Thein | Habermas und die Genealogie nachmetaphysischen Denkens | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 322 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

Thein Habermas und die Genealogie nachmetaphysischen Denkens


unverändertes eBook der 1. Auflage von 2024
ISBN: 978-3-7873-4641-7
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 322 Seiten

Reihe: Blaue Reihe

ISBN: 978-3-7873-4641-7
Verlag: Felix Meiner
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Bis in die Gegenwart wird das Werk von Jürgen Habermas in philosophischen Kontexten vor allem durch die Brille von dessen Kommunikations- und Diskurstheorie aus den 1980er und 1990er Jahren gelesen. Christian Thein lenkt in diesem Buch die Aufmerksamkeit auf eine Bruchlinie, die jene mittlere Werkphase von der späten trennt und auf neue Motivlagen des von Habermas als ›nachmetaphysische Denkform‹ bezeichneten philosophischen Selbstverständnisses hindeutet.
Diese veränderten Weichenstellungen kulminieren, so zeigt die textgenaue Darstellung von entscheidenden werkbiografischen Entwicklungsschritten, in dem Spätwerk 'Auch eine Geschichte der Philosophie'. Thein kritisiert die bisher vorgelegten Rezeptionslinien der von Habermas unternommenen genealogischen Rekonstruktion eines historischen ›Diskurses über Glauben und Wissen‹ und konzentriert sich hierbei auf die neuzeitliche Philosophiegeschichte. Zugleich arbeitet er Problemstellungen heraus, die die Situierung des Projektes in aktuellen Debatten der kritischen Philosophie betreffen.
Die Monografie kann damit sowohl als Debattenbeitrag als auch als eine kritische Einführung in die Philosophie von Jürgen Habermas gelesen werden.

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1.Der philosophische Diskurs der Moderne


Die frühen 1980er Jahre stellen in der Biografie und auch mit Blick auf die Werkgeschichte »wichtige« Wegmarken in der »Wissenschaftskarriere von Jürgen Habermas« dar, wie auch sein Biograf Stefan Müller-Doohm hervorhebt.1 Die Umbruchszeit war zum einen mit großen institutionellen Veränderungen des Forschungsund Lehrhintergrundes verbunden. So kündigte Habermas bereits im Januar 1981 seinen Rücktritt von der von ihm seit zehn Jahren besetzten Position als Direktor des Münchener Max-Planck-Instituts zur ›Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt‹ an. Zwei Rufe aus Berkeley und Yale lehnte er ab, um 1983 an die Frankfurter Goethe-Universität auf einen Lehrstuhl für Philosophie zurückzukehren, den er bis zu seiner Emeritierung 1994 innehatte. Müller-Doohm beschreibt diesen Schritt als einen aus dem von Habermas selbst als »Elfenbeinturm« bezeichneten Forschungskosmos2 in eine Phase nicht nur des universitätsangebundenen wissenschaftlichen, sondern auch des in noch stärkerem Maße als zuvor öffentlichen Engagements.3

Interessant ist, dass und wie Habermas selbst im Rückblick auf die Verbindungslinien zwischen seiner wissenschaftlichen Arbeit und dem intensiven Eintritt in die öffentliche Debattenlage hinweist. Die wissenschaftliche Arbeit war insbesondere mit dem Entstehungsprozess der von ihm selbst als »Monstrum«4 bezeichneten verbunden, die nach zehnjähriger Schaffenszeit 1981 im Suhrkamp-Verlag in zwei Bänden veröffentlicht wurde. Verschiedene öffentlich geführte Debatten wiederum drehten sich um politische Einschätzungen der Ursachen und Folgen der Geschehnisse der späten 1970er Jahre in der Bundesrepublik zwischen Protestbewegungen, Terrorismus und Neokonservativismus. Habermas selbst gibt das Ende des Jahres 1977 als Umbruchsjahr an. In diesem hatte er sich den Einlassungen zufolge nicht nur »endlich hingesetzt und die Sache ernsthaft angepackt« – gemeint war die Fertigstellung seines Buches über die angestrebte Entwicklung einer gesellschaftskritisch orientierten »Theorie der Rationalisierung«.5 Er verweist auch auf seine erstmalige Kenntnisnahme und ernsthafte Auseinandersetzung mit den neuen konservativen und spätliberalen Ideologien zur damaligen Zeit, die in den Folgejahren dann zum Fluchtpunkt seiner nicht nur politischen, sondern auch philosophischen Kritik geworden sind: »Ich versuchte mir den in diesen Überlegungen implizierten Begriff von Moderne, und einer Verabschiedung radikaler Demokratie und Aufklärung, der Ideen, die die Bundesrepublik schließlich getragen haben, klarzumachen. Das war die eine Seite. Die andere Seite war, daß ich zum ersten Mal die Bedeutung der neuen Protestpotentiale, neuer Bewegungen, zu denen ich von Haus aus kein Verhältnis hatte, etwas besser zu verstehen glaubte. Wenn sie diese beiden politischen Phänomene zusammennehmen, werden Sie vielleicht verstehen, daß sich damals in meinem Kopf das Interpretationsschema gebildet hat, das vielleicht nicht dem ganzen Buch, aber dem, was ich dort in der Schlußbetrachtung entwickele, die Richtung gewiesen hat.«6

