E-Book, Deutsch, Band 2, 319 Seiten
Reihe: Daringham Hall
Taylor Daringham Hall - Die Entscheidung
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-7325-0691-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 319 Seiten
Reihe: Daringham Hall
ISBN: 978-3-7325-0691-0
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ben Sterling kann es sich selbst kaum erklären: Seit er auf Daringham Hall eintraf, ist nichts in seinem Leben mehr wie vorher. Und das liegt nicht nur daran, dass seine lange verschollene Familie ihn auf ihrem Landsitz in East Anglia so unerwartet freundlich aufnimmt - auch seine Gefühle für die Tierärztin Kate bringen den sonst so beherrschten Unternehmer aus dem Gleichgewicht. Soll er wirklich glauben, dass er in England eine Zukunft hat? Noch ahnt er nicht, dass jemand im Hintergrund weiter Intrigen spinnt - und dass ausgerechnet Kate ihn dazu bringen wird, seine Entscheidung für Daringham Hall noch einmal zu überdenken ...
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Drei Wochen zuvor
Die Tür knarrte leise, als Ben sie aufzog, und er wollte in den dunklen Spalt dahinter blicken. Doch ihm quoll plötzlich eine so dicke Staubwolke entgegen, dass er husten musste. Dieser verdammte alte Kasten! Gab es hier eigentlich irgendetwas, das nicht verstaub …
Etwas fiel ihm entgegen, streifte seine Schulter, bevor er eine Chance hatte, es abzuwehren. Dann ertönte ein lautes Klirren, das durch den langen Flur hallte, und Scherben verteilten sich um seine Füße.
Es dauerte einen Moment, bis er begriff, was passiert war: Hinter der Tür, die er in der Flurwand entdeckt hatte – eine von diesen übertapezierten Geheimtüren, die man auf den ersten Blick kaum wahrnahm –, befand sich eine kleine Kammer. Sie war leer – bis auf den altmodischen Strohbesen, der mit dem Kopf nach oben darin gestanden hatte und herausgefallen war. Ohne den Kontakt mit Bens Schulter wäre vielleicht nichts passiert, aber so war er abgelenkt worden und hatte eine große Vase vom Sideboard neben der Tür gestoßen. Und diese, ein ziemliches Ungetüm aus blau-weißem Porzellan, lag jetzt in tausend Teile zerbrochen neben dem Besen auf dem feinen Fischgrätparkett.
»Sch …«
Ben konnte sich gerade noch davon abhalten, das Wort auszusprechen, das ihm auf der Zunge lag, weil sich eilige Schritte näherten. Eine Sekunde später bog der bullige Butler der Camdens um die Ecke, dicht gefolgt von einem der Hausmädchen, das ihn mit großen Augen anstarrte. Vermutlich nicht mal wegen des plötzlichen Lärms – so guckten die Angestellten auf Daringham Hall Ben meistens an, wenn sie ihm begegneten.
»Alles in Ordnung, Mr Sterling?«, fragte Kirkby auf seine stets ruhige, höfliche Art. Doch auf seiner breiten Stirn hatte sich eine senkrechte Falte gebildet, was Ben nicht unbedingt als gutes Zeichen wertete. Wahrscheinlich hatte er gerade irgendein unwiederbringlich kostbares Einzelstück zerstört und sich damit noch ein bisschen unbeliebter gemacht, als er sowieso schon war. Falls das überhaupt ging …
»Mit mir schon, aber ich fürchte, von der Vase kann man das nicht behaupten«, erwiderte er und verzog das Gesicht.
Kirkby entlockte diese Bemerkung jedoch kein Lächeln. »Hol ein Kehrblech«, wies er die junge Frau an, die loslief und wenige Augenblicke später mit dem Gewünschten und einem kleinen Eimer zurück war.
Rasch begann sie damit, die Scherben um Ben herum aufzusammeln, und auch wenn ihm klar war, dass das zu ihrem Job gehörte, fühlte er sich dadurch noch ein bisschen schlechter.
»Geben Sie her, ich mach das!« Er wollte nach dem Kehrblech greifen, doch die junge Frau zog es weg und starrte ihn verunsichert an.
