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Thomas Gottes vergessene Stadt
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-89581-234-7
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
Reihe: Ross-Thomas-Edition
ISBN: 978-3-89581-234-7
Verlag: Alexander
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Durchgesehene Neuausgabe der deutschen Erstausgabe von 1990.
Die Geschichte beginnt mit einem Telefonanruf morgens um vier in Durango,
einer trostlosen Stadt in Kalifornien, abgeschnitten von der Welt - eine Stadt, die Gott vergaß.
In dieser Abgeschiedenheit dient sie vor allem als Versteck für Leute, die Schutz vor
Verfolgern suchen, wie Jack Adair, einst Oberster Richter, der wegen eines Steuervergehens
in den Knast wanderte und überzeugt davon ist, daß ihm jemand ans Leben möchte. Für
eine Million und mehr bieten ihm Stadtoberhaupt B. D. Huckins und Polizeichef Sid Fork
Durango als Hort der Sicherheit und Zuflucht an. Und Adair bietet ihnen ein ungewöhnliches
und durchaus profitables Zusatzgeschäft an. Wenig später beginnt das Morden.
Ross Thomas, geboren 1926 in Oklahoma. Er war Journalist, politischer Berater und Mitorganisator von Wahlkämpfen.
In den 50er Jahren baut er in Bonn das deutsche AFN-Büro auf, arbeitet danach für verschiedene amerikanische Organisationen.
Mit 40 schreibt Thomas seinen ersten Roman. Er wurde mit dem Edgar-Allan-Poe-Preis und dem deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Bis zu seinem Tod 1995 entstehen 25 Romane.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Als das weiße Schlafzimmertelefon an jenem letzten Freitag im Juni morgens um 4.03 Uhr klingelte, hob das 36jährige Stadtoberhaupt beim vierten Läuten ab und trat dem 39jährigen Polizeichef gegen den Knöchel, um sicherzugehen, daß auch er wach war. Nach einem gemurmelten »Hallo« hörte das Stadtoberhaupt eineinhalb Minuten lang schweigend zu. Sie lauschte mit grimmigem Mund und zusammengekniffenen Augen, einem Ausdruck, den der Polizeichef seit langem als ihren Schlagloch-Beschwerde-Blick bezeichnete. Als die neunzig Sekunden vorüber waren, beendete das Stadtoberhaupt den Anruf mit einem kategorischen »Genau«, das kaum mehr als ein geknurrter Abschiedsgruß war. Während die Bürgermeisterin zuhörte, beschäftigte sich der Polizeichef zum wiederholten Male mit einer Inspektion der Strukturdecke des Schlafzimmers, wobei er sich erneut fragte, wieso das aufgesprühte Material letzten Endes immer wie drei Wochen alter Hüttenkäse aussah. In dem Moment, da die Bürgermeisterin auflegte, schloß der Chief die Augen und fragte: »Dixie?« – Schläfrigkeit und die frühe Stunde beraubten die Frage jeder echten Neugier. »Dixie«, bestätigte das Stadtoberhaupt. »Und?« »Sie hat ihn eben ins Bett gesteckt.« »Wieviel hat er getrunken?« »Die Bar leer, sagt Dixie.« »Dann ist alles klar, nicht?« sagte der Chief und öffnete die Augen, um der vergilbten Decke einen letzten prüfenden Blick zu gönnen, während er auf die Antwort der Bürgermeisterin wartete. Als keine kam, nickte er – wie auf eine unausgesprochene, aber beruhigende Erwiderung – und schlief offenbar wieder ein. Auf der linken Seite liegend, musterte das Stadtoberhaupt den Polizeichef mit einer Mischung aus Staunen und Groll. Des Musterns bald überdrüssig, drehte sie sich auf den Rücken und schloß die hellgrauen Augen, doch beinahe im selben Moment öffneten sie sich wieder, und die Bürgermeisterin sah