Teigen | Schatten der Erinnerung. Tulla Larsen und Edvard Munch | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

Teigen Schatten der Erinnerung. Tulla Larsen und Edvard Munch

Roman
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-86915-258-5
Verlag: Ebersbach & Simon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

E-Book, Deutsch, 336 Seiten

ISBN: 978-3-86915-258-5
Verlag: Ebersbach & Simon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Tulla Larsen und Edvard Munch - auf den Spuren einer Amour fou Edvard Munch und Tulla Larsen begegnen sich 1898 in Oslo, es ist der Beginn einer leidenschaftlichen Liebe zwischen dem Maler und der rebellischen jungen Frau mit dem flammendroten Haar. 1902 endet die Beziehung abrupt mit einem Pistolenschuss in Munchs Sommerhaus. Lene Therese Teigen erzählt die dramatische Geschichte dieser Liebe aus Tullas Sicht, u.a. anhand des Briefwechsels von Tulla und Munch. So entsteht ein ganz neuer Blick auf den berühmten Maler und seine Muse - und nicht zuletzt auf die Tiefe und Komplexität der Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau, die stets in Munchs Schatten stand.

Lene Therese Teigen ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Regisseurin und lebt in Oslo. Sie ist bekannt für ihre auf wissenschaftlicher Recherche basierenden Thaterstücke, bei denen der Fokus häufig besonders auf dem Thema Gleichberechtigung liegt. Von 2010 bis 2015 war sie Vorsitzende der Organisation Women Playwrights International (WPI), 2018 bekam sie das Munch-Stipendium der Stadt Oslo.

