Theurillat | Wetterschmöcker | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

Theurillat Wetterschmöcker

Kriminalroman
16001. Auflage 2016
ISBN: 978-3-8437-1176-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 352 Seiten

Reihe: Ullstein eBooks

ISBN: 978-3-8437-1176-0
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Auf einem entlegenen Waldstück an der Sihl wird eine Tote entdeckt. Der Leichnam wurde verbrannt, nach indianischem Ritual. Spuren von Edelweiß werden gefunden. Kommissar Eschenbach steht vor einem Rätsel. Seine Ermittlungen führen ihn nach Zug zu einem weltweit operierenden Wirtschaftsunternehmen, das mit Rohstoffen handelt, und nach Muotathal, einem der abgeschiedensten Flecken der Schweiz. Welches Geheimnis verbindet die beiden Orte?

Michael Theurillat, geboren 1961 in Basel, studierte Wirtschaftswissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichte und arbeitete jahrelang erfolgreich im Bankgeschäft. Die Romane mit Kommissar Eschenbach sind eine der beliebtesten Krimiserien der Schweiz. 2012 wurde Rütlischwur mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Michael Theurillat lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich.
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Kapitel 2

Kommissario!

Kommissario!«

Es war nicht zum Aushalten.

Kommissario! – Kommissario! – Kommissario! So ging das schon den ganzen Morgen. Nein, länger! Seit Anfang der Woche, ein einziges Theater.

»Kommissario!«

Gleich am ersten Arbeitstag im neuen Jahr hatte es angefangen. Ein Zweipersonenstück, bestehend aus einem einzigen Akt.

Der Ort des Geschehens: ein Kommissariat in Zürich; die beiden Personen: ein Kommissar und seine Sekretärin. Die Handlung war derart simpel, dass der Verdacht aufkommen musste, sie wäre von einem jener Klamaukstücke abgekupfert, die regelmäßig von Laienbühnen (vorzugsweise in ländlichen Gegenden) gespielt wurden.

Ein Kommissar muss unter Zeitdruck eine knifflige Denksportaufgabe lösen, während seine Sekretärin, die brennend an der Lösung der Aufgabe interessiert ist, ihn andauernd dabei stört. Untermalt von ihren unheilvollen »Kommissario!«-Rufen, gipfelt das Ganze im Wahnsinn. Der Kommissar weigert sich, die Aufgabe weiter zu bearbeiten, und zerreißt den Papierbogen in tausend Stücke. In der darauffolgenden Schlussszene kommt es zur Katharsis (nach dem Muster antiker Tragödien): Die Darsteller werfen die Papierschnipsel in die Luft, und mit Hilfe eines für die Zuschauer unsichtbaren Gebläses wirbeln die kleinen Fetzen minutenlang umher. Auf der Bühne sieht es aus, als schneite es. Am Ende, wenn alles von kleinen weißen Flocken bedeckt ist, herrscht absolute Ruhe.

»Kommissario?!«

»Ruhe!«, brüllte Eschenbach und zuckte zusammen. Er hatte sich selbst erschreckt, wie ein kleines Kind, das im Dunkeln »Hu!« macht. Was war nur mit ihm los? Er saß da und schüttelte den Kopf. Seine Tochter Kathrin kam ihm in den Sinn. Sie studierte Psychologie im zweiten Semester. Und wenn sie sich trafen, zum Essen oder auch mal zwischendurch auf einen Kaffee, war sie nicht mehr zu bremsen, wenn sie einmal angefangen hatte, darüber zu referieren, wie sehr der Mensch durch sein Unterbewusstsein gesteuert werde.

Es musste also sein Unterbewusstsein gewesen sein, das sich so impulsiv gemeldet hatte. Vermutlich stand es noch immer auf der Bühne und wollte die Ruhe genießen, die Ruhe am Ende eines schwierigen Stückes, kurz bevor der Applaus einsetzt.

»Um Gottes willen! Alles in Ordnung?« Rosa Mazzoleni stand in der Tür, in einem dunkelblauen Kaschmirkleid, und schaute ihren Chef irritiert an.

»Kommen Sie bitte herein, und setzen Sie sich«, murmelte der Kommissar.

»Ich störe ja doch nur.«

»Nein, Sie stören nie.«

»Bestimmt.«

»Keineswegs, Frau Mazzoleni.« Eschenbach fragte sich, ob dies der Auftakt zu einer neuen Szene war.

