E-Book, Deutsch, Band 25, 320 Seiten
Thaler Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv 2024
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7065-6453-3
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 25, 320 Seiten
Reihe: Jahrbuch Franz-Michael-Felder-Archiv
ISBN: 978-3-7065-6453-3
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das diesjährige Jahrbuch des Franz-Michael-Felder-Archivs der Vorarlberger Landesbibliothek setzt mit einem Text des Schriftstellers Robert Schneider über Franz Michael Felder ein (nur im Print-Produkt, nicht im E-Book!). Es folgt ein großen Aufsatz über Franz Michael Felder und Ferdinand Lassalle, den der Sozialwissenschaftler Kurt Greussing (Dornbirn) verfasst hat. Im Mittelpunkt der aktuellen Ausgabe stehen Aufsätze zu Paula Ludwig, die ihren Ausgangspunkt bei der internationalen Tagung "Analysen und Erkundungen" haben, die das Felder-Archiv anlässlich des 50. Todestages der Dichterin im Frühjahr 2024 durchgeführt hat. Es war an der Zeit, eine neue Generation von Paula Ludwig Kennerinnen und -Kennern einzuladen, damit sie ihre Analysen und Erkenntnisse zu Leben und Werk von Paula Ludwig teilen und zur Diskussion stellen. Beigetragen haben Jürgen Thaler (Bregenz), Andrea Capovilla (London), Stephanie Heimgartner (Bochum), Heide Helwig (Salzburg), Michael Donhauser (Wien), Maria Holms (São Paulo) Gerhard Fuchs (Graz), Annette Steinsiek/Ursula Schneider (Innsbruck) und Ingrid Fürhapter (Bregenz). Alfons Dür (Buchs) schreibt im Jahrbuch über das Motiv der Flucht in den Werken von Leo Perutz und Ulrich Becher. Der Jahresbericht des Felder-Archivs und das Protokoll der Generalversammlung des Felder-Vereins runden auch diese Ausgabe des Jahrbuchs ab.
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JÜRGEN THALER Paula Ludwig und Vorarlberg
Abb. 1: Paula Ludwig, um 1968. Foto: Franz-Michael-Felder-Archiv, Bregenz. Paula Ludwig literarisierte ihren Geburtsort, das Schloss Amberg oberhalb von Feldkirch, prominent in der Traumlandschaft 1935 im ersten Kapitel, das den Titel „Ursprung“ trägt: „Ich bin geboren am 5. Januar 1900 in der Stunde nach Mitternacht bei vollem Monde in einem alten herrenlosen Schlößchen in Vorarlberg.“1 Auch schon im Rahmen einer früheren Publikation – in der Zeitschrift Ararat – gab Paula Ludwig der Veröffentlichung von Aquarellen und Gedichten eine biographische Skizze mit auf den Weg, in der zu lesen ist: „Tatsache ist, dass ich am 5. Jänner 1900 auf dem Schloß am Berg im Vorarlbergerwald geboren wurde. Mein Vater behauptet: bei ‚hellem Mondschein‘.“2 Das ist ein Versprechen für die, die es nicht genau wissen wollen. Also für Romantiker. Der neuromantische Gestus, mit dem Paula Ludwig hier die biographischen Evidenzen nutzt, um dem Autoren-Ich eine poetische Dignität zu verleihen, geschah sicher nicht mit dem Kalkül, Leserinnen und Leser in Vorarlberg zu adressieren. Es ist mit Blick auf die gesellschaftliche Struktur und mediale Verfasstheit Vorarlbergs in den 1920er und 1930er Jahren beinahe auszuschließen, dass jemand in Vorarlberg oder eine Person, die sich mit Vorarlberg im offiziellen Austausch befand, diese Zeilen im Ararat oder jene der Traumlandschaft zur Kenntnis nahm und nach Bregenz oder Feldkirch oder sonst wo hin meldete, dass eine neue, bislang nicht erbzw. bekannte Dichterin aus Vorarlberg entdeckt worden sei. Und so war es auch. Diese Information wäre hingegen dankbar aufgenommen worden, denn man war in Vorarlberg in diesen beiden Jahrzehnten – und ist es bis heute – intensiv auf der Suche nach (neuen) Namen, historischen und