Diese den zweiten Band der abschließenden Schlussbetrachtungen spannen einen Bogen von der Theorie der Moderne hin zu den Aufgaben und normativen Grundlagen einer kritischen Gesellschaftstheorie.7 Die erstgenannte Thematik bestimmte so auch Habermas’ Auseinandersetzungen mit sowohl dem neuen Konservativismus als auch den mit dem Sammelbegriff der ›Postmoderne‹ bezeichneten kulturellen und philosophischen Strömungen. Als wichtigstes frühes Dokument dieser Interventionen gilt die Rede, die Habermas am 11. September 1980 in der Frankfurter Paulskirche zur Verleihung des Adorno-Preises unter dem Titel gehalten hat. In dieser extrapolierte Habermas zum einen die aporetische Konstellation der Moderne und kritisierte zum anderen die fehlerhaften Ursachenbestimmungen und Schlussfolgerungen, die jene modernekritischen Strömungen aus den Fehlentwicklungen ihm zufolge gezogen hätten. Eine Fortführung dieser Motivlage stellten sodann die fünf Jahre später veröffentlichten Vorlesungen zum dar, mit einem jedoch deutlich stärkeren Bezug auf die moderne europäische Philosophiegeschichte seit Kant und Hegel. Das 1985 erstmalig veröffentlichte Buch präsentiert sich als eine systematische Zusammenstellung von Vorlesungen, die Habermas in den beiden vorangegangenen Jahren am Collège de France, an der Cornell University und am Boston College gehalten hatte. Habermas rekonstruiert in den Vorlesungen verschiedene sowohl subjektzentrierte als auch vernunftkritische philosophische Denkrichtungen, die sich in die bereits in der programmatisch angedeuteten aporetischen Konstellationen des modernistischen Selbstverständnisses verlaufen.

Im Folgenden wird unter Rückgriff auf die angeführten Texte zunächst Habermas’ Verständnis dieser Aporien der Moderne dargelegt (1.1). Anschließend werden die bis in die Gegenwart wirkmächtigen Kritiken von Habermas an philosophischen Prämissen der verschiedenen Spielarten der von ihm als Postmodernismus bezeichneten Denkbewegungen in der Tradition Nietzsches zusammengefasst (1.2). Von sachlicher und methodischer Relevanz sind die von ihm in diesen diskursiven Kontext verorteten und kritisierten Versuche von Foucault, moderne- und vernunftkritische Aspekte mit Blick auf die geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Entwicklung der Neuzeit unter genealogischen Prämissen zu extrapolieren (1.3). Die von Habermas in Abgrenzung sowohl zu Foucault als auch zu den Intentionen der von Horkheimer und Adorno formulierte Idee einer Fortführung des noch unvollendeten Projekts der Moderne knüpfte wiederum in den 1980er und 90er Jahren philosophisch an Hegel und soziologisch an Max Weber an (1.4).

1.1Aporie und Dialektik der Moderne


Die von Habermas im öffentlichen Kontext gehaltene und vielrezipierte Rede zum Jahrestag von Adornos Geburtstag geht der übergreifenden Frage nach der »Bewußtseinsstellung der Moderne heute«8 nach. Den diskursiven Hintergrund für die Formulierung dieser Frage bildet nach seinen einleitenden Einlassungen das Aufkommen verschiedener »Theorien der Nachaufklärung, der Postmoderne, der Nachgeschichte«, die einen »neuen Konservativismus« auf den Plan gerufen hätten.9 Habermas konstatierte mit Blick auf die Entwicklung der 1970er Jahre, dass die Idee der Moderne und der Modernismus »heute kaum noch Resonanz« finde, und führt diese von ihm problematisierte Entwicklung auf eine falsche Umgangsweise mit den Problemen zurück, vor die sich das Projekt der Moderne sowie das der Aufklärung grundsätzlich gestellt sahen und sehen.10 Ein entscheidendes Problem des damaligen Umganges mit aufklärerischen und modernistischen Prinzipien identifizierte Habermas in einer tendenziellen Ausrichtung der von ihm als neokonservativ bezeichneten Lehren, die »unbequemen Folgelasten einer mehr oder weniger erfolgreichen kapitalistischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft auf die kulturelle Moderne«11 theoretisch verschoben zu haben.

Schon in dieser Textpassage wird von Habermas eine Differenzierung ins Spiel gebracht, die auf sein eigenes gesellschaftstheoretisches Projekt verweist und zugleich seine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen der Modernekritik tragen wird. Denn neben dem Phänomen eines kulturellen Modernismus, das von den historischen und semantischen Theorien über die Moderne primär thematisiert worden ist, müsse auch der Prozess der gesellschaftlichen Modernisierung in den Fokus der kritischen Analyse gerückt werden. Dieser sei zwar hinsichtlich einer Thematisierung der Folgelasten und der damit verbundenen Krisendiagnosen der Moderne zunächst als ein von der Kulturentwicklung unabhängiger Bereich zu betrachten. Jedoch könnten im Anschluss an diese Unterscheidung zweier Sphären die Zusammenhänge zwischen kultureller und gesellschaftlicher Modernisierung neu perspektiviert werden. Das sich ausbreitende »Unbehagen« gegen »modernistische Intellektuelle« oder auch solche, »die sich dem Projekt der Moderne immer noch verpflichtet fühlen«,12 sei entsprechend nicht nur fehlgeleitet. Es beruhe stattdessen auf einem Mangel an gesellschaftskritischer Ursachenanalyse: »Die vielfältigen Anlässe des Unbehagens und des Protestes entstehen überall dort, wo eine einseitige, an Maßstäben der ökonomischen und der administrativen Rationalität ausgerichtete Modernisierung in Lebensbereiche eindringt, die um Aufgaben der kulturellen Überlieferung, der sozialen Integration und der Erziehung zentriert und daher auf andere Maßstäbe, nämlich auf die einer kommunikativen Rationalität angelegt...


Christian Thein ist Professor für Philosophie mit den Schwerpunkten Fachdidaktik sowie Sozial- und Bildungsphilosophie an der Universität Münster. 2013 erschien seine Studie 'Subjekt und Synthesis - Eine kritische Studie zum Idealismus und seiner Rezeption bei Adorno, Habermas und Brandom'.



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