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Kirkeveien 42, Oslo,
Montag, 25. Februar 1929,
– 12 °C, teils bewölkt
»Ich sehe dich.« »Lass mich in Ruhe.« »Das ist unmöglich. Das weißt du.« »Ich schlafe.« »Du bist wach.« Die Menschen müssen vorankommen; die Welt dreht sich. Aus der Ferne dringen Geräusche herein; es ist, als wäre sie in Baumwolle gehüllt. Geburt und Tod, Geburt und Tod. Der Kirkeveien ist belebt, selbst in beißender Winterkälte. Alles dreht sich und dreht sich. Sie kneift die Augen zusammen, ist nicht imstande, jetzt schon zu erwachen. Lass mich länger schlafen, erspar mir das Denken, erspar mir, einen weiteren Morgen zu erwachen, an dem ich nicht aufhöre zu zittern, an dem die Unruhe unbeherrschbar ist, an dem ich den Spiegel meide, die Menschen meide, am liebsten auch mich selbst. Lass mich hier so lange liegen, bis sich der Ministerialrat mit den Orchideen nach einem weiteren Tag im Ministerium taktvoll in die Mietwohnung in der ersten Etage schleicht, während ich noch immer im Bett liege. Gestern war auch so ein Tag, oder Abend, besser gesagt. Volles Haus und stürmischer Jubel zum Schluss. Wie er jedoch begann. Nein, ich muss mich im Spiegel sehen. In einem halben Jahr bin ich 60. Obwohl ich das Aussehen immer ausmünzen konnte, ist etwas passiert. Ich ahne es. Die Jungen, die hierherkommen, sind alle so galant, mitunter ist das ein wenig verdächtig. Ich bin nicht so dumm, als dass ich nicht verstünde, dass ich nicht mehr so aussehe, als wäre ich 30, obwohl ich mich immer gut gehalten habe. Obwohl ich noch immer anziehend auf Männer wirke. Denn das tue ich, wenn ich will. Wann immer ich will. »Wann hat es angefangen?« »Ach Gott, erspar mir das.« »Es bleibt dir nicht erspart.« »Ich will das nicht. Bin nicht imstande zu denken.« »Du kannst dich ebenso gut darauf einlassen.« »Ich muss etwas Dummes getan haben.« »Jetzt erinnerst du dich: Du siehst ihn dir entgegenkommen.« »Schwach, ganz schwach.« »Bei Gimle. Bald wirst du die Bygdøy allé überqueren.« »Dort geht Edvard Munch.« »Er geht westwärts die Straße hinunter. Du gehst auf der gegenüberliegenden Seite hinauf.« »Herrgott.« »Du bleibst stehen.« Er ist ein alter Mann geworden. Er ist nur sechs Jahre älter als ich, aber er ist ein alter Mann geworden. Er bewegte sich nicht mehr mit dem vitalen Gang oder dem aufrechten Rücken. Aber ich habe ihn wiedererkannt. Nach bald 30 Jahren. Er ging langsam, leicht vornübergebeugt, zusammengesunken, in die eigenen Gedanken vertieft. Er hat mich selbstverständlich nicht gesehen. Sicher auch niemand anderen. Er wollte niemanden sehen, da bin ich mir sicher. Ich aber habe ihn gesehen. Zum ersten Mal, seit ich weggerannt bin. Dort ging er, und auf der anderen Straßenseite stand ich und sah ihn gehen. »Hättest du ihn nicht aufhalten sollen?« »Nach ihm rufen?« »Du hättest die Straße überqueren können, sodass ihr euch zufällig begegnet.« »Bald 30 Jahre nachdem alles vorüber war? Würde das die Bedeutung der Beziehung nicht übertreiben?« »Du denkst noch immer an ihn?« »Ich denke noch immer an vieles. Nicht nur an ihn: an das. Ich bin darüber hinweg. Auch er ist darüber hinweggekommen. Letztendlich. Unabhängig davon, wie vulgär er sich benommen hat.« »Hast du wirklich nicht das Bedürfnis, ihn wiederzusehen?« Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, ihn aufzuhalten. Noch weniger, mit ihm zu reden. Wozu sollte das gut sein? Ich hätte ihn fragen können, was er mit seiner entsetz lichen »Alpha und Omega«-Serie gemeint hat, allerdings hätte sich dieses Gespräch nicht gerade für diese respektable Gegend geeignet. Alle hatten versucht, sie vor mir zu verbergen, aber ich bekam es mit. Die Drucke wurden schließlich als Mappe veröffentlicht, mit Begleittext. Was für ein armseliger Racheversuch. Denn diesen Eindruck vermittelte sie, nicht nur mir, obwohl er es war, der mich getäuscht hatte. Er, der mir nicht direkt ins Gesicht sagen konnte, dass er es nicht aushielt, mich in seinem Leben zu haben. Er, der mich absichtlich zwei Jahre lang fern der Zivilisation leben ließ, nein, drei! Ich kann einfach nicht glauben, dass er gewusst hat, was er tat. Dass er mich bewusst zerstören wollte. Das Beste für ihn wäre gewesen, wenn ich tot gewesen wäre, dann hätte er keine Angst davor haben müssen, dass ich ihm schreiben oder auftauchen würde. Denn das war es wohl, wovor er Angst hatte. Jedes Mal, wenn er mich