Thomas Voodoo, Ltd.
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-89581-231-6
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Fall
E-Book, Deutsch, 358 Seiten
Reihe: Ross-Thomas-Edition
ISBN: 978-3-89581-231-6
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bearbeitete Neuausgabe.
Der dicke Chinese Artie Wu, sein Geschäftspartner Quincy Durant, der Hochstapler 'Otherguy' Overby, der alternde Terrorismusexperte Booth Stalling und die mit allen Wassern gewaschene Ex-Agentin Georgia Blue, das sind die Protagonisten des dritten und letzten Artie-Wu-und-Quincy-Durant-Falls.
'Die Wudu, Ltd. ist eine straff geführte Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die für andere das tut, was sie selbst für sich nicht tun können', sagt Artie Wu, Chef der exklusiven Agentur Wudu, Ltd. Mit anderen Worten, sie lösen Fälle für einen Haufen Kohle - Fälle wie den Mord an dem Hollywood-Produzenten Billy Rice.
Am Neujahrsmorgen 1991 wird die Film-Diva Ione Gamble volltrunken und mit abgefeuerter Tatwaffe in der Hand neben der Leiche ihres millionenschweren Ex-Verlobten aufgefunden. Vor dem Hintergrund des ersten Irakkriegs beginnt das Spezialistenteam Wudu, Ltd. mit seinen Ermittlungen.
Ross Thomas (1926-1995) ist zunächst Journalist. Im Zweiten Weltkrieg kämpft er auf den Philippinen. In den 50er Jahren richtet er das deutsche AFN-Büro in Bonn ein und arbeitet als politischer Berater und Wahlkampforganisator. Seine vielfältigen Erfahrungen verarbeitet er 40jährig in seinem ersten Roman 'Kälter als der Kalte Krieg', für den er den renommierten Edgar Allan Poe Award sowie den Mystery Writers of America Award erhält. Bis zu seinem Tod entstehen 25 Romane.
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Bei dem Zweisitzer, der am Neujahrsmorgen kurz nach fünf Uhr mit mehr als 82 Meilen pro Stunde durch Malibu raste, handelte es sich um einen fast neuen Mercedes 500 SL – Preis ab Werk 101414,28 Dollar. Der Wagen wurde mit einer Hand gelenkt, der linken Hand der nicht mehr ganz vollkommenen Schönheit und Doppelverdienerin Ione Gamble, deren Blutalkohol später mit über zwei Promille gemessen wurde, womit ihr nachgewiesen werden konnte – juristisch und auch sonst –, daß sie stark betrunken war, zum zweiten Mal in ihrem Leben. Die Schauspielerin und Regisseurin, deren zwei Handwerke oder Berufe sie im Hollywoodjargon zu einer Doppelverdienerin machten, lenkte ihr Auto weiter mit der linken Hand, weil die rechte damit beschäftigt war, ein Telefon an ihr Ohr zu halten, mit dem sie gerade dem fünfunddreißigsten und letzten Klingelton lauschte. Dann tauschte sie das Telefon gegen eine Halbliterflasche achtzigprozentigen Smirnoff-Wodka, die auf dem Beifahrersitz lag. Nachdem sie sich die restlichen vierzig Kubikzentimeter einverleibt hatte, ließ sie das rechte Türfenster per Knopfdruck herunter und warf die Flasche nach draußen, wo sie gegen einen geparkten 86er Honda Civic prallte. Die Gamble war durchaus geneigt, anzuhalten und eine Nachricht zu hinterlassen, daß sie für jeden Schaden aufkommen würde. Aber bis diese Nachricht im Geiste formuliert, überdacht und noch einmal überdacht war, hatte sie den Honda schon eine Meile hinter sich gelassen und näherte sich ihrem Ziel in Carbon Beach. Als sie Sekunden später dort ankam, waren die Botschaft, die zerschmetterte Flasche und der Honda vollständig aus ihrem Gedächtnis gelöscht. Inzwischen hatte sie den Wagen auf die zugelassene Höchstgeschwindigkeit von 45 Meilen pro Stunde verlangsamt und rollte die linke Spur des Pacific