereit, die Farm zu übernehmen, wie Atlas die Welt auf meine Schultern zu nehmen – ich habe übrigens nie erfahren, welchen Lohn er dafür erhielt – und alle notwendige Arbeit zu verrichten; und ich hatte dafür keinen anderen Grund, keine andere Entschuldigung, als dass ich mich nach geleisteter Zahlung ungestört meines Besitzes erfreuen wollte. Ich wusste die ganze Zeit, dass diese Ernte, auf die es mir ankam, reich ausfallen würde, wenn ich es mir nur leisten konnte, den Dingen freien Lauf zu lassen. Aber es kam, wie ich es beschrieben habe.

Demnach war alles, was ich über Landwirtschaft im großen Stil sagen konnte – einen Garten hatte ich immer –, dass ich über Saatgut verfügte. Viele glauben, dass Samen mit der Zeit besser werden. Ich bezweifle nicht, dass die Zeit das Gute vom Schlechten scheidet, und wenn ich schließlich säe, werde ich wahrscheinlich nicht enttäuscht werden. Ich möchte aber meinen Freunden ein für alle Mal raten: Lebt so lange wie möglich frei und ungebunden. Es macht nur wenig Unterschied, ob ihr an eine Farm gebunden seid oder an ein Gefängnis.

Der alte Cato, dessen Buch mir viel bedeutet, sagt – und die einzige Übersetzung entstellt die Passage geradezu: »Willst du ein Gut kaufen, lass es dir lange durch den Kopf gehen und überstürze es nicht. Scheue keine Mühe, sondern begutachte es gründlich und glaube nicht, dass es genügt, einmal darauf herumzugehen. Je häufiger du hingehst, desto besser wird es dir gefallen, wenn es gut ist.« Ich werde es sicher nicht übereilt kaufen, sondern mein Leben lang darauf herumgehen, und erst wenn ich darauf begraben bin, wird es mir schließlich ganz und gar gefallen.

Das jetzige, zweite Experiment dieser Art will ich etwas ausführlicher beschreiben. Der Bequemlichkeit halber fasse ich die Erfahrungen zweier Jahre in eins zusammen. Ich möchte wie gesagt keine Ode an die Traurigkeit dichten, sondern so kraftvoll prahlen wie der Hahn am Morgen auf seinem Mist, und wäre es nur, um meine Nachbarn aufzuwecken.

Als ich endlich meinen Wohnsitz im Wald aufschlug, das heißt, als ich anfing, dort nicht nur meine Tage, sondern auch meine Nächte zuzubringen – es war übrigens zufällig am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli 1845 –, war mein Haus noch nicht winterfest, sondern bot nur gegen den Regen Schutz. Es hatte noch keinen Kamin, und die Wände waren noch nicht verputzt. Zwischen den rohen, verwitterten Brettern klafften breite Spalten, durch die nachts die Kälte hereinzog. Die groben weißen, behauenen Pfosten, die frisch gehobelte Tür- und Fensterverkleidung gaben dem Haus ein sauberes und luftiges Aussehen, besonders morgens, wenn das Holz vom Tau befeuchtet war. Ich stellte mir dann vor, dass mittags frisches Harz daraus hervorquellen würde. In meiner Phantasie behielt das Haus mehr oder weniger den ganzen Tag diesen morgendlichen Charakter, erinnerte mich an eine Berghütte, die ich ein Jahr zuvor besucht hatte. Es war eine luftige, naturbelassene Hütte, geeignet als Rastplatz für Götter. Auch der Wind über meinem Dach glich dem, der über die Berge fegt. Er trug mir zerrissene Klänge zu, göttliche Töne in irdischer Musik. Der Morgenwind weht in alle Ewigkeit, die Schöpfungsmelodie ist ununterbrochen, doch nur wenige Ohren vermögen sie zu hören. Der Olymp ist überall auf Erden.

Das einzige Haus, das ich vor diesem besessen habe, war, abgesehen von einem Boot, ein Zelt, das ich gelegentlich bei Ausflügen im Sommer benutzte. Es liegt noch zusammengerollt auf meinem Speicher. Das Boot dagegen wechselte häufig seinen Besitzer und trieb schließlich auf dem Strom der Zeit davon. Jedenfalls bewies ich jetzt, mit diesem beständigeren Obdach über mir, dass ich bezüglich meiner Sesshaftigkeit in der Welt Fortschritte machte. Dieser so schwach verkleidete Rahmen bildete sich um mich wie durch Kristallisation und blieb nicht ohne Einfluss auf den Erbauer. Er regte meine Phantasie an, gewissermaßen wie eine Skizze. Um Atem zu schöpfen, brauchte ich nicht ins Freie zu gehen, denn die Luft im Haus hatte nichts von ihrer Frische eingebüßt. Ich saß weniger...


Thoreau, H. D.
Henry David Thoreau, 1817 als Sohn eines Bleistiftfabrikanten in Concord, Massachusetts geboren, war zeit seines Lebens ein rebellischer Geist. Als junger Lehrer überwarf er sich nach wenigen Wochen mit der Schulleitung, weil er sich weigerte, die Prügelstrafe anzuwenden. 1846 verbrachte er wegen nicht beglichener Steuerschulden eine Nacht im Gefängnis: Eine Regierung, die die Sklaverei unterstützte, sollte sein Geld nicht bekommen. Und so heißt eines seiner bedeutendsten Werke denn auch Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Angeregt durch einen Vortrag seines Freunds Ralph Waldo Emerson zog sich Thoreau für zwei Jahre in eine selbstgebaute Hütte an den Ufern des Waldensees zurück, wo er Walden schrieb, sein Plädoyer für ein einfaches Leben im Einklang mit der Natur, das zum Klassiker des »nature writing« avancierte. 1862 starb Thoreau in seiner Geburtsstadt Concord.



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