E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Thielke Wir haben Sie leider nicht angetroffen
11001. Auflage 2011
ISBN: 978-3-8437-0055-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Überleben mit der Deutschen Post
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-0055-9
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Hans-Hermann Thielke ist regelmäßiger Gast im Quatsch Comedy Club und Nightwash und bekannt aus zahlreichen TV-Auftritten u.a. bei Verstehen Sie Spaß?, Ottis Schlachthof, Vorsicht Kamera und Wetten dass ?? Mit seinem Bühnenprogramm Es gibt ein Leben nach der Post ist er ganzjährig durch Deutschland auf Tour.
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Schöne neue Postwelt
Wer sich traut, verschickt im Internet
Seit ich nicht mehr aktiv dem Postwesen angehöre, hat sich in meinem Tagesablauf schlagartig einiges verändert. Natürlich nicht alles, das ist klar, das wäre zu viel des Guten. Man wirft ja nicht alles von heute auf morgen auf einen Haufen, nur weil die Armbanduhr inzwischen etwas langsamer geht. Z. B. stehe ich nach wie vor jeden Morgen um 6.15 Uhr auf. Das lasse ich mir nicht nehmen. Jeden Morgen von montags bis freitags. Frühstücken tue ich auch immer noch um halb neun, zeitgleich mit meinen früheren Kollegen in der Postkantine. Fünfunddreißig Jahre habe ich das schon so gemacht, und mein Darm hat sich, genau wie ich selbst, an diese festen Mahlzeiten gewöhnt. Ich glaube, neue Essenszeiten wären für uns beide im Moment nur sehr schwer verdaulich.
Was sich verändert hat seit meinem Dienstschluss, das ist mein Einkaufsverhalten. Einkaufen tue ich jetzt nämlich immer schon morgens und nicht wie früher erst spät nach Feierabend. Zwar immer noch bei meinem Rewe um die Ecke, aber eben viel früher als früher, gleich nach Sonnenaufgang, wenn der Tag noch jung und die Regale noch voll sind.
Dabei lasse ich mir jetzt aber immer viel mehr Zeit als in meiner Zeit vor dem Ruhestand. So zwei bis drei Stunden brauche ich immer, bis ich mit allem durch bin. In aller Seelenruhe schlendere ich dann durch die Gänge, vergleiche aktuelle Preise, kontrolliere im Frischeregal die Verfalldaten, sortiere angegammelte Tomaten aus und erkläre älteren Damen am Flaschenautomaten, wie sie möglichst schnell an ihr Bargeld kommen. Jeden Morgen mache ich das alles, und viele Kunden glauben, dass ich zu dem Laden dazugehöre. Jeden Tag fallen mir tausend neue Sachen ein, die man am Markt verbessern könnte. Z. B. ist die Radaufhängung bei vielen Einkaufswagen oft fehlerhaft, oder die Perforierung bei den Abreißtüten in der Obst-und Gemüseabteilung ist immer noch nicht voll ausgereift, viele Tüten sind nach dem Abriss von beiden Seiten sperrangelweit offen. Das spreche ich dann schonungslos mit dem Marktleiter durch, und der ist immer sehr dankbar für meine Anregungen.
Man muss sich in der freien Wirtschaft heutzutage einfach immer weiter verbessern, wenn man sich am Markt durchsetzen will. Stillstand ist Rückschritt! Das ist auch eine alte Postweisheit.
Solange ich zurückdenken kann, hat sich die Post nämlich auch immer wieder erneuert und verbessert. Das war schon immer so. Auf allen Gebieten. Von der Briefmarkengestaltung bis hin zur Weiterentwicklung der Dienstfahrräder wurde gefeilt, getüftelt und geschraubt, bis wir auf dem allerneuesten Stand angekommen waren.
Man muss sich täglich wieder neu erfinden. Und das haben wir gemacht in all den Jahren bei der Post. Erfunden haben wir wirklich ’ne ganze Menge.
