E-Book, Deutsch, 134 Seiten
Tcherneva Plädoyer für eine Jobgarantie
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-944203-58-4
Verlag: Lola Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 134 Seiten
ISBN: 978-3-944203-58-4
Verlag: Lola Books
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das vielleicht schädlichste Instrument beim Widerstand der Wirtschaftsfu?hrer gegen Maßnahmen im öffentlichen Interesse ist der Mythos, dass die Ausgaben der Bundesregierung von den Steuereinnahmen abhängen, die der Staat von ihnen erheben kann.
Der Kampf um wirtschaftliche Emanzipation muss entschieden gegen dieses Volksmärchen vorgehen, sonst bleiben progressive Politiken die ewigen Geiseln der Ideologie der gesunden Finanzen.
Um die hohen strukturellen und institutionellen Hu?rden in Angriff zu nehmen, die es so schwer machen, sich fu?r arbeitende Menschen einzusetzen, muss man zumindest dem stärksten ideologischen Werkzeug die Stirn bieten, das den Reichen und Mächtigen zur Verfu?gung steht: dem Mythos, dass sie fu?r alles aufkommen.
Nichts davon ist 'einfach', doch du?rfen wir uns nicht einreden, dass diese Hindernisse unu?berwindbar seien. Die meisten Argumente gegen die Jobgarantie wurden in der Vergangenheit auch gegen andere notwendige Staatsmaßnahmen vorgebracht. Das liegt in der Natur der Politik der Angst. Es gibt keine zwingenden moralischen oder wirtschaftlichen Gru?nde, um so weiterzumachen wie bisher. Die Frage ist, was wir mehr fu?rchten mu?ssen - eine Welt, in der allen ein existenzsichernder Mindestlohn sicher ist, oder eine Welt, in der Massenentlassungen die Norm bleiben?
- Pavlina R. Tcherneva
Pavlina Tcherneva ist Professorin für Wirtschaftswissenschaften am Bard College und forscht am Levy Economics Institute. Sie ist eine der weltweit bedeutendsten Vertreterinnen der modernen Geldtheorie mit einem Schwerpunkt im Bereich der Arbeitsgarantie.
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EINLEITUNG
Nicht, weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer. Seneca „Nichts im Leben ist selbstverständlich“ ist ein bekannter Spruch, genauso wie „Wenn du etwas willst, musst du es dir verdienen“. Aber was ist, wenn man einen bezahlten Job möchte – einen menschenwürdigen, gut bezahlten Job? Und was ist, wenn man keinen findet, weil ja nichts im Leben selbstverständlich ist? Dieses Paradox will der Vorschlag für eine Jobgarantie lösen. Es handelt sich um eine öffentliche Maßnahme, die für alle Arbeitssuchenden eine Beschäftigungsmöglichkeit bereithält, ungeachtet ihrer persönlichen Lebensumstände oder der wirtschaftlichen Gegebenheiten. Sie macht aus Arbeitsämtern eine Anlaufstelle für Erwerbstätige anstatt für Arbeitslose, für die dort freiwillige Beschäftigungsmöglichkeiten in einem breiten Angebot von Projekten im öffentlichen Sektor in Pflege, Umwelt, Reha und Infrastruktur bereitstehen. Die Jobgarantie ist eine staatliche Beschäftigungsoption. Die Garantie bei diesem Vorschlag ist das Versprechen, die Versicherung, dass denen, die Arbeit suchen, stets eine Grundbeschäftigung geboten wird. Beim Job-Teil geht es um ein weiteres Paradox, nämlich um die Tatsache, dass bezahlte Arbeit in der modernen Welt zwar einen prägenden und unverzichtbaren Teil unseres Lebens darstellt, aber doch für viele unerreichbar, beschwerlich und maßregelnd geworden ist. Die Job-Komponente der Jobgarantie möchte all dies ändern, indem sie einen menschenwürdigen, existenzsichernden Job als Standard für alle Stellen in der Wirtschaft etabliert und gleichzeitig dem Wandel der öffentlichen Politik, des Wesens der Arbeitserfahrung und der Bedeutung von Arbeit an sich den Weg ebnet. Die Jobgarantie befasst sich mit zwei sehr spezifischen Aspekten wirtschaftlicher Unsicherheit: wiederkehrende oder langfristige Arbeitslosigkeit und schlecht (prekär oder ungleich) bezahlte Arbeit. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es noch weitere Probleme wie Lohndiebstahl, Diskriminierung, Armut und stagnierendes Einkommenswachstum. Und es gibt noch weitere Arten wirtschaftlicher Unsicherheit, wie Mangel an bezahlbarem gesundem Essen, Pflege, Wohnungen und Bildung, oder mangelnden Schutz vor Verwüstung durch den Klimawandel. Obwohl die Jobgarantie in gewisser Hinsicht eine klar definierte Mission hat – alle, die um Arbeit ansuchen, mit einer ordentlichen, angemessen bezahlten Beschäftigung zu versorgen –, nimmt sie auch eine breite Anzahl sozialer und wirtschaftlicher Probleme in Angriff und trägt zu einer gerechteren Wirtschaft bei. Im Grunde genommen ist die Jobgarantie eine Politik der Fürsorge, die den Gedanken ablehnt, dass Menschen in wirtschaftlicher Not, zerrüttete Gemeinschaften und eine bedrohte Umwelt die beklagenswerten, aber unvermeidlichen Kollateralschäden einer Marktwirtschaft darstellen. Die Idee, Staatstätigkeit als Garant des Rechts auf Arbeit zu nutzen, ist nicht neu. Die Langlebigkeit und Widerstandskraft dieses Rechts wurzeln in seinem tiefen moralischen Gehalt. Es wurde in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und in der von Präsident Franklin Delano Roosevelt vorgeschlagenen Economic Bill of Rights bekräftigt, spielte eine wichtige Rolle in der Bürgerrechtsbewegung und ist (in Anlehnung an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte) in den Verfassungen vieler Nationen verankert. Sein Mandat ist jedoch noch nicht erfüllt. In den USA wollten die Urheber des Employment Act von 1946 und des Full Employment and Balanced Growth Act von 1978 das Recht auf Arbeit durch entsprechende Gesetzgebung sichern, blieben jedoch letztlich erfolglos. In Ermangelung eines allgemeinen Rechts auf Arbeit bemüht man sich überall auf der Welt mit sporadischen Programmen, die Lücke zumindest notdürftig durch direkte Beschäftigung zu füllen, oft mit spürbarem Erfolg. In der heutigen Zeit wird die Jobgarantie als „der wichtigste Aspekt des Green New Deal“1 bejubelt, was ausdrückt, dass Umweltgerechtigkeit ohne wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit nicht möglich ist. Ziel des Green New Deal und der Jobgarantie ist es, zwei scheinbar unterschiedliche, tatsächlich aber organisch miteinander verflochtene existenzielle Probleme zu lösen – Klimawandel und wirtschaftliche Unsicherheit. Was nützt uns eine grüne Zukunft, in der zwar die Bedrohung durch globale Erwärmung nachgelassen hat, Familien und ganze Gemeinschaften jedoch noch immer aus Verzweiflung über Armut, Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Not in den Tod getrieben werden? Und was wäre das für eine Wirtschaft, in der zwar alle gut bezahlte Arbeit finden könnten, die für uns lebenswichtige Natur jedoch weiterhin ausgebeutet und zerstört würde? Obwohl die Jobgarantie älter ist als der Green New Deal, war sie schon immer grün – von Roosevelts Baum-Armee bis hin zu modernen Vorschlägen, wie in diesem Buch präsentiert – und stellt Umweltschutz und den Wiederaufbau von Gemeinschaften in den Vordergrund. Der Green New Deal ist eine ambitionierte politische Agenda, die darauf abzielt, die Wirtschaft umzugestalten und den zukünftigen Generationen einen bewohnbaren Planeten zu hinterlassen. Die Jobgarantie bettet wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit in die wissenschaftliche Reaktion auf den Klimawandel ein; sie ist ein unverzichtbarer Teil der grünen Agenda und würde dafür sorgen, dass während des Wandels niemand auf der Strecke bleibt. Sie ist jedoch auch eine transformative makroökonomische Politik und ein Sicherheitsnetz, das Jahrzehnte alte Probleme auf dem Arbeitsmarkt und Verwerfungen durch den grünen Wandel in Angriff nehmen würde. Einfach ausgedrückt, die Jobgarantie sorgt dafür, dass wir während der Arbeit am Umweltschutz und der Umgestaltung der Wirtschaft über eine Politik verfügen, die arbeitende Menschen schützt und das Arbeitserlebnis selbst neu gestaltet. Dieses Buch präsentiert den Vorschlag zur Jobgarantie und erklärt, warum sie ausschlaggebend für die Klimabewegung ist. Es argumentiert auch, dass eine Marktwirtschaft auch nach Erfüllung der Mission des Green New Deal eine Jobgarantie benötigt. Der Grund dafür ist, dass das Programm als kontinuierlicher Stoßdämpfer und leistungsfähiges Werkzeug für wirtschaftliche Stabilisierung dient, was möglicherweise seine maßgeblichste makroökonomische Funktion darstellt. Es fehlte im Zeitalter der Industrialisierung, als bezahlte Arbeit die unverzichtbare und doch unsichere Eintrittskarte zu einem gesicherten Lebensunterhalt wurde. Es fehlte in der Nachkriegszeit, als die Wirtschaftsdepressionen zwar verbannt worden waren, die Arbeitslosigkeit jedoch blieb. Und es fehlt noch heute, wo neoliberale Politiken grundlegende Arbeiterrechte entkräftet haben, während politische Entscheidungsträger die Preise auf dem Rücken der Arbeitslosen stabilisieren. Die Jobgarantie war schon lange notwendig, bevor wir die Umwelt unwiederbringlich verschmutzt haben, und wir werden sie auch noch benötigen, wenn wir die Umwelt wieder gesäubert haben. Die hier ausgeführte Vision für die grüne Jobgarantie verbindet die Schaffung von Arbeitsplätzen mit dem Umweltschutz. Zudem definiert sie grüne Politiken als solche, die jede Form von Abfall und Zerstörung in Angriff nehmen, insbesondere auch die unserer menschlichen Ressourcen. Eine grüne Politik muss Abhilfe für die Vernachlässigung und Verschwendung schaffen, die mit wirtschaftlicher Not, Arbeitslosigkeit und prekärer Arbeit im Besonderen einhergehen. Wie der verstorbene Wirtschafts-Nobelpreisträger, William Vickrey, argumentierte, ist Arbeitslosigkeit „bestenfalls das Äquivalent zum Vandalismus“, weil sie von Einzelnen, Familien und Gemeinschaften einen rücksichtslosen Tribut fordert.2 Trotzdem wird Arbeitslosigkeit nach herkömmlichem Wissen für „normal“ erachtet. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen sie gar als „natürlich“ und entwickeln Maßnahmen, die auf ein „optimales“ Niveau von Arbeitslosigkeit abgestimmt sind. Die Vorstellung, unfreiwillige Arbeitslosigkeit sei ein bedauerlicher, jedoch unvermeidlicher Vorgang, und ein bestimmtes Arbeitslosenniveau sei notwendig für ein reibungsloses Funktionieren der Wirtschaft, zählt zu den großen unerforschten Mythen unserer Zeit. Und außerdem ist es schlechte Wirtschaftspolitik. Um die Jobgarantie zu vertreten, beginnt das Buch zunächst mit einem Gedankenexperiment, bevor es zur Diagnose und wirtschaftswissenschaftlichen Analyse übergeht. Es bittet den Leser, sich vorzustellen, wie die Jobgarantie ganz praktisch aussehen könnte, und welche Auswirkungen sie auf arbeitslose Menschen und deren Familien haben könnte. Wir beleuchten, unter welchen Umständen jemand auf das Programm zugreifen müsste und welche Projekte dafür sorgen könnten, dass alle das Arbeitsamt stets mit einem Angebot für einen Job mit existenzsicherndem Lohn...