E-Book, Deutsch, 544 Seiten
Thon Blutiges Land
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-641-16945-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 544 Seiten
ISBN: 978-3-641-16945-9
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Seit ihrer Jugend sind der Müllerssohn Eik und der Landadelige Valerian befreundet – bis sich Eik in Valerians Schwester verliebt. Der junge Edelmann ist so vehement gegen diese unstandesgemäße Verbindung, dass sich die Männer fortan aus dem Weg gehen. Doch der 30-jährige Krieg ändert alles. Während Eik sich auf die Seite der Protestanten schlägt, schließt sich Valerians Familie den Katholiken an. In der Schlacht von Magdeburg treffen sie wieder aufeinander – und nur einer kann überleben!
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1. KAPITEL
Bruchhausen, nahe der Festung Nienburg,
Herbst 1626
Die Reiter kamen über sie wie ein Gewittersturm.
Eik hatte sich aufgerichtet, um seinen schmerzenden Rücken zu entlasten, nachdem er stundenlang in gebückter Haltung Kartoffeln aus der Erde geklaubt hatte. Dabei war sein Blick auf den Hügelkamm und den einzelnen Reiter gefallen, der darauf stand.
In dem Zwielicht des heraufziehenden Abends konnte Eik nicht erkennen, ob es sich um einen Söldner oder etwa um Schlimmeres, einen Marodeur und Plünderer, handelte. Dann hob der Mann den Arm.
Eik starrte einen Moment lang auf den Hügelhang, über den plötzlich eine ganze Schar von Reitern quoll und zielstrebig auf sie zugaloppierte. Söldner, dachte Eik. Plünderer und Strauchdiebe reiten nicht so diszipliniert und haben auch nicht so viele Pferde.
Ob die Soldaten zur protestantischen Union oder zu den Ligistischen des Kaisers gehörten, spielte keine Rolle, denn die Art und Weise, wie sie heranstürmten, verriet schwerlich friedliche Absichten.
Eik fuhr herum, schrie den anderen auf dem Feld eine Warnung zu und war mit zwei langen Sätzen bei seiner Jacke. die am Feldrand lag. Er schob sie und den mittlerweile leeren Knappsack beiseite und packte den Griff des Stoßdegens.
Er hatte ihn kaum aus der Lederscheide gezogen, als die Welt um ihn herum nur noch aus Gebrüll, schrillem Wiehern, ängstlichen Schreien und stinkenden, riesigen Pferdeleibern zu bestehen schien.
Erde, Schweißflocken und von Pferdehufen zertretene Kartoffeln spritzten durch die Luft, und Eik wusste nicht, wohin er sich zuerst wenden sollte. Er bekam einen Stoß gegen die Schulter, fuhr herum, und im nächsten Moment traf ihn ein Stiefel zwischen die Schulterblätter. Er flog durch die Luft und landete mit dem Gesicht voran auf dem Acker.
Feuchte Erde drang ihm in Mund und Nasenlöcher und verklebte seine Augen. Eik stemmte sich hustend und spuckend auf die Ellbogen hoch und hob den Kopf. Den Stoßdegen hielt er immer noch in der rechten Faust.
Dann tauchten Pferdebeine vor ihm auf, die eines Schimmels. Er hob den Blick zu dem Reiter und runzelte verblüfft die Stirn. Der Mann schien bis auf den Dolch am Gürtel über seinem Lederwams unbewaffnet zu sein und wirkte sehr jung, war vielleicht sogar noch jünger als er selbst mit seinen neunzehn Sommern. Sein Gesicht war für einen Mann ungewöhnlich fein und ebenmäßig. Und dann diese rote Mähne.
Das ist kein Mann!
Eik hatte zwar gehört, dass sich bei manchen marodierenden Banden, die die Gegend rund um Verden heimsuchten, auch Frauen befanden, aber bei einer Söldnertruppe? Und es mussten Söldner sein, so viel war klar, auch wenn sie keine Regimentsfarben zeigten.
