Thompson | Fern vom Licht des Himmels | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Thompson Fern vom Licht des Himmels


1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-96509-060-6
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-96509-060-6
Verlag: Golkonda Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Das Siedlungsschiff Ragtime dockt im Lagos-System an, nachdem es Lichtjahre gereist ist, um eintausend schlafende Seelen in die neue Heimat auf dem Planeten Bloodroot zu bringen. Als Michelle »Shell« Campion, Erste Offizierin der Ragtime, nach zehn Jahren aus dem künstlichen Schlaf aufwacht, muss sie feststellen, dass die kommandierende KI des Schiffs größtenteils außer Betrieb ist und ein Dutzend Passagiere ermordet wurden. Unter Quarantäne gestellt, versucht sie verzweifelt die Kontrolle über das Schiff wiederzuerlangen und herauszufinden, was passiert ist. Dabei wird sie von Rasheed Fin, einen in Ungnade gefallenen Ermittler aus der Kolonie, und seiner künstlichen Partnerin Salvo unterstützt. Doch langsam kristallisiert sich heraus, dass nicht nur die verbliebenen Passagiere auf dem Schiff um ihr Überleben kämpfen müssen, sondern auch die Kolonie Bloodroot einer tödlichen Bedrohung aus dem All ausgesetzt ist.

Tade Thompsons neuer Roman ist gleichzeitig Krimi, Weltraumoper, Gothic-Horror und Survival-Abenteuer, alles neu interpretiert durch die Linse des Afrofuturismus. Ein Buch, das man schon nach wenigen Seiten nicht mehr aus der Hand legen kann!