sich zum Deckenwachdienst verurteilt, von dem der Schlaf sie erst kurz vor Morgengrauen erlöste. Kelly Vines erwachte am selben letzten Freitag im Juni um 10.09 Uhr. Zuerst schaute er nach dem schwarzen Spazierstock, dann nach der rundum blonden Frau, die gesagt hatte, ihr Name sei Dixie. An ihren Nachnamen konnte sich Vines nicht erinnern; er wußte nicht einmal, ob sie ihn überhaupt genannt hatte, aber er erinnerte sich an die spöttischen blauen Augen und ihre trockene Bemerkung, daß sie sich im einzigen Holiday Inn westlich von Beirut einquartierten, das rote Zahlen schrieb. Obzwar die blonde Dixie fort war und nur den Hauch eines denkwürdigen Parfüms hinterlassen hatte, hing der schwarze Stock noch am Schirm der Lampe mit dem hellgrünen Keramikfuß. Es war ein dicker Stock, mehr als eineinviertel Zoll im Durchmesser, gedrechselt aus Makassar-Ebenholz und an der Spitze mit einem Chromring verziert, der jetzt ein bißchen abgewetzt war. Etwa einen Zoll unter der Stelle, wo der Griff des Stocks sich zu krümmen begann, war ein Bilderband, in das in schmalen, verschlungenen gotischen Lettern die Initialen JA eingraviert waren. Sein Kater ging ernsthaft zum Angriff über, als Vines sich im Bett aufsetzte. Er diagnostizierte ihn als Siechtum aufgrund einer seltenen und womöglich verhängnisvollen Beanspruchung, holte viermal tief Luft und betete ohne Zuversicht darum, der zusätzliche Sauerstoff möge bewirken, was der Volksmund ihm zuschrieb, nämlich seine Schmerzen lindern und ihm vielleicht ermöglichen weiterzuleben. Doch als der Kater und die ihn begleitende Verzweiflung nur noch schlimmer wurden und vage Gedanken an einen süßen Tod auslösten, stand Vines auf, stützte sich mit unsicherer Hand auf eine Stuhllehne und schritt mühsam zu dem schwarzen Stock. Nachdem er ihn vom Lampenschirm befreit hatte, schüttelte er den Stock, seufzte erleichtert, als er das leise Geräusch hörte und drehte den gekrümmten Griff nach rechts statt nach links. Nach drei vollen Drehungen ließ sich der Griff abnehmen und enthüllte die Silberkappe, die den Korken hielt. Vines zog den Korken aus der Glasröhre, die in das Holz eingelassen war, hob das nicht länger versteckte Fläschchen zum Mund und schluckte in etwa eine gute Unze Jack Daniel’s Black Label Whiskey, worauf ihn ein Schaudern erfaßte, das der rechtmäßige Besitzer des Stocks gerne als einen Ausdruck von »Schande, Entsetzen und nichts als Scheußlichkeit rundum« bezeichnet hatte. Der morgendliche Bourbon erinnerte Vines daran, wie er das erste Mal in seinem Leben aus dem Stock getrunken hatte. Und das, so verriet ihm simple Mathematik, lag exakt fünfzehn Jahre zurück, als seine Universitätszeit sich dem Ende zuneigte. Es war im Juni 1973 gewesen, eine knappe Stunde vor der Zeugnisverleihung, als sie zu dritt zum ersten Mal gemeinsam Whiskey aus dem schwarzen Stock tranken, auch wenn keiner von ihnen viel mehr als eine Unze bekam, weil das Ding insgesamt nur vier Unzen faßte. Vines erinnerte sich, wie der Besitzer des Stocks sein unversöhnlichstes Kichern gekichert und sein parteiischstes Lächeln gelächelt hatte, als er den prophetischen Toast aussprach: »Auf Watergate, Freunde, und alle, die mit ihr untergehen.