E-Book, Deutsch, Band 3, 412 Seiten
Reihe: Henry David Thoreau
Thoreau Tagebuch III
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-95757-583-8
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 3, 412 Seiten
Reihe: Henry David Thoreau
ISBN: 978-3-95757-583-8
Verlag: Matthes & Seitz Berlin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Phänomene der verschiedenen Jahreszeiten und die Schilderungen unterschiedlichster Sonnenuntergänge und Mondwanderungen bezeugen den Lauf des in diesem Band der Tagebuchaufzeichnungen dokumentierten Jahres 1851 vom 1. Januar bis zum 31. Dezember. Thoreaus Sicht auf die von ihm durchwanderte Landschaft veränderte sich durch seine Tätigkeit als Landvermesser. Und so weckt das Surren in den Stromkabeln, die Klänge seiner 'Telegrafenharfe', antike und romantische Assoziationen, die Thoreau leichthin mit der von ihm begrüßten technischen Moderne verbindet. Konkrete politische Überzeugungen in Fragen der Sklaverei und wütende Schmähreden gegen prosüdstaatliche Bostoner Zeitungen zeigen Thoreau als überzeugten Fluchthelfer entflohener Sklaven, während er zugleich Freiheitsgesänge entfaltet, die in ihrer Poesie an Walt Whitman erinnern.
Henry David Thoreau, 1817 in Concord, Mass. geboren, studierte von 1833-1837 an der Harvard University. 1838 gründete er mit seinem Bruder eine Privatschule. 28-jährig zog er sich für zwei Jahre in eine Hütte am Walden Pond zurück und schrieb sein berühmtestes Buch. Als er 1846 verhaftet wurde, verfasste er den Essay Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat. Ab 1849 verdingte er sich als Tagelöhner, Anstreicher, Tischler, Landvermesser und Vortragsreisender. Bereits seit 1835 litt er unter Tuberkulose, der er 1862 erlag.
Weitere Infos & Material
Januar – April 1851
2. JanuarBesuchte gestern Abend in Clinton in den Gingham-Spinnereien1 einen Raum, der eine Fläche von 1? Morgen misst und 578 Webstühle enthält, ganz zu schweigen von den Drosselspindeln und Mulemaschinen. – Die Räume erstrecken sich insgesamt über drei Morgen. Es kommen zwischen drei- und vierhundert Pferdestärken zum Einsatz, und man betreibt eine Maschine von zweihundert Pferdestärken mit einem Treibrad von dreiundzwanzig Fuß Durchmesser; dazu steht eine Hilfskraft bereit, um die bisweilen auftretenden Mängel zu beheben. Ein Teil der Maschinerie – ich glaube dort, wo die Baumwolle zerrupft, gebleicht und gemischt wurde, bevor sie verflochten wird – hatte 1800 Umdrehungen pro Minute. Zuerst besuchte ich den Raum, in dem Stoffmuster mit einem Handwebstuhl angefertigt werden. Zwei Arten von Kettfäden standen für den Einschuss oder Einschlag bereit. Der Arbeiter muss hier die Fäden des Einschlags zählen – was in der Spinnerei von der Maschine erledigt wird. Das war die alte Methode des Webens, bei der das Weberschiffchen hin und her saust und den Einschuss vornimmt. Solange der Kettfaden gleichbleibt, handelt es sich nur um ein einziges sogenanntes ›Genre‹. Die Baumwolle sollte langfaserig & sauber & frei von Samenkörnern sein. Die Baumwolle von den vorgelagerten Inseln hat diesen Wuchs und ergibt einen trefflichen Faden. Viele Ballen werden vollständig durchmischt, damit die Stoffe eine einheitliche Qualität haben. Die Baumwolle wird dann durch Zylinder (Tamboure), die mit Haken und Ventilatoren versehen sind, & durch Gebläse zerpflückt & ganz und gar gebleicht; dann