Thomann | Bildungsgeschichten aus der Peripherie (E-Book) | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Thomann Bildungsgeschichten aus der Peripherie (E-Book)

Über den Umgang mit Unerwartetem, produktives Scheitern und Grenzmanagement
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-0355-2861-9
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Über den Umgang mit Unerwartetem, produktives Scheitern und Grenzmanagement

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-0355-2861-9
Verlag: hep verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen.

Widersprüchlichkeit ist im Bildungsalltag die Regel und Reibungslosigkeit die Ausnahme. Damit wäre die Entstehung von Komplexität nicht als ungewollter Nebeneffekt einer geordneten oder zu ordnenden Welt zu verstehen, sondern vielmehr als Form der Welt selbst. Umgang mit Unerwartetem und Grenzerfahrungen sind dabei zentrale professionelle Herausforderungen und Scheitern wird in der Retrospektive nicht selten zum bedeutsamen produktiven Wegweiser. Die Peripherie wird dadurch zum neuen Kern. Davon handeln die Geschichten und Texte in diesem Buch.

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Weitere Infos & Material


Arbeit mit Metaphern in (Bildungs-)Organisationen
Organisationen und Gesellschaften leben von Mythen, Legenden, Gerüchten und Metaphern, die die Menschen in Form von mündlich überlieferten Geschichten zur Beschreibung ihrer Erfahrungen nutzen. Sie dienen dabei nicht selten der Identitätsbildung. Geschichten, «wie sie das Leben schreibt», sind komplex, vieldeutig und widersprüchlich, gerade weil sie «aus dem Leben gegriffen» sind. Im Freiraum der Fiktion schaffen wir (uns als) Figuren. Erzählen besitzt hier etwas Spielerisches, Geschichten sind Varianten und nicht unbedingt Tatsachen, sie «tun, als ob». «Während ich Geschichten erzähle, beschäftige ich mich nicht mit der Wahrheit, sondern mit den Möglichkeiten der Wahrheit. Solange es noch Geschichten gibt, so lange gibt es noch Möglichkeiten.» (Bichsel 1982, S. 11f.) Die gängige Didaktik zieht leider das «Erklären» dem «Erzählen» vor. Geschichten dienen so häufig nur dazu, Aufmerksamkeit zu wecken und ein günstiges Klima für anschließende Erklärungen zu schaffen, statt Lernende oder Teilnehmende zur eigenständigen Produktion von Geschichten anzuregen. Dabei lassen sich singuläre (d.h. individuelle und «unwissenschaftliche») Begegnungen mit etwelchen Inhalten oder Menschen durch erzählte Geschichten (Assoziationen, Erinnerungen, Analogien) beschreiben und vertiefen. Sowohl das Erzählen von eigenen Geschichten als auch das Zuhören bei Geschichten anderer Menschen eröffnet ungeahnte Zugänge. Die «regulären» Erklärungen erklären sich dann vielmals von selbst. Auch in Coachings sind durch Klient:innen erzählte Geschichten (während der Beratungsphase der sogenannten Exposition) die notwendige Basis für eine gemeinsame Diagnose und Problemdefinition. Metaphern sagen das Eine durch das Andere aus. Metaphern und Geschichten in Form von Gleichnissen, Mythen, Parabeln, Märchen und Fabeln ist gemeinsam, dass sie Ideen und Einstellungen nicht direkt, sondern in Form von Vergleichbarem thematisieren und über diesen «Umweg» Fantasien anregen und dadurch ungeahnte Schlussfolgerungen ermöglichen. Sie verfügen einerseits über die Kraft, Aufmerksamkeit zu erregen, und sind gleichzeitig in der Lage, die Vorstellungskraft an gewisse Inhalte zu binden. Der Unterschied zwischen einer Metapher und einer Geschichte ist, dass Geschichten meist umfangreicher sind und Metaphern nicht selten an einzelne Begriffe gebunden sind. Metaphern (altgriechisch «Übertragungen») erleichtern den Erzählfluss, weil sie eine Sache in den Begriffen einer anderen (eventuell unverfänglicheren) darstellen, wobei diese Verknüpfung ein neues Licht auf die beschriebene Sache wirft. Der eigentliche Ausdruck wird so durch etwas ersetzt, das deutlicher und anschaulicher ist. Metaphern sagen somit über einen bild- und symbolhaften Zugang sozusagen das Eine durch das Andere aus. Unsere Sprache ist gespickt mit metaphorischen Begriffen. Beispiele: «die Mauer des Schweigens», «die Nadel im Heuhaufen suchen», «jemandem das Herz brechen», «den Nagel auf den Kopf treffen», «der Zahn der Zeit nagt», «das Schneckentempo», «jemandem das Wasser reichen», «jemandem auf den Zahn fühlen», «die Warteschlange», «der Wink mit dem Zaunpfahl», «in hohem Bogen rausfliegen», «aus allen Wolken fallen» etc., etc. Teilweise sind die Begriffe schon so stark in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen, dass sie als «tote Metaphern» bezeichnet werden (z.B. «das Stuhlbein» oder «die Baumkrone»). Metaphern haben keine Bedeutung an sich, diese wird ihnen im jeweiligen Sinnkontext oder im Gespräch gegeben, sie müssen «übersetzt» und verstanden werden. Das zeigt sich vor allem als Schwierigkeit im Erlernen fremder Sprachen, aber auch bereits, wenn wir uns in einer neuen Organisationskultur orientieren müssen. Edgar Schein (2003) schreibt in diesem Kontext von sprachlichen Artefakten, die zur spezifischen Organisationskultur gehören und in denen sich grundlegende Annahmen spiegeln. Weshalb Metaphern in der Bildungsarbeit?