zeitgenössischen, mit Wurzeln in Vorarlberg. Das ist ein Aspekt des Loses der literarischen Provinz, der regionalen Literaturrezeption generell: Je geringer die Zahl von literarischen Stimmen, desto heftiger bemüht man sich um jede einzelne. Wer ist hier aber „man“? All jene, die sich, in welchen Medien und in welcher Form auch immer, um regionale Literaturgeschichtsschreibung, um literarische Öffentlichkeit kümmern.3 Was – also das Erkennen von Paula Ludwig als Dichterin mit Geburtsort Vorarlberg – mit Blick auf die literarische Produktion dieser Jahrzehnte in Vorarlberg kein Übel gewesen wäre, so spärlich, wie die Literatur von hier sich noch im frühen 20. Jahrhundert entwickelte. Aber wer sollte die Bücher und vor allem die Beiträge von Paula Ludwig in Anthologien und Zeitschriften in Vorarlberg zur Kenntnis nehmen, wer sollte darüber schreiben? Wer sollte versuchen, die Gedichte der Bände Die selige Spur, Der himmlische Spiegel und Dem dunklen Gott, die Prosa der Traumlandschaft mit Land und Leuten vor dem Arlberg in Verbindung zu bringen? Es ist in der Tat bedauernswert, dass Paula Ludwigs spätexpressionistische Lyrik und neusachliche Prosa nicht als Literatur einer Vorarlbergerin entdeckt und zur Diskussion gestellt wurde. Es wäre interessant zu verfolgen gewesen, wie diese poetische Produktion über den ‚alemannischen Riemen‘ gespannt worden wäre, ihre Texte ins Korsett von Heimat und Herkunft geschnürt worden wären. Mit dem Erscheinen ihrer Kindheitsautobiographie Buch des Lebens 1936 änderten sich die Koordinaten grundsätzlich. So kam es durch diese Publikation doch noch in der Zwischenkriegszeit zur Entdeckung dieser Vorarlberger Dichterin in ihrer vermeintlichen, ehemaligen, ihrer verklärten Heimat Vorarlberg. Denn dass Paula Ludwig mit ihrem Buch des Lebens in Vorarlberg bekannt wurde, damit war zu rechnen. Zu viel kam hier aus Sicht des öffentlichen Vorarlbergs trefflich zusammen, um diese Publikation nicht nur nicht zu übersehen, sondern sie auch ausführlich zu würdigen. 1. Schauen wir genauer hin: Das offizielle Vorarlberg und damit vor allem auch seine Zeitungen waren in diesen Jahren mit großem Eifer und Elan damit beschäftigt, eine eigene Identität zu finden. Nach dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918, nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, nach dem Ausrufen der Republik Deutsch-Österreich, der Ersten Republik, war man auf der Suche nach einer neuen Landesidentität. Ideologisch wollte man vor allem eines sein: Vorarlberger, Deutschösterreicher, besser noch deutscher Vorarlberger und mit der Donaumonarchie nichts mehr am Hut haben. Im Gegensatz zu heutigen Versuchen, Identität zu postulieren, spielte die Literatur als Leitgattung in diesen Überlegungen eine große Rolle. So kamen auch die Dichterinnen und Dichter verstärkt ins Visier. Es galt, literarische Traditionen so fantasievoll wie eindimensional zu bilden. Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, mit welchem Fleiß in Vorarlberg historische Daten zusammengetragen wurden, um die Dichterinnen und Dichter ins Bild des neu erstandenen Vorarlberg zu setzen, um dem neuen Vorarlberg einen literarischen Unterbau zu konstruieren und zu präsentieren. Bis heute sind die Aufsätze und Artikel, die damals in großer Zahl erschienen sind, wichtige Quellen für biographische Recherchen, weil die Schreiber damals zum einen noch ein Ohr hatten für die Vergangenheit und weil es zum anderen noch Zeugen gab für heute nur noch in Archiven und Bibliotheken gelagertes kulturhistorisches Wissen. Man wird in den Redaktionsstuben