Z. B. die Dienstbekleidung der Zusteller. In den fünfziger Jahren waren das noch richtige Uniformen. Mit Dienstgrad auf der Schulterklappe und Hand an der Hosennaht. In den siebziger Jahren dann wurde die Bügelfalte ausrangiert, und wir bekamen die berühmte Schlaghose zum Tragen. Allerdings nicht lange, denn die Hose hatte deutliche Schwächen in der Vorwärtsbewegung. Fürs Gehen war die einfach nicht gemacht.
In den achtziger Jahren dann trugen weibliche Postzustellerinnen die modischen gelben Ballonröcke, und heute ist die Post in Modefragen zum echten Trendsetter geworden, wo sich mancher Modemacher gern mal eine Scheibe abschneiden kann.
Uns Postmitarbeitern haben all diese Weiterentwicklungen immer viel Freude gemacht.
Aber dann kam es richtig dicke für uns. Seit Anfang der neunziger Jahre gab es nämlich einen regelrechten Boom im Elektrobereich, der bis zum heutigen Tage noch nicht vollständig abgeklungen ist. Plötzlich wurde das ganze Land mit nagelneuer Elektrotechnik überschwemmt. Fotoapparate brauchten über Nacht keine Filme mehr, kein Mensch ging mehr in Telefonzellen, um sich auszusprechen, Schreibmaschinen wurden reihenweise arbeitslos, und das dazugehörige Tipp-Ex stand seit Mitte der neunziger Jahre wie Blei in den Verkaufsregalen rum. Spätestens zur Jahrtausendwende war es dann selbst dem Letzten klargeworden: Irgendwas hatte sich verändert in Deutschland. Und zwar grundlegend. Mit dieser neuen Elektrotechnik waren plötzlich Dinge möglich, an die man noch Jahre zuvor nicht mal in seinen digitalsten Träumen gedacht hätte.
Und auf diesen neuen Trend ist die Post sofort aufgesprungen. Fast alle Dienstbereiche wurden von Grund auf an den Zahn der Zeit angepasst.
Z. B. der neue E-Postbrief. Der wurde im Jahre 2010 erfunden. Für mich persönlich zu spät. Ich habe ihn knapp verpasst. Bei seiner Einführung war ich nämlich schon zwei Jahre außer Dienst, daher kenne ich ihn nur noch vom Hörensagen.
Den E-Postbrief muss man sich wie einen herkömmlichen Brief vorstellen, nur ohne Papier und Briefmarken. Papier spielt in der heutigen Kommunikationselektronik sowieso keine große Rolle mehr. Der E-Postbrief braucht auch keinen Zusteller und keinen Briefkasten. Alles machen die Computer unter sich selbst aus. Aber ein paar Dinge muss man schon noch beachten, bevor es mit dem Schriftverkehr so richtig losgehen kann. Als Erstes müssen Sie sich z. B. anmelden. Das ist das Wichtigste. Genau so, wie Sie sich als neues Mitglied in einem Sportverein anmelden müssen, so geht auch hier nichts ohne gültiges Formular.
Auf Ihr Anmeldungsgesuch hin wird Ihnen dann von der Post ein 16-stelliger Registrierungscode zugeschickt. Aber nicht jetzt schon als E-Postbrief, sondern noch ganz herkömmlich im fensterlosen Umschlag. Der Code ist sozusagen Ihre neue Identität im Netz. Den sollten Sie am besten sofort auswendig lernen, damit Sie ihn auf Verlangen jederzeit parat haben. Dann kommen nur noch ein paar einfache Passwörter, Verschlüsselungen und persönliche Daten dazu, die Sie auf Lager haben müssen, ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis, und dann ist es auch schon so weit. Mit diesem gesamten Bewerbungspaket gehen Sie in eine Postfiliale in Ihrer Nähe und melden sich an. Direkt am Schalter. So wie früher. Von Mensch zu Mensch. Wichtig: Gültigen Personalausweis nicht vergessen! Sonst war alles umsonst.