»Jemma erledigt das schon, Mr Sterling«, erklärte Kirkby mit fester, fast ein bisschen scharfer Stimme, und Ben gab den Versuch auf, die Regeln in diesem Haus außer Kraft zu setzen. Stattdessen trat er einen Schritt zurück, um Jemma – genau, das war ihr Name – etwas mehr Platz zu machen. Über ihren Kopf hinweg blickte er Kirkby an, der ihn mit einem wachsamen Ausdruck in den Augen musterte.
»Haben Sie etwas gesucht, Mr Sterling?«
Gute Frage, dachte Ben. Natürlich suchte er etwas, nämlich Antworten. Aber er hatte nicht erwartet, sie hinter dieser komischen Geheimtür in einem der langen Flure des Herrenhauses zu finden. Die hatte er lediglich aus Neugier geöffnet – etwas, das dem Butler offenbar ein Dorn im Auge war. Ben würde sich jedoch nicht davon abhalten lassen, den Dingen auf den Grund zu gehen, solange er hier war. Deshalb erwiderte er Kirkbys Blick herausfordernd.
»Keinen Besen jedenfalls«, gab er zurück, weil er nicht fand, dass er dem Butler eine Erklärung schuldete, und deutete auf den Eimer, den das Hausmädchen gerade wegtrug. »Den Schaden werde ich natürlich bezahlen.« Selbst wenn das Ding teuer gewesen sein sollte, war er vermögend genug dafür. Und auf gar keinen Fall würde er den Camdens etwas schuldig bleiben.
Kirkby schien das jedoch nicht zu entspannen, denn auf seiner breiten Stirn bildete sich erneut eine tiefe Falte.
»Die Vase war ein Erbstück aus dem Besitz von Lady Eliza«, erklärte er, und Ben stöhnte innerlich auf. Die Aussicht, sich wegen dieses Missgeschicks jetzt auch noch mit der Grand Dame von Daringham Hall auseinandersetzen zu müssen, war nicht besonders verlockend.
Seit er sich vor drei Tagen entschieden hatte, das Angebot von Ralph Camden anzunehmen und auf unbestimmte Zeit zu bleiben, begegneten ihm die Familienmitglieder sehr unterschiedlich. Die meisten schienen nicht recht zu wissen, wie sie mit ihm umgehen sollten, aber sie versuchten zumindest, ihm neutral zu begegnen. Nicht so Lady Eliza. Die alte Dame stritt nach wie vor vehement ab, dass Ben ihr ältester Enkel war, und hatte bei ihren wenigen Begegnungen keinen Hehl daraus gemacht, wie sehr sie ihn hasste. Aber letztlich war Ben das nur recht. Bei ihr wusste er wenigstens, woran er war. Die anderen richtig einzuschätzen fiel ihm viel schwerer.
»Es ist trotzdem nicht zu ändern, dass dieses Erbstück jetzt leider kaputt ist«, erwiderte er. »Sie soll mir einfach eine Summe nennen, vielleicht tröstet sie das über den Verlust hinweg.«
Kirkby schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, das wird …«
»Das wird nicht nötig sein«, sagte eine Stimme hinter ihnen, und als Ben sich umdrehte, sah er Ivy Carter-Andrews auf sie zukommen, die älteste Tochter von Ralph Camdens Schwester Claire. Ihr rotes, kurzes Haar leuchtete im Licht der Nachmittagssonne, die durch das Fenster am Ende des Flurs fiel, und auf ihrem Gesicht lag wie so oft ein resoluter Ausdruck, als sie sich jetzt vor dem Butler aufbaute. »Wir werden Grandma das nämlich gar nicht erzählen. So was kann doch mal passieren, und ganz abgesehen davon, dass das Ding scheußlich war, wird ihr wahrscheinlich nicht mal auffallen, dass es weg ist. Also müssen wir sie deshalb doch nicht unnötig aufregen, nicht wahr, Kirkby?«
»Wie Sie meinen, Miss Ivy«, antwortete der Butler mit einem Gesichtsausdruck, der nicht verriet, was er von dieser Lösung hielt.