Der Anblick der Frau, die in Männerkleidung auf dem Pferd vor ihm saß, ließ ihn kurz den Lärm und das Chaos ringsum vergessen. Er versuchte aufzustehen, als plötzlich eine Stiefelspitze schmerzhaft gegen seinen Arm prellte und ihm der Stoßdegen aus der Hand flog.
»He, was …?« Eik fuhr herum, erstarrte jedoch im nächsten Moment, als er die Spitze einer schmalen Klinge unter seinem Kinn fühlte, deren messerscharfe Schneide schmerzhaft seine Haut ritzte. Ein Rapier!
»Hör auf, sie anzustarren, du Einfaltspinsel!«
Eik starrte den Sprecher an. Franzosen? Was …? Hat dieser Richelieu etwa Soldaten nach Deutschland geschickt? Und wenn ja, auf welcher Seite kämpfen sie? Gerade erst haben Tilly und Wallenstein Christian von Dänemark besiegt, und schon kommen die Franzosen hierher?
Er kam jedoch nicht dazu, weiter über diese Frage nachzudenken.
»Halt, Ducroix!«
Die Stimme hinter Eik sprach ebenfalls Französisch und gehörte offenbar jemandem, der hier etwas zu sagen hatte. Der Ducroix genannte Mann zog jedenfalls nach kurzem Zögern die Spitze der Klinge von Eiks Hals zurück, ohne allerdings das Rapier ganz sinken zu lassen.
Eik biss die Zähne zusammen, als er spürte, wie warmes Blut aus der Schnittwunde seinen Hals hinunterlief. Er widerstand dem Impuls, sich umzudrehen, und starrte weiter den Mann mit dem Rapier an. Der war schlank, trug teuer aussehende Schaftstiefel, eine Lederhose, darüber ein ledernes Wams mit Pluderärmeln, deren Falten mit Samt unterlegt waren, und ein Hemd mit einem üppigen Spitzenkragen. Eine ungewöhnlich kostspielige Bekleidung für einen Söldner, die abgesehen vom Reisestaub in einem sehr gepflegten Zustand war. Ein hoher Offizier? Das blasse Gesicht war von einer Narbe entstellt, die von einer Braue aus über die gesamte Wange verlief. Offenbar eine Verletzung von einer Klinge, dachte Eik. Er kann von Glück reden, dass er sein Augenlicht nicht verloren hat. Er hatte kalte, dunkle Augen, deren Blick Eik förmlich zu durchbohren schien.
»Ich sagte, du sollst aufhören zu glotzen, Schwachkopf!«, wiederholte der Mann und richtete dann seinen Blick kurz auf den Mann hinter Eik, der ihn vermutlich mit dem Tritt entwaffnet hatte. »Übersetzt das für diesen Trottel, Capitain, bevor ich ihm noch mein Rapier in den Schlund stoße!«
»Der tapfere Chevalier will, dass du aufhörst, das Mädchen oder ihn selbst anzuglotzen, Junge!«
Daraufhin drehte sich Eik doch zu dem Sprecher herum, bei dem es sich der Anrede des Franzosen nach wohl um den Hauptmann dieser Truppe handelte. Wenigstens ist es kein Franzose, jedenfalls seinem Akzent nach zu urteilen. Eik wollte gerade sagen, dass er weder ein Junge war noch eine Übersetzung brauchte, aber als er in das Gesicht des Offiziers blickte, kam kein Wort über seine Lippen.
Unter dem breitkrempigen Hut glühten Augen wie Kohlen. Der Mann hatte schwarzes Haar, einen kurzen graumelierten Bart – und eine schreckliche Verletzung, die den Mann sein rechtes Ohr gekostet hatte. Der größte Teil seiner rechten Wange sowie die Haut um sein rechtes Auge und auf der Stirn schienen regelrecht weggebrannt zu sein.