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Kapitel 1
Erde/Ragtime: Michelle »Shell« Campion Man muss nicht wissen, wonach einen niemand fragen wird. Während ihre Stiefel bei jedem Schritt auf dem Kies knirschen, weiß Shell nicht, ob sie ist, wer sie ist, weil sie es will oder weil ihre Familie es von ihr erwartet. Soweit sie zurückdenken kann, seit ihrem dritten Lebensjahr, war da immer der Wunsch, ins All zu fliegen. In den Weltraum aufzubrechen, dem Sonnensystem den Rücken zukehren, auf dem Relativismus der Wurmlöcher zu surfen, nichts von alledem stellt heute noch einen Vorstoß ins Unbekannte dar. Es wird keine Dokumentation über das Leben und Wirken von Michelle Campion geben. Aber sie will es trotzdem wissen. Um ihrer selbst willen. Die Isolation setzt ihr jedenfalls zu. Nein, nicht die Isolation, an die hat sie sich im Laufe ihrer Ausbildung gewöhnt. Es ist die Isolation ohne Fortschritt, die ihr zu schaffen macht, die Isolation ohne Ziel. Sie hat das Gefühl, exakt in der Mitte des Innenhofs zwischen den Quarantänegebäuden zu stehen. Es kommt ihr vor, als würde sie sich hier auf einem Gefängnishof die Beine vertreten, nach einem gestaffelten Stundenplan, damit ihr niemand begegnet. Ein Gefängnis ohne Verurteilung. Man nimmt Blut- und Gewebeproben von ihr, und sie wartet, Tag für Tag. Sie bleibt stehen und holt in der Sommerbrise tief Luft, blickt auf, um sich die Sonne Floridas ins Gesicht scheinen zu lassen. Für den Weltraumflug hat sie sich das Haar kurz geschnitten. Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, sich den Kopf kahl zu rasieren, aber MaxGalactix hielt das nicht für medienfreundlich, was immer damit gemeint ist. Shell sieht etwas und beugt sich vor. Ein Unkraut, eine kleine Sprosse, die sich ihren Weg zwischen den Steinen bahnt. In dem chemisch behandelten Boden hätte es sie eigentlich nicht geben dürfen, aber sie ist trotzdem da, ein Stück unbeirrbares Leben. Sie verspürt den Drang, die zerbrechliche grüne Faser zu pflücken, tut es aber nicht. Stattdessen streicht sie einmal über den Halm und richtet sich wieder auf. Menschen im Kosmos sind wie vereinzeltes Unkraut. Sie fragt sich, welche Riesen oder Götter die Menschen streicheln, wenn sie zwischen den Sternen hindurchschlüpfen. Der Wind dreht sich, und Shell riecht das Essen, das in der Küche für das Bodenpersonal und die Familien zubereitet wird. Die Passagiere und Besatzungsmitglieder wie Shell essen schon jetzt Weltraumnahrung, als hätten sie die Erde bereits verlassen. Um sie herum befinden sich die Wohnbereiche der Quarantänegebäude. Hochhäuser aus Glas und Stahl bilden ein Rechteck um den Hof. Eintausend Passagiere warten hier darauf, an Bord verschiedener Fähren zu gehen, die sie zum Raumschiff Ragtime bringen werden. Shell, gerade mit der Ausbildung fertig, ist bei der Fahrt und diesem Erlebnis dabei und hat sich dazu verpflichtet, zehn Jahre im Traumzustand durchs All zu fliegen, die Passagiere bei der Kolonie Bloodroot abzuliefern und dann weitere zehn Jahre mit der Rückreise zu verbringen. Bei ihrer Rückkehr wird sie Mitte vierzig sein. Sie könnte ebenso gut eine Passagierin sein, weil das Schiff von der KI gesteuert und befehligt wird. Sie ist der erste Maat, eine rein zeremonielle Position, die man in der gesamten Geschichte der interstellaren Raumfahrt bisher nie wirklich gebraucht hat. Sie hat alles, was mit der Ragtime und ihrem Flug zu tun hat, bis zum Erbrechen gelernt. Das wird es ihr ermöglichen, zu einem bestimmten Zeitpunkt das Kommando zu übernehmen, damit sie Erfahrungen sammeln kann, während die KI ihr im metaphorischen Sinne über die Schulter sieht. Sie wendet sich dem Gebäude zu, in dem sie wohnt, und verlässt den Hof. Sie spürt keine Blicke auf sich, obwohl sie weiß, dass mit Sicherheit Leute an den Fenstern stehen. Ihre Quarantänewohnung ist bequem, aber im Gegensatz zu denen der meisten anderen Passagiere nicht opulent. Die Ragtime parkt laut der Künstlichen, die Shell ihre Unterkunft gezeigt hat, bereits in der Umlaufbahn. Unzutreffend: Sie wurde in der Umlaufbahn gebaut, also parkt sie dort eigentlich nicht. Sie befindet sich im Trockendock. Sie verbringt die Quarantäne damit, zu lesen und Gewichte zu stemmen – normalerweise hält sie sich lieber auf andere Arten fit, aber im All werden die Knochen demineralisiert, und Gewichte stemmen hilft dagegen. Eigentlich läuft und schwimmt sie lieber. Ihre Lektüre ist nicht besonders inspirierend. Zur Hälfte besteht sie aus den technischen Daten der Ragtime, die vor allem deshalb langweilig sind, weil sie diese letztendlich nicht kennen muss. Die KI fliegt das Schiff, und es geht nie etwas