deshalb wohl einen Gänsehautmoment bekommen haben, als das Buch des Lebens nach Erscheinen auf den dortigen Schreibtischen landete. Hier vor allem beim Vorarlberger Tagblatt, das mit seiner Beilage Feierabend das führende Publikationsorgan war. Das Blatt war das Sprachrohr der Großdeutschen Partei. Zu schön war es auch, in diesem Buch zu blättern, denn alles, was dieses Buch bot, passte ins ideologische Konzept, das sich national und völkisch generierte. Ein Heimatbuch, eine bislang un- bis kaum bekannte Vorarlbergerin, die auch noch in einem hierorts bekannten Schloss auf die Welt kam. Dass das Buch im Heimatkunst-Verlag Staackmann erschien, der sich schon seit langem um die Heimatliteratur der neun österreichischen Bundesländer kümmerte, nahm man wohl mit mehr als Wohlwollen zur Kenntnis.4 Nicht gesehen hat man freilich all das, was prekär war am Leben von Paula Ludwig, also das Allermeiste. Vergegenwärtigen muss man sich aber auch, mit welcher Naivität Paula Ludwig für Staackmann geschrieben hat.5 Die Vorarlberger ließen sich jedenfalls nicht lumpen und gestalteten nicht nur für den 4. April 1936 eine Nummer des Feierabend, die ausschließlich Leben und Werk von Paula Ludwig gewidmet war, sondern das Vorarlberger Tagblatt ließ gegen Ende des Jahres 1936 ein weiteres Heft des Feierabend zu Paula Ludwig vom Stapel. Mit diesen beiden Heften war Paula Ludwig nun in der Vorarlberger Literaturgeschichte angekommen und wird es auch, bis heute, bleiben. Das erste Heft veröffentlicht Paula Ludwigs Erzählung Und Gottes ist die Kreatur aus dem Almanach des Staackmann-Verlags auf das Jahr 1936.6 Redakteur Hans Nägele fasst Leben und Werk zusammen, von dem er nicht viel wusste. Sein Artikel beginnt mit der programmatischen Feststellung: „Die einzige Vorarlberger Dichterin unserer Zeit, die man in Innerösterreich seit Jahren kennt und schätzt, während meines Wissens bisher noch nie in der Presse ihres Heimatlandes von ihr die Rede war, ist Paula Ludwig.“7 Die biographische Skizze mündet in der Feststellung, dass die in „Tirol lebende Vorarlbergerin“8 es verdiene, zu den besten deutschen Dichterinnen unserer Zeit zu gehören. Es folgte das Kapitel „Bäume der Kindheit“ aus dem Buch des Lebens. Gegen Ende des Jahres legte der Feierabend die Huldigung Paula Ludwigs breiter an. Mit einer ausführlichen Rezension des Buchs des Lebens, mit dem Abdruck des Kapitels „Das Heimweh“ unter dem Titel „Das Heimweh nach Vorarlberg“ und mit einer ‚homestory‘ von Alfred Längle: „Bei der Dichterin Paula Ludwig in Ehrwald“. Es wäre alles andere als überraschend, wenn die Vorarlberger Journalisten aus Paula Ludwig keine deutsche Dichterin gemacht hätten, deren Erinnerungen an Vorarlberg dominant sind. Man muss wissen, dass, ohne hier näher auf Nägele und Längle eingehen zu wollen, der eine wie der andere aus dem deutschnationalen, später nationalsozialistischen Lager stammen. Hans Nägele, geboren 1884, wechselte nach einem Studium der Chemie in die Journalistik. Er war seit 1919 beim Vorarlberger Tagblatt angestellt, von 1938 bis 1944 dessen Hauptschriftleiter.9 Alfred Längle, geboren 1890, war nach dem Studium der Klassischen Philologie, anschließendem Studium der Rechtswissenschaften und nach seiner Rückkehr aus russischer Kriegsgefangenschaft ab 1920 Redakteur beim Vorarlberger Tagblatt.10 Mit Blick auf die Biographien der hier federführend tätigen Journalisten hat es etwas historisch Bizarres an sich, wenn sich diese beiden Zeitgenossen, Zeitikonen des österreichischen Ständestaates und spätere NSDAP-Mitglieder, um Paula Ludwig kümmern, so, als...