sah, machte er mir neue Versprechungen. Versprechungen, die er nicht hielt. Ich weiß, dass er verzweifelt war. Vielleicht war es für ihn schlimmer als für mich, vielleicht musste er deshalb diese Karikaturen erschaffen, dieses entsetzliche Theater. Das war doch nur eine fürchterliche Selbstmitleids-Chose. Aber so ist es, wenn man Edvard Munch heißt. Nichts wird hinterfragt. Hört man auf, jemanden zu lieben, und sieht den Betreffenden dann, viele Jahre später, wieder, dann steht der Tod zwischen einem. Weil die Liebe vorüber ist, ist es, als wäre er tot. Was ich gesehen habe, war ein alter Mann. Ziemlich alt. All die Fragen, die mich einst verrückt gemacht haben: Schreibt er oder nicht, wird er gesund oder nicht, soll ich schreiben oder nicht? Wo ist er? Was macht er? Fragt er sich, wie es mir geht? Hat er mich gern? Oder nicht? Das hat keinerlei Bedeutung mehr. Für einander sind wir Tote. Das einzige Wir, das es noch gibt, ist dieses Wir des Todes. Es ist tot zwischen uns. Was aber lässt mich trotzdem diese ekelerregende Unruhe verspüren, dieses gewaltige Gefühl von Verlust? Denn ich weiß genau, dass es nicht Liebe ist. Aber vielleicht trauere ich um den Tod. Das Leben und der Tod. Dass es möglich ist, dass so etwas vorübergeht. Dass das Leben einfach seinen Lauf genommen hat. Das tut mir nur weh, ich habe mir selbst versprochen, nicht über ihn zu reden, es nicht zu erwähnen. Und daher war es etwas viel für mich, bevor die Gäste eintreffen sollten, sodass Josefine absagen musste, einige kamen dann aber trotzdem, und sie blieben, schließlich gab es hier Unmengen an gutem Essen, das nicht verderben durfte, und es gab guten Wein, den Alfred geschickt hatte. P. A. Larsens Weinimport war von A S Vinmonopolet aufgekauft worden, was Alfred jedoch nicht daran hindert, gute Weine auf Lager zu haben, schließlich ist er Händler, muss man wissen. Und trotz allem bin ich die einzige seiner Schwestern, die wirklich guten Wein zu schätzen weiß, das fehlte noch. Armer Alfred, jetzt ist Magda weg, und er hat nur noch die Boote. Damit ist er bis zum 13. gekommen: Magda XIII. Schade, dass ich nicht rauche, denn Zigaretten produziert er im großen Stil, da wäre ich also bis zu meinem Tod sicher versorgt gewesen. Das muss auch nicht mehr so lange hin sein, so alt, wie ich geworden bin. Kein halbes Jahr mehr, bis ich 60 bin. Herrgott. Und er … 66 am 12. Dezember. Das Datum ist wie eingemeißelt. Er hat einsam ausgesehen. Und alt. Hätte ich ihn aufhalten sollen? Sind wir so alt geworden, dass alles außer der Zeit unwesentlich ist? Bin ich so weit gekommen? Ist er es? Die Jungen platzierten sich, mit Josefines Segen, um den Braten, denn es wäre schade gewesen, würde er verderben, und ich habe doch nie Appetit; dort saßen sie also in meiner Stube, und ich hatte mich zum Ausruhen zurückgezogen, denn als ich zurückgekommen war, wurden es ein paar Gläser, ich musste mich beruhigen. Ihn zu sehen hat Eindruck gemacht, das ist nicht zu leugnen. Ich schwebte also leicht über dem Bett, so empfand ich es, und versuchte wirklich runterzukommen. Und als ich mich schließlich entspannte, drangen Stimmen und Gelächter sowie Zigarettenrauch ins Schlafzimmer, und ich konnte nicht umhin, ins Esszimmer zu gehen, und dort saßen sie. Und weitere Gäste wurden herbeigerufen, als ich erschien. Meine Freunde, einige davon junge Studenten und Künstler, die kommen, wenn ich meine Gesellschaften gebe, die mich das Leben spüren lassen, sie tranken und lachten, redeten und aßen. Ich setzte mich an den Tisch, und an mehr erinnere ich mich nicht, aber ich habe das Gefühl, Edvards Namen erwähnt zu haben. Das habe ich in all den Jahren vermieden. Vielleicht abgesehen von der Begegnung mit Eli Greve, der Kunsthistorikerin. Aber das war auch etwas anderes. Sie versuchte, ihn als Menschen zu verstehen, und ich kannte ihn unbestreitbar ziemlich gut, weshalb ich nach bestem Wissen und Gewissen meinen Beitrag leistete....


Lene Therese Teigen ist Schriftstellerin, Dramatikerin und Regisseurin und lebt in Oslo. Sie ist bekannt für ihre auf wissenschaftlicher Recherche basierenden Thaterstücke, bei denen der Fokus häufig besonders auf dem Thema Gleichberechtigung liegt. Von 2010 bis 2015 war sie Vorsitzende der Organisation Women Playwrights International (WPI), 2018 bekam sie das Munch-Stipendium der Stadt Oslo.



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