Sprache lässt sich generell als ein zentrales Medium für Wirklichkeitskonstruktion begreifen. Die jeweils benutzte Metaphorik wird nicht zufällig verwendet, sondern ist durch konsistente und kohärente Denk-, Wahrnehmungs- und Handlungsmuster geleitet (vgl. Lakoff und Johnson 2018). So könnte man über eine Metaphernanalyse das Verständnis über ein System erhöhen, um die jeweilige Kultur besser zu verstehen. Im Kontext der Bildungsarbeit geht es jedoch viel eher darum, mit einer gezielten Metaphernarbeit die Möglichkeit zu eröffnen, kollektives und implizites Wissen einer Organisation transparent zu machen, Tabuzonen zu umgehen, näher an den Kern von Identität zu kommen.   Durch die gezielte Arbeit mit Metaphern lassen sich … Problemmuster in einer bisher wenig erwartbaren und nicht üblichen Form beschreibbar machen und so schwierige Themen enttabuisieren; Muster unterbrechen oder solche anreichern; zieldienliche Entwicklungen auf unwillkürlicher Ebene anregen. Das möchte ich anhand eines Beispiels erklären. Die Schiffsmetapher: Von Schiffbrüchen und überlebenden Seebären
Schiffsmetaphern werden unweigerlich mit Schiffbrüchen in Zusammenhang gebracht. Schiffbruch erleiden meint damit im eigentlichen Sinne «Scheitern». «Scheitern» existiert in der deutschen Sprache vor allem als Verb, es bezeichnet einen Vorgang, einen Prozess; französisch würde das Scheitern wohl mit «le naufrage» übersetzt. Scheitern als Substantiv bedeutet Zerschlagenes, in Stücke Zerfallenes (althochdeutsch Scheit: scit) und gilt seit der griechischen Antike als eine geradezu unumgängliche Konsequenz der Seefahrt, welche sozusagen als riskante, fast blasphemische Grenzüberschreitung galt. Das Wagnis der Seefahrt wird beschrieben von der Odyssee bis zu Sindbad, dem Seefahrer, Moby Dick oder Robinson Crusoe: ungeahnte Strömungen, seichte Stellen, aus den Augen verlorene Zielorientierung, aufgrund sich verändernder Wetterlage notwendige Kurswechsel, und plötzlich: Ein Schiffsbug löst sich an einem Riff, an einem Felsen zerschellend in Holzscheite auf. Gescheitert war so jeweils nicht zuletzt meist auch ein Handelsgeschäft, zerschellt waren gehegte Hoffnungen, ungezügelte Leidenschaften, technische Allmachtsfantasien (Titanic) oder auch nur ein überzogener Businessplan – oder gar die Liebe? Goethe beschrieb in seinem Torquato Tasso die vergebliche, abgewiesene Liebe mittels der Schiffbruchmetapher: «Zerbrochen tost das Steuer, und es kracht das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt der Boden unter meinen Füssen auf! Ich fasse Dich mit beiden Armen an! So klammert sich der Schiffer endlich noch am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.» (Goethe [1790] 1968, S. 16) Der Schiffbruch ist wohl die stärkste Metapher für das Phänomen des Scheiterns: Es wird beispielsweise Schiffbruch erlitten, untergegangen, gekentert, auf Grund gesetzt, in den Strudel geraten und gestrandet. Man kann in der Neuzeit auch aus der Bahn geworfen werden und entgleisen. Mit den ersten Luftschiffen erweiterte sich die Symbolik um Bruchlandungen und Abstürze und, eine ganze Airline betreffend, um das Grounding. Im Computerzeitalter wird ebenfalls abgestürzt, zudem aber heruntergefahren, Stand-by eingerichtet oder aber eingefroren. Blumenberg (2011) beschäftigt sich in seinem 1979 erstmals erschienenen Essay mit der Paradoxie, dass seit der Antike ausgerechnet vor allem Landbewohner:innen Wörter aus der Seefahrt verwenden, um gerade einschneidende Ereignisse aus privatem und öffentlichem Leben zu beschreiben und diese zu verstehen. Offensichtlich scheint die Schiffsmetapher geeignet zu sein, gewissen Phänomenen eine Sprache zu geben. Der metaphorische Begriffsgebrauch aus der Welt des (Un-)Wetters auf See begegnet uns auch in den anonymisierten Schilderungen von interviewten Führungskräften aus dem Bildungsbereich (Thomann 2008), welche von Vorboten, Begleiterscheinungen oder Erfahrungen ihres persönlichen Scheiterns im Führungsalltag berichten: «… Und da steuerst du manchmal, steuerst und gestaltest und manchmal bist du aber auch getrieben.» «Also ist die Chance groß, dass du nicht mehr aus dem Strudel herauskommst und kenterst.» «… du dann in eine Gesetzesmäßigkeit hineinkommst, wo du ein Teil von diesem Spiel bist und wo dann die Vorstellung vom Käpt’n auf dem Deck oben sehr eine relative ist.» Interessanterweise hat der Schiffbruch – wenn man ihn denn überlebt – auch etwas Befreiendes, Kathartisches. Ein Gedicht von Ungaretti (1961, S. 66, orig. 1917) nimmt den schöpferisch-poetischen Akt des Schiffbruchs und der Kraft danach auf: Freude der Schiffbrüche «Und plötzlich nimmst du die Fahrt wieder auf wie nach dem Schiffbruch ein überlebender Seebär» (Übersetzung von Ingeborg Bachmann, Ungaretti 1961, S. 67[3]) Hochtechnisierte Tanker und Arche Noah – Beispiele für die Arbeit mit Metaphern in Bildungsorganisationen
Erstes Beispiel: Führungsstruktur einer Hochschule
Im Rahmen eines Begleitprojektes «Neue...


