Thon | Verratene Ehre | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Thon Verratene Ehre

Roman
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-641-21254-4
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-641-21254-4
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Sie wurden als Brüder geboren, doch der Krieg macht sie zu Feinden ...

Eik und Valerian sind Halbbrüder, doch in den Wirren des 30-jährigen Krieges stehen sie auf unterschiedlichen Seiten. Nur in ihrer Liebe zu Augusta – des einen Schwester, des anderen Geliebte – haben sie noch eine Gemeinsamkeit. Aber als Wallenstein erneut den Befehl über ein Heer übernimmt, finden sie in ihm einen Mann, dem sie beide dienen können. Da wird Wallenstein im Moment seines größten Triumphs des Verrats am Kaiser bezichtigt, und jeder der beiden Brüder muss für sich entscheiden, wem seine Treue gilt.
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2. KAPITEL

Sachsen, Nähe Torgau

»Dort drüben, Herr Rittmeister!«

Valerian hob müde den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel seiner Uniform den Schweiß von der Stirn. Dann beugte er sich vor und kniff die Augen zusammen.

Der Kornett seiner kleinen Abteilung Kürassiere deutete mit ausgestrecktem Arm auf eine bewaldete Hügelkuppe, hinter der eine Rauchsäule in den blauen Septemberhimmel emporstieg. »Sieht fast so aus, als würden dort Bauern ihre Stoppeläcker abbrennen.«

Valerian runzelte die Stirn. »Das sind keine Herbstfeuer, nicht so früh im Jahr.« Wenn doch, würde das bedeuten, dass diese Bauern ihre Ernte bereits eingefahren haben. Auf so viel Glück wage ich gar nicht zu hoffen. »Außerdem wäre es dumm von ihnen, ihre Felder abzubrennen. Das würde jeden Plünderer im Umkreis von fünfzig Meilen anziehen.«

Er sah seinen Unteroffizier an. Dessen Miene verriet, dass er ebenfalls nicht so recht an das, was der Kornett vermutet hatte, glauben mochte. Sie waren bereits seit sechs Tagen unterwegs und saßen wie an allen Tagen zuvor seit den frühen Morgenstunden im Sattel. Die Männer waren müde, hungrig und gereizt. Und sind sicherlich auch ziemlich wundgeritten, wenn ich an meinen eigenen Hintern denke, dachte Valerian. Außerdem waren sie sichtlich frustriert, weil ihre Strapazen bislang umsonst gewesen waren. Und es wäre unglaubliches Glück gewesen, wenn ihre Suche nach Nahrungsmitteln für das Regiment ausgerechnet jetzt, auf dem Rückweg zum Lager, Erfolg haben sollte.

Andererseits, etwas Glück käme vielleicht ganz recht. Seit sie in Sachsen lagen, war es immer schwieriger geworden, Proviant für Tillys Heer zu organisieren. Das Land war vollkommen ausgeplündert, zunächst durch die Protestanten, dann durch die Liga und die Kaiserlichen, und jetzt standen auch noch die Schweden im Land. Ich frage mich wirklich, wie lange Tilly die Leute noch bei der Stange halten kann.

Dass der Generallieutenant des Kaisers seine erste größere Schlacht bei Werben am Havelberg gegen Gustav Adolf verloren hatte, trug auch nicht gerade zur Moral der Söldner bei. Tilly und seine Stabsoffiziere wussten natürlich, wie launisch das Kriegsglück war und dass die Söldner je nach Lage der Dinge nicht zögerten, die Seiten zu wechseln, sowohl hüben wie drüben. Wurde der Proviant nun noch knapper und blieb dann auch noch der Sold aus, konnte es schnell zu einer Massenflucht von den Fahnen kommen. Dann hat unser Oberkommandierender ein noch größeres Problem.

Valerian schüttelte den Kopf. Eins nach dem anderen, dachte er. Jetzt geht es erst einmal darum, etwas Essbares aufzutreiben. Und zwar schnell.