« Alle drei hatten sie jeder eine gute Unze getrunken. Zuerst Kelly, nach ihm der Mann, dem der Stock gehörte, und schließlich der Sohn des Mannes, der zugleich Vines’ Zimmergenosse im College war und der sich nicht ganz vierzehn Jahre später in einem nicht sonderlich teuren Bordell in Tijuana – angeblich – erschießen sollte. Noch immer nackt, stand Vines im Zimmer des Holiday Inn, wartete auf die Balsamwirkung des Whiskeys und stützte sich mit beiden Händen auf den schwarzen Stock, während er aus dem Fenster im vierten Stock auf den Pazifik hinausspähte, der ihm stets so müßig oder vielleicht auch nur träge erschienen war, zumindest im Vergleich mit dem geschäftigen und beständig grollenden Atlantik. Dann zwang, wie er fast erwartet hatte, der Schluck aus dem schwarzen Stock sein Gedächtnis zurück in die jüngere Vergangenheit, zu jener Nacht vor über einem Jahr, als der bekümmerte Beamte der Mordkommission von Tijuana ihn in La Jolla angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, daß sein ehemaliger Zimmergenosse tot sei. Vines war nach eigener Einschätzung in Rekordzeit nach Tijuana gefahren, hatte nach frustrierender fünfundzwanzigminütiger Suche das Bordell gefunden, den einen Meter dreiundneunzig großen Körper identifiziert und ohne sonderlichen Ekel (der würde später kommen) festgestellt, daß ein großer Teil des einstmals schönen Kopfes über eine Lithographie der Heiligen Jungfrau von Guadalupe an der Südwand des Zimmers verspritzt war. Vines hatte auf die Lithographie gestarrt, als der Beamte der Mordkommission auf spanisch zu schildern begann, wie der Tote sich offenbar den Lauf des alten halbautomatischen Colts vom Kaliber .45 in den Mund gesteckt und den Abzug dos veces gedrückt hatte. Vines, der plötzlich seinem normalerweise ausreichenden Spanisch mißtraute, hatte es zögernd mit einer Übersetzung probiert: »Zweimal?« Das breite Indianergesicht des Polizisten hatte sich in eine fromme Maske verwandelt, als er auf englisch erwiderte: »Ja, zweimal«, dann wieder auf Spanisch zurückschaltete und murmelte, nur Gott allein könne begreifen, auf welche verrückten Mittel Selbstmörder verfielen, wenn sie sich wahrhaftig zu zerstören wünschten. Als Kelly Vines fragte, ob er den Blödsinn wirklich glaube, daß sein ehemaliger Zimmergenosse den Abzug zweimal betätigt habe, hatte der Polizist die Augen geschlossen und glückselig gelächelt, ganz so, als denke er an Gott oder an Geld oder an beides. Dann hatte der Polizist die Augen wieder geöffnet und entgegnet, aber ja, ganz bestimmt glaube er das, und wie könne man überhaupt daran zweifeln? Zuerst war Vines sich nicht sicher, ob es die verblassende Erinnerung an Gehirn und Blut seines toten ehemaligen Zimmergenossen oder aber der Frühstücksbourbon war, was ihn dazu brachte, sich vom Meerblickfenster des Holiday Inn abzuwenden, den Stock wieder an den Lampenschirm zu hängen und sich mit gemessener Hast ins Bad zu begeben, wo er den soeben getrunkenen Jack Daniel’s ebenso auskotzte wie das meiste von dem, was er während der Nacht getrunken hatte. Aber später, nachdem er das Kotzen überstanden hatte, machte er vernünftigerweise den Jack Daniel’s dafür verantwortlich. Um 11.04 Uhr an jenem Morgen, nachdem sein Magen von Mylanta-II besänftigt und seine Blöße mit einer beigefarbenen Leinenknitterjacke, einer dunkelgrauen Kammgarnhose – ebenfalls knittrig – und einem sauberen weißen Oberhemd, jedoch ohne Krawatte, bedeckt war, saß Kelly Vines auf einem Hocker an der Bar der fast leeren Cocktail-Lounge des Holiday Inn, neben sich eine heilkräftige Bloody Mary, und goß behutsam zwei Miniaturflaschen Jack Daniel’s, jede zwei...