Thomann, Geri
Geri Thomann ist ausgebildeter Primarlehrer und Heilpädagoge, promovierter Bildungswissenschaftler und diplomierter Coach und Organisationsberater. Er arbeitete von 1983 bis 1993 als Schulischer Heilpädagoge im Rahmen eines Schulversuchsprojekts an der Schule Urdorf ZH, danach über 10 Jahre als Ausbildungsleiter und Leiter Weiterbildung und Dienstleistungen an der aeB Akademie für Erwachsenenbildung in Luzern. Nach einigen Jahren als Geschäftsleitungsmitglied der Schweizerischen Weiterbildungszentrale WBZ gründete er seine Firma bbe bildung|beratung|entwicklung, über die er bis jetzt Beratungsaufträge abwickelt. Von 2007 bis 2024 war er Lehrbeauftragter für Beratungsthemen an der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW.2009 gründete Geri Thomann an der Pädagogischen Hochschule Zürich das Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung, das er – später als gewachsene Abteilung – bis zu seiner Emeritierung 2022 leitete.2012 wurde ihm die Professur für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der Zürcher Fachhochschule verliehen.Seit 25 Jahren publiziert Geri Thomann – hauptsächlich im hep Verlag – zu Weiterbildungs- und Beratungsthemen wie «produktives Scheitern», «Lateral führen», «Zwischen Beraten und Dozieren», «Improvisieren» und «Grenzmanagement».Als Absolvent der Jazzschule Luzern veröffentlichte er zudem einige Tonträger, zum Beispiel den «Bretonischen Morgen» bei Unit Records.Kontakt:www.bbe.chgeri.thomann@bbe.ch

Geri Thomann ist ausgebildeter Primarlehrer und Heilpädagoge, promovierter Bildungswissenschaftler und diplomierter Coach und Organisationsberater. Er arbeitete von 1983 bis 1993 als Schulischer Heilpädagoge im Rahmen eines Schulversuchsprojekts an der Schule Urdorf ZH, danach über 10 Jahre als Ausbildungsleiter und Leiter Weiterbildung und Dienstleistungen an der aeB Akademie für Erwachsenenbildung in Luzern. Nach einigen Jahren als Geschäftsleitungsmitglied der Schweizerischen Weiterbildungszentrale WBZ gründete er seine Firma bbe bildung|beratung|entwicklung, über die er bis jetzt Beratungsaufträge abwickelt. Von 2007 bis 2024 war er Lehrbeauftragter für Beratungsthemen an der Hochschule für Angewandte Psychologie der FHNW.2009 gründete Geri Thomann an der Pädagogischen Hochschule Zürich das Zentrum für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung, das er – später als gewachsene Abteilung – bis zu seiner Emeritierung 2022 leitete.2012 wurde ihm die Professur für Hochschuldidaktik und Erwachsenenbildung der Zürcher Fachhochschule verliehen.Seit 25 Jahren publiziert Geri Thomann – hauptsächlich im hep Verlag – zu Weiterbildungs- und Beratungsthemen wie «produktives Scheitern», «Lateral führen», «Zwischen Beraten und Dozieren», «Improvisieren» und «Grenzmanagement».Als Absolvent der Jazzschule Luzern veröffentlichte er zudem einige Tonträger, zum Beispiel den «Bretonischen Morgen» bei Unit Records.Kontakt:www.bbe.chgeri.thomann@bbe.ch



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