»Es ist immer dasselbe«, sagte Rosa in ruhigem Ton. Langsam ging sie zu Eschenbachs Schreibtisch, setzte sich auf den Stuhl ihm gegenüber und schlug die Beine übereinander. »Am ersten Dezember fängt es jeweils an … Dann bekommen wir die Fragebögen.«

»Ich weiß«, kam es etwas kleinlaut von Eschenbach.

»Genau, Sie wissen das. Es ist wie Weihnachten … man kann es sich gut merken. Nur dass es nicht der vierundzwanzigste, sondern der erste Dezember ist. Nichts Überraschendes.«

»Keineswegs.«

»Eben. Und ich streiche Ihnen das Datum in Ihrem Kalender immer rot an.«

»Lila«, sagte der Kommissar leise. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Rosa hatte die Angewohnheit, die Farben ihrer Stifte je nach Laune zu wechseln.

»Oder grün«, sagte sie.

»Vielleicht auch ocker.«

»Sehen Sie«, meinte Rosa mit einem tiefen Seufzer. »Sie nehmen mich überhaupt nicht mehr ernst. Vielleicht ist das ja auch kein Wunder, nach so vielen Jahren.«

»Über zwanzig.«

»Vierundzwanzig Jahre«, sagte Rosa. »Und am ersten März sind es fünfundzwanzig. Ein Vierteljahrhundert.«

»Eben.« Eschenbach notierte sich das Datum.

»Und dann ist es wie bei einem alten Ehepaar … man ist einfach da. Aber so richtig schätzen tut man sich nicht mehr. Da sehnt man sich nach etwas Neuem.« Rosa zupfte an ihrer Frisur: eine dunkle Lockenpracht, die sie mit kleinen, bunten Haarspangen kunstvoll hochgesteckt hatte.

»Das ist blanker Unfug, Frau Mazzoleni … absoluter Blödsinn!« Der Kommissar, der nun kerzengerade auf seinem Stuhl saß, deutete auf den Fragebogen vor sich. »Ich arbeite daran«, sagte er. »Und ich lese Ihnen jetzt einmal ein paar Sätze vor aus diesem Werk, das, wie Sie richtig bemerkt haben, schon seit dem ersten Dezember bei mir auf dem Schreibtisch liegt.«

»Wir hätten es am Fünfzehnten an die Personalabteilung weiterleiten sollen.«

»Heute ist erst der Elfte.«

»Aber die meinten Dezember, nicht Januar!«, sagte Rosa mit vorwurfsvollem Blick. »Und ein Mitarbeitergespräch haben wir auch noch nicht geführt.«

»Dann führen wir es eben jetzt!« Der Kommissar betrachtete nachdenklich die Kreuze, die er an verschiedenen Stellen mit Bleistift gemacht hatte. »Nehmen wir einmal die erste Frage.« Er las sie laut vor:

»Der/die MitarbeiterIn erreicht die vorgegebenen Ziele.

Sehen Sie, Frau Mazzoleni … Das ist nicht mal eine Frage, sondern nur eine Scheißtabelle, wo man Kreuze machen muss. Ein Kreuz bei NIE, SELTEN, OFT oder IMMER. Und so geht es weiter … zum Beispiel in der Rubrik Motivation. Da steht:

Dem/der MitarbeiterIn fällt es leicht, andere für eine Idee zu begeistern.

Oder noch besser:

Der/die MitarbeiterIn setzt sich auch dann ein, wenn es nicht seinen/ihren Aufgabenbereich betrifft.

Wieder ein Kreuz bei NIE, SELTEN, OFT oder IMMER.

Insgesamt fünf Rubriken mit je sieben superschlauen Sätzen. Und da fragen Sie mich, warum ich mich nicht gleich darauf stürze und die Sache bis zum Fünfzehnten erledigt habe.«

Rosa zog die Schultern hoch, um sie gleich darauf wieder sinken zu lassen. »Und jetzt?«, fragte sie.