schief, weil KIs noch nie unterwegs versagt haben. Einmal ist ein simulierter Start missglückt, aber das war eine Software-Panne. Heutzutage sind KIs fest mit den Schiffspentagrammen verdrahtet. MaxGalactix stellt die Pentagramme her, und dabei werden keine Fehler gemacht. Wenn sie Glück hat, dann hat sie zwei Wochen Quarantäne, gefolgt von kurzer, hektischer Aktivität und dann zehn Jahre Schlaf vor sich. Shell lässt sich ihre Betperlen durch die Hand gleiten. Es ist nicht ihr erster Flug ins All. Sie war schon einmal in der Umlaufbahn, hat drei Wochen an Bord einer Raumstation und ungezählte Simulatorstunden in einer Kapsel in Alaska verbracht, sie hat für das interstellare Reisen trainiert, hat es regelrecht damit übertrieben. »Das ist gesetzlich vorgeschrieben«, hat ihr Chef gesagt. Die Privatfirma hat sie der NASA sechs Monate vor dem Ende ihrer Ausbildung weggeschnappt. Shell hat deshalb immer noch ein schlechtes Gewissen. Sie vermisst eine Menge guter Leute dort. »Bei jeder Reise muss eine für den Raumflug zertifizierte menschliche Person dabei sein, aber Sie müssen nicht das Geringste machen, Michelle. Wir kümmern uns um zwei Sachen: um die rechtliche Seite, und darum, dass Sie Raumjahre absolvieren. Danach können Sie sich eine Wunschkarriere aussuchen.« »Wenn dem so ist«, fragte Shell, »warum sitzt jetzt nicht jemand anderes hier auf diesem Stuhl? Jemand, der mehr Berufsjahre hinter sich hat?« »Erfahrung.« Ihr Chef hatte genickt. »Hören Sie mal, Michelle, Sie müssen aufhören so zu denken, als wären Sie immer noch bei der NASA. Wir arbeiten nicht mit so überholten Konzepten wie dem Dienstalter.« Shell hob eine Braue. »Na gut, Ihr Vater hat auch etwas damit zu tun.« Natürlich. Haldene Campion, der legendäre Astronaut, unsterblich, weil er, anstatt zu sterben wie all die anderen von damals, verschollen ist. Rechtlich hat man ihn für tot erklärt, aber alle wissen, dass das nur auf dem Papier so ist. Seinem Schatten kann Shell nie entkommen, und sie weiß auch nicht genau, ob sie das will. Ein Teil von ihr hat das Gefühl, dass er in irgendeinem Strudel einer Einstein-Rosen-Brücke noch lebt. Sie hat einmal gelesen, dass der Tod in einem Schwarzen Loch dazu führen würde, dass die Informationen, aus denen man besteht, intakt gefangen sind. Theoretisch kann man den Menschen wiederherstellen, wenn man diese Informationen irgendwie aus dem Schwarzen Loch herausbekommt. Oft fragt sich Shell, was wäre, wenn eine solche Person auf irgendeine unbestimmbare Art noch am Leben wäre? Würde sie Schmerzen leiden, auf ewig bei Bewusstsein? Würde sie ihre Lieben vermissen? Gerade wird Die Morde in der Rue Morgue mit George C. Scott auf ihr IFC gestreamt. Der Film wirkt veraltet und ist nicht besonders gut, aber immerhin hält er Shell für eine Weile beschäftigt. Danach kommt irgendein B-Movie über dämonische Besessenheit, ein billiger Exorzist-Abklatsch, der Shell überhaupt nicht gefällt. Täglich kommen Labortechniker, um ihr Blut abzuzapfen und Speichelproben zu nehmen. Es ist nicht weiter lästig – ein bisschen Spucke und ein Nadelstich. Am zehnten Tag bekommt sie einen Anruf von der Ragtime. »Hallo?« »Missionsspezialistin Michelle Campion?« »Ja.« »Hi. Hier spricht die Ragtime. Ich werde für Sie das Schiff steuern. Ich wollte mich wenigstens einmal mit Ihnen unterhalten, bevor Sie an Bord gehen.« »Oh, danke. Die meisten nennen mich Shell.« »Ich weiß. Ich wollte nicht anmaßend sein.« »Daran ist nichts Anmaßendes, Captain.« »Ich bevorzuge Ragtime. Insbesondere, wenn ich dich Shell nennen soll.« »Okay, Ragtime. Darf ich fragen, welches Geschlecht du repräsentierst? Deine Stimme ist angenehm, lässt sich aber in alle Richtungen deuten.« »Auf diesem Flug bin ich männlich, danke der Nachfrage. Bist du bereit?« »Ich hoffe, dass ich viel lernen werde, Ragtime, aber ich muss gestehen, dass ich nervös bin.« »Aber du weißt, was du zu tun hast, oder?« Was weiß Shell? Sie weiß alles, was ihr die klügsten Köpfe der Erde...


Tade Thompson ist in London geboren, in Nigeria aufgewachsen und nach England zurückgekehrt, um dort Medizin und Sozialanthropologie zu studieren. Inzwischen lebt und arbeitet er an der englischen Südküste. Rosewater, der erste Band der Wormwood-Trilogie, wurde 2019 mit dem Arthur C. Clarke Award ausgezeichnet.

Jakob Schmidt übersetzt seit zwanzig Jahren SF-Literatur und wurde dafür schon zweimal mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. Unter anderem hat er Frank Herberts klassische Romanreihe um den Wüstenplaneten neu ins Deutsche übertragen. Er ist Mitinhaber der Buchhandlung Otherland in Berlin.



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