Eik hatte von solchen Verletzungen gehört. Sie rührten davon, wenn eine Muskete oder eine kurzläufigere Arkebuse beim Abfeuern explodierte. Sein Blick zuckte zu dem Bandelier des Mannes quer über seiner Brust, aber an dem Karabinerhaken hing keine Schusswaffe, jedenfalls soweit Eik das erkennen konnte.
Offenbar war ihm dieser eine Unfall Warnung genug!, dachte Eik. Und er hat wahrhaftig großes Glück gehabt, dass er mit dem Leben davongekommen ist. Sein Blick suchte an der Kleidung des Mannes nach etwas, das seine Zugehörigkeit zu einer der Kriegsparteien verriet, aber er konnte nichts dergleichen entdecken.
Dann wurde er von derbem Gelächter und schrillen Schreien abgelenkt. Sein Blick fiel auf die Söldner, die die Mägde und die beiden Knechte auf dem Acker zusammentrieben. Sie schlugen auf die Männer mit den flachen Seiten ihrer Klingen ein und drängten sie mit ihren Pferden weiter. Als eine der Mägde hinfiel, wollte ihr Jakob, der jüngere der beiden Knechte, zu Hilfe kommen. Aber ein Söldner stieß den jungen Burschen mit seinem Pferd um und leckte sich obszön die Lippen, als die Magd versuchte, sich rückwärts krabbelnd vor den Hufen in Sicherheit zu bringen, und dabei ihre Beine entblößte.
Ein anderer Söldner schlug mit einem Säbel Broder nieder, den älteren Knecht, der ebenfalls versuchte, der Magd zu helfen.
»Warum tut er das?«, schrie Eik wütend und bückte sich, um den Stoßdegen aufzuheben.
»Weil er es kann, Bursche!«, erwiderte der Hauptmann und trieb sein Pferd einen Schritt vor. Die Beine des Rosses stießen gegen Eiks Hintern, und er landete erneut auf dem von den Hufen aufgewühlten Acker. »Das würde ich an deiner Stelle nicht versuchen, falls dir etwas an deinem Leben liegt!«
Eik hatte die Faust um den Griff seines Stoßdegens geballt, und als er nun herumfuhr, sah er, dass der Franzose die Zähne gefletscht hatte und Anstalten machte, sein Pferd anzutreiben, um ihn über den Haufen zu reiten.
Der Hauptmann lenkte sein Pferd zwischen Eik und den Franzosen und beugte sich aus dem Sattel zu ihm hinab. »Her mit dem Pallasch, Bursche!«
Eik zögerte. Wenn ich ihm die Waffe gebe, bin ich vollkommen wehrlos. Er sah sich um. Mittlerweile hatten die Söldner die Mägde und Knechte zum Ackerrand getrieben, wo sie sich ängstlich aneinanderdrückten und gegenseitig umklammert hielten. Andererseits, was kann ich allein schon ausrichten? Und schließlich hat niemand etwas davon, wenn ich eine Dummheit begehe und diese Halunken mich umbringen.
»Wäre es dir lieber, wenn ich dich dem Chevalier überlasse?« Der Hauptmann verlor allmählich die Geduld. Mit einem kurzen Rucken seines Kopfes deutete er auf den Franzosen, der Eik mit wütenden Blicken bedachte. »Er hat schon seit längerem nichts Ordentliches mehr in den Magen bekommen, so wie wir alle, und ist entsprechend schlecht gelaunt. Es würde mich nicht wundern, wenn du dann nicht nur den Pallasch verlierst, sondern auch gleich den ganzen Arm. Also zum letzten Mal, her mit der Waffe!« Die Stimme des Mannes klang unerbittlich, aber nicht gänzlich unfreundlich.
Eik war klar, dass er keine Wahl hatte, jedenfalls nicht, wenn er am Leben bleiben wollte. Er wirbelte den Degen hoch, fing ihn an der Klinge auf und reichte ihn dem Hauptmann mit dem Griff voran.
Der hob seine ihm verbliebene Braue, als er den Griff der Waffe mit seinem Stulpenhandschuh packte. »Was will ein Bauernbursche wie du mit einem solchen...