Coast Highway im Leergang entlang. Nebenbei suchte sie nach der elektrischen, von ihr verlegten Fernbedienung, mit der sie die Stahltore öffnen konnte, die das 13-Millionen-Dollar-Haus sicherten, dessen Besitzer beinahe jeden damit verärgerte, daß er es seine Strandhütte nannte. Die Gamble suchte vergeblich nach dem elektronischen Türöffner. Aber als sie nach links über die beiden Gegenfahrbahnen des Highway bog, erkannte sie im Licht ihrer Scheinwerfer, daß die Tore bereits offen waren. Sie fuhr hindurch und stellte den Wagen vor der Dreifachgarage ab, von deren Türen beinahe eine Woche nach Weihnachten noch immer ein phantasievolles Triptychon von Santa Claus, seinen Rentieren und den Elfen strahlte. Die Gamble schaltete Motor und Scheinwerfer aus und nahm wieder das Autotelefon zur Hand. Sie rief die Nummer an, die sie bereits vorher angerufen hatte, und ließ es fünfzehnmal läuten. Dann gab sie auf und begann, mehrmals hintereinander auf die Hupe des Mercedes zu drücken, in der Signalfolge dreimal kurz und einmal lang, einer groben Annäherung an den Morsecode für den Buchstaben V – dem einzigen Morsecode, den sie kannte. Drei Minuten später hörte die Gamble mit dem Lärm auf, ließ das linke Seitenfenster herunter und wartete darauf, daß etwas passieren würde. Sie wäre mit einem wütenden Nachbarn zufrieden gewesen, der sie anbrüllte, sie solle verdammt noch mal ruhig sein. Oder mit Billy Rice, der aus dem Haus gelaufen käme und sie anflehte, um Gottes willen hereinzukommen und einen Drink mit ihm zu nehmen – oder auch nur mit einem plötzlich erleuchteten Fenster irgendwo, das ihr bewiesen hätte, daß es noch Leben gab in Malibu, an diesem Dienstag, dem 1. Januar 1991 um fünf Uhr und elf Minuten am frühen Morgen. Als es jedoch weder verärgertes Gebrüll noch Einladungen zum Drink oder plötzlich erleuchtete Fenster gab, kletterte die Gamble aus dem Wagen, schlug die Tür so fest sie konnte zu, hoffte, daß etwas zerbrechen würde, und war doch erleichtert, daß alles heil blieb. Sie ging um das Heck des Wagens herum, trat äußerst behutsam drei Schritte zurück, sog soviel Luft wie sie konnte in ihre Lungen und brüllte: »BILLY RICE WAS FÜR’N SCHEISS!« Sie wartete, lauschte, aber als sie weder ein Dementi noch eine Erwiderung hörte, drehte sie sich um und steuerte auf den Vordereingang zu. Während sie das tat, ging auf der anderen Seite des Highway im zweiten Stock eines gelben Hauses ein Licht an. Es fiel jedoch aus einem schmalen, hohen Fenster, wie Badezimmer sie haben, und die Gamble kam zu dem Schluß, daß es wohl irgendein armer Bursche sein mußte, den seine Prostatabeschwerden aus dem Bett gescheucht hatten. Eine zweieinhalb Meter hohe Mauer, gebaut aus glasierten Backsteinen, schirmte die Haustür vor neugierigen Blicken ab und diente gleichzeitig als Schallschutz gegen den Verkehrslärm vom Highway. Diese Mauer und die eigentliche Hauswand bildeten einen kurzen, nicht überdachten Durchgang, den die Gamble langsam entlangging, während sie alle drei Taschen ihrer cremefarbenen Wildlederjacke nach dem Schlüssel für Billy Rices Haustür durchwühlte. Erst nachdem sie jede Tasche zum viertenmal durchsucht hatte, erinnerte sie sich – wenn auch dunkel – daran, daß sie hastig aus ihrem Haus in Santa Monica aufgebrochen war und sich gerade noch die Zeit genommen hatte, die Autoschlüssel und die Wodkaflasche mitzunehmen, nicht aber die braune Lederhandtasche. Und genau dort steckte natürlich der Schlüssel für die Vordertür des Hauses: hinter dem Reißverschluß des Kleingeldfachs der