ausgebreitet, sodass sich ein bestimmtes Stoffgewicht pro Quadratyard ergibt, dann wieder zwei- oder dreimal geflochten, zerpflückt und nochmals geflochten; dann wird die geflochtene Baumwolle einer zylindrischen Krempelmaschine zugeführt – das so produzierte, sehr dünne Gewebe wird in einer Kupferwanne gesammelt und ergibt sechs (den sechs Krempelmaschinen entsprechend) flache, tauartige Bänder, die am Schienenkopf zu einem einzigen verbunden & gezogen werden. Und dieser Vorgang des Vereinigens und Ziehens oder Dehnens setzt sich von einer Maschine zur anderen fort, bis der Faden gesponnen ist, der dann gefärbt wird (Kaliko wird nach dem Weben bedruckt) – nachdem er auf Haspeln gewickelt und so in Docken verwandelt wurde – gefärbt und mit Dampf getrocknet. Dann maschinell auf Spulen gerollt für Kette und Einschuss. – Von einer großen Zahl Spulen werden die Kettfäden über Zylinder gezogen und verschieden gefärbte Fäden passend gemischt & angeordnet. Dann werden die Enden des Kettfadens von Hand durch den Harnisch des Zugstuhls gezogen. Die Maschinistin kennt die Reihenfolge von roten, blauen, grünen usw. Fäden durch die Nummerierung, die ihr gegeben wurde; und, entsprechend abzählend, zieht sie diese durch den Harnisch. Dann wird das Schussgarn eingelegt oder verwoben!! Die Unebenheiten und Knoten werden von den Mädchen weggezupft. Wenn sie irgendeine fehlerhafte Stelle entdecken, versehen sie diese mit einem Schildchen, und, wenn nötig, wird der Lohn des Webers gekürzt. Jetzt, glaube ich, läuft das Gewebe über einen rot glühenden Eisenzylinder und die Wollfussel werden abgesengt; dann wird es mit kaltem Wasser gewaschen, das in horizontalen Schwungrädern durch Zentrifugalkraft hinausgeschleudert wird. Dann wird der Stoff gestärkt, die Enden werden maschinell zusammengenäht.; dann glatt gespannt, zusammengelegt und verpackt. (…) 4. JanuarDas längste Schweigen ist die treffendste Frage, am treffendsten gestellt. Betont still. Die wichtigsten Fragen – deren Antworten uns mehr betreffen als sonst irgendetwas – werden nie anders gestellt. Für zwei Fremde, die einander wohlgesinnt sind, ist es schwierig, sich zueinander so wahrhaftig zu verhalten, dass zwischen ihnen nicht so schnell ein Gefühl der Falschheit & Hohlheit aufkommt. Die geringste Besorgnis, sich nicht wahrhaftig zu verhalten, verdirbt die Beziehung. Ich denke an diejenigen, mit denen ich im Augenblick wahrhaft verbunden bin – mit einer Freude, die nie ausgedrückt wird & nie auszudrücken ist, bevor ich (nachts) in Schlaf falle.2 5. JanuarDie Kätzchen der Erlen sind jetzt steif gefroren!! Fast alles, was meine Nachbarn gut nennen, halte ich in meiner tiefsten Seele für schlecht. Wenn ich irgendetwas bedaure, dann ist es mein gutes Benehmen. Welcher Dämon ist in mich gefahren, dass ich mich so gut benehme. Du kannst die klügste Sache sagen – alter Mann – der du siebzig Jahre nicht ohne eine Art Würde gelebt hast. – Ich höre eine unwiderstehliche Stimme, die Stimme meines Schicksals, die mich lockt – von all dem fort. 7. JanuarDer Schnee liegt mindestens sechzehn Zoll hoch, doch ist es ein milder und freundlicher Nachmittag, als würde ein Januartauwetter einsetzen. Entfernt den Schnee, und es wäre nicht Winter, sondern gliche manchen Herbsttagen. Die Vögel erkennen den Unterschied in der Luft; die Häher machen mehr Lärm und die Schwarzkopfmeisen sind öfter zu