Ihre mitgenommenen Vorräte hatten sie bereits vor zwei Tagen aufgebraucht und ernährten sich vorwiegend von Waldfrüchten und dem ein oder anderen Kaninchen. Valerian war klar, dass sich seine Leute zusammenrissen, weil ihr Rittmeister und Kommandierender Offizier mit ihnen ritt. Dennoch, die Stimmung war auf dem Tiefpunkt, und es brauchte nicht viel, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Glücklicherweise hatten sie bisher keine Gelegenheit gehabt, ihrem Frust und ihrer Wut freien Lauf zu lassen, aber Valerian wusste, dass das nicht so bleiben würde, sollten sie unverrichteter Dinge ins Lager zurückkehren.

»Die Leute und das Land hier haben einfach nichts mehr zu geben, Herr Rittmeister«, hatte sein Fourier Istvan Strellitz erst gestern festgestellt, als sie in eine kleine Siedlung etliche Meilen südlich von Torgau geritten waren. Es war bereits die dritte Siedlung gewesen, auf die sie an diesem Tag gestoßen waren und wo es nichts Lebendes gab außer Ratten und Krähen, die sich an den Leichen gütlich taten. »Außerdem sind die Protestanten offensichtlich mal wieder vor uns da gewesen.« Der Mann hatte angewidert den Kopf geschüttelt und sich ein schmutzig graues Taschentuch vor Nase und Mund gebunden, um den Leichengeruch zumindest ein bisschen erträglicher zu machen.

Die Protestanten oder die Schweden, dachte Valerian jetzt, oder, Gott behüte, unsere eigenen Leute.

Letztere waren ein Grund dafür gewesen, dass sich Valerian kurzerhand und sehr zum Erstaunen seiner Offizierskameraden an die Spitze der Männer gesetzt hatte, die von dem Befehlshaber ihres Kürassierregiments zum Fouragieren ausgeschickt worden waren.

Wenn du ehrlich bist, sagte sich Valerian jetzt, während er den Hut abnahm und sich das feuchte Haar aus der Stirn schob, ist eben dieser Vorgesetzte ein weiterer Grund für deine Entscheidung gewesen. Doch es war nicht der rechte Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Außerdem würde alles Nachdenken nichts an der gegenwärtigen Situation ändern.

Seufzend setzte Valerian den Hut wieder auf, erhob sich in den Steigbügeln seines Pferdes und verzog kurz die Lippen, als seine Gesäß- und Schenkelmuskeln schmerzhaft protestierten. Dann drehte er sich langsam um und musterte die Gesichter seiner Männer. Sie hatten den Rauch ebenfalls gesehen, und die unverhoffte Aussicht auf Beute, Nahrung oder Frauen hatte ihre Lethargie schlagartig vertrieben. Aber der plötzliche Eifer und die Gier auf den Gesichtern der Männer wirkten ebenso nachvollziehbar wie abstoßend auf Valerian.

»Also gut, Kornett«, wies er den Mann an. »Wir sammeln uns und reiten in geschlossener Kolonne, und zwar leise, ohne Gebrüll oder Säbelrasseln! Und ohne Hornsignale!«

Er sah Bogdanow in die Augen, und der Kornett nickte verstehend. Das war eine Vorsichtsmaßnahme für den Fall, dass diese Feuer keine Herbstfeuer waren und die Leute, die sie entzündet hatten, keine Bauern.

Der Mann wendete sein Pferd, ritt zu den drei Korporalen ihrer Abteilung zurück und gab den Befehl des Rittmeisters weiter.

Valerian sah zu, wie sich die Männer formierten, und als alle bereit waren, gab er das Zeichen zum Vorrücken.

Nach ihrer ersten Begegnung mit Marodeuren oder vielmehr dem, was diese Bestien zurückgelassen hatten, war er froh gewesen, dass er sich entschieden hatte, mit seiner Abteilung zu reiten.