»Jetzt gebe ich Ihnen Ihren Bogen.« Zur großen Überraschung seiner Assistentin zog der Kommissar die Unterlagen aus der Schublade und überreichte sie ihr. »Alles fixfertig angekreuzt, Frau Mazzoleni. Sie können es sich in Ruhe ansehen …« Eschenbach lächelte. »Und wenn Sie damit einverstanden sind, dann machen Sie bei EINVERSTANDEN ein Kreuz, setzen das Datum darunter und unterschreiben es.«

Rosa begann den mehrseitigen Fragebogen, der mit Mitarbeiterbeurteilung überschrieben war, zu überfliegen. Nach einer Weile errötete sie. »Sie haben die Kreuze immer …«

»Ja, immer bei IMMER«, unterbrach Eschenbach sie.

»Aber …«

»Nichts aber«, grummelte der Kommissar.

»Es ist wie im letzten Jahr, da war es auch schon so.«

»Genau. Und im vorletzten und vorvorletzten auch«, ergänzte Eschenbach. »Eigentlich immer. Immer IMMER, Frau Mazzoleni.«

»Pah«, machte Rosa. Und langsam, während sie die Seiten studierte, verschwand die Röte aus ihrem hellgepuderten Gesicht. »Aber so ganz seriös ist das ja nicht, oder?«

»Nein, ist es nicht.«

»Ma che cosa fa?«

Es war eine Eigenart von Rosa, ins Italienische zu wechseln, wenn die Sache, über die sie gerade nachdachte, ernst zu sein schien. Eine erstaunliche Eigenart, da sie schon als Vierjährige in die Schweiz gekommen war. Aber Rosa war ein Phänomen. Als Arbeiterkind hatte sie ihre Kindheit in Zürich verbracht und später am Gymnasium mit Bestnoten ihre Matura gemacht. Die Stelle bei Eschenbach im Sekretariat hatte sie damals nur angenommen, um etwas Geld zu verdienen. Denn eigentlich hatte sie Romanistik studieren und später Lehrerin werden wollen.

»Che cosa fa?« Mit der Gestik eines italienischen Lokalpolitikers wiederholte Eschenbach Rosas Frage. Auch wenn seine Italienischkenntnisse äußerst bescheiden waren, mochte der Kommissar die Intermezzi mit Rosa, die gelegentlich in der dritten Schweizer Landessprache ausgetragen wurden. »Wir geben das jetzt der Personalabteilung«, sagte er. »Dort tippen sie die Kreuze in den Computer, und das Sistema Automatica, wie Sie es nennen, vergleicht die Ergebnisse mit denen von Hunderten anderen Angestellten des Kantons.«

»Es heißt Sistema Automatico.« Rosa zupfte an ihrem Kleid, als wollte sie einen unsichtbaren Fussel entfernen. »Sistema ist eines der italienischen Wörter mit der Endung -a, die männlich sind.«

»Und dann …«, sagte Eschenbach, der den Faden nicht verlieren wollte, »also spätestens dann wird mich jemand aus der Personalabteilung anrufen und mir weismachen wollen, dass es so jemanden wie Sie gar nicht gibt.«

Rosa lachte verlegen.

Eschenbach zog eine weitere Mappe aus der Schublade. »Weil nämlich niemand bei diesem Fragebogen alle Kreuze bei IMMER haben könne. Das sei unmöglich, wird man mir erklären. Und man wird mich aufs Neue belehren, dass es bei dieser Ankreuzerei vor allem um die Entwicklung der Mitarbeiter geht …«

»Aber es steht Mitarbeiterbeurteilung drauf«, bemerkte Rosa.

»Genau, und darum ist es eine Falle! Ich werde auf jedem dieser Kreuze beharren, als wären sie in Stein gemeißelt.« Eschenbach grinste und deutete auf die Mappe, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag. »Und weil es jedes Jahr immer dasselbe endlos lange...


Theurillat, Michael
Michael Theurillat, geboren 1961 in Basel, studierte Wirtschaftswissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichte und arbeitete jahrelang erfolgreich im Bankgeschäft. Die Romane mit Kommissar Eschenbach sind eine der beliebtesten Krimiserien der Schweiz. 2012 wurde Rütlischwur mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Michael Theurillat lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich.

Michael Theurillat, geboren 1961 in Basel, studierte Wirtschaftswissenschaften, Kunstgeschichte und Geschichte und arbeitete jahrelang erfolgreich im Bankgeschäft. Die Romane mit Kommissar Eschenbach sind die beliebteste Krimiserie der Schweiz. 2012 wurde "Rütlischwur" mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Michael Theurillat lebt mit seiner Familie in der Nähe von Zürich.



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