Handtasche. Die Gamble glaubte immer noch daran, daß es einen Weg geben müßte, Billy Rice wach zu kriegen. Sie konnte gegen die Tür hämmern oder Sturm klingeln und sogar heulen wie ein Kojote, bis sich endlich etwas tun würde. Sie hatte sich gerade für die Imitation des Kojoten entschieden, als sie bemerkte, daß die Tür nur angelehnt war. Erst versetzte sie ihr versuchsweise einen Schubs und dann gleich einen so harten Stoß, daß sie ganz aufflog. Sobald sie in dem dunklen Haus war, tastete die Gamble nach dem Lichtschalter, von dem sie wußte, daß er an der linken Seite war, fand ihn und schaltete die Lichter ein, die das Marmorfoyer erleuchteten, das zu dem riesigen Wohnzimmer und der nicht minder weiträumigen Terrasse dahinter führte. Die indirekte Beleuchtung des Foyers war darauf ausgerichtet, zwei Gemälde zur Geltung zu bringen, die sich von zwei gegenüberliegenden Wänden aus anblickten. Links hing der Chagall, rechts der Hockney. Unter dem Hockney stand ein kleiner, quadratischer Tisch aus stark gemasertem Ulmenholz, gerade groß genug für die tägliche Post, drei Autoschlüssel und – in diesem Fall – eine halbautomatische 9-mm-Beretta. Die Gamble nahm die Pistole zur Hand, untersuchte sie und rief dann aus: »He, Billy, willste nicht runterkommen und zugucken, wie ich mir den großen Onkel abschieße?« Mit gesenktem Kopf, die Pistole an der rechten Seite nach unten gerichtet, wartete sie, als hoffte sie auf irgendeine Art Protest. Als der jedoch ausblieb, hob sie die Beretta, zielte sorgfältig, drückte den Abzug durch, wie man es ihr auf dem Schießstand in Beverly Hills beigebracht hatte, und schoß ein kleines, sauberes Loch durch das linke untere Viertel des Chagall. Als der Pistolenschuß weder einen Aufschrei noch ein Winseln auslöste, ging die Gamble vorsichtig durch den letzten Teil des Marmorfoyers und betrat das Wohnzimmer. Durch seine rundum verglasten Außenwände konnte sie die Lichter von Santa Monica und – etwas weiter weg – die schwächeren Lichter von Palos Verdes sehen, wo – daran gab es für sie nicht den geringsten Zweifel – die langweiligsten Menschen Kaliforniens, wenn nicht der ganzen Welt, lebten. Als sie sich von diesem Anblick abwandte, fiel ihr ein großer heller Haufen in der südwestlichen Ecke des Zimmers auf. Aus irgendeinem Grund sah der Haufen aus, als sei er dort verloren, liegengelassen oder vielleicht auch einfach nur vergessen worden. Neugierig durchquerte die Gamble das Wohnzimmer; die Pistole nahm sie in die linke Hand. Mit der rechten Hand schaltete sie eine Tischlampe ein, und jetzt entdeckte sie, daß es sich bei dem Haufen um William A. C. Rice IV. handelte. Er lag auf dem Rücken, die blauen Augen offen und auf die mit Balken gestützte Spitzdecke gerichtet. Das lange rechte Bein hatte er am Knie etwas abgewinkelt, das lange linke Bein war ausgestreckt. Arme und Hände waren willkürlich angeordnet, die rechte Hand zeigte nach Norden, die linke in südsüdwestliche Richtung. In der nackten unbehaarten Brust hatte er, gleich links von der rechten Brustwarze, zwei dunkle Löcher. Seine Füße waren ebenfalls nackt, und die weißen Tennisshorts waren schmutzig. Ione Gamble starrte mindestens eine halbe Minute lang auf den toten Mann, dabei keuchte sie in kurzen Zügen durch den Mund, bis sie zu keuchen aufhörte und sagte: »Ach zum Teufel, Billy, ich wünschte, es täte mir leid.« Sie wandte sich ab, ein wenig schwankend, und schaffte es bis zu der kleinen gutbestückten Bar, wo sie schätzungsweise sechzig Kubikzentimeter Whiskey in ein Glas kippte und in...