Ein E-Postbrief kostet nicht mehr als ein herkömmlicher Papierbrief. 55 Cent nämlich nur. Ohne Extras. Da ist alles beim alten geblieben. Und noch ein Vorteil: Der E-Postbrief kann nicht verknicken, zerreißen oder im Regenschauer plötzlich nass und dadurch unkenntlich gemacht werden. Die Glasfaserkabel, die Ihren E-Postbrief transportieren, die liegen nämlich alle warm und trocken tief unter der Erde.
Es gibt aber auch heute immer noch Menschen, die nur ungern längere Zeit vor ihrem Bildschirm verbringen. Man findet sie zwar inzwischen genauso selten wie Stecknadeln, aber es gibt sie noch. Vielleicht setzen sie sich nicht so gern vor den Computer, weil sie das Flimmern nervös macht, oder sie haben Angst um ihre Gesundheit, wegen dem Elektrosmog, der von diesen Geräten ungefiltert in ihr Wohnzimmer geblasen wird. Solche Menschen lesen einfach lieber schwarz auf weiß direkt vom Papier ab, was ihnen geschrieben worden ist. Die würden sich auch nie freiwillig ein E-Buch kaufen. Sie bleiben aus Tradition lieber beim alten verstaubten Papierbuch und haben keine Angst, sich beim Umblättern die Finger schmutzig zu machen.
Auch an diese Menschen hat die Post natürlich gedacht. Die können sich ihren E-Postbrief nämlich von der Post ausdrucken und vom Zusteller direkt ins Haus bringen lassen. Persönlich und unverbindlich, so wie früher und wie es sich seit Jahrtausenden bewährt hat. So bleiben sie am Puls der Zeit, müssen aber nicht auf liebgewonnene Gewohnheiten verzichten.
Ganz ähnlich wie beim E-Brief verhält es sich auch bei der neuen Online-Frankierung. Auch hierbei müssen Sie nicht mehr unnötig aus dem Haus. Kein Warten mehr, kein längerer Aufenthalt in hartnäckigen Warteschlangen. Sie bleiben einfach gemütlich in Ihren eigenen vier Wänden, trinken mit der einen Hand eine Tasse Kaffee, und mit der anderen schalten Sie Ihren Computer ein. Und schon geht’s los! Das ganze läuft genauso ab wie das Home-Banking, wo Sie ja Ihre Geldscheine auch selbst ausdrucken können. Genauso drucken Sie beim Online-Frankieren Ihre Briefmarken aus. Bequem und entspannt zugleich. Dabei können Sie sich die schönsten Motive aus aller Welt in aller Ruhe aussuchen. Sie sitzen im Trockenen, und Ihr Computer erledigt alles Weitere. Bezahlen können Sie dann später bargeldlos, per Abbuchung, Kreditkarte oder Überweisung. Oder Sie bringen es einfach direkt in bar bei der Post vorbei. Das ist natürlich nach wie vor immer noch der sicherste Weg.
Eine moderne Sendungsverfolgung läuft heutzutage auch überwiegend im Netz ab. Also online, im Internet, wo sich das eigentliche Leben mehr und mehr abspielt. Der große Vorteil dabei ist: Das Internet vergisst nie etwas. Niemals. Und diesen Fortschritt hat sich die Post heute zunutze gemacht. Als wir zu meiner Zeit noch Sendungsverfolgungen praktiziert haben, mussten wir tagelang Hunderte Kilometer mit dem Auto hinter irgendwelchen verschwundenen Päckchen herfahren. Über staubige Landstraßen und durch verschneite Winterlandschaften. Wir haben Passanten befragt, Zusteller observiert und verdächtige Nachbarn verhört, so lange, bis wir das Päckchen sichergestellt hatten oder es ein...