hören. Viele Kräuter sind nicht vom Schnee zerdrückt worden. Ich erinnere mich nicht, Flöhe gesehen zu haben, außer das Wetter war mild und der Schnee feucht. Ich muss vor allem in der Gegenwart leben. (…) Wissenschaft verkörpert nicht das gesamte Wissen von Menschen, sondern nur das, was für Wissenschaftler bestimmt ist. Der Waldbewohner erzählt mir, wie er Forellen in einer Kastenfalle fing, wie er seinen Trog für Ahornsaft aus Kiefernstämmen fertigte und die Ausgussrohre aus Sumach oder Weißesche, die viel Mark haben. (Er kann seine Tatsachen mit dem menschlichen Leben in Verbindung bringen.)3 Die Kenntnisse eines Ungebildeten sind lebendig und üppig wie ein Wald, obzwar mit Moosen und Flechten bedeckt und zum größten Teil unzugänglich und verwildernd; die Kenntnisse des Wissenschaftlers gleichen Nutzholz, das in Höfen für öffentliche Bauvorhaben angehäuft wird und hie und da immer noch einen grünen Trieb erlaubt, doch auch dieser welkt leicht. Ich fühlte, wie meine Stimmung sich hob, als ich von der Straße weggekommen war und in die offenen Felder strebte und der Himmel ein neues Aussehen hatte. Beschwingter schritt ich dahin. Über den bewaldeten Tälern war ein warmer Sonnenuntergang, eine gelbliche Tönung auf den Kiefern. Rötliche Wolken mit dunklem Einschlag standen darüber wie düstere Flammen. Und hier und da waren Streifen blauen Himmels zu sehen. Leben und Freude, das bietet ein blauer Himmel nach einem Unwetter! In der Historie gibt es keinen Bericht vom blauen Himmel. Zuvor ging ich in den eingefahrenen Bahnen der Reise; jetzt wagte ich etwas. Heute Abend kommt von Süden her Nebel auf. Wenn ich mich bei meinem Spaziergang mit einem Schurken unterhalte, ist mein Nachmittag gewöhnlich verdorben. Die Eichhörnchen und offenbar auch die Kaninchen haben alle gefrorenen Äpfel aus der Mulde hinter Miles Anwesen ergattert. Die Kaninchen haben anscheinend das verschlungen, was die Hörnchen fallen und liegen gelassen haben. Ich sehe die Spuren von beiden überall vom Wald her zu den Apfelbäumen führen. 8. JanuarDie Beeren der Stechwinde (Smilax) klammern sich immer noch fest, wie kleine Trauben. Der Dorn dieser Kletterpflanze ist ganz vollendet – gleichsam ein kerzengerader Dolch. Das Licht der untergehenden Sonne, das heute auf die Schneewechten fiel, ließ sie fast gelb glühen. Von Fair Haven Pond aus gesehen bilden die Hügel eine völlig neue Landschaft. Mit Schnee bedeckt und mit gelblich grünen oder braunen Kiefern und Zwergeichen wirken sie höher & wuchtiger. Ihr weißer Umhang setzt sie mit den Wolken am Horizont & dem Himmel in Verbindung. Vielleicht wirkt das hell Gefärbte erhabener als das Dunkle. Man könnte von einem steinalten und hutzeligen Menschen sagen, er klammere sich wie ein Zwergeichenblatt bis fast zu einem zweiten Frühling fest. Der Ansatz des Blattstiels enthielt immer noch etwas Leben. 10. Januar(…) Es gab einen bemerkenswerten Sonnenuntergang; ein perlmuttfarbener Himmel über der Farm von Price; einige kleine Wolken, ebenso wie die Ränder von großen, gänzlich glänzend bemalt mit schimmernden Perlmutttönen. Nie zuvor sah ich dergleichen. Wer kann den Sonnenuntergang vorhersagen – wie wird er sein? Die nahen und baumlosen, mit Schnee bedeckten Hügel wirken wie Berge, aber die Berge am Horizont wirken nicht höher als Hügel. Ich sehe oft dort eine Kuhle im Schnee, wo ein Rebhuhn gehockt hat: die sehr...