»Und falls sie es doch merkt«, fuhr Ivy fort und hob die Hand, als Ben gerade ansetzen wollte zu protestieren, »dann erklären Sie ihr einfach, dass ich es war.«
Sie grinste, als Ben sie genauso verständnislos ansah wie Kirkby, und bückte sich dann nach dem Besen, betrachtete ihn versonnen. »Das war meine Falle für Kate. Wir haben als Kinder oft hier gespielt, und ich erinnere mich noch gut, dass ich damals diesen Besen in die kleine Kammer gestellt habe. Er sollte herausfallen und Kate erschrecken, wenn sie die Tür öffnet. Aber sie hat das offenbar nie entdeckt, und dann habe ich es irgendwann vergessen.« Entschuldigend zuckte sie mit den Schultern. »Wenn also jemand für die kaputte Vase verantwortlich ist, dann ich.«
Ben blickte in ihr offenes, lächelndes Gesicht und schaffte es nicht, an seinem Misstrauen festzuhalten. Es war schwer, sich Ivys sympathischer Art zu entziehen, und er fühlte sich ihr näher als den anderen, vielleicht weil er ihr tatsächlich glauben konnte, dass sie ihn als neuen Cousin akzeptierte. Und weil sie Kates beste Freundin war …
Kate. Allein die Erwähnung ihres Namens löste wieder dieses Gefühl in ihm aus, das ihn einfach nicht losließ, spülte es zurück an die Oberfläche. Dass er etwas verloren hatte, dass etwas fehlte, das vorher richtig gewesen war. Und jetzt falsch. Dabei war es verdammt noch mal genau umgekehrt!
»Ich wusste gar nicht, dass du so eine Fallenstellerin bist. Die arme Kate kann einem ja richtig leidtun.« Er lächelte, selbst wenn es ihm schwerfiel, und hasste es, dass er sich sehr gerne danach erkundigt hätte, wie es Kate ging. Und er hasste es noch mehr, dass er es nicht wusste, weil er sie seit jenem Abend vor drei Tagen nicht mehr gesehen hatte.
»Oh, du solltest sie nicht unterschätzen. Sie hat gelernt, gut auf sich achtzugeben«, erwiderte Ivy, ernster als vorher, und in ihren Worten schien eine Warnung zu liegen. Doch dann lächelte sie wieder und fügte hinzu: »Ich bin übrigens gerade auf dem Weg zu ihr in den Stall. Falls du ihr deine Beileidsbekundungen selbst überbringen willst, könntest du mich begleiten.«
Ben war versucht. Sehr versucht sogar. Aber dann fiel ihm wieder ein, dass es nicht ging.
»Ich bin mit Ralph verabredet«, sagte er und sah auf seine Armbanduhr, die anzeigte, dass es genau halb vier Uhr war. »Jetzt.«
»Oh.« Ivy lächelte weiter, doch Ben war plötzlich sicher, dass er Sorge in ihren Augen sah. »Das ist natürlich wichtiger.«
»Soll ich Ihnen den Weg zu Mr Camdens Arbeitszimmer zeigen?«, erkundigte sich Kirkby, der immer noch bei ihnen stand und offenbar sehr genau wusste, wo das Treffen stattfinden sollte. Ben wunderte das kein bisschen. Dem Butler schien absolut nichts zu entgehen, was in diesem Haus passierte.
Er schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Ich weiß, wo es ist.«
Das stimmte nicht ganz. Er war zwar ziemlich sicher, dass sich das Zimmer am Ende des Flurs befand, der an diesen angrenzte. Aber dieses Haus war erschreckend groß, und vielleicht täuschte er sich auch. Was allerdings nicht bedeutete, dass er deshalb Kirkbys Hilfe annehmen würde, der ohnehin schon ständig und überall auftauchte, wo er gerade war. Fast so, als hätte er den Auftrag, ihn zu überwachen – ein Gedanke, der Ben nicht gefiel und über den er nachgrübelte, als er allein durch den Flur weiterging.
Konnte er es den Camdens verdenken, wenn es so war? Wahrscheinlich trauten sie ihm so wenig wie er ihnen. Dafür war die Situation für sie alle einfach noch zu neu und ungewohnt.
Ben schüttelte den Kopf, weil er manchmal selbst nicht begriff, was...