Es war entsetzlich gewesen, und die Bilder davon hatten ihn noch lange verfolgt. All die zerstörten Hütten, die aufgedunsenen Leichen von Frauen und Kindern, Alten und Gebrechlichen, die vor den niedergebrannten Häusern auf den Straßen lagen, da, wo sie auch gestorben waren … Offenbar hatte es niemanden gegeben, der ihnen ein christliches Begräbnis hätte geben oder sie wenigstens hatte verscharren können oder wollen. Ein Blick auf die Leichen hatte genügt, um sich vorzustellen, was die Söldner mit ihren wehrlosen Opfern angestellt hatten. Solche Gräueltaten würde er bei seinen Männern auf keinen Fall dulden. Jedenfalls nicht, wenn er es verhindern konnte.

Sie ritten über eine freie Weide auf ein Waldstück zu; es säumte den Fuß des sanft ansteigenden Hügels, hinter dem der Rauch aufstieg. Die Fichten und Tannen des Nadelgehölzes standen weit genug auseinander, dass sie mit ihren Pferden mühelos hindurchreiten konnten. Der von Nadeln übersäte Waldboden dämpfte zudem die Schläge der Hufe. Daher würde, wer auch immer auf der anderen Seite der Kuppe warten mochte, sie erst hören, wenn es zu spät war.

Plötzlich verhielt der Kornett sein Pferd und hob die Hand. Valerian tat es ihm gleich, und binnen Kurzem kam die gesamte Abteilung, etwa vierzig Mann, zum Stehen. Einige Pferde schnaubten leise, aber die Geräusche, die über den Hügelkamm zu ihnen herunterdrangen, waren trotzdem nicht zu überhören.

Valerian und Bogdanow warfen sich einen kurzen Blick zu. Worte waren überflüssig.

Es waren Schreie, schrille, spitze Schreie, und dazwischen Gebrüll und Gelächter aus männlichen Kehlen.

Plünderer. Und ihre Opfer. Valerian drehte sich zu seinen Männern herum, die ihn ohne Ausnahme ansahen.

»Arkebusen und Partisanen fertig machen! Wir teilen uns auf! Der Kornett übernimmt eine Gruppe und reitet von rechts heran, die anderen folgen mir. Auf der Kuppe verhaltet ihr und wartet auf meinen ausdrücklichen Befehl zum Angriff, verstanden?«

Einige Söldner nickten kurz, während sie ihre Waffen bereit machten. Die Gier auf den Gesichtern der Männer war der Erregung vor einem bevorstehenden Kampf gewichen, und bei einigen zeichnete sich auch Furcht ab.

Er wartete, bis alle bereit zu sein schienen, dann ließ er sich wieder in den Sattel sinken, blickte nach vorn und trieb sein Pferd an.

»Halt!« Valerian hob die Hand, als er die Hügelkuppe erreicht hatte, und seine Abteilung kam in einer lang gezogenen Reihe hinter ihm zum Stehen. Er machte sich nicht die Mühe, seine Stimme zu dämpfen, denn dazu gab es keinen Grund. Außerdem hätten seine Männer ihn ansonsten bei dem Gebrüll der Söldner und den Schreien der Gequälten oder Sterbenden nicht gehört.

Ebenso wenig schien es nötig zu sein, sich zu verstecken oder heimlich zu nähern. Denn dort unten in dem Dorf hatte keiner einen Blick für irgendwelche Reiter, die aus dem Wald kamen. Selbst wenn jemand die Reiter durch den Rauch, der aus den brennenden Hütten quoll, hätte sehen können. Die Menschen, die sich dort unten anbrüllten, anflehten oder miteinander kämpften, waren vollkommen damit beschäftigt, entweder ihr eigenes Leben zu retten oder es jemand anders zu nehmen, je nachdem.

Und wie es aussieht, gewinnen Letztere gerade die Oberhand!

Valerian konnte vom Hügel aus nicht erkennen, um was für Söldner es sich handelte, aber das spielte auch keine Rolle. Denn er sah sehr genau, was dieses menschliche Vieh...


Thon, Wolfgang
Wolfgang Thon wurde 1954 in Mönchengladbach geboren. Nach dem Abitur studierte er Sprachwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Berlin und Hamburg. Heute ist er als Übersetzer und Autor für verschiedene Verlage tätig. Er ist Vater von drei mittlerweile erwachsenen Kindern und lebt, schreibt, übersetzt, reitet und tanzt (argentinischen Tango) in Hamburg.



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